Samstag, 31. Dezember 2016

Eine Tragödie in Jazz

Ein Blick von der Brücke am DT Göttingen

Das ist ohne Frage eines der stärksten Stücke am Deutschen Theater in Göttingen in dieser Spielzeit. Am Freitag stand die Premiere von Millers "Ein Blick von der Brücke" auf dem Spielplan. Die Inszenierung von Ingo Berk überzeugt in allen Belangen. Sie ist eine Reise in die Vergangenheit, ein Statement über die Gegenwart und eine Prognose zu Zukunft zugleich.

New York in den 1950er Jahren. Der Hafenarbeit Eddie Carbone und seine Frau Beatrice wohnen mit ihrer verwaisten Nichte Catherine im Hafenviertel Red Hook. Die italienischen Einwanderer der zweiten Generation leben in sicheren aber bescheidenen Verhältnissen. Oberflächlich ist Eddie um den gesellschaftlichen Aufstieg des Ziehkindes bemüht. Er wacht als strenger Ersatzvater über sie, heimlich begehrt er die frühreife 17-Jährige.

Es ist eine fragile Konstellation, die in sich zusammenbricht als Marco und Rodolfo ins Spiel kommen. Beatrice Cousins wurden von Schleppern nach New York geschleust. Sie wollen dem Elend in der sizilianischen Heimat entgehen und müssen sich als Illegale vor den Behörden verstecken. Als sich Rodolpho und Catherine ineinander verlieben und heiraten wollen, nimmt das Unglück seinen zwangsläufigen Verlauf. Eddie verstößt gegen die ungeschriebene Gesetze der italienischen Gemeinschaft in New York. Er verrät den Nebenbuhler an die Einwanderungsbehörde und muss dafür den Königstod sterben.

Beatrice, Eddie und Catherine leben in einem
fragilen Konstrukt. Alle Fotos: Thomas Aurin
Millers "Blick von der Brücke" ist ein Paradebeispiel der klassischen Moderne mit einer deutlichen Prise episches Theater. Aber genau genommen ist es ein Werk, das alle Zutaten einer griechischen Tragödie beinhaltet. Die Ausgangslage ist wackelig und wird mit Mühen in Balance gehalten, ein wenig Elektra kommt dazu und der deutliche Verweis auf den Inzest. Neue Figuren auf der Bühne verursachen eine Schieflage, der Verstoß gegen die Gesetzmäßigkeiten bringen den Stein ins Rollen, der Mensch verliert die Kontrolle und die Schussfahrt auf der schiefen Ebene endet letal.

Die Rolle des klassischen Chors konzentriert sich auf den Anwalt Alfieri. Er gibt die Einleitung, der ist der Kitt zwischen den Szenen und er darf den Epilog sprechen. Mit den Verweis auf Siziliens gebrochenes Verhältnis zu Recht und Gerechtigkeit  seit den Zeit der Griechen und Römer macht er den Ewigkeitsanspruch deutlich, denn es werden hier noch andere Dauerthemen verhandelt.

"Blick von der Brücke" auf die Flüchtlingsfrage zu reduzieren, das wird dem Stück nicht gerecht. Es um auch um Fehlverhalten und Rache, um Adoleszenz und Loslösung, Wahrheit und Kompromiss, und um die zerstörerischer Kraft der Eifersucht.

Paul Wenning wirk als  Anwalt Alfieri ein wenig wie ein Sam Spade der Juristerei, abgeklärt und ahnungsvoll, hilfsbereit aber distanziert, wissend um die Regeln der Gruppe immer an Rande der Legalität, reduziert in Gestik und Mimik und mit der Stimme immer im grünen Bereich. Mit dieser Leistung überzeugt er, schade nur, dass er an diesem Abend gleich drei Hänger hat.

Nicht nur als Marco und Rodolpho abgeführt werden,
steht Eddie außerhalb.
Zum abgeklärten Wenning ist Florian Eppinger der belebende Kontrast. Sein ddie Carbone ist von Coolness soweit entfernt wie Red Hook von Malibu Beach. Er bringt die inneren Anspannung, die Zerrissenheit mehr überragend auf die Bühne. Sein ganzer Körper steht 1 Stunde 45 unter Strom und in der Figur des Hafenarbeiters steckt jede Menge Körperlichkeit. Denn auch das machen Eppinger und Berk deutlich: Eddie ist als Hafenarbeiter selbst nur ein besserer Tagelöhner und steht an der Kante der Gesellschaft. Dem feingeistigen Rodolpho  kann er nur Handfestes entgegensetzten.

Andrea Strube in der Rolle der Ehefrau Beatrice gewinnt im Laufe der Vorstellung immer mehr an Präsenz.  Vom Heimchen am Herd wird sie zur Seher, zur einzigen, die alle Schichten des Konfliktes durchblickt. Diese Wandlung macht Strube mit Stimme und Gestik sichtbar. Folgerichtig offenbart sie die Ehekrise und genauso folgerichtig bringt sie die sexuelle Komponente der Tochter-Ersatzvater-Beziehung auf den wunden Punkt.  Trotzdem kann Strube glaubwürdig vermitteln, dass Beatrice bei aller Einsicht die Mitteln zum Handeln fehlen.

Doch, doch, die Inszenierung von Ingo Berk ist purer Jazz. Sie ist rasant und treibend wie ein Song von Charlie Parker und todtraurig wie ein Solo von Chet Baker zugleich. Einen großen Anteil daran hat das überwältigende Bühnenbild von Damian Hitz.

Als sich der eiserne Vorhang hebt, gibt er den Blick frei auf ein Sofa mit Gebrauchsspuren. Abschirmt ist die Spielfläche durch ein Wald von Eisenstreben, die Erinnerungen an die Brooklyn Bridge wecken.

Man schaut in die Dunkelheit des Bühnenhaus. Zahlreiche Spot setzen die Backsteinwände mit Gebrauchsspuren in ein Spiel aus Licht und Schatten. Dies setzt Assoziationen mit der Architektur aus New Yorks stürmischen Zeiten frei. Dazwischen steht eine Stahlkonstruktion aus T-Träger. Hier oben thront Alfieri allwissend.

Alfieri (links), versucht Marco von seinen Rache- 

gedanken abzubringen.  Alle Fotos: Th. Aurin
Das Licht wird in dieser Inszenierung zum eigenständigen Teil. Es setzt nicht nur Akzente. Es zieht deutliche Grenzen zwischen den Spielflächen auf der Vorder, Mittel- und Hinterbühne und trennt so die erzählerischen Ebenen.

"Ein Blick von der Brücke" fasziniert durch seine erzählerische Dichte. Arthur Miller verknüpft hier unterschiedliche Fäden zu einem Handlungsstrang.  Berks Inszenierung macht die Kett- und Schussfäden sichtbar, ohne dem Werk etwas von seiner Rasanz zu nehmen. Innerhalb von einer Stunde 45 schafft er einen Kosmos und lässt ihn gleich wieder einstürzen. Die Betrachtung erfolgt aus mehreren Perspektiven und das Motiv des Verlustes in all seiner Vielfältigkeit durchzieht die Aufführung deutlich.

Er liefert ein glaubwürdiges Abbild gesellschaftlicher Wirklichkeit und wirkt wie ein Film noir aus dem Migrantenmilieu. Die Sprache ist abgeklärt und zynisch und transportiert doch nur Wahrheit. Miller verzichtet auf langatmige Selbstbekenntnisse und lässt die Handlung sprechen.

 Jedes Wort ist am richtigen Platz und Dank der Dramaturgie von Sonja Bachmann ist es kein Wort zuviel. Mancher im Publikum versucht den Realitätschock an diesem Abend wegzukichern. Als Ediie mit "Geh schon mal ins Bett, ich komme gleich hinterher" die Ehekrise in einem Standardsatz manifestiert herrscht im Parkett die berühmte Sekunde selbsterkennendes Schweigen

"Ein Blick von der Brücke" ist nicht einfach ein Trauerspiel über illegale Arbeitskräften. Miller bringt hier Amerikas großes Thema der 50er und 60er Jahre auf die Bühne: Das Verhältnis von Ingroup und Outgroup. Die Illegalität ist nur die offene Flanke, die Eddie im Kampf um sein verlorenes Terrain nutz.

Es geht um das Dazugehören wollen, um die Regeln des Spiels und um die Angst, ausgestoßen zu werden. Dieses Thema ist wieder ganz gegenwärtig und es wird Bestand haben, das ist der Blick nach vorn.

Mit diesem Stück hat Ingo Berk nicht nur die Absenz seines großes Dramatikers beendet und eine wichtige Ära des Theaters. Es ist ihm gelungen, die Verweise in die Jetztzeit auf sehenswerte und faszinierende Weise deutlich zu machen.



Deutsches Theater - Der Spielplan
Deutsches Theater - Das Stück

wikipedia - Der Autor



Samstag, 24. Dezember 2016

An der Revolution verzweifelt

DT Göttingen bringt Mathematikprofessorin auf Bühne

Gibt es eigentlich einen besonderen Gattungsnamen, wenn die Biographie einer beliebigen Person auf die Theaterbühne gebracht werden? Na, egal.  Anne Jelena Schulte hat das Leben von Sofja Kowaleskaya zu einem Theaterstück verdichtet und Antje Thoms hat es für das Deutsche Theater bearbeitet. Das Ergebnis ist Kopftheater und am Donnerstag war Uraufführung im DT - 2.

Sofja Kowalewskaya ist heute wohl so etwas wie ein vergessener Star der Wissenschaftsrevolution im 19. Jahrhundert. Sie war nicht nur eine hochbegabte Wissenschaftlerin und weltweite die erste Frau, die eine Professur für Mathematik bekam, sondern auch eine Kämpferin für die Rechte der Frauen. Die Tochter eines russischen Generals überwand mit Beharrlichkeit alle Hürden, lebte ein schnelles Leben, stürzte in tiefe Not und verstarb früh. Fast schon ein James Dean der Zahlen und Formeln.

Das Bühnenbild von Jeremias Böttcher ist pure Geometrie. Es erinert an ein rühes Werk von Malewitsch. Auf schwarzem Grund treffen sich unzählige weiße Linien im rechten Winkel und laufen ins Unendliche. In der Mitte steht eine Drehbühne in Form eines Würfel. Er wird später zur zentralen Spieleinheit, zum Mittelpunkt des Geschehens. Die menschlichen Dinge sind an den Rand gedrängt, im wesentlichen geht es um Abstraktion.

Am Anfang steht eine Verabredung.
Alle Fotos: DT Göttingen
Je länger die Aufführung dauert, desto deutlicher wird, dass dem Werk die emotionale Komponente, die Tiefe oder vielleicht auch die russische Seele fortwährend abhanden kommt. Alles ist Berechnung, selbst die Ehe mit Wladimir Kowalewsky. Damit kommt die Inszenierung der Realität in der zaristischen Oberschicht und den Startvoraussetzungen der Emanzipation wohl ziemlich nah.

Dennoch beginnt das Stück mit jugendlichen Übermut. Sofja, ihr Schwester Anjuta und die gemeinsame Freundin Julja verabreden sich, die russische Provinz zu verlassen und in der Fremde zu studieren. Dafür gibt es nur eine Möglichkeit: Scheinehe. Sofja heiratet Wladimir Kowalewsky und er willigt in das Arrangement ein. Die vier gehen auf Auslandsreise und bilden in Heidelberg eine WG aus der Kategorie "Finger weg".  Das Bündnis zerbricht, als Anjuta nach Paris geht.

Im Dreigestirn sind die Rolle klar verteilt. Felicitas Madl spielt die dominante und lebensnahe Anjuta. Ihr Wandel zur Emotionsbewußten passiert leider im Verborgenen. Christina Jung überzeugt in der Hauptrolle der verkopften und ein wenig unbedarften Sofja Kowalewskaja. Sie bleibt durchweg stoisch und zurückhaltend, denn och schafft sie es, Akzente zu setzen. In dieser Dreier-Konstellation gerät Dorothée Neff leider etwas aus dem Fokus.

Die Rolle des verhinderten Ehemanns, Orientierungsloser und Revolutionär ein wenig Widerwillen erfüllt Bardo Boehlefeld so gut, dass man ihn durchaus mal tröstend zu Seite nehmen möchte, um ihn Mut zu zusprechen. Die Duette Jung und Boehlefeld  prägen die Inszenierung. Doch es sind vor allem Wladimirs gesprochenen Briefe an den Bruder die das Stück strukturieren. Sie bilden den Kitt zwischen den Stationen. Zudem ist es eine schöne Reminiszenz an die Literatur des 19. Jahrhunderts, wichtige Teile in auf Paper auszulagern.

Jeßing (rechts) spielt soviele Professores, dass es
für eine ganze Uni reicht.
Seine Wandlungsfähigkeit beweist Andreas Jeßing an diesem Abend ein ums andere Mal. Der Dialog Sofja und Un-Leitung mit Jeßing als die Proffessores Friedrich und Kirchhof und sonstigen Schargen des Wissenschaftsbetrieb gehört zu den den wenige heiteren Momenten.

Der Hang zum "Brief zitieren" ist nur eine Reminiszenz an das 19. Jahrhundert. Auch ansonsten steckt das Werk mitten im Symbolismus. Da ist das Tee trinken als Ausdruck des alten Russlands und die beständige Ablehnung, die musikalische Begleitung  und vor allem der Bezug auf Tschechows Kirschgarten als Zeichen für den vergangenen Glanz einer erstarrten Oberschicht.

Doch das stärkste Symbol ist der drehende Würfel. Diese Bühne gerät immer dann in Rotation, wenn Bewegung angesagt ist, wenn lange Reise anstehen, revolutionäre Veränderungen vor der Tür stehen oder sich die Binnenverhältnisse ändern.

Es ist müssig zu fragen, ob sich das Leben von Sofja Kowalewskaja sich wirklich bis ins Detail so abgespielt hat. Sie war ein Kind ihrer Zeit und ihrer Klasse und hat wie viele andre Jungrussen mit adeligen Hintergrund Stückwerk hinterlassen. Das revolutionäre Subjekt kommt aus der Oberschicht, es geht nicht nur um die Befreiung der Massen, sondern vor allem um das Ich. Das Proletariat kommt nur in Form der Amme vor. Als Anjuta sich mit den Proletariern verbundet, endet es in der Katastrophe der Pariser Kommune.

Wahrscheinlich liegt hier der Kern des Stücks, der erst noch freigelegt werden muss. Die Parallelen zu den Befreiern von Heute sind da.


Deutsches Theater - Der Spielplan
Deutsches Theater - Das Stück

Sofja Kowalewskaya bei wikipedia



Mittwoch, 21. Dezember 2016

Der Prinz im Purple Rain

Schwanensee am Theater Nordhausen schlägt eine Brücke

Wort gehalten. Als Ivan Alberosi seine Stellung als Ballettdirektor in Nordhausen antrat, versprach er eine spannende Mischung aus klassischen Ballet und aus modernen Tanztheater. Gleich mit seiner ersten abendfüllenden Choreographie "Schwanensee" hat er dieses Versprechen gehalten. Das Ballett schlägt eine Brücke zwischen den Zeiten und versteht es auch, andere Ausdrucksmittel einzubauen.

Der Auftakt verbleibt im klassischen Deutungsmuster. Vom ersten Takt an macht das Loh-Orchester unter der Leitung von Henning Ehlert deutlich, dass es einen Schritt nach vorne gemacht hat. Zum vollen Klang kommt ein filigranes und transparentes Gesamtbild. Jedes Instrument ist erkennbar und kommt im Laufe des Abend zu seinem Recht. Gerade die Holzbläser werden Akzente setzen. Damit scheint alles bereit für ein märchenhaftes Spiel.

Im ersten Akt öffnet Ivan Alboresi eine charmante Trickkiste. Das Bühnenbild von Ronald Winter lockt auf den ersten Blick in die Märchenecke Ein Ballsaal, die Tanzgesellschaft tritt ein, zuerst die Herren im Sakko. Sie durchmessen den Raum, sind die Beherrscher des Saals, die Boyz n the Hood. Dann finden sich die Paare und die Dance Hall Party beginnt.

Ivan Alboresi hat sein Versprechen eingehalten.
Foto: tok
Doch das Bild trügt, denn wenn auch traditionelle Figuren noch die Bühne beherrschen, so zeigt die klassizistische Fassade des Bühnenbild deutliche Risse. Die Zeichen. Nicht alles ist so wie es scheint und die Zeichen an der Wand schlagen sich auf den Tanzboden nieder.

Nun  kommt Prinz Siegfried hinzu. Doch es ist ein doppelter Siegfried. Einmal der gute Prinz in weiß und der zwielichtige in schwarz-rot. Alboresi verzichtet auf den Zauberer Rotbart und zerlegt stattdessen den Helden in seine Bestandteile. Er spiegelt  die Doppeldeutigkeit der Odette/Odile in der zweiten Hauptfigur wider und macht aus dem Prinzen einen Menschen wie jedermann. Damit bekommt das Ballett ein neue Moment, eine neue Dimension. Das Märchenspiel wird zum Psychogramm.

Aus dieser Doppelung ergibt sich eine weitere Ergänzung. Nun stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Gruppe zum Individuum und die Antwort ist durchaus konfliktbeladen. Denn die Gruppe positioniert sich eindeutig gegen den weißen Siegfried.

Der zweite Akt beginnt mit einem Aha-Effekt. Die rissige Fassade entschwindet nach nach oben und gibt den Blick frei auf ein Kabinett von Zerrspiegeln. Sie werfen Siegfried immer wieder zurück auf sich selbst. Sie spiegeln damit schonungslos seine Einsamkeit und verlängern sie in die Unendlichkeit.

Der zweite Akt ist auch ein Cut in Sachen Tanz. Das klassische Ballett tritt nun deutlich in den Hintergrund. Der Pas de Deux von David Nigro und Konstatina Chatzistavprou ist eine Verschmelzung der Stile, von fließenden Bewegungen dominiert und nur wenige Hebefiguren bilden die Reminiszenz an die Vorlage. Hier entsteht etwas ganz Besonderes.

Am Ende des zweiten Akts versinkt Siegfried im
Purple Rain.    Foto: Theater NDH
Die Klassik findet nur als Kostüm Eingang in den zweiten Akt. Die Schwanenherden strömt im Tütü auf die Bühne, auch die Herren. Ein einfaches aber wirkungsvolles Zeichen für den frechen Umgang mit den Erwartungen des Publikums.

Der Schwarm funktioniert hier als Ganzes und die fließenden Bewegungen der sechs Tänzerinnen und Tänzer wecken die Assoziationen an ein aufgewühltes Gewässer. Manche Schrittfolge und  Position wirkt mit Absicht gestelzt, dazu werden die Arme hinter dem Rücken gespreizt. Soviel Realismus muss sein, grazil soll es schon sein. Zur Erinnerung: Das Stück heißt ja Schwanensee und nicht Ententeich.

Ivan Alboresi erneuert hier sein  Konflikt-Motiv. Wieder stellt sich die Gruppe, der Schwarm gegen den Prinzen, die Tütüs als Schutzschirme aufgestellt bilden die Körper eine undurchdringliche Wand. Odette wird dem Prinzen entrissen und der bleibt einsam im Regen der Blütenblätter zurück. Purple Rain, wie Prince singen würde.

Das bleibt nicht spurlos und so ist das Bühnenbild des dritten Aktes deutlich verändert. Es bleibt nur der klassizistische Hintergrund, die Zerrspiegel der See-Szene bleiben stehen. Der Akt wird geprägt von der Konfrontation der ungleichen Siegfrieds. Das Pas de deux von David Nigro und András Dobi nach dem Divertissments hat die Qualität eines Stierkampf. Zwei Herzen wohnen ach in Siegfrieds Brust. Der Streit ist ein innerlicher, dies machen die gespiegelten Bewegungen der Kontrahenten deutlich.

Doch gleich und gleich gesellt sich gern und deswegen erringt der finstere Siegfried die Gunst der Odile. Ihre dominante Präsenz gleicht dem Auftritt eines B-VIP auf einer Party.

Als die Party vorbei ist, bleibt Siegfried allein zurück, in sich versunken im Spotlight. Alboresi
beendet auch diesem Akt mit einem echten Hingucker. Der Beamer projiziert das bisherige Geschehen im Zeitraffer auf den Bühnenhintergrund. Das ist nicht nur eine Zusammenfassung sondern auch eine Verdeutlichung der Situation vor dem Finale.

Der schwarze Siegfried ist seinen weißen Pendant
überlegen. Foto: Theater NDH
Der Medieneinsatz ist an dieser Stelle kein billiger Effekt. Er ist konsequent, pointiert die Aussage noch einmal und entspringt damit der inneren Logik dieser Inszenierung. Einfach großartig

Eindrucksvoller Moment im vierten Akt ist der Pas de trois. Die zwei Seiten des Siegfrieds ringen um Odette, doch zum Schluss bekommt keiner das Mädchen. Aber leider hat dieser Akt bis dahin durchaus einige Längen und bekannte Aussagen werden hier wiederholt.

Abgesehen von diesem Schönheitsfehler ist Schwanensee am Theater Nordhausen mehr als sehenswert. Es ist ein Werk, dass aus Klassik und Moderne eine kraftvolle Symbiose schafft und aus dem Märchenspiel heraus allgegenwärtige Fragen stellt. Ivan Alboresi ist es bereits mit seiner erste abendfüllenden Choreographie gelungen, die Ballettkompanie einen wichtigen Schritt nach vorne zu bringen. Dazu trägt auch sicherlich das neue Klangbild des Loh-Orchesters bei. 



Theater Nordhausen - Der Spielplan
Theater Nordhausen - Das Stück


Schwanensee - Das Ballett


Das Interview mit Ivan Alboresi bei soundcloud



Montag, 19. Dezember 2016

Gestrandet in der Einsamkeit

Theater für Niedersachsen zeigt das Elend der Effi Briest

'tschuldigung für die antiquierte Formulierung, aber diese Inszenierung geht einem wirklich zu Herzen. Petra Wüllenweber hat beim Schreckgespenst des Deutschunterrichts nicht nur die Rasselkette entrostet. Sie hat dem Stück auch die Bissigkeit zurückgegeben, dass es zu den Zeiten Fontanes auch hatte.

Zwei Stühle auf einer leeren Bühne, ein Mikro recht, eins links, Musiker und Schauspieler betreten die Bühne. Eine Frau näht Gardinen. Das Akkordeon spielt eine gedämpfte Melodie, die Gitarre schlägt die Akkorde dazu. Katharina Kwaschik zitiert die ersten Sätze aus Fontanes Romanvorlage. Sie schildert die Idylle eine landadeligen Gehöfts irgendwo in der Weite der brandenburgischen Steppe.

Noch sieht es aus, wie der endlose Sommer der
Jugend.      Alle Fotos: tok
Es ist ein passender Kunstgriff, der hier vollführt wird. Immer wieder wird eine Darstellerin oder ein Darsteller an den Rand des Geschehens treten, zum Erzähler mutieren oder mit dem Publikum in den Dialog treten. Dann gibt es eine Einleitung, die Schilderung der Atmosphäre oder die Handlung zwischen den Szenen wird zusammengefasst. Petra Wüllenweber bekommt so das Textmonster in den Griff und sortiert das Sammelsurium in eine spielbare Abfolge.  Zu den reien Darstellungen kommt eine Reihe von symbolischen Handlungen, die Unaussprechbares verdeutlichen.

Der Einbau des Theaterpolizisten als Hüter der Textgenauigkeit ist dabei nur ein Zeichen eines entspannten Umgangs mit dem Monument deutscher Selbstbetrachtung. Immer wieder taucht das selbstironische Motiv "Theatergruppe probt" auf. Unter den zahlreichen,  'tschuldigung für die antiquierte Formulierung, Sittengemälden des Wilhelminismus ist "Effi Briest" sicher das mit der größten Reichweite.

Es ist eine flachadelige Gesellschaft mit kleinbürgerlichen Idealen, die Petra Wüllenweber hier zur Schau stellt und erklärt. Es ist eine Gesellschaft im Widerspruch zwischen  den engen Grenzen der Konventionen und der Leere ihrer emotionalen Landschaft. Genau diesem Kontrast setzt das Bühnenbild von Matthias Werner  unaufgeregt wieder. Gardinen symbolisieren die engen Mauern des elterlichen Landsitz in Hohen-Cremmen. Später öffnet sich der Raum in die endlose Ödnis Hinterpommerns  als Effi und ihr Gatte das wenig geliebte Kessin erreichen. Die Gardinen werden zu Baumsäulen zusammengerafft. So einfach und einleuchtend kann ein Bühnenbild sein.

Die Rezeption von "Effi Briest" ist  meist recht einfach. Mutter verhökert ihre Tochter an ihren abgelegten Liebhaber, damit diese das werden kann, was ihr selbst verwehrt blieb oder was sie sich nicht getraut hat. Die Tochter wird aus ihrer Kindheit gerissen und der gefühlsarme Mann opfert die Ehe der eigenen Karriere. Die unverstandene Gattin flieht in eine kurze Affäre. Jahre später fliegt die Affäre auf, der Gatte tötet den Liebhaber und schickt die untreue Frau in die Verbannung, die vor Gram stirbt. Derweil schaut der Vater der jungen Frau nur zu und gesteht mit dem Textmonument "Ein weites Feld, Luise" seine Überforderung ein.

Major von Crampas rockt die Provinzbühne.
Petra Wüllenweber hat in ihrer Inszenierung gleich mehrere zusätzliche Ebenen eingezogen, die das Deutungsspektrum deutlich erweitern. Der Grundstock bleibt. Luise von Briest führt ihre Tochter als Lamm zur Opferbank. In allen Auseinandersetzungen zwischen Effi und von Innstetten ergreift sie Partei für ihren Ex. Katharina Wilberg in der Rolle der ambitionierten Mutter steht dieser Ehrgeiz ins Gesicht geschrieben. Die Körperhaltung ist gestrafft und die Worte klingen wie beim Morgenappell. Sie scheint zu keine zärtlichen Gefühlen fähig und mit ihrem Gatten liefert sie sich den kleinbürgerlichen Kleinkrieg einer Zweckehe, die schon zu lange dauert. Das sind schon 5 von 10 Punkten auf der Burton-Taylor-Skala  und hat für einige im Publikum einen hohen Wiedererkennungswert. So weit so gut.

Die neue Deutung bezieht sich auf Effi, die, 'tschuldigung für die antiquierte Formulierung, wunderbar gespielt wird von Lilli Meinhardt. Sie verkörpert die kindliche Effi genauso glaubwürdig wie die Gattin des Landrats von Kessin oder die Verführerin. Denn hier liegt der wichtige Unterschied. Diese Effi ist nicht mehr nur Opfer sondern auch Täterin am eigenen Schicksal. Freimütig gesteht sie ein, dass sie den 21 Jahre älteren Mann aus Berechnung und aus Karrierebewusstsein geheiratet hat. Effi Briest wird zum Aktivposten in diesem Drama.

Das ist kein Leben

Die Tanzszene mit Effi und ihrem Cousin Dagobert gehört zu den poetischen Momenten dieser Inszenierung. Man mag frei nach Sally Brown rufen "Küss ihn doch, du Idiotin" und hoffen, dass der Zug Richtung Unglück an der nächsten Weiche abbiegt, aber nichts dergleichen passiert. Dagobert und Effi sind seelenverwandt und füreinander gemacht. "Aber Leben mit ihm, das wäre kein Leben", bekennt die standesbewusste junge Frau Landrätin. Sie will hoch hinaus und so wird der Fall umso tiefer. Diese Effi wird nicht nur ein Opfer der Konventionen, sondern sie scheitert auch an ihren eigenen Ansprüchen.

Das ist die neue Sicht. Effi ist keine unbedarftes Heimchen sondern durchaus eine echte Frau, die sich aber auf ein Gesellschaftsspiel einlässt, dass sie nicht gewinnen kann. Die Reduktion auf die Rolle als Mutter, das ist auch heute noch der Knackepunkt in einer Beziehung. Das macht diese Aufführung deutlich. All diese Schichten legt Lilly Meinhardt frei mit ihren situationsadäquaten Spiel. Die Freude der Kindheit, der Stolz der Frischvermählten und die Einsamkeit der in der Provinz Gestrandeten, alles kann sie glaubwürdig mit Stimme, Mimik und Gesten vermitteln. Dafür bekommt sie zu Recht auch den meisten Applaus.

Von Innstetten hat beschlossen, dass seine Frau
schwanger werden wird.
Moritz Koch schafft den Spagat zwischen der Rolle des springlebendigen Cousin Dagobert von Briest und des eher phlegmatischen Major von Crampas.  Seine Leidenschaft ist eher Berechnung und die Affäre mit Effi mehr Ablenkung als Herzensangelegenheit. Das ist etwas, was halt so macht wenn man sich in der hinterpommerschen Provinz langweilt. Im Gefüge einer Wilhelministischen Gesellschaft erfüllt eben die Rolle des Herzensbrecher, nicht mehr und nicht weniger.

Dennoch gehört die Beischlaf-Szene mit Akrobatik zu den Höhepunkten des Abends. Die Balletteinlage verdeutlicht die kurzen Höhenflüge, die der Austausch von Körperflüssigkeiten sein kann.

Auch die starre Position des Baron von Innstetten wird in dieser Inszenierung aufgeweicht. Er darf sich durchaus auch mal von seiner weichen Seite zeigen. Letztendlich unterliegt er aber weiterhin den Zwängen der Gesellschaft. Dieser Baron ist eben der nette Chauvi von nebenan, der seine Frau auf subtile Weise in ihre engen Schranken weist.

Die stärkste Szenen in dieser Rolle hat Martin Schwartengräber als er die Liebesbriefe der Gattin entdeckt. Die Fassungslosigkeit ist ihm ins Gesicht und in die brüchige Stimme geschrieben. Gänsehaut macht sich breit, als er Nick Caves Song vom Gnadensessel, vom Mercy Seat, ins Mikro spricht.

Auch beim alten Briest hat sich die Akzentuierung verschoben. Er ist nicht der begriffsstutzige Landadlige, der nicht so recht weiß, was um ihn herum vorgeht. Dieser Briest ist der einzige Mensch in einem Gefüge von Pflicht- und Rollenerfüllern und deshalb muss er scheitern. Dies macht Gotthard Hauschild deutlich.

Die Poesie

Tanz und Musik, trotz aller Tragik haucht Petra Wüllenweber dem  Werk  ein ordentliches Maß an Poesie ein, schafft eine Moritat mit leisen Töne. Damit wird sie der Romanvorlage mehr als gerecht. Sie zieht neue Deutungsebenen ein und erneuert damit die Aussagekraft dieses Monument des Gesellschaftsromans.

Das Ehepaar von Innstetten erlebt auch glückliche
Momente.
Obwohl Petra Wüllenweber in ihrer Inszenierung dem sprachlichen Duktus des späten 19. Jahrhunderts treu bleibt, zeigt sie dennoch ein ordentliches Maß an Zeitlosigkeit. Die Kostüme liegen irgendwo zwischen Anno Dunnemal und eben gerade jetzt. Am markantesten wirkt Effi 50-er Jahre Pepita-Kostüm, das ihr das ein und andere Mal wie eine Zwangsjacken angelegt wird. Ankleiden als Gesellschaftskritik, das schafft auch nicht jeder.

Auch 120 Jahre nach Effi Briest scheitern Menschen, wenn sie nicht sie selbst sein dürfen oder wollen, wenn sie Träume erfüllen wollen, die andere für sie träumen, das ist wohl die Kernaussage dieser Adaption. Der alte Briest ahnt es, aber er schweigt, weil er sich gegen die Gattin nicht durchsetzen kann. Wenn du doch geredet hättest, Friedrich.



Das TfN - Der Spielplan
Das TfN - Das Stück

Auch von Wüllenweber: Die Buddenbrooks

Effi Briest -  Die Romanvorlage





Montag, 12. Dezember 2016

Auf alle Fälle stimmungsvoll

Das Erzgebirgsensemble zeigt seine Version der Weihnachtszeit

Sie haben es wirklich getan. Sie haben das Leder vor dem Arsch bei der Nacht getragen. Leder, Arsch, Nacht? Na, das Steigerlied: "Und wir tragen das Leder vor dem Arsch bei der Nacht und saufen ....". Auf jeden Fall gab es in 33 Jahren Kreuzgangkonzerte selten so viele Folklore im Kloster Walkenried. Am Samstag zeigte das  Erzgebirgsensemble seine Sicht auf Weihnachten und traf damit den Nerv des Publikums.

Auf jeden Fall besteigt das Ensemble die Bühne in der Paradetracht eines Bergmanns aus dem Erzgebirge und dazu gehört nun mal das Leder am Gesäß. Dieser Anblick ist für ein Podium, auf dem sonst Fliege, Frack und Großes Schwarzes dominieren, ungewohnt und gewöhungsbedürftig. Aber das Publikum weiß ja, worauf es sich eingelassen hat.

Der Rotlicht-Bezirk: Der Kreuzgang in
Weihnachtsbeleuchtung.  Fotos: tok.
Das Konzert beginnt mit dem Geläut der Fundgrube "Weißer Hirsch". Das kommt vom Band und an diesem Abend wird es noch mehr Playback und Halb-Playback geben, auf einer Bühne, auf der sonst Livemusik dominiert.

Doch dann gibt es Livemusik. "Kummt Bargbrüder, fahrn mer aus", dreistimmiger Männergesang im Wechsel mit Bläserbegleitung, durchaus auf hohen Niveau. Ein Tenor und zwei Baritons, durchaus meditativ und stimmungsvoll, das zwingt durchaus zum Zuhören und gibt die Möglichkeit zum Schwelgen.

Schon hier setzt die grundsätzliche Überlegung ein. Warum schafft es der "Canto a Tenore" aus Sardinien ins Feuilleton und die Volksmusik aus dem Erzgebirge es nur auf die Lokalseiten? Eigentlich ist doch beides für die meisten gleichermaßen fremd, getrennt durch Raum und Zeit.

Es ist eine untergegangene Welt, die die zwölf Musiker und später die vier Tänzer dort präsentieren. Der Bergbau im Erzgebirge hat noch früher als sein Harzer Cousin sein Leben ausgehaucht. Doch eine 500jährige Tradition, die eine ganze Landschaft und seine Bewohner geprägt hat, die hat offensichtlich ein gehöriges Maß Beharrungsvermögen.

Das beste an untergegangenen Traditionen ist aber die Tatsache, dass sie sich wunderbar als Projektionsfläche eignen. Denn wenn man sich durchs Programm blättert, stellt man fest, dass der größte der Werke entstand, als der erzgebirgische Bergbau sich im Endstadium befand oder eben danach.  Die Vergangenheit oder was man dafür hält, um eine Sinngemeinschaft zumindest für zwei Stunden zu simulieren. Nicht zuletzt deswegen erlebt Volksmusik und was man dafür hält in den letzten zwanzig Jahren eine permanente Renaissance.

Russische Hörner haben einen ganz
eigenen archaischen Klang
Doch Orchesterleiter Steffen Kindt macht in seinem Erläuterungen schon deutlich, dass das Leben im Erzgebirge und im Bergbau vor allem von harter Arbeit und von Armut geprägt war. So ehrlich ist das Erzgebirgsensemble immerhin. In der Not wurden Fertigkeiten geboren, die zur Tugend erkoren wurden und so die Zwangslage überdauerten. Im Erzgebirge war das Klöppeln und im Eichsfeld eben die Stracke.

Natürlich hat Kindt nicht vergessen, die Akustik und die Einmaligkeit des Aufführungsortes zu loben. Einschmeicheln nennt man das auf Hochdeutsch. Die abgestandenen Scherze über Ost- und Westdeutsche nimmt ihm keiner mehr übel.

Schnitt. Nach der Volksmusik kommt die Hochkultur oder was sich dafür hält die Bläser spielen die die Sonate Nr. 2 von Johannes Pezelius, einen handwerklich ordentlichen Stück Barockmusik. Zum Zusammenhang von Barock, Bläser und Weihnachten sollte man zurückblättern, hier dürfte der Zusammenhang ledíglich darin bestehen, dass Pezelius im Erzgebirge lebte und wirkte. Zum Abschluss gibt es dann noch einmal Barock mit Händel.

Es folgen zwei Mettenschichten, einmal die Kuttengrüne von Merkel und einmal die Mettenschicht im Schindlerschacht. Eine Mettenschicht war die letzte Schicht im Schacht und dem entsprechend ist die Musik getragen und wehmütig. Das Akkordeon jammert ein wenig und dreistimmige Gesang entfaltet seine hypnotische Wirkung. Doch erst die russischen Hörner versetzen das Publikum in andächtiges Lauschen. Es ist ein archaischer Klang, es sind Töne von ganz unten aus der Seele oder aus der Tiefe des Bergs. Mindestens genauso faszinierend wie der bereits erwähnte "Canto a Tenore". Die Weihnachtsstimmung ist perfekt.

Die Weihnachtsstimmung ist perfekt und wird doch gleich gestört. "Wenn es im Erzgebirge Dezember wird" kommt im Schunkelmodus daher und ist eindeutig ein Schlager. Ja, die Grenzen zwischen den Genres verwischen an diesem Abend, Barock, Volksmusik und Schlager gesellen sich zueinander, Hauptsache, es dient der guten Sache, der Herstellung von weihnachtlicher Stimmung. Vor der Pause wird es gleich noch einen Schlager geben zum Halb-Playback vom Band.

Manchmal sieht es im Kreuzgang aus wie unter Tage.
Es ist eben ein Konzert und keine ethnologische Fachtagung. Es ist nichts für Puristen, die bleiben besser auf Fachtagungen oder vor ihrem Plattenschrank hocken.

Volksmusik wurde immer von außen beeinflusst. Sie hat sich immer verändert und Tradition ist, was man draus macht.  Man denke nur an die zahlreichen Deformationen, die dieses Genre durch die Okkupation der Romantiker erfahren hat. Die huldvolle Innerlichkeit ist geblieben, nur musikalisch geht es jetzt eben zum Viervierteltakt, unterlegt mit einem satten Keyboardsound.

Aber immerhin sind dies nur kurze Intermezzi und mit zwei Zithersoli behauptet die Volksmusik wieder ihre Vormachtstellung an diesem Abend. Aber wie gesagt, es ist eine Volksmusik, die gewissermaßen auf dem Reißbrett entstanden ist. Einzige Volksweise an diesem Abend ist das "Heiligobndlied" in der Bearbeitung von Amalie von Elterlein. Dargebracht in Erzgebirgisch könnten die Sänger auch in einem sardischen Dialekt singen, man würde genauso viel verstehen. Ums Verstehen geht es auch gar nicht. Fühlen soll man und dazu braucht es keine Untertitel.

Es ist eben keine ethnologische Fachtagung und trotzdem stellt man sich die Frage: Wo fängt die Tradition? Ist sie zu mehr zu gebrauchen als für zwei Stunden Weihnachtsgefühl? Auf jeden Fall sitzen im ausverkauften Kreuzgang jede Menge Menschen, die ihre Antwort darauf gefunden haben. Denn man kann so viel Schurwolle tragen wie man will, zum Schäfer auf Sardinien mutiert man deswegen doch noch lange nicht. Da ist ein Ausflug zu den Cousins und Cousinen ins Erzgebirge ehrlicher.

Vor fünfhundert Jahren haben Bergleute aus dem Erzgebirge den Bergbau im Harz reanimiert und das Weltkulturerbe begründet. Nun haben sie ihre musikalische Visitenkarten hinterlassen. Auch wenn sie das Leder vor dem Arsch bei der Nacht getragen haben, so ist doch klar, dass dieses Leder nie wirklich unter Tage war. Aber das Steigerlied, das haben sie dann doch noch gespielt und die Herzen der Ehrenbergleute gerührt.



Das Erzgebirgsensemble - die offizielle Website 

Das Programm der Kreuzgangkonzerte
Die Kreuzgangkonzerte bei Facebook

Dienstag, 6. Dezember 2016

Freue dich, oh Zuhörerschaft

Ludwig Güttler und seine Blechbläser zelebrieren Weihnachten im Kloster Walkenried 

Vor 28 Jahren gab Ludwig Güttler zum ersten Mal seine Visitenkarten bei den Kreuzgangkonzerten ab. Seitdem gastierte der Ausnahmemusiker regelmäßig dort. Am Samstag stellten er und sein Blechbläserensemble nun endlich ihr Adventsprogramm vor. Am Ende des Konzertes gab es zwei Fragen. Warum hat es so lange gedauert bis Güttler mal im Advent vorbeischaute? Wann kommt er das nächste Mal wieder?

Schon mit den ersten Takt fluten die zwölf Musiker den Kreuzgang musikalisch. Kraftvolle Bläser verkündete das nahende Weihnachtsfest und das ist nach Auffassung von Ludwig Güttler vor allem ein Freudenfest. Was eignet sich am besten, um diese Freude in Töne umzusetzen. Natürlich der helle und optimistische Klang von Blechbläsern. Sie schallen und jauchzen und frohlocken. Freue dich, oh Zuhörerschaft, über diese Pauken und Trompeten.

Ludwig Güttler ist an diesem Abend der Primus
inter Pares.       Fotos: tok
Den Anfang macht an diesem Abend die Suite in C-Dur des selten gespielten Johann Heinrich Schmelzer. Wie eine Woge brandete das weitgehend unbekannte Werk über das Publikum hinweg. Es trug alle Trübsal mit sich fort und hinterließ seelisch gereinigte Zuhörer. Nach dieser Dusch konnte man sich ganz dem Genuss hingeben. Einfach Augen zu und zuhören, das war die heimliche Regieanweisung für dieses Konzert.

Noch etwa wird schon beim ersten Stück klar. Der Raum und die Bläser passen einfach zusammen. Die einmalige Akustik des Kreuzgang setzt den transparenten Klang des Ensembles auf optimale Weise um.

Es ist ein buntes Programm, dass Güttler hier zusammengestellt hat. Er hat bekannte und nicht so bekannte Komponisten zu einem Gesamtpaket zusammengeschnürt. Es finden sich Gegenwartswerke genauso darin wie Klassiker. Aber das Programm wird vor allem von Werken aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert dominiert, denn was paroasst besser zusammen als Barock und Lebensfreude.

Es sind keine Einzelstücke. In den sieben Partita hat Güttler Versatzstücke berühmter und weniger berühmter Komponisten zu neuen Werken zusammengefasst. Ein Bruch ist nicht zu hören, alle siegen klingen wie aus einem Guß. Der Herr Professor kennt seine Pappenheimer in- und auswendig und fügt zusammen, was zusammen gehört. Bekanntes erscheint im neuen Zusammenhang und Unbekanntes wird endlich mal erhört. Der Remix ist die Eigenleistung von Ludwig Güttler und damit macht er die Essenz, die Wahlverwandtschaften und die Gemeinsamkeit aller Stücke deutlich, die Vorfreude auf das Weihnachtsfest.

Die hier haben Bach abertausende Mal gespielt.
Ludwig Güttler und Johann Sebastian Bach, das ist seit Jahrzehnten ein Traumpaar in der Musikwelt. Aber selbst das barocke Denkmal ist an diesem Abend nicht sicher vor Dekonstruktion und Rekonstruktion. Güttler fasst ein Allegro aus dem 6. Brandenburgischen Konzert, einen Choral und eine Fuge aus Bachs Feder zusammen. Er schafft damit etwas, was dem Altmeister nicht gelang. Er kreiert aus Bachs Material ein eigenständiges Magnificat-Concerto, das vor der Pause den Höhepunkt des Konzertes bildet.

Im virtuosen Wechselspiel der Trompeten und Posaunen entstehen zwei, gar drei Melodielinien, die sich gemeinsam auf die Reise machen, sich umspielen, sich trennen und wieder zueinanderfinden. Man wünscht sich, dass dieser Moment nie enden möge. Sollte er es doch tun, dann möge doch bitte ein Replay-Knopf aufploppen, denn es gibt noch so viele Schätze zu entdecken im Dickicht der Töne. Da dies aber nicht passieren wird: Augen zu und genau diesen Moment genießen.

Als Dirigent ist Güttler an diesem Abend angenehm unauffällig. Sein Dirigat beschränkt sich auf wenige Vorgaben, auf das Nötigste. Fast schon blindes Vertrauen prägt das Zusammenspiel. Es ist eben ein eingespieltes Ensemble auf durchgehend hohem Niveau und einige Musiker wie Erich Markwart am Waldhorn oder Olaf Krumpfer arbeiten schon seit vielen Jahren mit Güttler zusammen.

Überhaupt ist Ludwig Güttler an diesem Abend mehr Bandleader als Solo-Star und sein Spiel gleicht dem eines Primus inter pares. Das Programm stellt den Musikwissenschaftler in den Vordergrund, nicht den Instrumentalisten.

Markwart und Krumpfer spielen schon lange mit
Ludwig Güttler zusammen.   Alle Fotos: tok 
Vor 28 Jahren gab Ludwig Güttler zum ersten Mal seine Visitenkarten bei den Kreuzgangkonzerten ab. Seitdem hat er regelmäßig dort gastiert. Also kennt man sich gegenseitig doch sehr gut und also kann der Bandleader auch mal mit seinen Fans scherzen. So zieht sich die Frage nach der richtigen Stelle durch den ganzen Abend und wird zum running gag. Aber Güttler gibt auch einen Einblick in seine musikalischen Überlegungen und als er vom Schicksal von Adolf Busch erzählt, merkt man ihm schon an, dass ihm etwas liegt am Werk des Flüchtling und Exilanten.

Vor 28 Jahren gab Ludwig Güttler zum ersten Mal seine Visitenkarten in Walkenried ab und seit damals hat er diese klanglichen Besonderheiten des Aufführungsortes genau kennengelernt. Er weiß ihn zu nutzen und somit erklingt die Partita über “Kommet ihr Hirten” mit einem verteilten Ensemble aus vier Ecken im Wechselspiel und im Widerhall. Dem Publikum erschließt sich so ein neuer Raum. Es ist, als ob sich mit dem Echo eine vierte Dimension öffnet, die Zeitebene mit einbezogen wird ins musikalische Kalkül.

Zum Schluss des begeisternden Konzertes lässt das Publikum das Ensemble erst nach fünf Zugaben von der Bühne. Dabei überraschen die Bläser, denn sie überzeugen mit zwei Gesangseinlagen auch als Chorknaben.



Das Programm der Kreuzgangkonzerte
Die Kreuzgangkonzerte bei Facebook

Die Bildergalerie bei Facebook

Ludwig Güttler - die offizielle Website
Ludwig Güttler - der wikipedia-Eintrag

Sonntag, 13. November 2016

Terror ist kein Theater

Versuch über einen Erfolg

Seit einem Jahr spricht Deutschland über „Terror“. Am Samstag gastierte das Ensemble des Euro-Studio Landgraf mit dem Stück in Osterode. 800 Zuschauer in der Stadthalle mussten als Schöffen herhalten und ein Urteil fällen über Major Lars Koch. Am Ende der Verhandlung stand ein klares Votum. Nicht zuletzt die Ausstrahlung des gleichnamigen Fernsehfilms hatte für das große Interesse gesorgt. Wie anderswo in der Republik war auch diese Vorstellung ausverkauft. Aber worin in der Erfolg begründet? Am Stück kann es nicht liegen. Terror ist kein Theater.

Ob nun Bühne oder Wohnzimmer. Mit „Terror“ ist Bestsellerautor Ferdinand von Schirach eine Anstiftung zum Diskurs gelungen, die auch in Osterode zündete. Die wichtigsten Auseinandersetzungen fanden nicht auf der Bühne sondern während der „Verhandlungspause“ im Foyer statt.

Willkommen in der Realität der Justiz.
Alle diskutierten, ob Major Koch schuldig ist. Das Theaterstück simuliert eine Verhandlung vor einem Amtsgericht und ist damit eigentlich ein sperriger Stoff. Regisseur Thomas Goritzki legt eine Inszenierung vor, die die Ansprüche der Justiz und die Anforderungen des Theaters weitestgehend in Einklang bringt, so weit es bei diesem sperrigen Stück überhaupt geht.

Angeklagt ist Lars Koch des 164-fachen Mordes. Am 26. Mai 2013 erhält der Pilot eines Kampfjets den Befehl, einen von Terroristen gekaperten Airbus vom Kurs abzudrängen. Die Terroristen wollen das Flugzeug in die ausverkaufte Münchner AllianzArena stürzen lassen. Dort fiebern 70 000 Zuschauer dem Länderspiel Deutschland-England entgegen. Der Versuch, das Flugzeug abzudrängen, scheitert. Es bleiben nur noch wenige Minuten, bis das Flugzeug im Stadion einschlägt.

Lars Koch entscheidet sich eigenmächtig und gegen den Befehl seiner Vorgesetzten, das Passagierflugzeug abzuschießen. Alle 164 Airbus-Insassen sterben. Ist Koch schuldig, weil er 164 Menschen zum Objekt gemacht hat und damit deren Rechte und Menschenwürde verletzte? Um diese Frage dreht sich das Stück.

Dem Stück liegt eine Auseinandersetzung zugrunde, die die Philosophie seit mehr als zwei Jahren spaltet. Prinzipientreue gegen Abwägung, Kant gegen Bentham. Nach dem Terror der RAF und der Entführung der Landshut im Oktober 1977 geisterte solch ein Gedankenspiel schon einmal durch die juristischen Proseminare an deutschen Universitäten.

Der Verdienst von Autor Ferdinand von Schirach liegt darin, die Fragen nach der Begründung staatlichen Handelns auf die Bühnen und in die Fernseher der Republik gebracht zu haben. Die Ereignisse rund um das Länderspiel Frankreich – Deutschland am 13. November 2015 haben seinen Überlegungen ungewollte Brisanz verliehen.

Verteidiger können schlechte Selbstdarsteller sein.
Terror ist kein Theaterstück, es ist ein Versuch, eine Gerichtsverhandlung auf die Bühne zu bringen. Selbst die Rituale der Juristen werden simuliert, inklusive Geplänkel zwischen Verteidiger, Vorsitzenden und Staatsanwältin.  Es werden lange, sehr lange Monologe. Alles kommt auf den Tisch, jedes  Argument wird ausgereizt und bis ins letzte Detail ausgeführt. Das ist die Logik einer Gerichtsverhandlung. Aber nicht die Logik des Theaters. Das lebt eben manchmal von dem , was nicht gesagt wird, was angedeutet wird, was sich das Publikum dazu denken kann. Hier nichts davon.

Terror ist der fast völlige Verzicht auf die Mittel des Theaters. Als Film funktioniert das Stück, der Film kann schneiden, er kann nah heranfahren, gegenschneiden. Im Theater nichts davon, es sind zweieinhalb Stunden in der Totalen. Dem Publikum ist das egal, es ist nicht gekommen, um an einen ästhetischen Diskurs teilzunehmen.

Terror simuliert nur den juristischen Apparat. Es  gibt es auch inhaltliche Schwäche, das beginnt mit dem Verhandlungsort. Auch die Fragestellung ist falsch. Es kann keinen Freispruch für Lars Koch geben. Er hat gestanden, schuldig zu sein. Aber dem Publikum ist auch das egal. Die Zahl der juristisch Halbgebildeten ist überschaubar.

Das Bühnenbild zeigt den kargen Verhandlungssaal eines x-beliebigen Gerichts. Es versinkt im kontrastlosen Nebeneinander von blaugrau und beige. Mit dieser Ausstattung versetzt Heiko Mönnich das Publikum schlagartig in die nüchterne Atmosphäre deutscher Rechtsprechung. Die Kostüme verstärken den Realitätsschock. Es gibt auch keine Spielereien mit Licht. Zweieinhalb Stunden lang flutet das Neonlicht die Bühne.

Nur das Grundgesetz in der knallroten Version der Beck‘schen Textausgaben wird die Eintönigkeit durchbrechen. Wie ein Monolith wird es später auf dem Tisch an der Rampe aufgebaut. Schließlich ist es auch der heimliche Star des Abend und immerhin kann man darauf auch stolz, behauptet zumindest Jean Ziegler. Der muss es wissen, der kennt genug andere Staaten.


Schon furchtbar, so viele Zivilisten.
Die Diskussion um den Wert von Menschenleben und von Prinzipien, über Prinzipientreue und Ausnahmen beginnt als Scharmützel zwischen dem Vorsitzenden Richter und dem Strafverteidiger. Ganz im Sinne seiner Rolle gelingt es Johannes Brandrup, dieser Aufführung den Stempel aufzudrücken. Leider gleitet sein bestimmender Ton oftmals auch in die genervte Stimmlage ab.

Vor allem die Auseinandersetzung mit dem Augenzeugen Lauterbach wird zum Geplänkel zwischen einem Juristen, der Herr des Verfahrens bleiben möchte, und einem Militär, der mit seiner Geringschätzung den Zivilisten gegenüber, nicht hinterm Berg hält. Der Angeklagte Christian Meyer in der Rolle des Angeklagten mimte den Überzeugungstäter mit stoischer Ruhe.

Nur einmal fällt er aus seiner Rolle. Als die Staatsanwältin ihn fragt, ob er das Flugzeug auch dann abgeschossen hätte, wenn seine Frau und sein Sohn an Bord gewesen wären. Sein Zögern und seine Sprachlosigkeit lassen den Menschen in Uniform erkennen.

Doch den menschlichsten Auftritt hat an diesem Abend Tina Rottensteiner. Sie spielt die Nebenklägerin, deren Mann beim Abschuss getötet wurde. Von ihm ist ihr nicht mehr geblieben als sein linker Schuh und eine SMS auf dem Handy, das die Polizei immer noch beschlagnahmt hält. Das einzige Erinnerungsstück an ihren verlorenen Gatten schlummert in der Asservatenkammer des Apparats.

Ihre Fassungslosigkeit angesichts des unbegreiflichen Geschehens sorgt für die ganz stillen Momente in der ausverkauften Stadthalle. Tränen sind an dieser Stelle erlaubt.Hier trifft der einzige Mensche an diesem Abend auf die Argumentationsmaschinen. Mensch verliert gegen Maschine.

Gemäß der Strafprozessordnung schickt der Vorsitzende Richter die Schöffen auf Zeit in die Beratung. Im Foyer und vor der Stadthalle wird lebhaft gesprochen über Flieger, Terrorabwehr, Menschenwürde, Prinzipien, Kant, Menschenverstand und Wahrscheinlichkeit. Im Hammelsprung-Verfahren kehrt das Publikum zurück in den Saal. 157 Besucher haben sich für die Tür mit der Überschrift „Schuldig“ entschieden, 392 haben die „Unschuldig“-Pforte genommen. Also haben sich 300 Zuschauer die Freiheit gegönnt, sich kein Urteil über Lars Koch zu bilden.


Das Landgraf-Ensemble mit dem Stück


Die Aufführung am DT Göttingen mit der Erklärung




Mittwoch, 9. November 2016

Keine falsche Scham

Theater für Niedersachsen begeister mit Puppenmusical

Sollten Waldorf und Statler eines Tages ein Musical schreiben, dann wird es  genau so aussehen und klingen. Am Sonntag zeigte das Theater für Niedersachsen (TfN) "Avenue Q" in der Stadthalle in Clausthal-Zellerfeld. Die Inszenierung von Intendant Jörg Gade untermauerte den Ruf des TfN als experimentierfreudiges Ensemble, das es versteht, anspruchsvolle Unterhaltung zu liefern.

Waldorf und Statler? Ach ja, die Logenbesetzer aus der Muppets-Show. Auch wenn die Puppen die Hauptrolle spielen, dieses Musical  ist alles andere als jugendfrei. Denn es um die Themen, die die Erwachsenen so bewegen: Sex, Geld, Beruf, Freundschaft, Einsamkeit, der Sinn des Lebens und Sex.

Brian (Alexander Prosek) und Kate Monster finden
es zu Kot....
  Foto: tok
Nach dem Examen ist Princeton arbeitslos. Auf der Suche nach einer Wohnung landet er in der Avenue Q. In deren billigen Absteigen leben Menschen und Puppen zusammen und jagen ihren Träumen nach. Hier tun sich ein wahres Panoptikum durch die Es sind die Gestrandeten wie Brian, der pointenfreie Komiker, oder Daniel Küblböck, der vergessene C-Promi, die in dieser Straße wohnen. Dann gibt es noch Chrismas Eve, die japanische Psychologin, die in einem China-Restaurant kellnern muss, Terry Monster, den Porno-Produzenten oder Rod, den Investmentbanker, der mit seinem Coming-Out hadert.

Mit "Avenue Q" landeten Robert Lopez, Jeff Whitty und Jeff Marx 2003 einen Überraschungserfolg. Das Musical schaffte den Sprung vom Off-Broadway an die Hauptstraße, heimste eine Reihe von Preisen und Auszeichnungen ein und wird am Off-Broadway immer noch gespielt. "Avenue Q" ist ein offener und schonungsloser Blick an die Ränder der Gesellschaft. Es geht um den amerikanische Traum vom permanenten Wohlstand und von Aufstieg. Der Traum ist zwar nicht tot aber doch schwer vergrippt. Und es geht um die Beziehungsneurosen von Großstädtern.

Alles ist verpackt in eine musikalische Mischung aus klassischen Broadway-Swing, Blues und Rockballaden. Gerade der Kontrast zwischen den überbordenden Bläser-Arrangements und der ausgefeilten Choreographie auf der sonnigen Seite und dem Ernst der Lage macht die trostlose Situation der Avenue-Bewohner deutlich. Dazu steht auch das Puppenhaus-Ambiente des Bühnenbildes von Hannes Neumaier  im belebenden Widerspruch zum Text.

Sandra Pangl und Tim Müller haben ihre Figuren
gut im Griff. 
Dabei geht es von Anfang derb und zielsicher zur Sache. In "Es ist zum Kotzen" swingen sich Brian und Kate Monster gegenseitig ihre Sorgen und Nöte zu und das ist erst der Auftakt.

Das Miteinander von Menschen und Puppen funktioniert wunderbar. Man könnte fast die strapazierte Redewendung "auf Augenhöhe" überdehnen. Besonders Sandra Pangl als Puppenführer der Kate Monster hebt die Statik des Genres auf. Sie scheint eins zu werden mit ihrer Figur.

Mit der Auswahl von "Avenue Q" ist Jörg Gade ein Glücksgriff gelungen. Es ist ein Musical, das sich ohne falsche Scham de Nöte und Hoffnungen von echten Mitmenschen und Mitpuppen auf die Bühne bringt. Mit Muppets Show hat es wenig zu tun. Mit der Inszenierung hat Jörg Gade wieder einmal den Ruf des TfN als experimentierfreudige Bühne bestätigt.



Das Stück in der Selbstdarstellung
Der Spielplan im TfN

Die Auszeichnungen für Avenue Q


Montag, 31. Oktober 2016

Auf Wallfahrt nach Hiva Oa

Jens Rosteck berichtete über die letzten Lebensjahre von Jacques Brel
Keine Lesung sondern ein Performance sollte es sein. Am Freitag war der Literaturherbst Göttingen zu Gast im Esel in Sülbeck. Mit Klavier, Boxen und Beamer trug dort Jens Rosteck aus seinem Werk "Brel - Der Mann der eine Insel war" vor. Das Buch beschäftigt sich mit dem Aussteigerdasein des Sängers und Komponisten und seinen letzten Lebensjahren auf Hiva Oa. Aus dem nüchternen Bericht wurde eine Wallfahrt in die Südsee.
Der Vortrag beginnt mit Musik. Jens Rosteck spielt am Flügel ein Walzer, den er erst erklären muss. Denn ein Walzer muss nicht immer im Dreivierteltakt sein, behauptete einst Jacques Brel. Der Mann musste es wissen, immerhin zählt er zu den wichtigsten Vertretern des Chansons im 20. Jahrhundert. Rosteck erzählt vom ungewöhnlichen Verhältnis des Chansonnier zu der Gattung Walzer. Damit war der Einstieg geschafft.
Zur Bestätigung spielt der Referent "La valse á mille temps" ein. Aus einer weichen Streicherbasis heraus steigert sich Jacques Brel bis in die Ekstase. Das ist das bekannte Bild, das kennt jeder, der den Namen Brel schon einmal gehört hat. Dazu wirft der Beamer im schnellen Wechsel Bilder von Brel auf die Leinwand. Es sind Fotos aus Jugendzeiten, aus den Zeiten der grandiosen Erfolge, Zeichnungen, Lithographien, eben alles, was der Devotionalienhandel so hergibt. Ein System oder Zusammenhang zum Gesang ist nicht zu erkennen.
Das verinnerlichte Spiel des Pianisten bildet einen
Kontrast zur stürmischen Vorlage.     Fotos: tok
Dann erinnert Rosteck an den schleppenden Erfolg des Außenseiters in Paris. Erst nachdem der Zuwanderer aus Belgien seine asketische Attitüde abgelegt hat, lag Paris ihm zu Füßen. Die Theatralik, die bedingungslose Verausgabung, das war die Bestimmung von Jacques Brel. Damit wurde er in kürzester Zeit zum König des Chansons. Ein Orkan, eine musikalische Urgewalt. So weit das bekannte Bild.
Rosteck berichtet von Brels Jugend in Brüssel, von der kleinbürgerlichen Familie aus dem katholische Milieu. Dazu reiht er Foto an Foto, eine wahre Bilderflut ergießt sich. Rosteck berichtet von dem Protestler Brel, der auf subtile Weise kritisiert, aber nie Partei ergreift. Das überlässt er seinen Publikum. Dann kommt der Mai 1967 und das legendäre Abschiedskonzert im Olympique. Danach wird Brel noch einige Alben veröffentlichen, aber nie wieder auf einer Bühne stehen,
Brels Gehversuche im Filmgeschäft sind eher Stolpereien, die ihn fast in den Ruin treiben. Auf der Leinwand bleibt der Sänger ein Fremdkörper. Doch dann entdeckt er das Segeln und wohl das, was manche die wahre Bestimmung nennen. Hier kippt die Stimme des Referenten ins Schwärmerische, in die Verklärung.
1975 landet Brel mit seiner letzten Lebensgefährtin auf der polynesischen Insel Hiva Oa. Hier läßt er sich nieder, obwohl das unwirtliche Eiland seiner Gesundheit nun gänzlich abträglich ist. Auch Paul Gauguin verbrachte hier seine letzten zwei Lebensjahre, bevor ihn die Syphilis dahin raffte.
Ach ja, Paul Gauguin. Brel schwärmte wohl für den Aussteiger und Rosteck tut es auch. 1978 wird der Sänger neben dem Maler begraben werden. Ach ja, Paul Gauguin. Hier liegt eben ein Konstruktionsfehler. Bei aller Schwärmerei für das Aussteigerdasein vergisst Rosteck, dass Gauguin trotz Erkrankung immer noch das praktizierte, was er für die freie Liebe der Eingeborenen hielt. Der Zuwanderer wurde so zum Todesengel.
Taugt Jacques Brel als Übervater?
In ähnlichen Weichtönen zeichnet Rosteck das Leben von Brel und seiner Mathild auf Hiva Oa, karitativ und wundertätig. Distanz und Differenzierung sucht man vergebens. Auch keine Erklärungsversuche. Dass Brel seine Frau und die drei Töchter zurückließ, deutet er nur an. Dass der Sänger für seine Familie kein angenehmer Mitmensch war, dass das Verhältnis schwer belastet war, verschweigt er. Hier war ein Künstler, der in seiner Berufung auf andere keine Rücksicht nehmen konnte, geschenkt.
Manche Sportjournalisten sind Fans, die es aus unerfindlichen Gründen auf die andere Seite geschafft haben, sagte mal Thomas Kistner. Für Musikerbiografen gilt wohl ähnliches. Im Publikum ist die Generation "Irgendwo zwischen 50 und 60" deutlich in der Überzahl. Es ist die Generation, die vor 35 Jahren so viel vom Aussteigen geredet und geräumt hat und sich dann doch nicht getraut hat. Nun kommt jemand daher und singt wieder das hohe Lied des Aussteigen. Jugenderinnerungen werden wach, dafür ist man dankbar. Darin liegt der Zauber: Jacques Brel erfüllt eine Ersatzfunktion. "Mögen , aber dürfen haben wir uns nicht getraut", wusste schon Karl Valentin. An diesem Abend ist diese Weisheit  2 Stunden lang außer Kraft gesetzt.






Brel - Der Mann der eine Insel war: Die Buchrezension beim PerlentaucherDas Buch in der SelbstdarstellungDirk Schäfer und Jacques Brel: Konzert bei den Domfestspielen 2014Dirk Schäfer zum Zweiten: Konzert bei den Domfestspielen 2015 Karsten Zinser und sein Brel-Programm im JT Göttingen 2014

Dienstag, 25. Oktober 2016

Abschied mit Premiere

Abegg Trio verabschiedet sich mit Beethoven


Man soll gehen, wenn's am schönsten ist. Auf ihrer Abschiedstournee schaute das Abegg Trio noch einmal in Walkenried vorbei. Dabei zeigte es, warum es auch nach vierzig Jahren immer noch zu den Spitzenensembles in Sachen Kammermusik gehört.

Seit 1976 musizieren Ulrich Beetz, Birgit Erichson und Gerrit Zitterbart zusammen. 1976? Damals zog David Bowie  gerade nach Berlin und die Puhdys kündigten ihre erste Abschiedstournee an. Die Schmuserocker sind immer noch unterwegs in Sachen Aufhören und wie die Sache mit David Bowie ausgegangen ist, dürfte bekannt sein.

Der Kapitelsaal ist  ein geschlossenes  
Die erste Premiere zum Abschied war der Spielort. Zum ersten Mal wurde es an diesem Abend die Kammermusik nicht im Kreuzgang sondern im Kapitelsaal dargereicht. Die Verlegung hat sich ausgezahlt. Der Kapitelsaal bietet eine intime Atmosphäre, die zurückführt zu den Anfängen der Kammermusik als musikalisches Ereignis für einen begrenzten, abgeschlossen und sogar familiären Kreis. Das ist der Charakter dieser Gattung: konzentriert und vertieft.

Somit ist die Bezeichnung Konzert sogar irreführend. Es war eine Soiree unter dem Titel "Beethoven um sechs". So blieb das Abegg-Trio seinem Anspruch, einer authentischen Aufführungspraxis mit passenden Umfeld bis zuletzt treu.

Die zweite Premiere war im Programm versteckt. Dort waren drei Klaviertrios von Beethoven versammelt. Von Opus 1.1 bis Opus 1.3 sind es die ersten Werke, die Beethoven als Neuankömmling in Wien veröffentlicht hat. Sie sollten wegweisend werden.

Wer das Schlagwort von Mozarts Geist weitergereicht mit Haydens Händen strapaziert, der führt ein wenig in die Irre. Bei Beethoven stellt sich immer die Frage: "Wer er noch Spätklassiker oder schon Frühromantiker?" Nach diesem Abend ist die Antwort ein entschiedenes Jein. Die herausgehobene Stellung des Instrumentalisten, die Auflösung des Tutti, die Individualität jedes einzelnen Tones und die verschleppten Übergang und die abrupten Wendungen. Schon in diesem Werken aus den Jahren 1793 bis 94 erahnt man, was später einmal die Gattung Romantik ausmachen wird, auch wenn das Klangbild der Klassik verhaftet.

Das Hammerklavier zeigt deutlich Reminiszenzen an das Cembalo. Gerrit Zitterbart zaubert aus dem Holzkonstrukt einen warmen, leicht näselnden Klang. Dann geht er ganz zurück an die Anfänge der Karriere des Instrumentes, das das folgende Jahrhundert dominieren wird. Im Klaviertrio Es-Dur ist der Hammerflügel  das tonangebenden Instrument, auch wenn es immer wieder den Dialog mit den Streichern, vornehmlich  mit der Violine sucht.

Das intuitive Miteinander zeichnet das Abegg Trio
schon immer aus.
Hier liegt die Stärke des Abegg-Trios seit seinen Anfangstagen: das intuitive Verständnis von drei starken Instrumentalisten. Durch alle drei Stücke der Soiree hindurch ist es dieser Dialog, dieser nahtlose Wechsel der Solisten, der für Erstaunen sorgt.

Es ist nicht nur das freie Spiel der Soli, es ist auch die gleichbleibende Stärke in allen doch sehr unterschiedlichen Sätzen. Wenn man arglistig wäre, dann könnte man meinen, dass der 23-jährige Beethoven mit diesem Kompositionen im jugendlichen Überschwang zeigen wollte, was er am Tempiwechsel für möglich und nötig hält.

Dennoch zeigt sich besonders im Adagio cantabile die Dominanz des Tasteninstrument gegenüber den Streicher. Dankenswerterweise verzichtet Zitterbart aber darauf, die Vorherrschaft deutlich auszuspielen. So bleibt für Ulrich Beetz noch genug Raum, seine Violine zur Geltung zu bringen.

Im Finale des ersten Stück kann das Publikum den gereiften Beethoven schon erahnen. Das Presto ist Surm und Drang in Tönen. Es kommt mit einer Wucht daher, die die späteren Sinfonien auszeichnet und es bedarf schon der Klasse eines Abegg Trios, eben jene Dynamik verlustfrei mit nur drei Instrumenten auf die Bühne zu bringen.

Das Abegg Trio tritt von der Bühne ab.
Komplett anders klingt dann das Largo aus dem Trio G-Dur op 1.2. Nicht umsonst trägt es den Zusatz "con espressione", denn im Vorgriff auf die Romantik steht hier der Ausdruck, die Vermittlung von Gefühl im Vordergrund. Beetz, Erichson und Zitterbart liegt dies deutlich.

Der nächste Kontrapunkt ist das Menuetto quasi allegro im c-Moll Trio. Hier blickt Beethoven noch einmal zurück in die Musikgeschichte. Jeder einzelne Ton scheint zu hüpfen, der Urgewalt der Presti hat Beethoven die Leichtigkeit eines sommerlichen Tanzes gegenübergestellt. Bei aller Routine hat auch das Abegg Trio an dieser Unbeschwertheit und Luftigkeit seine Freude, die sich auf das Publikum überträgt. Die verkürzte Distanz zwischen Zuhörer und Künstler im Kapitelsaal tut ihr übriges dazu.

Der Klassiker Antonio Salieri soll ja mal die steile These aufgestellt haben, dass der Mensch nur eine begrenzte Zahl an Tönen aufnehmen kann. Der Frühromantiker Beethoven wollte mit diesen drei Werken wohl deren Anzahl ausloten. Das Abegg Trio hat im Kloster Walkenried auf jeden Fall jeden einzelnen davon zelebriert.

Ja, man sollte aufhören wenn's am schönsten ist. Geleistet hat das Abegg Trio Überragendes. Aber wie gesagt, die Abschiedstournee der Puhdys dauert ja immer noch an. Vielleicht nehmen sich Beetz, Erichson und Zitterbart ja auch daran ein Beispiel.



Die Website des Abegg Trio
Das Abegg Trio bei wikipedia

Die Kreuzgangkonzerte im Kloster Walkenried


Dienstag, 30. August 2016

Die höchsten Weihen erfahren

Das anschließende Interview vorweg


Götz Alsmann und Band begeistern mit Broadway-Melodien

Selten hat jemand so schön gelogen. Am Anfang des Abends versprach der Künstler, dass es das wärmste Konzert des Jahres werden würde. Glatt gelogen und untertrieben. Ein Abend mit Götz Alsmann und Band ist nicht einfach nur ein Konzert. Es ist eine Show. Eine Show der Extraklasse, ein bisschen retro und für alle Sinne. Auf jeden Fall kann im dreistündigen Programm keine Langeweile auf.

Im aktuellen Programm “Am Broadway” hat Götz Alsmann 18 Perlen aus der goldenen Ära des Musicals versammelt. Er hat sie aufgebockt, hat sie getunt und er hat ihnen mit deutschen Texten ein neues Chassis verpasst. Auf jeden Fall läuft der Unterhaltungsmotor und die Tour schon seit 2 Jahren reibungslos. Mit dem Echo-prämierte Programm “In Paris” hatte Alsmann sich vor fünf Jahren mal den Chansons zur Brust genommen. Im nächsten Jahr soll dann “In Rom” folgen.

Götz Alsmann war mit seinen Jungs im Kloster. 
Alle Fotos: tok
Alsmann hat kein Genre wiederbelebt oder neu entdeckt. Er nimmt das Publikum mit zurück in eine Zeit, dass Musiker noch “Handelsgold Fehlfarben” schmöckten und “Racke Rauchzart” tranken. Aber er hat die Songs eben doch getunt nd ihnen vor allem ein lateinamerikanisches Gewand übergezogen.

Der Meister und die Band machen es spannend. Der Vorspann des Titelsongs läuft mehrfach, bevor das Quintett die Bühne betritt. Doch genug der Vorrede, sofort swingt es ordentlich und Alsmann und Altfrid Sicking am Vibraphon werfen sich die Noten und Phrasen zu. Sicking und Alsmann, diese Kombination wird den Abend bestimmen.

Dann hat das Publikum Zeit zum Verschnaufen, denn Götz Alsmann erzählt die Entstehungsgeschichte dieses Projekts. Er ist mit Engagement und man soll ihm anmerken, dass ihm dieses Programm eine Herzensangelegenheit ist. Später wird mit einer ordentlichen Portion Selbstironie erzählen, dass die Grundlagen einst an einem Spätsommernachmittag in Jahre 1965 bei einer Modenschau in der Münsterland-Halle gelegt wurden.

Alsmann erzählt von den Aufnahmen in Manhattan, im legendären Sear Sound Studio. Er erzählt von dem vermeintlichen New-York-Experten im Verwandtenkreis und ihren vielfältigen Tipps. Er erzählt von Pannen in der Planungen und er tut dies alles mit Wortungetümen und mit eigenen Worterfindungen, die aber sofort eingängig sind.

Altfrid Sicking spielt Trompete zum
Vibraphon.
Götz Alsmann beherrscht nicht nur die Musik sondern auch die Sprache und seine Stimme. Er ist laut und hektisch und im nächsten Moment verschwörerisch leise. Aus dem Konzert wird eine Lesung ohne Literaturvorlage.Spätestens hier taucht die Frage auf, ob Alsmann Musiker ist oder Entertainer oder schon ein Gesamtkunstwerk.

Schnell wird klar, dass Alsmann hier eine exzellente Show  aus der guten alten Zeit abliefert und niemand würde sich wundern, käme er eine Show-Treppe hinunter. Es fehlen zwar die Tänzerinnen, aber immer die Garderobe der fünf Männer auf der Bühne passt haargenau in das Gesamtbild. Rosa Sakkos mit schwarzem Samtkragen, so etwas wird heutzutage nur noch während des Christopher Street Day getragen.

Immer wieder trägt Götz Alsmann Geschichten zu den Songs vor. Er erklärt ihre Entstehung und er trägt Anekdoten aus den New Yorker Tagen vor. Er bemüht Klischees und Steroetypen, aber er tut es immer wieder mit einem überdeutlichem Augenzwinkern. Hinter dem Doktor der Musikwissenschaften steckt immer noch der kleine Junge, der an jenem Spätsommernachmittag im Jahr 1965 in der Münsterland-Halle auf Big Bob Bingo traf. Er strotzt vor Selbstironie und man verzeiht ihm auch Sprüche über wohlbehütete Bürgertochter aus dem Sauerland.

Ob die Geschichten wahr sind oder nicht, das ist egal. Sie könnten wahr und sie passen einfach in das Gesamtbild.

Aber dann gewinnt die Musik doch wieder die Oberhand. Alsmann hat die Klassiker meist in ein lateinamerikanisches Gewand gesteckt und das passt. So macht er aus Nat King Cole Ballade “Nature Boy” eine Rumba. Es folgen noch zahlreiche Verwandlungen und bei Blue Moon muss man zweimal hinhören, um den Rodgers-Song zu erkennen. Aber alle zeigen “So hätte es auch klingen und es wäre trotzdem gut gewesen. Was überzeugt ist nicht die Stiltreue sondern die Vielfalt, die das Wesen der Musik deutlich: Gute Unterhaltung auf höchstem Niveau.

Als Zugabe gibt es Cowbos-Songs zum Banjo.
So kann Götz Alsmann auch mal das Wesen des europäischen Theater seit der Antike lebensnah darstellenoder sich von Perkussionist Markus Paßlick den Plot für das kommende Alsmann-Musical erklären lassen. So viel sei schon mal verraten: Das Kloster Walkenried wird bei Sister-zienser Act eine wichtige Rolle spielen.

Aber die Musiker sind auch Fans der eigenen Sache. Götz Alsmann und seine Band spielen, reden und albern sich immer mehr in einen Rausch. Je länger der Abend dauert, desto höher steigen die Raketen im Gag-Feuerwerk. Alsmann macht keine Witze auf Kosten anderer sondern er macht vor allem witzig über sich selbst,  über die gemeinsame Vergangenheit und über den Glauben an die guten alten Zeiten.

Doch irgendwann ist auch die Abend zu Ende. Doch in den Stunden bis dahin gibt es jede Menge Musik, die swingt, mambot, merenguet und vor allem begeistert.


Das anschließende Interview hinterher


Das Programm im Kloster Walkenried

Die offizielle Alsmann-Website