Ein Fluchtdrama: Die Legende von Sorge und Elend
Unter dem Sofa hat jede Familie ihre eigenen Sprengstoff versteckt. Nicht bewältigte Konflikte können solch einen Verband sprengen, auch nach dreißig Jahren. Das sind die Kernbotschaften von Sören Hornungs "Die Legende von Sorge und Elend". Die Uraufführung ist das Hauptstück des diesjährigen Festivals Theaternatur.Zum fünften Geburtstag hat man sich in Benneckenstein damit eine Auftragsarbeit gegönnt. Angesichts der historischen Ereignisse lag das Thema "Grenze und Mauer" auf der Hand. Bevor die Politik im Herbst ihre Stellung einnimmt, wollte man ein Statement auf künstlerische Ebene abgeben.
Sören Hornung scheint der geeignete Mann. Schließlich gilt der 30-jährige Berliner als Fachmann für unbewältigte Vergangenheiten. Für die Legende hat er in der Region umfangreiche Recherchen vorgenommen. Doch seine Mischung aus Fiktion und Historie stößt an die Grenzen der "oral history".
Das Bühnenbild
Es gibt kein Vorbeikommen an diesem Möbel. Hoch und breit steht das Sofa auf der Bühne, fast alles verschwindet dahinter. Ein Frau erklimmt das Trumm und verteilt hektisch Sektflaschen und Gläser. Es ist Beate Fischer in der Rolle der Ines.
Sie bereitet ihre Geburtstagsfeier vor. Die fahrigen Bewegungen und die gebückte Haltung machen deutlich, dass Ines die Souveränität über ihr Leben schon längst verloren hat. Getrieben von der Vergangenheit hetzt sie durch die Gegenwart.
Der Geburtstagsreigen beginnt.
Alle Fotos: Frank Drechsler
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Im Laufe der Aufführung werden die Darsteller immer häufiger geerdet. Die Realität dringt in die Idylle ein. Das Sofa verliert seine Schutzfunktion und wird zum Schluss "in die Ecke" gestellt. Dieses riesige Möbel sorgt für eine klaustrophobische Enge. Die Mitglieder der Familie können einander nicht entkommen.
Im Laufe der Aufführung rückt das Sofa immer weiter in den Hintergrund. Sein Abgang ist ohne Frage die Szene mit dem größten Wow-anteil. Das Feld weitet sich und lässt einsame Akteure zurück. Der trügerische Schutzraum ist verschwunden.
Doch in seiner Dominanz es ist eindeutig auch ein Schauspielverhinderungsbühnenbild. Die Video-Sequenzen, mit ihren zusätzlichen Deutungsebenen bisher integraler Bestandteil einer Liebetruth-Inszenierung in Benneckenstein, werden zur Randnotiz. Sie sind damit nur noch schmückendes Beiwerk.
Grenzen der oral history
Hornung verknüpft in seinem Drama Staats- und Familiengeschichte. Am konkreten Beispiel will er die großen Dinge erläutern. Doch der Belehrungsanteil hat ein deutliches Übergewicht. Da wird lang und breit das Wesen der DDR erklärt, obwohl doch das Publikum so eine eigenen Erfahrungen hat. Zur Krönung darf Lisa die Aufgaben der BStU, der Gauck-Behörde, darlegen. Als ob, dass Publikum dass nicht besser wüsste.
Lisa kommt dem dunklen Geheimnissen auf die Spur.
Foto: Frank Drechlser
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Das Drama entwickelt sich in Etappen. Die Zeit springt ins nächste Jahr, wieder steht der Geburtstag an. Die Rollenverteilung ist dieselbe geblieben. Martin Molitor gibt als Klaus dem verständnisvollen Patriachen. Fest in der Sprache wirkt er aber stocksteif. Will er mit seiner burschikosen Art nur Schuld und Sühne um Mord und Totschlag verdrängen? Auf jeden Fall ist Klaus das Paradebeispiel des Wende-Gewinnlers. Er spricht, er proklamiert ständig. Aber damit ist er nicht der einzige in dieser Inszenierung.
Jan Janoszek spielt den etwas limitierten Sohn Stephan, der anfangs ganz aufgeht in seinem Polizisten-Dasein. Wenigstens ihm ist etwas Entwicklung gegönnt, denn die Hingabe zum Beruf lässt doch deutlich nach. Zudem löst er sich immer stärker vom Ziehvater Klaus.
Seine Halbschwester Lisa bildet den Kontrapunkt. Thea Rasche gelingt es in dieser Rolle, den jungen Selbstgerechten ohne Orientierung eine deutliche Gestalt zu geben. Als Zauberlehrling der Aufklärung tritt sie aber eine Lawine an Ereignissen los, die zum Schluss alles begräbt.
Denn die beherrschende Person ist der nicht anwesende Thomas. Er ist Ines ehemaliger Lebensgefährte und Stephans Erzeuger und verschwand kurz vor dem Mauerfall spurlos in den Westen. Doch den hat er nie erreicht. Ines und Klaus haben das auf unterschiedliche Weise verhindert.
Das Sofa hat als Adlerhorst ausgedient.
Foto: Frank Drechsler
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Geschichte anhand einer Familie zu verdeutlichen ist ein üblicher Ansatz. Aber in diesem Stück steckt alles Mögliche drin in diesem Stück und von allem ein wenig zu viel. Da werden Kommunismus und Kapitalismus erklärt und die Entfremdung bejammert. Da kommen Flüchtlinge ist Spiel und der Klimawandel darf auch nicht fehlen. Ja und dann wird die Systemkritik auch noch mit einer Eifersuchtsgeschichte überzogen. Es gibt so viele Fäden, die das Tuch am Ende so dicht machen, dass niemand mehr durchblickt.
Das Exemplarische hat solch ein Übergewicht, dass das Schauspielerisch zu kurz kommt. Da agieren keine Menschen auf der Bühne sondern Fallstudien. Die Familie gerät zur Ansammlung von Stereotypen. Hier wird mit Schablone und Zimmermannsbleistift gezeichnet. Darüber hilft auch die Inszenierung nur bedingt hinweg. Weniger wäre mehr gewesen.
Material #1: Theaternatur - Die Website
Material #2: Die Legende von Sorge .... - Das Stück
Material #3: Sören Hornung - Der Autor
Material #4: Janek Liebetruth - Der Regisseur
Material #5: Die BStU - Gauck bei wikipedia