"Imeneo" erfüllt die Erwartungen bei den Händel-Festspielen
Mit Spannung war die Premiere der diesjährigen Festspiel-Oper erwartet worden. Schließlich konnte Regisseurin bei ihrem letzten Gastspiel 2012 ein echtes Highlight setzen. Mit ihrer Inszenierung von "Imeneo" erfüllte die Belgierin die Erwartungen des Publikums. Dies bedankte sich bei der Premiere am Freitag im Deutschen Theater mit donnernden Applaus.
Rosmene liebt den Tirinto und Tirinto liebt die Rosmene. Clomiri liebt den Imeneo, aber der liebt sie nicht, denn er liebt die Rosmene. Aber die liebt ja den Tirinto. Doch dann wendet sich das Blatt, weil sich Imeneo als Held beweisen kann. Das ist die Ausgangslage in Händels vorletzter Oper "Imeneo", aber es liest sich wie der Plot einer Telenovela, einer Seifenoper im Fernsehen. Nicht umsonst betonte James Laing
im Interview, dass Georg Friedrich Händel und die Pop-Kultur dieselben Themen haben.
Unter den Händelianern in Göttingen gibt es den Kalauer "War es schön oder war es modern?", wenn es um die Bewertung einer Aufführung geht. Nach diesem Kriterium muss man die aktuelle Festspiel-Oper als "schön, nein, sehr sehr schön" bezeichnen. Von postmodernen Ambitionen ist diese Inszenierung meilenweit entwerft.
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Ein Traum in blau, gelb und rot.
Alle Fotos: Theodoro da Silva
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Sigrid T'Hooft gilt als Spezialistin für traditionelle Aufführungspraxis und mit ihrer Inszenierung von "Imeneo" macht sie dort weiter, wo sie vor vier Jahren mit der Festspiel-Oper "Amadigi di Gaula" begonnen hat. Sie nimmt das Publikum mit auf eine Zeitreise in das Barock und das tut sie bis in die letzte Konsequenz. Denn wo der "Amadigi" 2012 mit vielen selbstironischen Momenten und Einfällen zu überzeugen wusste, ist der "Imeneo" 2016 liebestrunken und ernst. Erst das Seeräuber-Ballett im zweiten Akt durchbricht den Kreislauf von Liebes- und Weltenschmerz.
"Imeneo" gehört sicher nicht zu den handlungsstarken Werk von Händel. Hier steht nicht die Action im Vordergrund, sondern das Beziehungsgeflecht in einem überschaubaren Kosmos. Das ist nicht die einzige Parallele zum
Oratorium "Susanna", mit dem die Festspiele am Donnerstag eröffnet worden. Es sind eben die Verbindungen, die als Oberthema die Spielzeit 2016 dominieren.
Das Wagnis, sich nicht auf die sichere Seite zu schlagen, sondern auch mal eine seltene gespielte Oper auf die Bühnen der Händel-Festspiele zu bringen, verdient allemal Respekt. Ob dieses Wagnis sich lohnt hat, dass muss der Liebhaber entscheiden. Man merkt dem Werk deutlich an, das es in der Endphase der italienischen Oper auf den Bühnen Londons entstanden ist. Einzig in der Kategorie "Sich selbst kopieren" beweist Händel seine Vorrangstellung.
Das Bestreben von Sigrid T'Hooft, eine möglichst authentische Aufführung zu bieten, erstreckt sich in diesem Jahr auf alle Bereiche. Dies beginnt mit der Gestik der Sängerinnen und Sänger und dem Einsatz der Hände, der für Jetztzeit-Menschen befremdlich wirkt. Wie
Anna Dennis schon vorab erklärte, sollen die Hände als zweites Ausdrucksmittel neben der Stimme eingesetzt werden. Doch gelegentlich wirkt dieser Einsatz affektiert, da das Publikum des 21. Jahrhunderts nicht mit der Zeichensprache des 18. Jahrhunderts vertraut ist.
Gleiches gilt für den Einsatz der Requisiten, die mitunter bedeutungsschwanger herumgetragen werden. Man kann darüber hinwegschauen oder sich auf die Suche nach deren Bedeutung machen. Dann aber verliert die Oper an Unterhaltungswert und droht zum Vortrag in spätbarocker Symbolik zu werden. Wer wissen möchte, wie so etwas aussieht, sollte sich mal die Welfen-Galerie im Schloss Herzberg anschauen. Klar ist, diese Inszenierung ist authentisch und vor allem detailgetreu.
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Sie sind sie schon ein schönes Pärchen: Tirinto und Rosmene. Foto: Th. da Silva |
Auch Kostüme und das Bühnenbild von Stephan Dietrich sind konsequent traditionell. Vom ersten Takt bis zum Schlussakkord ist die Handlung in einer Parklandschaft angesiedelt, die die Schäferspiele des 18. Jahrhunderts zitieren. Das Publikum schaut durch ein doppeltes Portal, das das echte Portal des Deutschen Theaters kopiert und mit dem historisierende Bauelementen des Göttinger Hauses eine Einheit bildet. Dies ergibt ein schlüssiges Gesamtbild, das eine unerwarteten Reiz entfaltet
Die Spielfläche ist auf die Maße des 18. Jahrhunderts reduziert. Damit ist zwar wenig Raum für große Bewegungen gegeben, aber es zwingend auch zur Fokussierung auf die Akteure. In Kombination mit dem Bühnenbild stehen Musik und Gesang eindeutig im Mittelpunkt.
Die Akteure sind in opulente Stoffe mit ausladenden Schnitten und mit vielen Falten gekleidet. Das ist eben Barock. Für ihre Inszenierung hat Sigrid T'Hooft sogar die Tradition des Opernballetts wiederbelebt. die sechs Tänzerinnen und Tänzer dürfen das Geschehen vorbereiten, kommentieren und auch persiflieren. Dabei bleiben die Bewegungen den steifen höfischen Tänzen des Barocks verhaftet.
Kein Angst, Imeneo beißt nicht, der will nur spielen. Nach den sehr politischen Festspiel-Opern der letzten Jahre ist dies ein Werk, das unterhalten und amüsieren will und im persönlichen Bereich verbleibt. Das die Verbindung von Imeneo und Rosmene letztendlich eine Zwangsheirat ist, wird nicht weiter thematisiert. Wer oder was ermächtigt Argenio, über das Schicksal einer Frau zu entscheiden, die noch nicht einmal seine Tochter ist? Hier verschenkt Sigrid T'Hooft eindeutig Potential.
Zudem hätte eine straffe Dramaturgie dem handlungsarmen Werk noch zusätzlichen Schwung verliehen. Stattdessen sind die fünf Akteure ständig damit beschäftig, ihr Seelenleben nach draußen zu singen. Aber gut, dass machen sie bei "Verbotene Liebe" oder "Rote Rosen" und anderen Seifenopern auch immerzu.
In der Rolle des Tirinto zeigt sich der Countertenor James Laing von seiner lyrischen Seite. Spitze Töne vermeidet er durchweg. In der sehr zurückhaltenden und jammervollen Anlage des Jünglings ist die Niederlage vorgezeichnet. Tirinto ist einfach nicht in der Lage, den drohenden Verlust abzuwenden. Statt aktiv zu werden, lamentiert er lieber. Damit er wohl aktueller als geahnt.
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Imeneo (links) ist der Sieger im Balzkampf.
Foto: Th. da Silva
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Dagegen strotzt William Berger als Titelheld geradezu vor Kraft, Energie und Selbstgefälligkeit. Imerhin gilt der Brite als wahrer Händelspezialist, er hat siebzehn Opern im Repertoire. Die Titelrolle konnte Sigrid T'Hooft wohl gar nicht besser besetzen. Berger hat offensichtlich seinen Spaß am barocker Spiel bis ins kleinste Detail und diesen Spaß kann er vermitteln und ins Publikum tragen.
Neben der dominanten Anna Dennis bleiben Laing und Berger zahlreiche Möglichkeiten, um Akzente zu setzen. Die gegenseitige Parodie im unfreiwilligen Duett des dritten Akts gehört zu den Höhepunkten des Abends.
Anna Dennis gehört fast schon zum Stammpersonal der Händel-Festspiele. In diesem jahr ist sie zum vierten Mal dabei. Mit ihrer Darbietung in der Rolle der Rosmene hat sie die erneute Berufung mehr als gerechtfertigt. Ob nun im verliebten vivace des ersten Aktes, im verzweifelten Lamento des zweiten Aktes oder im Jubilate der Schlussszene, die Sopranistin trifft immer den richtigen Ton, um mal eine Standardformulierung zu benutzen.
Einen Unterschied zu den Seifenopern gibt es dann doch. Am Schluss bekommt das Ekelpaket das schöne Mädchen und dem zaudernden Tirinto bleibt noch nicht einmal der Trostpreis. Clomiri tröstet sich lieber mit einem Tänzer. Heute wie damals gilt, dass die Männer der Tat den Sieg davon tragen, doch Händels moralischer Zeigefinger, dass solch eine schwere Prüfung die moralische Überlegenheit stärkt, der wirkt doch antiquitiert.
Es ist ein schmaler Grat zwischen dem Weitertragen der Fackel und dem Bewahren der Asche. Auf welcher Seite sich diese Inszenierung befindet, muss das Publikum entscheiden. Bei der Premiere am Freitag votierte es für die Fackel-Seite.
Die nächsten Aufführungen sind am 10., 12., 13., 14. und 16. Mai. Eine Familienfassung gibt es am 16. Mai um 12.00 Uhr.
Das Werk bei
wikipedia
Sigrid T'Hooft #1:
Imeneo bei den Festspielen
Sigrid T'Hooft #2:
Orpheus und Eurydike am Theater für Niedersachsen