Dienstag, 31. Mai 2016

Loh-Orchester als Klassik-Klangkörper der Extraklasse

GMD Markus Frank verabschiedet sich mit einem fulminanten Konzert

Im Sommer wird Markus Frank das Loh-Orchester verlassen und an seine alte Wirkungsstätte nach Dessau zurückkehren. Am Sonntag verabschiedete sich der Generalmusikdirektor mit einem fulminanten Konzert im Kreuzgang von seinen Freunden im Südharz. Das Loh-Orchester präsentierte er dabei als Klassik-Klangḱörper der Extraklasse.

Unter dem Titel "Meisterhafter Mozart - himmlicher Haydn" stand eine Zeitreise durch diese Gattung auf dem Programm. Los ging es bei Gluck, über Haydn und die beiden Mozarts führt der Weg zum selten gespielten Woelfl. Diese Zusammenstellung entpuppte sich im Laufe des Abends als musikalisches Menü für Feinschmecker.

Die Celli warten auf den Einsatz.
Alle Fotos: tok
Herzstück des Konzerts war vor allem der brillante und transparente Klang des Orchesters, der alle Instrumenten zur Geltung kommen ließ. Dazu gesellten sich Kraft und Dynamik, die in gewohnter Weise das Spiel des Loh-Orchester auszeichnet. Dann wusste das Ensemble die besonder Akustik im Kreuzgang bestens zu nutzen.

Dies wurde schon beim ersten Stück des Abends, der Ouvertüre zu "Iphigenie in Aulis" von Christoph Willibald Gluck deutlich. Dem zurückhaltenden Einstieg folgt ein deutlicher Wumms und schon ist der gesamte Raum mit Wohlklang angefüllt. Die vier Themen der Ouvertüre, das nagende Herzensleiden, der gebieterischen Forderung, der jungfräulichen Zartheit und des qualvollen Mitleidens, setzt das Loh-Orchester großartig und überzeugend um. Die vier Teil sind klar von einander getrennt, gehören aber doch zusammen.

In der Sinfonie in B-Dur, die Leopold Mozart zugeschrieben wird, verzückt das Ensemble das Publikum mit dem gekonnten rituento im im ersten Satz. Die übliche Dominanz der Streicher wird ergänzt durch den warmen Klang der Holzbläser. Die Streicher treten dann im Andante in einen bezaubernden Dialog. Erst werden die Ersten Geigen  den zweiten den Themenball, die ihn gern zurückgeben, dann beginnt das Wechselspiel zwischen Geigen und den Celli. Wäre Szenenapplaus in einem klassischen Konzert erlaubt, spätestens jetzt wäre der richtige Zeitpunkt.

Der Solist präpariert sich immer noch.
Seine Dialogfähigkeit stellt das Loh-Orchester auch im nächsten Werk unter Beweis. Auf dem Plan steht das Konzert für Trompete und Orchester Es-Dur von Joseph Haydn. Gesprächspartner ist diese Mal aber Ralf Glitscher an der Solo-Trompete. Im Allegro sind Solist und Ensemble Partner auf höchsten Niveau, die sich ergänzen. Das Wechselspiel funktioniert beeindruckend gut. Im Andante cantabile zaubert Ralf Glitscher eine kraftvolles Solo in den Kreuzgang, so dass der Rest nur noch Genuss ist. Die Gedanken schweben fast auf sanften Melodielinien dahin.

Mit diesem Konzert hat Markus Frank noch einmal die Klasse des Loh-Orchesters und seine herausragende Bedeutung in Sachen "Klassik" unter Beweis gestellt.  Wenn er nun im Juni nach Dessau wechselt, dann hinterlässt er große Fußstapfen.






Die Mitglieder des Loh-Orchester
Das Loh-Orchester bei wikipedia

Das Programm der Kreuzgangkonzerte

  

Sonntag, 29. Mai 2016

Ach Michel, wärst du doch in Lönneberga geblieben

Tim Egloff inszeniert Klassiker von Astrid Lindgren als Nummerrevue

Der härteste Kritiker der Welt und sein Vater waren mal wieder bei ihrem liebsten Theaterfestival. Auf dem Spielplan stand das Familienstück "Michel aus Lönneberga" nach den Büchern von Astrid Lindgren. Regisseur Tim Egloff und Dramaturgin haben aus den beschaulichen Geschichten eine grelle Show auf SpongeBob-Niveau gemacht, die vieles andeutet, nichts zu Ende bringt.

Na ja, einiges habe ihm gefallen, sagt der härteste Kritiker der Welt am Ende der Vorstellung. Da wären zum Beispiel die Kuh und die Ente. Mehr dazu später. Aber warum der Michel einen Schnurrbart trage, das leucht ihm nicht ein.

Da liegt halt die Krux, wenn man sich auf einen Stoff einlässt, der zum kollektiven Gedächtnis gehört. Jeder kommt so mit seinen eigenen Vorstellungen, die dann doch meist von den telegenen Bildern geprägt sind. In der Vorlage spielen die Geschichte auf einem Bauernhof Ende des 19. Jahrhunderts irgendwo im südschwedischen Småland, das bei Lindgren die Funktion des verlorenen Paradieses erfüllt. Das Leben verläuft im Rhythmus der Natur und ist ein Gegenentwurf zur urbanen Realität.

Der härteste Kritiker der Welt schaut skeptisch zu.

Alle Fotos: tok
Mit dieser Idylle bricht Egloff. Seine Figuren habe nichts Folkloristisches an, nirgends quietscht ein Akkordeon und Pantinen trägt auch niemand. Optisch wohnt dieser Michel eher in Lüdenscheid als in Lönneberga. Vater Alfred trägt den Angestellten-Chic der 80er Jahre, Knecht Alfred ist in Ballonseide gekleidet und Mutter Alma stolziert im Petticoat durch die Gegend. Die Ausstattung von Friederike Meisel verlagern die Streichparade vom Bauernhof in die Vorstadt. Kuh und Huhn bleiben die einzigen Reminiszenzen an die ländliche Idylle. Das ist ihre einzige Aufgabe in diesem Stück.

Überhaupt Alfred, der erlebt wohl die stärkste Deformation. Bei Lindgren ist der Knecht als personifizierte Güte und gesunder Menschenverstand der Gegenpol zum aufbrausenden Vater Anton. Bei Egloff nutiert er zum Kaspar im bunten Trainingsanzug, der es noch nicht einmal schafft, sich gegen Magd Lina durchzusetzen.

Bauer Anton ist ein Kleinbürger, der nichts so sehr fürchtet wie den Verlust des häuslichen Friedens. Gerät dieser in Gefahr, dann schlägt die Überforderung der eigenen Person in Raserei um. Gunter Heun kommt in dieser Rolle sehr dicht an in Louis de Funes heran.    

Wer SpongeBob mag, der wird auch diese Inszenierung mögen. Aber selbst der härteste Kritiker der Welt versteht nicht alles bei dem grellgelben Comic-Schwamm, dabei ist er mittlerweile doch schon zehn Jahre. Er versteht deswegen nicht alles, weil die SpongeBob-Autoren gelegentlich Anspielungen auf die Fundamente westlicher Pop-Kultur, die ein Zehnjährige gar nicht kennen kann. In diese Falle laufen auch Egloff und Traum. Der häusliche Friede ist ein Wert, dessen satirischen Wert Drei- bis Sechsjährige gar nicht einordnen können, weil Satire gar nicht zum Verhaltensrepertoire dieser Altersgruppe gehört. Satire müssen Kinder erst lernen, wie Geschmack eben auch.

Eltern am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Die Anspielungen auf die aktuelle Milchpreis-Diskussionen in Deutschland fällt in die gleiche Kategorie. Der härteste Kritiker der Welt versteht aber die Anspielung "Ich bin ein Bauer, holt mich hier raus!"

Überhaupt ist die Inszenierung nicht barrierefrei. Wer die Michel-Geschichte nicht kennt, der wird die Beziehungen der Handelnden nicht verstehen und nicht erhanen. Als Beispiel sei nur das Verhältnis zwischen Lina und Alfred genannt. Schwupss, auf einmal sind sie verlobt.

Es werden fünf Sketche gespielt Welche Geschichten nun gespielt werden, dass ist zweitrangig. Hauptsache, es wird am Anfang einer Szene viel gebrüllt und mittendrin und zu Ende auch.

Die fünf Riesen-Buchstaben M I C H E L dienen als Bühnenbild. Das M dient dabei als jener Holzschuppen, in denen Michel seine Strafen absitzen muss. Das überzeugt so weit. Aber warum diese Buchstaben immer wieder umgruppiert werden, das ist dem härtesten aller Kritiker nicht einleuchtend. Das sie mal das Wort MILCH und auch das Wort LEIM bilden, ist wohl dekorativ gemeint. Zum tieferen Verständnis trägt es jedenfalls nicht bei.

Einmal in 75 Minuten dürfen Michel und 

Alfred Luft holen und Männergespräche
 führen.      Alle Fotos: tok
Aber gut, die Altersgruppe "3 bis 6 Jahre" und auch die darüber kann "Michel aus Lönneberga" so nehmen wie die Inszenierung eben ist: Eine Aneinanderreihung von Michels bekanntesten Streichen mit 180 bis 240 Beats per minute. Aber das Tempo, das hat dem härtesten aller Kritiker gefallen. Damit trifft Egloff die Rezeptionsgewohnheiten der Generation U 25 allemal. Deswegen gibt er am Ende drei von fünf Sternen.

Mit Shorts, Basecap und Ukulele wirkt Michel wie die Småland-Ausgabe von Angus Young, dementsprechend steht Moritz Fleiter in der Titelrolle auch 75 Minuten lang unter Strom. Die reflexiven Momente der Michel-Geschichten sind bis auf eine Ausnahme verschwunden. Das Verhältnis zwischen Michel und Alfred wird auf die Klamauk-Ebene reduziert. Ihre Gespräche, die die Geschichten strukturieren, weil sie ein Gegensatz zum Tohuwabohu sind, entfallen bis auf die Szene, als Alfred und Michel gemeinsam im Schuppen eingesperrt sind. Damit wird aber auch der Konflikt zum Vater auf die Klamauk-Ebene. Das ist wirkt wie eine Operation am offenen Herzen.

2016 kann man eine Geschichte nicht gemächlich erzählen wie 1963, das ist klar, und die Bühne vor der Stiftskirche ist sicherlich keine Ausstellungsfläche für Trachten aus Småland. Aber es scheint, als hätten Egloff und Traum vergessen, nach der notwendigen Dekonstruktion eines Klassikers die notwendige Rekonstruktion einzuläuten. Gut, der härteste aller Kritiker würde das anders ausdrücken, aber überzeugt war er von dieser Inszenierung nur bedingt.


Spielplan der Gandersheimer Domfestspiele


Andere Meinungen vom härtesten aller Kritiker

Der härteste aller Kritiker - Teil eins
Der härteste aller Kritiker - Teil zwei
Der härteste aller Kritiker - Teil drei
Der härteste aller Kritiker - Teil vier
Der härteste aller Kritiker - Teil fünf
Der härteste aller Kritiker - Teil sechs
Der härteste aller Kritiker - Teil sieben
Der härteste aller Kritiker - Teil acht
Der härteste aller Kritiker - Teil neun
Der härteste aller Kritiker - Teil zehn
Der härteste aller Kritiker - Teil elf
Der härteste aller Kritiker - Teil zwölf

Sonntag, 22. Mai 2016

Das Unglück von zwei Seiten

Verschiedene Sichtweisen auf das Ödipus-Thema am Theater Nordhaus

Der Mythos vom Mann, der seinen Vater tötet und seine Mutter heiratet, beschäftigt die Menschen immer noch. Beim Ödipus-Abend im Theater Nordhausen legen Jutta Ebnother und Pascal Touzeau zwei Sichtweisen vor, die deutliche Unterschiede zeigten, aber beide überzeugen konnten. Bei der Premiere am Freitagabend gab es zum Schluss begeisterten Beifall und standing ovations

“Man kann seinem Schicksal nicht entgehen”, lautet die Botschaft dieser Legende. Auf diesen Aspekt konzentriert sich Jutta Ebnother mit ihrer Choreographie “Orakel”. Sie löst sich sehr weit von der Themenvorgabe und stellt die Frage nach dem Wert von Weissagungen in der Gegenwart. Ihr Ballett ist aufgegliedert in kleine Szene rund um das Thema.

Der Beginn erstaunt. Der Eiserne Vorhang versperrt den Blick auf die Bühne, zu den Klingen zweier Stimmgabeln verschwindet das Ensemble aus dem Zuschauer hinter dem Vorhang. Dann erklingen die ersten Takte von Schostakowitsch Klavierquintett in g-Moll und der Eiserne Vorhang hebt sich. Er gibt den Blick frei auf eine blanke Tanzfläche. Im Mittelpunkt liegt das Orakel in der Person von Gabriela Finardi. Die anderen Tänzer umgeben sie in lockerer Folge.

Das Orakel kommuniziert körperlich.
Alle Fotos: Tillmann Graner
Als sie zu Tanzen beginnt, lösen sich nach und nach die anderen Figuren. Je länger die Choreographie dauert, desto mehr kommuniziert und agieren die die Namenlosen miteinander. Offensichtlich bewegen und verbinden die  Fragen nach der Zukunft. Gabriela Finardi darf auch kurz sprechen. Aber sie redet in Zungen und niemand weiß das Orakel zu deuten. Dann drehen sich Solistin und Kompanie die Rücken zu und Finardi stolziert durch die Reihen der Namenlosen.

Doch diese Momente sind nur von kurzer Dauer und zum Schluss regnet es Glückskekse auf die Bühne. Gabriela Finardi wirft jedem Ensemblemitglied einer Glückskeks zu. Das Gewerbe der Prophezeiung wurde damit automatisiert und das Orakel ist von einer Last befreit. Nun kann es jedem sein Schicksal zuteilen.

Es sind heitere Szenen, die Jutta Ebnother in hier entwirft. Die belebende Spannungen entsteht aus dem Kontrast zwischen einer Choreographie, die sich auf die Elemente des Modern Dance konzentriert, und Musik von Dmitri Schostakowitsch, die den Spagat zwischen Spätromantik und Expressionismus wagt.

Die Eine sei des Anderen Stütze.
Foto: Tillmann Graner
In "Orakel" findet Ebnother die wenigen Lichtblicke in einer düsteren Tragödie. Mit dieser Vorstellung verabschiedet sich eine Ballettdirektorin, die es geschafft hat, in Nordhausen lebendig und zeitgemäßes Tanztheater zu installieren. Damit hat sie Nordhausen einen Namen in der Szene gemacht.

“Ödipus” von Pascal Touzeau wirkt in weiten Teilen wie ein Gegenentwurf zu "Orakel". Seine Choreographie ist ein klassisches Handlungsballett, dass mit einem modernen Vokabular die Dreiecksgeschichte von Laios, Iokaste und Ödipus nacherzählt. Ebnothers lockerer Szenenfolge setzt der französische Gastregisseur einen klaren Handlungsfaden entgegen, in dem die Rollen klar verteilt.

Vor zwei Jahren konnte András Dobi schon in “Shakespeare. Ein Ballett” überzeugen. In “Ödipus” begeistert er mit seinem kraftvollen und expressiven Tanz. Zudem lotet er in den stillen Szenen die ganze Tragik der Legend aus. Das Duett mit der toten Íokaste gehört sicherlich zu den stärksten Momenten des Abends.

Mutter und Son vereint.
Foto: Tillmann Graner 
Figuren und Drehungen, die Laios einst mit der König gelungen sind, die auch Ödipus mit seiner Mutter wiederholte, sind nun zum Scheitern. Darauf folgt gleich die zweite beeindruckende Szene. Der einst so stolze und nun gebeugte und blinde Ödipus muss sich von seiner Tochter Antigone ins Exil führen lassen. Tijana Grujic singt dazu Mozart Lacrimosa in der Bearbeitung von Yanov-Yanovski.

Wenn Ebnothers “Orakel” wie eine bunte und glückliche Utopie erscheint, dann verbleibt Touzeau beim Pessimus der klassischen Vorlage. Dafür sorgt schon allein die Musik von Heryk Górecki, dessen Spätwerk von düsteren Tönen geprägt ist. Das ständige Staccatto der Streicher vermittelt permanente Gefahr.

Touzeau läßt nicht allein Musik und Bewegung wirken, Er präsentiert eine reduzierte Bühnenbild und Requisten, die als Symbole des Untergangs aufgeladen sind. Auch damit nähert sich der Schüler von William Forsythe wieder dem Handlungsballett mit deutlicher Struktur an. Auf eine klassische Formensprache verzichtet er aber und seine Kombination aus expressiver Musik und aktuellen Ausdruckformen überzeugt trotz einiger Längen.



Der Spielplan am Theater Nordhausen
Die Ballett-Gala

Samstag, 21. Mai 2016

Zum Schluss gab es Tränen

Eine beeindruckende Gala bei den Nordhäuser Ballett-Tagen
Wenn es am Schönsten ist, soll man gehen, heißt es. Am Freitag verabschiedete sich Jutta Ebnother als Chefin der Ballettkompanie Nordhausen mit einer beeindruckenden Gala der Ballett-Tage. Die Gäste aus Hamburg, Dresden, Gießen , Gera und Stuttgart zeigten einen abwechslungsreichen Querschnitt durch das Tanztheater in Deutschland. Den Schlusspunkt setzten die Gastgeber mit einem Ausschnitt aus ihrem Erfolgsstück "Geliebte Clara".

Die Choreographie des Abend ließ nicht zu wünschen übrig. Den Höhepunkt gab es gleich zu Anfang mit dem Bundesjugendballett. Die acht Tänzerinnen und Tänzer aus dem Ballettzentrum Hamburg zeigten eine Choreographie von John Neumeier zu Bachs Suite 3 in D-Dur. Obwohl schon 35 Jahre alt, ist ein immer noch aktueller Beitrag zur Situation des Tanztheater.


So viel klassisches Ballett traut man John Neumeier
gar 
nicht zu.      Foto: Silvano Ballone 
Der erste Satz ist für eine Neumeier-Inszenierung überraschend klassisch, geradezu ein Bekenntnis zur Tradition des Balletts. Viel Hebefiguren, viele Pirouetten, viel Spitze und Tänzerinnen im Tutu.  Große raumgreifende Bewegungen vor allem in der Bühnendiagonale. Es wirkt mitunter wie eine Aufwärmübung im positiven Sinne, pure Ästhetik. Die Bühne ist strahlendes Licht und kräftige Farben getaucht. Auf alle Fälle ist dies ein Fest der Bewegung zu einer jubilierenden Musik.

Dann kommt der zweite Satz und alles ist anders. Ach ja, der zweite Satz, den kennen sie. Es ist der, in dem das Cello so auf der G-Saite herumjammert. Das Pas de deux erzählt jetzt in kargen Farben eine Geschichte von Liebe von Ablehnung, vom Wechselspiel einer Beziehung. Die raumgreifenden Schritte in der Diagonalen sind nicht mehr da, das Paar verbleibt anfangs in der Bühnenmitte. Es umarmt sich, stößt sich ab und fängt sich wieder auf. Da liegt soviel Innigkeit und Initimität in dieser Choreographie, dass man nur noch zuschauen möchte.

Überhaupt ist der Abend vom Thema "Paarbildung" dominiert. Auch in "Muted" tanzt das Bundesjugendballett ein Pas de deux in der Choreographie von Sasha Riva die Geschichte einer Beziehung, die im höchsten Maße scheitert. Dabei geht es durch alle Stufe, von der Anziehung über die Hingabe bis zur Ablehnung. Zum Schluss ist sie tot. Alle Farbigkeit ist verschwunden. Die Konzentration auf die Bewegung steigert die Tiefe der Gefühle. Diese Emotionalität berührt jeden. Das Stück fesselt so sehr, dass man wünscht, dieser Abend ginge nie zu Ende.

Muted ist die Choreographie einer gescheiterten
Beziehung. Foto: Silvan Ballone
Auch der dritte Auftritt des Bundesjugendballetts berührt mit dieser tiefen Emonalität. "How beautiful is heaven" ist eine radikale Absage an ein Leben im Kummer. Der Tod erscheint in der Choreographie von Zhang Disha als eine Form des Glücks.

Der Wunsch, dass dieser Abend nie enden möge, wird durch den Wunsch ersetzt, dass er gleich und sofort enden möge, damit die wunderbaren Bilder im Kopf bleiben und der Moment des Erstaunens ewig währt.


Das Thüringer Staatsballett Gera/Altenburg gibt im Namen der Generation "Beziehungsunfähig" ein tänzerisches Statement ab. Der Choreographie von Silvana Schröder liegt ein Song von Peter Gabriel zugrunde, in dem der Altmeister des Psycho-Pops von den Hindernissen bei der Kontaktaufnahme singt. Stefania Mancini und Filip Kvaćák setzen diese Isolation in bewegender Weise um. Da ist das Leben, dass ihnen wie Staube zwischen den Finger zerrinnt. Erst tanzen sie als Solitäre, dann finden sie zueinander und zum Schluss bleibt er allein zurück, nachdem sie den Weg allen Irdischen gegangen ist.

Alte Bekannte bei den Ballett-Tage in Nordhausen ist die Tanzcompagnie des Stadttheaters Gießen. Ihr Ausschnitt aus "Petruschka" erzählt in schnellen und rasanten Szenen von einer Menage á trois, die aber auf Einseitigkeit beruht. Im Ringen um die Gunst der Liebsten steht eindeutig der athletische Anteil im Vordergrund. Auch das ist Tanztheater heute.

My Body is a Cage ist ein Statement der Generation 
"Beziehungsunfähig".      Foto: Stefan Walzl
Für die heiteren Seiten ist am diesem Abend Gauthier Dance aus Stuttgart zuständig. "Alte Zachen" ist eine Choreographie von Nadav Zelner zum Gospelsong "Rock my Soul in the Bosom of Abraham". Maurus Gauthier und Alessio Marchini dürfen befreit auftanzen, ihrem komödiantischen Talenten freien Lauf lassen und über Einsamkeit und gemeinsame Wege philosophieren und herumalbern.

Floating Flowers beginnt beginnt als Statement des Gespenstischen. Sandra Bourdais verharrt im Reifrock am Rand der Bühne. Ihr Tanz ist auf rotierende Armbewegungen reduziert. Doch dann kommt der gelungen konstruierte und heitere Bruch des Schwersinnigen. Die Tänzer wächst und unter dem Rock kommen männliche Beine zum Vorschein. Es ist schon eine atheltisch Höchstleistung, wie Maurus Gauthier die Partnerin bei ihrem Solo rasant auf der Diagonale bewegt und den gesamten Raum ausmisst. Dann kommt die Trennung der einigen Figur und das Solo wird zum Pas de deux, der mit überraschenden und witzigen Einfällen und einem grandiosen Finale überzeugt.

Bevor die Ballettkompanie Nordhausen mit der bewegenden Schlussszene aus "Geleibte Clara" den dramatischen Schlusspunkt an diesem Abend setzt, verabschiedet sich Jutta Ebnother mit bewegten Worten und viel Dank vom Ensemble, den Kollegen und dem Publikum. Der neue Ballettchef Ivan Alboresi tritt in sehr, sehr große Fußstapfen.

Das Publikum wiederum bedankt sich für zwölf schöne Jahre und für eine berauschende Gala mit langanhaltenden und donnernden Applaus. Die nächste Ballett-Gala gibt es 2017 bei den Schlossfestspielen in Sondershausen.      

Die Homepage des Bundesjugendballets


"Geliebte Clara" am Theater Nordhausen
Der Spielplan am Theater Nordhausen    

Sonntag, 15. Mai 2016

Ein eiliger Messias

Das Wroclaw Baroque Orchestra spielt Händels Überwerk

Wer den "Messias" spielt, der begibt sich auf ganz dünnes Eis. Es ist Händels meistgespielteste Werk und jeder im Publikum bringt so seine eigen Version mit ins Konzert.  Mit seiner Version konnten das Wroclaw Baroque Orchestra und Leiter Jaroslwa Thiel bei den Händel-Festspielen in Göttingen letztendlich überzeugen. Sie zeigen einen heiteren aber auch eiligen Messias.

Der Anfang ist wenig überraschend. Das Wroclaw Baroque Orchestra startet getragen und gemessen in das Oratorium. Doch nach wenigen Takten ändert sich alles. Thiel steigert das Tempo, die Musik hüpft geradezu. Es ist die Vorfreude auf den Heiland, der dort aus dem Text des Alten Testaments springt. Diese Tonlage dominiert den ganzen Abend in der Stadthalle Göttingen und es ist eine deutliche Stellungnahme.

Diese Herren warten auf den Messias.
Alle Fotos: tok
Weder Händel noch der Librettist Charles Jennens haben das Werk je als Kirchenmusik gesehen, trotz des heiligen Themas. "Spiritual entertainment", geistliche Unterhaltung sollte es werden und genau diese Intention setzen Jaroslaw Thiel und das Wroclaw Baroque Orchestra an diesem Abend um, nicht mehr und nicht weniger. Das mag manchen Pietisten im Publikum nicht passen, ist aber in ganz im Sinne des Komponisten. Nicht umsonst darf der Chor des Nationalen Musikforum (NFM Choir) immer wieder "wonderful, wonderful" jubilieren. Da werden in der Pifa wunderschön die folkloristischen Elemente verarbeitet, bevor Mhairi n Lawson im Sopran von den Hirten singt,  Genau in dieser Leichtigkeit liegt auch der Grund für die überragende Bedeutung des Werkes.

Das Wroclaw Baroque Orchestra nimmt jeder Volte und jede Arabeske mit, die der Komponist ihnen mit auf den Weg zum Finale mitgegeben hat. Leichtigkeit und Freude am Glauben in der Hoffnung auf die Erlösung von der Erbsünde, das sind wohl die religiösen Hintergedanken in diesem Oratorium. Ob man dies in dem Tempo machen, dass Thiel und sein Ensemble hier vorlegen, das steht auf einem anderem Blatt. Auf jeden Fall bewältigen sie den ersten Akt in Rekordzeit. Da ist keine Zeit für selbstverliebte Versunkenheit im Tal der Tränen.

Warum das so sein muss, diese Erleuchtung kommt am Ende des zweiten Akts. Alles arbeitet hin auf diesen berühmten "Hallelujah, Hallelujah"-Chor. Hier liegt die finale Bedeutung, es ist immerhin der Sieg Gottes, der sich hier musikalische Bahn bricht.

Gutes Spiel will gut vorbereitet sein.
Diese Konzept halten Jaroslaw Thiel und sein Ensemble auch im dritten Akt. Somit wird auch der Schlusschor, der von Ehre und Glanz Gottes kündet, zum musikalischen Amen.

Diese Interpretation kann nur deswegen aufgehen, weil der NFM Choir ist ebenbürtiger und eingespielter Partner ist. Das Zusammenspiel zwischen Orchester und Gesangsensemble funktioniert präzise und auf höchsten Niveau. Im "Messias" bietet Händel einen guten Chor viele Möglichkeiten, sich auszuzeichnen. Der NFM Choir nutzt sie alle und ist damit eine Säule einer gelungenen Interpretation.

Eine weitere ist Hilary Summers. Ihr Alt verfügt über eine erstaunliche Bandbreite. Sie kann ihre Stimme mal dunkel und bedeutungsschwanger, mal hell und jubilierend anlegen. Genau das erfordert das Liedmaterial auch von ihr und diesen stimmlichen Reichtum weiß Hilary Summers gerade in der ersten Arie des zweiten Aktes eindrucksvoll einzusetzen. Mal klingst sie drohend und drängend und gleich wieder hell und freudig, beeindruckend.

Alle legen sich mächtig rein.
Alle Fotos: tok 
Seinen sehr guten Eindruck aus "Susanna", dem anderen Oratoirum dieser Spielzeit, bestätigt Colin Balzer. Sollte es die Schublad "lyrischer Tenor" geben, fällt er bestimmt in diese Kateogorie. Dabei ist sein Vortrag an diesem Abend angenehm unpathetisch.  Auf die großen Gesten verzichtet er.

Benjamin Bevan braucht den ganzen ersten Akt, um sich warm zu singen. Erst im zweiten Akt löst sich der Bass aus der selbstverordneten Starrheit, um dann im dritten ein sehr überzeugendes Wechselspiel mit der Solotrompete darzubieten.

Geistliche Unterhaltung wollten Händel und Jennens mit dem Messias bieten. Freude am Glaube, fernab des miesepetrigen Pietismus. Mit dieser Interpretation haben Thiel, das Wroclaw Baroque Orchestra, der NFM Choir und die Solisten genau das geliefert.



Die Händel-Festspiele Göttingen

Das Wroclaw Baroque Orchestra
Der NFM Choir



 

 

Sonntag, 8. Mai 2016

Eine Oper mit Unterhaltungswert

"Imeneo" erfüllt die Erwartungen bei den Händel-Festspielen

Mit Spannung war die Premiere der diesjährigen Festspiel-Oper erwartet worden. Schließlich konnte Regisseurin bei ihrem letzten Gastspiel 2012 ein echtes Highlight setzen. Mit ihrer Inszenierung von "Imeneo" erfüllte die Belgierin die Erwartungen des Publikums. Dies bedankte sich bei der Premiere am Freitag im Deutschen Theater mit donnernden Applaus.

Rosmene liebt den Tirinto und Tirinto liebt die Rosmene. Clomiri liebt den Imeneo, aber der liebt sie nicht, denn er liebt die Rosmene. Aber die liebt ja den Tirinto. Doch dann wendet sich das Blatt, weil sich Imeneo als Held beweisen kann. Das ist die Ausgangslage in Händels vorletzter Oper "Imeneo", aber es liest sich wie der Plot einer Telenovela, einer Seifenoper im Fernsehen. Nicht umsonst betonte James Laing im Interview, dass Georg Friedrich Händel und die Pop-Kultur dieselben Themen haben.

Unter den Händelianern in Göttingen gibt es den Kalauer "War es schön oder war es modern?", wenn es um die Bewertung einer Aufführung geht. Nach diesem Kriterium muss man die aktuelle Festspiel-Oper als "schön, nein, sehr sehr schön" bezeichnen. Von postmodernen Ambitionen ist diese Inszenierung meilenweit entwerft.

Ein Traum in blau, gelb und rot.
Alle Fotos: Theodoro da Silva 
Sigrid T'Hooft gilt als Spezialistin für traditionelle Aufführungspraxis und mit ihrer Inszenierung von "Imeneo" macht sie dort weiter, wo sie vor vier Jahren mit der Festspiel-Oper "Amadigi di Gaula" begonnen hat. Sie nimmt das Publikum mit auf eine Zeitreise in das Barock und das tut sie bis in die letzte Konsequenz. Denn wo der "Amadigi" 2012 mit vielen selbstironischen Momenten und Einfällen zu überzeugen wusste, ist der "Imeneo" 2016 liebestrunken und ernst. Erst das Seeräuber-Ballett im zweiten Akt durchbricht den Kreislauf von Liebes- und Weltenschmerz.

"Imeneo" gehört sicher nicht zu den handlungsstarken Werk von Händel. Hier steht nicht die Action im Vordergrund, sondern das Beziehungsgeflecht in einem überschaubaren Kosmos. Das ist nicht die einzige Parallele zum Oratorium "Susanna", mit dem die Festspiele am Donnerstag eröffnet worden.  Es sind eben die Verbindungen, die als Oberthema die Spielzeit 2016 dominieren.

Das Wagnis, sich nicht auf die sichere Seite zu schlagen, sondern auch mal eine seltene gespielte Oper auf die Bühnen der Händel-Festspiele zu bringen, verdient allemal Respekt. Ob dieses Wagnis sich lohnt hat, dass muss der Liebhaber entscheiden. Man merkt dem Werk  deutlich an, das es in der Endphase der italienischen Oper auf den Bühnen Londons entstanden ist. Einzig in der Kategorie "Sich selbst kopieren" beweist Händel seine Vorrangstellung.

Das Bestreben von Sigrid T'Hooft, eine möglichst authentische Aufführung zu bieten, erstreckt sich in diesem Jahr auf alle Bereiche. Dies beginnt mit der Gestik der Sängerinnen und Sänger und dem Einsatz der Hände, der für Jetztzeit-Menschen befremdlich wirkt. Wie Anna Dennis schon vorab erklärte, sollen die Hände als zweites Ausdrucksmittel neben der Stimme eingesetzt werden. Doch gelegentlich wirkt dieser Einsatz affektiert, da das Publikum des 21. Jahrhunderts nicht mit der Zeichensprache des 18. Jahrhunderts vertraut ist.

Gleiches gilt für den Einsatz der Requisiten, die mitunter bedeutungsschwanger herumgetragen werden. Man kann darüber hinwegschauen oder sich auf die Suche nach deren Bedeutung machen. Dann aber verliert die Oper an Unterhaltungswert und droht zum Vortrag in spätbarocker Symbolik zu werden. Wer wissen möchte, wie so etwas aussieht, sollte sich mal die Welfen-Galerie im Schloss Herzberg anschauen. Klar ist, diese Inszenierung ist authentisch und vor allem detailgetreu.

Sie sind sie schon ein schönes Pärchen: Tirinto und
Rosmene.            
Foto: Th. da Silva
Auch Kostüme und das Bühnenbild von Stephan Dietrich sind konsequent traditionell. Vom ersten Takt bis zum Schlussakkord ist die Handlung in einer Parklandschaft angesiedelt, die die Schäferspiele des 18. Jahrhunderts zitieren. Das Publikum schaut durch ein doppeltes Portal, das das echte Portal des Deutschen Theaters kopiert und mit dem historisierende Bauelementen des Göttinger Hauses eine Einheit bildet. Dies ergibt ein schlüssiges Gesamtbild, das eine unerwarteten Reiz entfaltet

Die Spielfläche ist auf die Maße des 18. Jahrhunderts reduziert. Damit ist zwar wenig Raum für große Bewegungen gegeben, aber es zwingend auch zur Fokussierung auf die Akteure. In Kombination mit dem Bühnenbild stehen Musik und Gesang eindeutig im Mittelpunkt.

Die Akteure sind in opulente Stoffe mit ausladenden Schnitten und mit vielen Falten gekleidet. Das ist eben Barock. Für ihre Inszenierung hat Sigrid T'Hooft sogar die Tradition des Opernballetts wiederbelebt. die sechs Tänzerinnen und Tänzer dürfen das Geschehen vorbereiten, kommentieren und auch persiflieren. Dabei bleiben die Bewegungen den steifen höfischen Tänzen des Barocks verhaftet.

Kein Angst, Imeneo beißt nicht, der will nur spielen. Nach den sehr politischen Festspiel-Opern der letzten Jahre ist dies ein Werk, das unterhalten und amüsieren will und im persönlichen Bereich verbleibt. Das die Verbindung von Imeneo und Rosmene letztendlich eine Zwangsheirat ist, wird nicht weiter thematisiert. Wer oder was ermächtigt Argenio, über das Schicksal einer Frau zu entscheiden, die noch nicht einmal seine Tochter ist? Hier verschenkt Sigrid T'Hooft eindeutig Potential.

Zudem hätte eine straffe Dramaturgie dem handlungsarmen Werk noch zusätzlichen Schwung verliehen. Stattdessen sind die fünf Akteure ständig damit beschäftig, ihr Seelenleben nach draußen zu singen. Aber gut, dass machen sie bei "Verbotene Liebe" oder "Rote Rosen" und anderen Seifenopern auch immerzu.

In der Rolle des Tirinto zeigt sich der Countertenor James Laing von seiner lyrischen Seite. Spitze Töne vermeidet er durchweg. In der sehr zurückhaltenden und jammervollen Anlage des Jünglings ist die Niederlage vorgezeichnet. Tirinto ist einfach nicht in der Lage, den drohenden Verlust abzuwenden. Statt aktiv zu werden, lamentiert er lieber. Damit er wohl aktueller als geahnt.

Imeneo (links) ist der Sieger im Balzkampf.
Foto: Th. da Silva 
Dagegen strotzt William Berger als Titelheld geradezu vor Kraft, Energie und Selbstgefälligkeit. Imerhin gilt der Brite als wahrer Händelspezialist, er hat siebzehn Opern im Repertoire. Die Titelrolle konnte Sigrid T'Hooft wohl gar nicht besser besetzen. Berger hat offensichtlich seinen Spaß am barocker Spiel bis ins kleinste Detail und diesen Spaß kann er vermitteln und ins Publikum tragen.

Neben der dominanten Anna Dennis bleiben Laing und Berger zahlreiche Möglichkeiten, um Akzente zu setzen. Die gegenseitige Parodie im unfreiwilligen Duett des dritten Akts gehört zu den Höhepunkten des Abends.

Anna Dennis gehört fast schon zum Stammpersonal der Händel-Festspiele. In diesem jahr ist sie zum vierten Mal dabei. Mit ihrer Darbietung in der Rolle der Rosmene hat sie die erneute Berufung mehr als gerechtfertigt. Ob nun im verliebten vivace des ersten Aktes, im verzweifelten Lamento des zweiten Aktes oder im Jubilate der Schlussszene, die Sopranistin trifft immer den richtigen Ton, um mal eine Standardformulierung zu benutzen.

Einen Unterschied zu den Seifenopern gibt es dann doch. Am Schluss bekommt das Ekelpaket das schöne Mädchen und dem zaudernden Tirinto bleibt noch nicht einmal der Trostpreis. Clomiri tröstet sich lieber mit einem Tänzer. Heute wie damals gilt, dass die Männer der Tat den Sieg davon tragen, doch Händels moralischer Zeigefinger, dass solch eine schwere Prüfung die moralische Überlegenheit stärkt, der wirkt doch antiquitiert.

Es ist ein schmaler Grat zwischen dem Weitertragen der Fackel und dem Bewahren der Asche. Auf welcher Seite sich diese Inszenierung befindet, muss das Publikum entscheiden. Bei der Premiere am Freitag votierte es  für die Fackel-Seite.

Die nächsten Aufführungen sind am 10., 12., 13., 14. und 16. Mai. Eine Familienfassung gibt es am 16. Mai um 12.00 Uhr.



Das Werk bei wikipedia

Sigrid T'Hooft #1: Imeneo bei den Festspielen
Sigrid T'Hooft #2: Orpheus und Eurydike am Theater für Niedersachsen




Diese Susanna weiß zu begeistern

Auftakt der Händel-Festspiele nach Mass

Erst kam das Pre-Opening, dann das Small-Opening, nun das Grand-Opening.  Mit dem Oratorium "Susanna" wurden am Donnerstag die Internationalen Händel-Festspiele in der Stadthalle Göttingen eröffnet. Es war ein Auftakt nach Maß. Das Festspiel Orchester und die Solisten zeigten eine Leistung, die kaum noch zu steigern ist.

Es geht um die alttestamentarische Geschichte aus dem Buch Daniel. Joachim und Susanne sind ein junges Ehepaar. Doch die schöne Frau muss sich zweier Stalker erwehren, die pikanterweise zu den Stammesältesten gehören. Nachdem die beiden Spanner Susanna nackt beim Baden sehen, verleumden die alten Gockel die junge Frau. Diese wird daraufhin wegen Ehebruchs zum Tode verurteil. Erst eine Eingebung des Propheten Daniel rettet die junge Frau. Im Gegenzug werden die beiden Alten wegen Verleumdung zum Tode verurteilt.

"Susanna" hebt sich deutlich von den vier Siegesoratorien, die Händel in den Jahren zuvor geschrieben hatte. Auch zum "Messias", der in diesem Jahr bei den Festspielen auf dem Programm steht, ist der Unterschied deutlich. Während die letzt genannten Werke durch existentielle Wucht und mächtige Klänge begeistern, ist "Susanna" eher eine psychologische Studie. Die Dispositionen der Akteure, die Beziehungen der Handelnden zueinander stehen im Vordergrund. Das ist eine Parallele zur diesjährigen Festspiel-Oper "Imeneo".

Erhaben ist der Klang des FestpielOrchesters
Göttingen allemal.      Alle Fotos: tok
Es geht eben um ihre Verbindungen und diese sind in diesem Jahr das Titelthema der Händel-Festspiele Göttingen. Daher kommt es auf die Zwischentöne an und deswegen ist das ist Zahl der Handelnden in diesem Oratorium auf fünf begrenzt, der Kosmos ist übersichtlich.

Erhaben sollte dieses Oratorium, erhaben und moralisch erbauend, das war Händels Zielsetzung. Im Vergleich zu früheren Werken leidet es an Handlungsarmut und daher war diesem Werk auch nur wenig Erfolg beschieden. Es dauert den ganzen ersten Akt, um die Beziehungen der Personen zueinander in kleinste Detail zu entblättern.

Auch wenn der Einstieg des Countertenor Christopher Lowrey als Joachim ein wenig spitz gerät, schafft er im abschließenden Duett mit Emily Fons in der Titelrolle doch ein rundes Klangbild. Beide ergründen hier die ganze Tiefe ihrer Liebe, präsentieren sich als Einheit und erhaben ist dies allemal. Im Schlussduett des dritten Aktes können sie diese Leistung noch einmal steigern.

Überhaupt ist Emily Fons eine Säule dieser Aufführung. Immer wieder kann die Mezzosopranistin an diesem Abend ihre Vielfältigkeit unter Beweis stellen. Sie klingt weich und rund im Lamento des dritten Akts und weist dennoch eine enorme Dynamik in den richtigen Partien auf. Sie schafft glockenklar und vibrato gleichermaßen und bewältigt auch die Koloraturen im dritten Akt. Wenn sie singt, dann schweifen die Gedanken in die Ferne und eine Wunsch keimt auf. Möge dieses Konzert doch nie zu Ende gehen. Oder zumindest länger dauern, als geplant. Die Folge ist Szenenapplaus nach fast jedem ihrer Auftritte.

Keine Angst, nicht nur Laurence Cummings hat Blumen
bekommen. 
Der Gegenpol ist Colin Balzer in der Rolle des Ersten Ältesten. Als Vertretung kurzfristig eingesprungen gelint ihm in der dritten Szene des ersten Akts gleich ein starker Einstieg, den er im Staccato  der vierten Szene sogar noch steigern kann. Zudem verfügt Balzer auch über die mimischen Fähigkeiten, um einen liebestollen alten Gockel in seiner gesamten Eitelkeit und Selbstgefälligkeit lebendig werden zu lassen.

Zu den Höhepunkten des Abends zählt sicherlich das Duett der Alten in Szene drei des zweiten Aktes. Balzer weckt Raimund Nolte aus seiner statischen Rolle des Chelsias. Zusammen zewigen sie die gesamte Brünftigkeit testosterongeschwängerter Greise. Das Szenen prägen sich ein und überdauern die Jahrtausende. Das ist ganz im Hier und Jetzt angesiedelt. Solche Gockel besiedeln die Fitness-Zonen des 21. Jahrhunderts.

Doch schon kurz zuvor gab es ein ähnlich beeindruckendes Duett beim Zusammentreffen von Susanna und Daniel. Clara Hendrick kann hier beweisen, dass zwei Mezzosopranistinnen auf einmal doch ganz anders klingen können. Sie setzt ihre Stimme betont und Ton für Ton pointiert ein. Dies ergibt im Zusammenspiel einen schönen Kontrast in derselben Stimmlage.

Der Chor hatte nur wenige Möglichkeiten sich
auszuzeichnen.
Auch in der Auseinandersetzung mit den beiden Alten im dritten Akt nimmt sie somit das Gesetz des Handelns an sich, um dann aber mit der Arie am Ende der ersten Szene ganz anders zu klingen. Weich und trotzdem dynamisch bis in die Höhen. Das ist eindeutig der Gänsehaut-Moment  und wieder keimt der Wunsch auf "Möge dieser Abend doch niemals enden oder ...".

Das Erhabene in diesem Oratorium, das arbeitet das FestspielOrchester Göttingen unter der Leitung von Laurence Cummings überzeugend heraus. Selten klang das Ensemble so lyrisch. Die Streicher dominieren durchweg. Dort wo Bläser gefragt sind, gibt es vornehmlich Holz zu hören. Das Blech kommt erst im Tugendjubel der letzten Szene zur Geltung.

Ach ja, der Chor. Für einen Chor ist "Susanna" ein undankbares Werk. Eerst im dritten Akt gibt die Möglichkeiten, Akzente zu setzen. Der NDR-Chor nutzt diese Chance dann doch und als der letzte  Ton verklungen ist, dann folgt nur noch Jubel.


Das Werk bei wikipedia

Das FestspielOrchester Göttingen


NDR Kultur sendet am 22. Mai um 11.00 Uhr eine Aufzeichnung des Konzerts