Thomas Klenk eröffnet mit Goldonis Sommerfrische die Domfestspiele
Nach viel Vorprogramm ist das Schauspielprogramm der 56. Gandersheimer Domfestspiele eröffnet. Thomas Klenk zauberte am Donnerstag mit "Die Sommerfrische" von Carlo Goldoni eine Neubearbeitung auf die Bühne vor der Stiftskirche, die keine Wünsche offen ließ. Es war der Abend von Gunter Heun, der in der Rolle des Leonardos ganz großes Theater bot.
Alles will nach San Remo, zumindest diejenigen Mailänder, die zur High Society gehören wollen. Solche Leute wie Leonardo und seine Schwester Vittoria, der alternde Filippo und seine Tochter Giacinta andererseits. Beide Familien eint die Tatsache, dass sie sich den kostspieligen Aufenthalt in der Sommerfrische gar nicht leisten können. Sie sind allesamt pleite.
|
Da hat sich eine feine Reisegesellschaft zusammen- gefunden. Alle Fotos: Hillebrecht |
Dennoch werden sie nach langen Hin und Her, nach "rin in die Kartoffeln und raus aus den Kartoffeln" die Reise antreten, mit den beiden Herren Ferdinando und Gugliemo im Gepäck. Man reist, weil es gilt, das Gesicht in der geltungssüchtigen Gesellschaft zu wahren und man begibt sich auf die Reise, weil der Pate Fulgenzio ein berechtigtes Interesse daran hat, dass Leonardo Giacinta ehelicht. Das Konstrukt hat nur einen Webfehler: Gugliemo will das Herz der Giacinta erobern.
Die Komödie "Die Sommerfrische" gehört zur "La trilogia della villeggiatura" des venezianischen Dichters, Dramatikers und Librettisten Carlo Goldoni. Für die Aufführung bei den Domfestspielen haben Ulrich Cyran und Thomas Klenk eine Neuübersetzung (
mehr dazu hier) erstellt. Ihnen ist es gelungen, den Text aus dem Jahre 1761 in die Postmodern zu transponieren, ohne ihn zu verstümmeln oder zeitgeistig zu überladen. Textelemente des 18. Jahrhunderts stehen gleichberechtigt neben Passagen, die eindeutig im 21. Jahrhundert zu Hause sind. Von dieser Spannung in harmonie lebt die Aufführung in Bad Gandersheim auch, denn es ist sicherlich kein Historienspiel, dass Thomas Klenk und Florian Götz hier inszeniert haben. Die Bezüge in die Jetztzeit sind offensichtlich, denn das Stück dreht sich um die Eitelkeit in ihren vielen Formen, auch der Liebe, und um die Geltungssucht und um die Erwartungen der anderen, die erfüllt werden. Das sind zeitlose Themen und sie sind in den Zeiten der sozialen Kontrolle durch die digitalen Netzwerke aktueller denn je. Die Musik von Jens Mahlstedt ist ein wichtiger Baustein im Gesamtwerk, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.
Das Leben auf dem Laufsteg
Die Bühne ist spärlich ausgestattet. Ein paar Gepäckkulis, wie man sie aus Hotels kennt, stehen herum, behängt mit Kleidersäcken. Die Koffer sind gepackt, hier ist jemand auf dem Sprung. Mehr braucht es nicht, um die Ausgangssituation zu visualisieren. Dominierendes Element im Konzept von Sandra Becker ist der schwarz-weiße Laufsteg von der Stiftskirche in Richtung Publikum. Hier werden bald die Akteur lang stolzieren und ihre Geschichtchen erzählen. Sie führen ein Leben auf dem Präsentierteller und sie führen ein Leben immer hart am Rand. Die Parallelen zum Leben der Models ist augenfällig und Vittoria und Giacinta sind eindeutig Fashion Victims.
|
Der Laufsteg ist ein Präsentierteller. |
Der Einzug der Gladiatoren erfolgt von ganz oben durch die Zuschauerreihen. Immer wieder wird ein Teil der Handlung auf die Tribüne verlegt. Denn das Publikum gehört dazu, es gehört dazu, die Probleme von Leonardo, Filippo, Giacinta und Vittoria sind auch die Problem der Zuschauer. Klenk und sein Ensemble machen die Kontinuitäten vom 18. zum 21. Jahrhundert
unübersehbar, denn die Zeiten ändern sich, aber das Geld und die Sorge um das Geld, die bleiben.
Auf der Bühne angekommen, rappt das Ensemble erst "We will rock you", denn der Hassel um die Knete und die Fummel, das ist ein großer Teil der Popkultur. Ausstaffiert sind die Darsteller, als kämen sie gerade vom Shopping bei H&M oder Primark oder sonst einem Lieferanten des Hip seins.
Gunter Heun als Leonardo im dunkelroten Satin signalisiert "Ich bin der Gockel auf diesem Hühnerhof",
Karsten Kenzel erinnert als Ferdinando ganz offen an die Kunstfigur Harald Glööckler und
Julia Friede ist als Giacinta die Widerspenstige im Kleinen Schwarzen. Diese Kostüme verdeutlichen: Hier ist mehr Schein als Sein. So wird Leonardos Führungsanspruch zerbröseln wie eine Sandburg im heißen Sommerwind, Giacinta wird sich letztendlich den Wünschen des Vaters fügen. Die postulierte Eigenständigkeit entpuppen sich als hohle Phrasen. Nur der Party-Löwe Ferdinando kann seine Ansprüche durchsetzten und der Gewinner heißt am Schluss Fulgenzio. Wer ist er eigentlich? In welcher Beziehung steht er zu den anderen Figuren? Egal, er ist der Pate, der Strippenzieher im Hintergrund. Unterkühlte Mimik, sparsame Gestik und wohl gesetzte und deutliche Worte.
Andreas Torwesten spielt den Fulgenzio mit solch einer Coolness, das einem gelegentlich fröstelt. Letztendlich macht er Leonardo doch das Angebot, das dieser nicht ausschlagen kann. Der Mafiosi gewinnt immer und diese Gewissheit ist Torwesten in Person. Damit verwandelt Klenk die Komödie in ein Gegenwartsdrama.
Die Konfliktlage
Leonardo weiß um seine missliche Lage. Die Kasse ist leer und trotzdem muss er um jeden Preis. Er muss das Gesicht wahren und er will Giacinta zu seiner Frau machen. Das geht nur über San Remo. Also lässt er sich auf das Spiel mit Fulgenzio ein, schließt er den Pakt mit dem Teufel im Business-Dress.
|
Dann eskaliert das Leben in der Sommeridylle doch. |
Der Premierenabend ist der Abend von Gunter Heun. Mit den großen, raumgreifenden Gesten und seiner verzerrender Mimik ist er der Mann für den Verzweiflungsmodus, für das zornige Wüten, für das letzte Mal Innehalten vor dem Absturz. Mit leisen, durchdachten Worten, mit Miene gewordener Gleichgültigkeit ist er auch der Mann für die Momente der Resignation, des sich Fügens in das Unabwendbare, für das Weiter nach der Katastrophen. Damit legt er alle Teile des komplexen Charakters des Leonardo frei. Mit einer Urgewalt kommt er daher und ist doch nichts anderes alles eine Billardkugel in einem Spiel, das andere mit ihm spielen.
Nichts, was er anfasst, gelingt ihm. Das treibt ihn nur noch tiefer in die Verzweiflungsspirale. Giacinta kann sich nicht so recht für ihn entscheiden. Aus dem Flehen und Bitten wird bald Schimpfen und Verdächtigen, aus dem Schimpfen und Verdächtigen wird letztendlich die Drohung mit der ultimativen Konsequenz, die Drohung mit den Suizid. Nachdem die Grenze überschritten wurde, kommt die Ruhe eines Manns, der mit allem abgeschlossen hat. Diese Entwicklung kann
Heun glaubwürdig und authentisch verkörpern.
Julia Friede spielt die Giacinta als Dauerpubertierende, die zwar ihren Vater Filippo im Griff hat, aber ansonsten orientierungslos durch eine Welt von Mode und Image torkelt. Wenn sie im ersten Akt dieses lang gezogene "Paaaaaappppppaaaaa!" kreischt oder "Geeellllllddd" ruft, dann steigt der Wiedererkennungswert für das Publikum auf 105%. Große Klasse. Wer so eindimensional lebt, der ist mit Konflikten einfach überfordert, zeigt uns Julia Friede eindrucksvoll. Auch den Bruch in der Figur Giacinta nach der Eskalation vermittelt sie glaubwürdig.
Der Urgewalt des Leornardos kann Gugliemo nichts Vergleichbares entgegensetzen. In der Konsequenz spielt
Patrick Stamme den Schwerverliebten als jemanden, der nicht in der Lage ist, ein offenes Spiel zu spielen. Das "An sich selbst Leiden" ist ihm ist Gesichts geschrieben und dies ist folgerichtig, die Hängeschulter inklusive.
Ein glimpfliches Ende und ein gelungener Anfang
Carlo Goldoni gilt als der Reformator der Commedia dell'arte. Mit der Neubearbeitung haben Cyran und Klenk diesen Impuls wiederbelebt und fortgeschrieben. "Die Sommerfrische" gerät in dieser Inszenierung fast schon zur Farce, zur Karikatur von Lebensentwürfen, die die Jahrhundert überdauert haben. Wer das Leben nur als ein Spiel sieht, der sollte sich gegen diejenigen wehren, die die Spielregeln bestimmen. Dies zeigt sich in der Szene, als
Dominika Szymanska und
Dirk Schäfer als maskierte Hütchenspieler noch einmal die Elemente der Commedia dell'arte aufgreifen und das Geld der Sommergesellschaft abgreifen.
Wer sich die Regeln seines Lebens aufzwingen lässt, der kann auf ein versöhnliches, ein glimpfliches Ende hoffen, aber nicht auf ein Happy End. Dies macht Thomas Klenk mit dieser Aufführung deutlich und diese Botschaft ist aktueller denn je. Diese Inszenierung ist ein Gesamtpaket mit einem schlüssigen Konzept. Besser hätte der Start in das Schauspielprogramm der 56. Domfestspiel nicht sein können.
Der
Spielplan bei den Domfestspielen
Das Stück in der
Selbstdarstellung