Dienstag, 10. Dezember 2024

Hier zerbricht mehr als nur ein Krug

Beichl verschiebt Kleist in die Gegenwart 

Der Meister des Klischees und der Plattitüden überrascht positiv. Mit seinem "Zerbrochenen Krug" am Deutschen Theater Göttingen legt Moritz  Beichl legt eine Inszenierung vor, die Themen zu Tage fördert, die ansonsten unter dem Deckel das Schwanks verborgen bleiben. Damit macht er aus dem Klassiker der Aufklärung ein Stück für die Gegenwart. Premiere war am 7. Dezember.

Dabei kann er auf starke Besetzungen in den Nebenrollen bauen. In Bastian Dulitsch als Gerichtsschreiber Licht und Leonard Wilhelm als  Bauernsohn Ruprecht Tümpel überzeugen mit starken Darstellungen von Menschen, die sich auf ihre Weise gegen das ancien régime wehren und damit erfolgreich sind. Am Ende steht eine neue Ordnung, die menschengemacht ist. Denn letztendlich siegt die Macht der Liebe über die Selbstherrlichkeit des Dorfrichter Adam.

Als Intro wird auf den Gaze-Vorhang ein Video-Clip projiziert, in dem sich Eve und Rupprecht knutschen und kuscheln. Erst dann schwebt Dorfrichter Adam vom Himmel auf die Bühne. Er ist die gottgegebene Ordnung und die ist schwer lädiert. In dieser Inszenierung erschließt sich nicht alles auf den ersten Blick, aber gerade das macht den Reiz aus. 

Richter Adam liegt schon am Anfang auf dem Boden,
doch noch ist Licht sein Handlanger. 
Alle Fotos: Thomas Müller
Beichl legt eine Aufführung vor, die erst in der Retrospektive ihre volle Wirkung beim Betrachter entfalten. Wie ein Craft Bier, dessen Komponenten sich erst im Abgang entfalten. Damit wird das Göttinger Publikum auch Zeuge einer Entwicklung des Regisseurs.

Am Bühnenbild von Ute Radler muss man nicht alles verstehen und der kopfstehende Wald in der Schlussszene ist vor allem dekorativ. Doch der gemulchte Vorgarten zwischen Drehbühne und Publikum ist eindeutig alltäglich. Damit ist er eine wichtige Komponente bei der Kleist-Verschiebung in die Gegenwart. Die Kostüme von Elena Kreuzberger gehen in dieselbe Richtung. Die Mischung von Rokoko bis Disco-Trash spannt einen Bogen über die Jahrhunderte.

Im Detail

Schon die Ausgangslage ist recht Jetztzeitig. Dorfrichter Adam muss über seine eigene Verfehlung urteilen, nämlich über einen Krug der in Nacht kaputt gegangen ist, als er übergriffig geworden ist gegenüber Eve Rull. Seit Social Media gehört über sich selbst urteilen zum eingeübten Verhaltensrepertoire selbstoptimierter Mitteleuropäer. 

Ein weiterer Aspekt ist hyperaktuell. Der materielle Schaden ist überschaubar und dennoch verlangt die Geschädigte Marthe Rull die volle Härte des Gesetzes. Ihre Ehre und ihre Erinnerungen wurden zerstört. Das bringt Rebecca Klingenberg in der Rolle der Mutter mit aller verbalen Starrköpfigkeit und körperlichen Präsenz deutlich. Alle Vermittlungsversuche prallen ab am Fels der Moral.

Der Richter und sein Krug. 
Foto: T. Müller
Leider ist Volker Muthmann in der Hauptrolle des Richter Adam von Anfang an mit Stimme und Gesten in Alarmstimmung. Er hetzt in der 90minütigen Inszenierung von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen. So bleibt es ihm verwehrt, dem Abstieg des gutsherrlichen Regenten zum Flüchtling ein Gesicht und eine Stimme zu geben.

Das Kostüm macht ihn von Anfang zum Narren. Das mindert die dramaturgische Fallhöhe leider und Adams Bekleidung gibt das Ende von Anfang an vor. Dieser Richter Adam bewegt sich nicht auf einer Ebene, die im Laufe der Vorstellung ins Schiefe abkippt, er ist von Anfang an auf der Schussfahrt nach unten.

Muthmanns Kaspereien werden durch den Widerpart von Florian Eppinger umso deutlicher. Dieser spielt den Gerichtsrat Walter mit einer stoischen Gelassenheit, als wäre er der Pate der Rechtsstaatlichkeit. Wo der eine mit fahrigen Gesten und holpernden Worten agiert, setzt Eppinger auf sparsame Körperlichkeit und kühle Sprache. Mit einem verbalen Skalpell zerlegt er Stück für Stück den dörflichen Autokraten. Hier hat Beichl ein wunderbares Paar an Gegensätzlichkeit geschaffen. Es ist logisch, dass der Technokrat Walter am Ende die Oberhand über den selbstherrlichen Adam behalten wird. Die Gradlinigkeit im Spiel von Eppinger lässt keine Abweichung in der Sache zu. Dennoch drückt er Eve einen Kuss auf den Mund. Ist es Kuss des Paten, um sie in der Familie willkommen zu heißen oder ist es die Fortsetzung der Übergriffigkeit mit anderen Personen 

Die größte Entwicklung steht aber dem Schreiber Licht zu. Vom devoten Adlatus wird er zum neuen Herr im Ring, vom Handlanger zum kommissarischen Richter. Bastian Dulisch nutzt das ganze Potential, dass in dieser Rolle steckt. Er emanzipiert sich sichtbar. Sein Spiel wird von gebückt und hektisch zu souverän, mit breiter Brust und gelassener Stimme.

89 Minuten und 30 Sekunden verharrt die Inszenierung in der gestelzten Sprache des Originals. Als Licht in Hochdeutsch verkündet "Nein, die Landmiliz soll im Lande verbleiben", da herrscht eine Schrecksekunde Ruhe auf der Bühne und im Parkett. Spätestens hier wird deutlich, dass sich etwas grundlegend geändert hat. Der Schreiber hat sich gegen den Richte
r gewendet.         

Frauen entscheiden

Für Stella Maria Köb gilt ähnliches wie für Volker Muthmann. In der Rolle der Eve werden auch ihr die stille Momente der Reflexion verweigert. Sowohl ihre Verzweiflung als auch ihre Anklage werden geschrien und ihre Haltung mit steifen, nach unten gedrückten Armen wirken wie ein trotziges Kind. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Bekleidung mit dem kurzen Tüllrock und die Frisur im Max-und-Moritz-Modus.

Ruprecht, Richter und Eve.

Damit bleibt es Gaby Dey in der Rolle der Frau Brigitte überlassen, souverän und kühl das Ende des Dorfrichters Adam einzuläuten. In ihrem kurzen Auftritt schafft sie es, sich glaubhaft von einer Anhängerin der alten Ordnung über die Skeptikerin zur Belastungszeugin zu wandeln. Ihre rationale Darstellung macht diesen Wandel nachvollziehbar. Auch auf ihre starke Nebenrolle kann Moritz Beichl in dieser Inszenierung bauen.

Es ist sicherlich ein Zufall, dass die Premiere dieser Inszenierung von Kleists "Zerbrochenen Krug" mit dem Sturz das Regime Assad zusammenfiel, aber beides ist ein Überraschung und in jedem Fall ein Sieg der Rationalität. Auch ohne historische Parallelität ist diese Aufführung ein gelungenes Lehrstück über die Überwindung selbstherrlicher Regime.    


 





Erklärstück 1: Der zerbrochen Krug am DT GÖ

Erklärstück 2: Das aktuelle Programm am DT GÖ




Donnerstag, 7. November 2024

Viel Abwechslung mit nur einem Instrument

Vier Cellisten beim Kammerkonzert im Kunsthaus

Wer Piazzolla spielt, kann kein schlechter Mensch sein. Schon gar nicht, wenn´s gleich zweimal Piazzolla ist. Bis es soweit ist, darf das Publikum einige andere Highlights beim Kammerkonzert der vier Cellisten im Kunsthaus Meyenburg erleben.

Das Programm ist zweigeteilt. Vor der Pause gibt es bedächtige Romantik, nach der Pause wird es rhythmusbetont. Kein Grund zur Besorgnis: Das Cello schafft das schon. Das Instrument und das Ensemble bringen dafür ausreichend Potential mit.

Erst klassisch, ....

Den Auftakt macht Joseph Haydn und sein "Divertimento in D-Dur". Dies hat er einst für eben die Besetzung des Abends geschrieben, für vier Celli. Im zweiten Satz ist das Quartett das erste Mal gefordert. Das Allegro di molto verlangt ein präzises Zusammenspiel, damit der Dialog der Instrument funktioniert und er funktioniert.


Im Allegretto des anschließenden Menuetts zeigt Sebastian Hennemann, dass ein Cello tanzen und hüpfen kann. Das sorgt für wohlwollendes Nicken im Publikum. Im Finale darf Melissa Hart den Part übernehmen, den man wohl als Solo bezeichnen könnte, wenn man so etwas in diesen Kollektivwerk ausmachen darf. 

Danach wirkt "Elsas Brautgang zum Münster" aus Wagners Lohengrin als Spaßbremse. Aber ein Kammerkonzert gibt es eben nicht ohne kalkulierte Innerlichkeit. Dies zeigt sich später noch einmal beim Ave Maria von Fitzenhagen.

Dagegen ist der Konzertwalzer von eben jenem Wilhelm Fitzenhagen ein Aufputschmittel für Musiker und Zuhörer. Schon die Einleitung verlangt flinke Finger und mit vielen Noten im Achtel-Bereich und zahlreichen Tempowechsels geht es weiter.

Dvorak hat Unrecht, das ist nichts von wegen oben kreisen und unten brummen. Im dritten Satz des Konzertwalzers entlockt Hennemann seinem Instrument einen glockenklaren Klang, der an Transparenz nix vermissen lässt und das Publikum in höhere Sphären trägt, aber nur ganz kurz. das überraschend kraftvolle Pizzicato holt das Auditorium zurück auf das Parkett im Kunsthaus. 

Ein ähnliche Herausforderung ist die "Polonaise de concert in d-Moll" von David Popper. Das Werk für vier Celli ist ein Kessel Buntes, was die Tempi anbelangt, und ein Hochgeschwindigkeitsstück, das den Musikern und den Zuhörern sichtlich Freude bereitet

... dann wird es rhythmisch ...

In seinem "Quartett A-Dur" hat Jacques Offenbach seine Freude an der Abwechslung in Noten gegossen. Es zeichnet sich durch ein reiches Spiel mit den Formen und Techniken aus. Das Ensemble hat die Möglichkeit, sein Können zu zeigen und es nimmt die Einladung gern an. Vor allem lotet das Werk den vollen Tonumfang der Celli aus.

Davon profitiert das "Oblivion" von Astor Piazzolla eindeutig. Im Lento führen Matthias Weicker und seine Mitspieler zu dem, was der Titel verspricht. Die Welt vergessen, nix ist mehr wichtig außer der Musik. So wird der Abend zu einer Urerfahrung.

Aber Astor Piazzolla steht für Tango und für Tempo. Davon gibt es beim "Adios nonino" reichlich. Tango ist die gelungene Mischung von Ekstase und Melancholie und die vier Cellisten zeigen an diesem Abend im Kunsthaus Meyenburg, dass das Cello dafür das beste Instrument ist, besser als Violine oder Bandoneon Weil das Cello nämlich alles kann.  Denn beiden anderen Instrumenten geht jener dunkle Unterton ab, der so typisch ist für die Grundeinstellung des Tangos. 

Unten brummt das Cello melancholisch und dann macht Sebastian Hennemann diesen ganz bestimmten Aufwärtsstreicher. Mit einer Bewegung geht es aus den Mitten bis ganz nach oben. Das nimmt den Druck, es erleichtert und macht froh und zuversichtlich. So ist Tango.

Diese besondere Eigenschaft haben auch die beiden Musikpädagogen Eduard Pütz und Franz Haldenberg erkannt und mit dem "Tango passionata" und der "Rumba" Werke geschrieben, die die Fähigkeiten des Cellos außerhalb der klassischen Musik ausnutzen. eerzeile

... und zum Schluss heavy

Das Publikum erklatscht sich an diesem Abend zwei Zugaben und die zweite überrascht sehr. Matthias Weicker zeigt, der Klassiker "Nothing else matters" von Metallica in der Version für Streicher punkten kann. Er entlockt der Ballade Nuancen, die man den Schwerstmetallern gar nicht zugetraut hat. Dabei profitiert das Ensemble davon, dass man Celli auch als Rhythmusgruppe einsetzen kann. Man muss sie nur zu spielen wissen. Alles andere ist wieder "Welt vergessen, der Musik hingeben", denn nothing else matters. 

Das nächste Kammerkonzert im Kunsthaus Meyenburg findet am 15. Januar 2025 statt. Ab 19.00 Uhr steht dann die Querflöte im Mittelpunkt.

 




Montag, 4. November 2024

Eine Inszenierung auf Tratsch-Niveau

 Im DT Göttingen bleibt "Der junge Mann" an der Oberfläche

Zu viel Narrativ, zu wenig Analyse. Die Inszenierung von Jette Büshel leidet an Oberflächlichkeit. Die Figuren werden nicht ausgelotet. Deswegen war die Premiere von "Der junge Mann" am 3. November zwar unterhaltsam, ging aber nicht unter die Haut. Das ist schade für das Ein-Personen-Stück auf der Studio-Bühne.

In der autofiktionalen Erzählung "Der junge Mann" berichtet Annie Ernaux von ihrer zurückliegenden Beziehung zu einem 30 Jahre jüngeren Mann. Das Buch liegt seit dem Frühjahr in deutscher Übersetzung vor und postwenden haben Jette Büshel und Michael Letmathe ein Stück für das DT Göttingen draus gemacht.

Strube bereit zur Berichterstattung.
Alle Fotos: Lenja Kempf/DT GÖ
Der erste Ansatz verpufft gleich. Seit der Ehe von Brigitte Trogneux und Emmanuel Macron haben Beziehungen zwischen älteren Frauen und jungen Männer so gar nix skandalöses mehr an sich. Auch das Duo Klum-Kaulitz hat null Skandal-Faktor.

Das Werk von Annie Ernaux spielt Mitte bis Ende der 90-er Jahre. Da war die Aufregung über solch eine Beziehung noch eine andere. Soziologisch gesehen damit ist es eher ein Historienstück und damit wäre ein Psychogramm das Gebot der Stunde gewesen. Doch die Motivation der Beteiligten an dem einst außergewöhnlichen Treiben und die Konsequenzen schimmern in  der Textflut nur gelegentlich durch.

Auf Augenhöhe

Das Publikum und die Schauspielerin begegnen sich auf Augenhöhe in der Bistro-Atmosphäre des DT-Kellers. Schon der Start ist auf Plauderei angelegt. Andrea Strube trägt Business-Dress und mit dem Textbuch vor sich, wirkt sie so, als wollte sie mal so eben zwischen zwei Crémants einen Geschäftsbericht abgeben.

Sie berichtet aus der Retrospektive, dennoch erfährt das Publikum nicht, wie das erste Treffen zustande kam und von wem die Initiative ausging für die Affäre. Das Wort passt schon, denn es gibt wohl immer noch einen Ehemann und anfangs eine Lebensgefährtin.

Es ist ein wenig die Rede von verliebten Spielchen im hohen Alter und jedem Menge Sex. Soll der Aufreger darin bestehen, dass auch Menschen über 50 noch Geschlechtsverkehr haben? Dreiviertel des Publikums wissen das ohnehin, denn sie haben diese Altersgrenze längst hinter sich gelassen. Das andere Viertel quittiert diese Tatsache mehrfach mit einem Kichern auf Backfisch-Niveau.

Liegt es an den Schmetterlingen im Bauch? Auf jeden Fall ist Andrea Strube als Ich-Erzählerin ständig unterwegs zwischen Bühne und Parkett. Die Grenze zwischen Akteurin und Zuschauern aufzuheben ist ein probates Mittel, aber es wirkt besser, wenn es dosiert eingesetzt wird. Es erschließt sich nicht immer, warum die Schauspielerin nun jetzt schon wieder ihren Platz verlässt. Was macht sie am Tresen. Ahhh, sie holt sich eine Limonade. Die Strandszene wird dreifach durchgespielt und damit künstlich in Länge gezogen, ohne neue Perspektiven zu liefern.

Was möchte die Regisseurin dem Publikum damit sagen? Sex mit 54 Jahren sorgt für ADHS bei Seniorinnen? Da hilft auch der große Schluck aus der Rotweinflasche nicht. Die Autorin teilt durchaus intime Momente mit der Leserschaft und dem Publikum. Doch die Inszenierung kennt keine stillen Augenblicke. Da helfen auch die wenigen Kunstpausen nicht.

Die Geschichte der älteren Frau, die mit einem Mann ins Bett geht, der ihr Sohn sein könnte, ist nach 30 Minuten auserzählt. Spätestens jetzt müsste Analyse kommen und die tieferliegenden Schichten frei gelgelegt werden. Es geht immerhin um Traumata, Vergangenheitsbewältigung, Abhängigkeiten und  Machtgefüge und das was, man heute gern Identität nennt. In diesem Bereich wirkt die Selfmade-Frau als Anachronismus zu den Konzepten der Jetztzeit, die sklavisch an Herkunft, Geschlecht und Hautfarbe hängen

Machtverhältnisse geändert

Nicht der Tratsch ist das Sensationelle am "Jungen Mann", sondern die Tatsache, dass Annie Ernaux offen zugibt, ihn, den Namenlosen, benutzt zu haben. Sie dreht die Machtverhältnisse um. "Alter Mann benutzt junge Frau" kennt man zu Genüge. Hier läuft es eben anders herum. Der Kern der Erzählung liegt im offenen Umgang der Autorin mit ihrem Zweckverhältnis.

Kühle Berechnung statt Altersromantik ist das Thematik von Ernaux und nicht die Schmetterlinge im Bauch. Den Anderen zum Werkzeug der Eigentherapie zu machen, dies ist das Innovative an diesem Bericht aus den 90-er Jahre. Das Publikum muss sich dies aber selbst erarbeiten, wenn es der Tratsch-Ebene entfliehen will.

Da ist nix mit Augenhöhe und nix mit "über sich keine Herren und unter sich keine Sklaven sehen". Ganz im Gegenteil. An seiner ärmlichen Herkunft zelebriert sie noch einmal ihren Aufstieg aus dem Proletariat in die Belle Etage des Literaturbetriebs. Sie erfreut sich an seinen mangelhaften Tischmanieren, um sich die eigene Noblesse zu verdeutlichen. Mit den Ausflug in sein studentisches Milieu verarbeitet sie die Defizite ihrer Jugend, doch seinen Aufstieg aus den Banlieues befördert sie nicht. Es gehört nicht zum Plan der Ich-Erzählerin Klassenschranken zu überwinden, immerhin das wird klar. Es könnte aber deutlicher herausgearbeitet werden, dass solch ein Verhalten eben nicht mehr männliches Privileg ist.

Warum steht Strube am Tresen? Will sie
Getränke holen? 
Alle Fotos: Lenja Kempf/DT GÖ
Die Trennlinie in diesem ungleichen Paar ist nicht das Alter. Es ist der soziale Status. Kommt der Bruch schleichend? Hat der junge Mann seine Schuldigkeit getan und kann gehen? Was motiviert ihn zu diesem Verhältnis, das zumindest einmal als inzestuös bezeichnet wird? Die Dramaturgie gibt keine Antworten und wer es wissen will, muss eben in die Vorlage schauen.

Auch das Licht schafft es nicht, Akzente zu setzen. Der gesamte Raum ist auf Bistro-Beleuchtung geschaltet. Das gibt die Möglichkeit, die Reaktionen des Gegenübers und der Mitseherin zu registrieren. Das ist durchaus besichtigt. denn soziale Kontrolle und die Reaktionen der Gemeinschaft auf solch ein ungleiches Paar sind Bestandteil des Werks.;

Schnelle Bewegungen, raumgreifende Gesten, eine flotte Mimik und verstohlene Blicke, die Mitwisserschaft herstellen wollen. Andrea Strube gibt der Inszenierung die passende Figur. Doch was fehlt, ist das Spiel mit der Stimme, die leisen Töne. Deswegen fällt es schwer Empathie herzustellen. Selbst die Erzählung über die illegale Abtreibung in den 60-er Jahren wirkt wie ein Geschäftsbericht. Trotz aller Betriebsamkeit fehlt der Inszenierung damit die Lebendigkeit.  Wie heißt es so schön am Anfang des Stücks? Mit den Erwartungen ist es so`ne Sache.



   

 

Sonntag, 3. November 2024

Loh-Orchester nutzt die zweite Chance

 Ballett Compagnie macht einen Riesenschritt

Mit "Friedrich" und "Le Sacre du Printemps" machen Ivan Alboresi und sein Ensemble einen weiteren großen Schritt in der Entwicklung. Der Doppelabend zeigt nicht nur den State of Art im Tanztheater, sondern gibt auch die Richtung für die Zukunft vor. Das Loh-Orchester nutzt die Zweitaufführung für die Wiedergutmachung.

Nach der Premiere sah sich das Orchester unter der Leitung von Julian Gaudiano harscher Kritik ausgesetzt. TA-Rezensent Wolfgang Hirsch schrieb in seiner Besprechung sogar von unprofessionellem Verhalten und brachte damit Intendant Daniel Klajner auf die Zinne und das Orchester in Erklärungsnöte. 

Noch ist das Individuum oben. 
Alle Fotos: Ida Zenna/TNLos

Die Kritik hat geholfen. Bei der Zweitaufführung zeigte sich das Orchester von seiner glänzenden Seite. Der Klang war strukturiert und filigran. Jede Gruppe war deutlich zu erkennen und gerade die zuvor abgewatschten Streicher konnten überzeugten. Als Beleg diente das Pizzicato im 2. Satz von Beethovens 4. Sinfonie. 

Nur bei der Lautstärke gibt es noch Optimierungspotential. 3 dB weniger wären mehr, das gilt vor allem für den zweiten Teil des Abends, als sich die Paravents öffnen und sich das Orchester mit voller Kraft in den Vordergrund drängt. 

Hauptsache Ballett

Mit seiner Choreographie "Friedrich" macht Ivan Alboresi das, was er am besten kann, nämlich Grenzen verschieben. Dabei ist die Ausgangssituation nicht einfach. Zwar liegen Ludwig van Beethoven (1770) und Caspar David Friedrich (1774) nur wenige Jahre auseinander. Aber sind sie deswegen Zeitgenossen? Der Komponist gilt als Vollender der Klassik, der Maler als Wegbereiter der Romantik. Der Mann aus Bonn als Hohepriester klanglicher Urgewalt, der Mann aus Greifswald als schönheitstrunken entrückt.

Alboresi und Gaudiano lösen den Widerspruch, indem sie auf Beethovens ein wenig vergessene 4. Sinfonie setzen. Zu Beethovens Lebzeiten war es sein populärstes Werk wegen seiner gelegentlichen romantischen Anklänge. Betonung liegt auf gelegentlich.

Das war es dann auch schon mit Romantik. Die Bühne und die Kostüme von Yoko Seyama verzichten auf Rüsche und Tütü. Die Kleidung wirkt Arbeitskleidung in karstweiß, die gelegentlich mit schwarzen Accessoires ergänzt wird. Dabei gilt aber die Richtlinie, dass die Unbekannten eben in karstweiß verbleiben, während die Auserwählten mit schwarzem Gehrock oder Kleid geschmückt werden. Dies ist ganz im sinne von Caspar David Friedrich. Schließlich gilt er als Erfinder des Individuellen in der Malerei Entsprechend der Vorlagen werden die Solisten aber meist in der Rückenansicht gezeigt. Die Identifizierung wird verwehrt und die Distanz zwischen Publikum und Compagnie bleibt bestehen  

Das Bühnenbild ist einfach. Nur eine Projektionsfläche grenzt die Tanzfläche gegen die Hinterbühne ab. Dazu kommt das Licht, das mehr verbirgt als zeigt. So korrespondiert das optische Konzept durchaus mit den häufig nebulösen Bildern, die hier vorgestellt werden. 

Starre Bewegung

Temporäre Bewegung zur Musik ist das Mittel des Balletts. Malerei ist auf alle Zeiten starr. Wie bringt man dies in Einklang? Alboresi wagt die Melange zwischen Erzählballett und Ausdruckstanz. Es ist wie ein Besuch im Atelier, ein getanztes work in progress. Erst darf das Publikum an der möglichen Gefühlswelt des Malers teilhaben, es ist drin im Kopf des Malers. Dann tauchen die Figuren auf, die als lebende Bilder den Abschluss jedes Satzes bilden werden. Das Konzept ist einleuchtend und es entwickelt sich Vorfreude auf das fertige Bild. 

Die Choreographie ist modern dance durch und durch. Der Verzicht auf klassisches Ballett, die Absenz von Spitze und Arabesque, transportiert die Choreographie in die Gegenwart. Friedrich gilt mit der Entwicklung der Perspektive als Entdecker des bürgerlichen Individuums in der Malerei des 19. Jahrhunderts und Alboresi und sein Publikum begeben sich auf diese Spur. Bisher lag die Stärke des Nordhäuser Ballettdirektors im organischen Ganzen, im wogenden Ensemble, das ein Gesamtwerk abgibt. Nun lässt er lauter Einzeltänzer auftreten, lauter Individuen, die erst in der Summe, also kurz vor dem Ende des jeweiligen Satzes ein Gesamtbild abgeben.

Die raumgreifenden Bewegungen bisheriger Inszenierungen werden eingedampft und die Gruppenszenen auf ein Minimum gebracht. Der Pas de deux im zweiten Satz ist Bewegung gewordene Innerlichkeit. Damit erweitert Alboresi seine Sprache und das Publikum profitiert davon. Fast zwangsläufig  muss die Uraufführung mit dem Wanderer über dem Nebelmeer, dem Sinnbild der schönheitstrunkenen Innerlichkeit deutscher Romantik enden. Das dynamische Solo von Thomas Tardieu bewahrt das Publikum zum Glück vor zu viel Sentimentalität.

Schluss mit Romantik

Der Expressionismus beendete die Phase der künstlichen Innigkeit in Malerei und Musik und damit entspricht Strawinskys "Le Sacre du Printemps" als zweite Choreographie an diesem Doppelabend der Logik des Fortführens. In seiner Erzählweise kehrt der Ballettdirektor wieder zu seinen gewohnten Mitteln und Themen zurück. Das Ensemble als wogender Organismus auf der Bühne im Streit mit der Solistin. Denn das Thema ist das Individuum, das Kollektiv und der Konflikt.

Die tutti-Szenen überwiegend, nur am Anfang gibt es ein Solo allein auf der Bühne. Dann folgen Soli in der Gruppe und auch gegen die Gruppe. Es ist eben die Erzählung von einer Gruppe, die ein Opfer sucht, findet, es verwirft und sich ein anderer Opfer auserkoren hat. Deswegen sucht die Figur der Kreuzigung hin und wieder auf. 

Ungeschliffen und archaisch, Strawinsky verstand seine Musik schon als Affront gegen das Artifizielle, das Gekünstelte des Fin de Siècle und der Jahrhundertwende. Dennoch ist die Alboresis Choreographie ein Kommentar zur Jetztzeit. Die Digitalmoderne ist genauso gekünstelt wie das verlängerte 19. Jahrhundert. Es heißt bloß nicht artifiziell sondern virtuell. Egal auf welchem Ende des Hufeisens man sich befindet, Mythen und gefühlte Wahrheiten haben die Realität längst verdrängt.

Dazu steht das die Eigenständigkeit des Individuums immer stärker unter Druck. Den ersten Ansatz verdeutlicht das Bühnenbild von Yoko Seyama. Die Reihen farbiger LED-Leuchten erinnern an die Requisiten-Computer der katastrophenfilme aus den 80-er und 90-er Jahren. These Nummer gewinnt im Opfer menschliche Gestalt.

Es ist eine Ringerzählung. Sie beginnt mit dem Auftauchen des mystischen Lichts und sie endet mit dem Verschwinden diese Leuchtkörpers. Dazwischen liegen viele lebende Bilder, die jene Konflikte zwischen dem Archaischen und dem Artifiziellen, zwischen Individuum und Kollektiv mit den Mitteln des Modern Dance augenscheinlich machen. 

Die Reduktion des Balletts lassen diese Trennlinien deutlich werden, weil es sich auf das Wesentliche konzentriert. Die Spannung zwischen dem Ursprünglichen und dem Gekünstelten setzt Alboresi in den Massenszenen immer wieder gefällige und einleuchtend um. Damit bietet der Doppelabend  "Friedrich" und "Le Sacre du Printemps" nicht nur einen ästhetischen Kosmos zum Thema Individuum, sondern er zeigt auch, dass Nordhausens Ballettdirektor und  seine Compagnie wieder auf dem Weg zu neuen Formen und Ausdrucksweisen sind. Man darfg gespannt bleiben, wo die Reise noch hinführen wird.

Die Termine

Die nächsten Aufführungen im Theater Nordhausen finden am 15. und 24 November und am 1. Dezember jeweils um 19.30 Uhr statt.  Ab Januar gibt das Ballett mehrere Gastspiel in Rudolstadt, dann aber ohne Orchester. 





  

Montag, 22. Juli 2024

Dieter Nuhr offenbart sich als Menschenfreund in Vollzeit

In Goslar zeigt er Werke, die Distanz schaffen

Seit dem Auftritt von Christo hat keine Werkschau in Goslar solch ein Aufsehen erregt. Dieter Nuhr stellt dort aus unter dem Titel „Du denkst an durchfahrene Länder“. Es geht um Menschen und Landschaft, denen der Mann vom Niederrhein auf seinen Reisen um die Welt begegnet ist. 

Zur Vernissage am 21. Juli war der Garten im Mönchehaus Museum bis auf den wirklich allerletzten Platz belegt. Direktorin Bettina Ruhrberg und Dieter Nuhr machten im Einführungsgespräch deutlich, dass man den Kabarettisten und Künstler voneinander trennen sollte, auch wenn es nicht immer gelingt. Schließlich geht es um zwei Seiten derselben Person. 

Dieter Nuhr begann sein Studium als Kunstlehrer 1981 an der Folkwangschule in Essen. Er wollte Künstler werden, sein Vater bestand auf den Lehrer. ein typischer Kompromiss für die alte Bundesrepublik der 70-er und 80-er Jahre. Dass er dann Kabarettist geworden ist, bezeichnete er als Unfall und dann als Glücksfall. Die Bühnenerfolg sicherten die ökonomische Basis für die künstlerischen Tätigkeiten.

Das dürfte seit geraumer Zeit nicht mehr nötig sein. Nuhrs Bilder und Zeichnung laufen wie geschnitten Brot. 55 Ausstellungen in den letzten 11 Jahren grenzen an Hyperaktivität. Seinen verspäteten Einstieg in das Ausstellungsgeschäft bezeichnet er als Zufallsprodukt aus dem Jahr 2008. 

Kunst und Kabarett, das will er eindeutig getrennt sehen. Das Mittel der Politik ist das Wort, das eindeutige Argument. Die bildende Kunst arbeitet mit dem Bild, mit dem Eindruck. Sie entzieht sich dem Eindeutigen und lässt mehreres zu. Das ist kein Eskapismus, sondern ein anderer Zugang zur Welt, eine andere Sichtweise, die der anderen vorgelagert ist.

Er mahnt auch zur Vorsicht. Das Wort ist an die Ratio gerichtet und damit eindeutig, das Bild wird an die Emotion gesendet und ist damit manipulativ

Nuhrs Bilder sind die Produkte seines Fernwehs. "Ich reise so gern, weil es die Distanz zur Heimat schafft", lautet eine seiner Erklärungen. Die Ferne schafft eine neue Perspektive auf Gewohntes, relativiert dessen Bedeutung und rückt vieles zurecht. Deswegen wohnt seinen Bildern auch etwas Meditatives inne.

Alles nur kein Vorbild

Dann wird Dieter Nuhr doch politisch und korrigiert das "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen" der Oberbürgermeisterin. "Deutschland ist vieles, aber kein Vorbild für die Welt. "Der westliche Paternalismus hat in den letzten 60 Jahren viel Unheil in Afrika angerichtet", nennt er ein Beispiel.

Er korrigiert auch noch Aussage von Ruhrberg zum Anthropozän, des vom Menschen gemachten Zeitalters. Nuhr steckt tiefer in der Materie, als viele, die ihn angiften. Sein Diskurs ist aktueller als deren Argumente.

Reisen hat für Nuhr auch einen innere Funktion. Es Teil eines lebenslangen Prozess der Veränderung und des Lernen. Reisen schafft Begegnungen und Austausch. "Man geht dann auseinander und weiß, dass es einmalig war, dass man sich nie wieder treffen wird, aber es ist gut so", betont er. Visitenkarten oder Kontaktdaten tausche man in solchen Momenten nicht aus. 

Ständige Veränderung

Das mit der ständigen Veränderung meint er ernst. Die Werkschau "Von Ferne umgeben" ist seit zwei Jahren auf Tour, aber die Ausstellung im Mönchehaus in Goslar ist doch einzigartig. Seit 2022 sind einige Werke hinzugekommen, andere nicht zu sehen. Wer den Katalog kauft, wird dies feststellen. Im Gespräch betonten die Direktorin und der Künstler, dass die Exponate in dieser Zusammenstellung nur in Goslar zu sehen sind. „Du denkst an durchfahrene Länder“ ist eine eigenständige Ausstellung, kein Ableger, kein Duplikat. 

Es sind digitale Werk. Nuhr übermalt und überarbeitet und collagiert seine digitalen Fotos durchweg am Tablet. Er bringt Farbigkeit hinein und entzieht sie wieder. Teile eines Bildes werden zum Werkzeug für andere Bilder. Mitunter besteht ein Werk aus mehr als 100 Ebenen und zum Schluss hat er sich weit entfernt vom Ausgangspunkt.

Die Ausstellung ist thematisch zweigeteilt. Dominiert wird sie von den monumentalen Panoramabilder. Sie zeigen menschenleere Landschaft. Ihr Gigantismus wirkt auf den ersten Blick kontemplativ. Aber man sollte näher herantreten und sich Zeit nehmen für die Blicke ins Detail.  Der Wechsel von Gesamtperspektive und Detailtreue erlaubt es, sich in die Exponate zu versinken.

Das vermeintlich Bekannte ist bis an die Grenze verfremdet und zwingt deswegen zum Reflektieren und Neudenken. Manches ist rau und grob wie eine Cyanotypie. Anders mutet an wie eine Direktbelichtung, wie ein Papiernegativ. Auf dem Höhepunkt der Digitalen wird der Betrachter zurückgeworfen in die Anfänge der Fotografie.

In der Einführung macht Dieter Nuhr keinen Hehl aus seiner anfänglichen Skepsis dem Ausstellungsort gegenüber "Meine Bilder in einem Fachwerkbau, so etwas Großes in solch einem kleinteilige Gebäude, ich habe nicht gedacht, dass das funktionieren kann. Nun bin ich selbst überrascht", muss er zugeben.

Das eigene Kontrastprogramm

Kabarett und Kunst, zwei Seiten derselben Person. Landschaften und Portraits, zwei Seiten des Reisens. Auch das ist eine Goslarsche Spezialität auf dieser Tournee. Im Mönchehaus ist ein eigener Raum den Portraits gewidmet, die Nuhr aus seinen Fotos zieht. 

In lauten Zeiten überrascht er mit Sensibilität. Durch die weitgehende Abstraktion zieht er die Menschen aus ihrem Kontext. Das Motiv wird zum Individuum und ist nicht mehr Teile einer touristischen Staffage. Es wird nicht zum Objekt, sondern bleibt Subjekt weil der Mensch zugleich durch die grobe Strichführung als Person geschützt wird. Trotzdem legt Nuhr frei, was den Menschen, was die Menschen ausmacht.

Die Farbigkeit verschwindet zugunsten von schwarz-weiß. Mit der fortschreitenden Reduktion zeigt Nuhr, aus welch vielen Teilen der Kern des Menschsein besteht. Hinter dem Gelegenheitszyniker Nuhr steckt der Menschenfreund in Vollzeit. Dieses Prinzip tritt in den neueren Exponaten immer weiter in den Vordergrund und damit ist die Werkschau auch im dritten Jahr immer noch ein Prozess der Veränderung. Also bietet dieser intime Teil der Ausstellung den persönlichen Zugang zum bildenden Künstler Dieter Nuhr. 

Eine weitere Besonderheit kann Bettina Ruhrberg bei der Einführung noch stolz präsentieren. Bei allen digitalen Werken gibt es in Goslar eine analoge Premiere. Dieter Nuhr hat die Ausstellung im Mönchehaus um zwei Bleistiftzeichnungen von Menschen in traditioneller Technik ergänzt. Es war ihm wohl ein besonderes Anliegen. 

Die Daten 

"Von Ferne umgeben" ist noch bis zum 22. September im Mönchehaus in Goslar zu sehen. Geöffnet ist die Ausstellung dienstags bis sonntags von 11 17 Uhr. Das Museum befindet sich in der Mönchetraße. Zum Bahnhof sind es zu Fuß 900 Meter. Die nächstgelegene Bushaltestelle ist in der Marktstraße. Parkplätze gibt es vor Ort nur für Anwohner.

Derzeit läuft im Mönchehaus noch ein weitere Ausstellung mit Werken des mystischen Grafikers Friedrich Schröder- Sonnenstern. 



Verlinkt: Das Museum Mönchehaus in Goslar.

Verlinkt 2: Mehr Bilder gibt es hier.

Verlinkt 3: Das Interview zur Ausstellung gibt es hier.

                   











Dienstag, 16. Juli 2024

Turandot vergibt jede Menge Chancen

 Puccini-Oper wirkt wie Schülertheater

Es bleibt dabei. Mit der Oper "Turandot" setzt das Theater Nordhausen den Reigen der belanglosen Aufführungen fort. Dabei bietet doch gerade dieses Werk von Puccini dutzendweise Anknüpfungspunkte zur Jetztzeit. Stattdessen serviert Benjamin Prins eine Ausstattungsoper, der man den Staub von hundert Jahren anmerkt.

Puccini gilt als der letzte Vertreter des Verismo, also der italienischen Operntradition, auf der Bühne die gesellschaftliche Realität abzubilden. Aber auch er musste seine "Turandot" in die Vergangenheit und in ein fernes Land verlegen, um Kritik an der Gegenwart zu üben. Immerhin hatten zwei Jahre zuvor die Faschisten die Macht in Italien übernommen.

Somit kann man König Timur durchaus als Abbild des entmachteten Viktor Emanuel III. betrachten kann. Nächste Parallele: Wie die Faschisten berufen sich die neuen Opernherrscher auf eine tausendjährige Tradition.

Sohn und Vater können vorerst nicht
zueinanderfinden.        Alle Fotos: TNLos 
Als der neue Frauentypus der 1920er Jahre kehrt Turandot die Machtverhältnisse um. Als gewalttätige Feministin spricht sie von sexueller Selbstbestimmung und umgekehrten Geschlechterverhältnissen. Das hat Puccini so plakativ in seine Oper geschrieben, dass man wenigstens nicht übersehen kann. Dass Prinz Calaf am Ende mittel sexuellen Übergriffen einfach so und kommentarlos obsiegt, das verwundert schon.  

Daneben bietet das Werk noch einige Ansätze, um die Brücke in die Gegenwart zu schlagen, um deutlich zu machen, dass vieles, was uns heute Sorgen bereitet, schon in der Vergangenheit angelegt war. Stattdessen präsentieren die Schlossfestspiel eine historisierende Inszenierung, die in ihrer Harmlosigkeit bald schon ein Roll back ist. 

Benjamin Prins hat sich für die Schlussversion von Franco Alfano entschieden. Dort werden man Ende die alten Verhältnisse wiederhergestellt. Arturo Toscanini und Luciano Berio hatten andere Versionen für das unvollendete Werk aufgezeigt. 

Schon das Bühnenbild macht es deutlich. So viel Augsburger Puppenkiste gab es in Sondershausen nie. Die Bühne wirkt wie eine Szene aus "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer". Frau Mahlzahn ist besiegt und liegt im Hintergrund als der goldene Drache der Weisheit. Als im Schlosshof dieser Drache auch noch anfängt zu blinken, zu rauchen und zu sprechen, ist die Grenze zwischen Kitsch und Satire erreicht.

Gleiches gilt für die Kostüme. Anstatt die Anknüpfung an die Gegenwart zu suchen, verbleibt die  Ausstattung in einer Vergangenheit, die es so nicht gab. Die Palastwache und das Volk von Peking wirken streckenweise wie Mummenschanz.

Das Ensemble rettet die Inszenierung

Im krassen Gegensatz dazu stehen die Leistungen des Ensembles. Kyounghan Seo in der Rolle des Prinzen Calaf hat eine erstaunliche Entwicklung hingelegt. Seine stimmlichen Fähigkeiten hat er um ein beeindruckendes Repertoire an schauspielerischen Fähigkeiten erweitert. Er trifft nicht nur den richtigen Ton, er hat auch immer die die passende Geste und Mimik parat. Als Kraftpaket bildet er den Gegenpol zu Hye Won Nam als Turandot. 

Chaplins Brüder im Geiste. Alle Fotos: TNLos
Durch Kostüm und Maske begrenzt, begeistert sie aber mehrfach mit tollen Koloraturen. Mariya Taniguchi in der Rolle der Sklavin Liú liefert das Kontrastprogramm mit butterweichen Arien voller Gefühl. Senn sie nicht immer in gebeugter Haltung singen müsste, würden die noch ein wenig an Strahlkraft gewinnen.

Mit dem Pathos hat es Puccini bei seiner Turandot zu gut gemeint. Da kommen Ping, Pong und Pang als Antidot genau richtig. In den Rollen des Kanzlers, Marschalls und Küchenchef geben Florian Tavic, Jasper Sung und Marian Ka

lus der Inszenierung den Schwung, der ihr in den ersten dreißig Minuten fehlt. Ihr chaplinesken Auftritte geben der Aufführung das surreale Moment, dass die Inszenierung unbedingt braucht. Die drei Herren haben Spaß am Gesang und am Spiel und können diesen auch ans Publikum weiterreichen. 

      

   

Donnerstag, 4. Juli 2024

Der Himmel weinte ein wenig beim Konzert von Alsmann

Feucht-fröhliche Abschiedsparty im Kreuzgarten

Es waren Götz Alsmann und Band, die 2004 die Tradition der Open Air Konzerte bei den Kreuzgangkonzerten begründeten. Danach kamen der Hr. Doktor und seine Combo regelmäßig zu rauschenden Musikfesten nach Walkenried. Am Montag lieferte das Quintett noch einmal ab und machte deutlich, was ein Konzert der Extraklasse ausmacht. 

Im Gepäck hatte die Band das neue Album "Bei Nacht" und ist Grundlage des neuen Live-Programms. Nach vielen Versuchen in Rumba und Mambo macht das Ensemble damit einen Schritt zurück in Richtung Wurzeln. Es swingt, es jammt, es macht Spaß, die jazzigen Anteile dominieren und das ist gut so. Gemischt wird das ganze mit einem ordentlichen Schuss Schlager aus seinen besten Tagen.

Es zieht sich durch den ganzen Abend: Hier treffen sich Ausnahmemusiker auf Augenhöhe. Götz Alsmann am Piano und Schlagwerker Altfrid M. Sicking treiben sich zu fantastischen Soli an. Manchmal bleibt auch Platz für die anderen, aber weniger als in den Vorjahren



Das ist der Kern der Musik seit Urzeiten. Menschen kommen zusammen, entwickeln gemeinsam Ideen, tauschen Noten aus, jeder variiert ein wenig und zum Schluss trifft man sich wieder auf dem gemeinsamen Nenner. Trotz aller Routine haben Alsmann und sein Ensemble den Spaß an diesem Treiben nicht verloren und diesen Spaß geben sie an der Publikum weiter. Mehr kann man nicht erwarten. 

Das ist der Kern der Musik

Ob drinnen oder draußen, dank des überschaubaren Auditoriums und des direkten Kontakts zum Publikum sind die Kreuzgangkonzerte das allerbeste Forum für solche einmaligen Erlebnisse. Spontan und einmalig statt durchgeplant und beliebig, darauf kommt es an, wenn aus musikalischen Abenden bleibende Erinnerungen werden sollen.

Genau das haben Alsmann und Band geschafft und auch sie hatten ihren Spaß dabei. Das beginnt schon bei der ersten Nummer "Die Nacht, die Musik und dein Mund". Der Jazzschlager kommt locker und beschwingt daher und versetzt das Publikum von der ersten Note an in gute Stimmung. Man vergisst das Wetter und so soll es auch sein. 

Selbst das Trauerstück "In dieser Stadt" aus dem Repertoire von Hildegard Knef  kommt locker daher und Sicking und Alsmann probieren sich bei der Gelegenheit auch mal in Blues-Akkorden. Ausgerechnet bei der Referenz an die Beatles leisten sie sich einen Rückfall in Mambo-Zeiten. Aus "Yesterday" hatte Knut Kiesewetter einst "Gestern noch" gemacht. Die Alsmann-Version mit lateinamerikanischen Rhythmen nimmt dem Original und der Cover-Version den Zuckerguss und das ist gut so. 


Mehr als nur Musik

Was Alsmann einmalig macht, sind seine Moderationen. Das ist Schabernack auf halbwissenschaftlichen Niveau. Rasant und wortreich nimmt er das Publikum mit in sein Kopfkino. Der Doktor erfindet nicht nur Geschichten, sondern auch Worte. Keiner der Anwesenden wird je vergessen, wie einst die Schlager von Margot Hilscher im Archiv des WDR verschwanden, wie sich namhafte Musiker erfolglos darum bemühten, den Soundtrack von "Lieben Sie Brahms?" auf dem deutschsprachigen Markt zu etablieren. Die Erzählung von Horst Frank, Senta Berger und Vivi Bach aus den Zweiten des Agentenfilms ist so eindringlich, dass man gern glaubt, dass es den Streifen "Der Fluch des Tachagoti" wirklich gibt.

Das sind Fake News, aber Götz Alsmann baut die Versatzstück der Pop-Kultur der Nachkriegszeit so gut zusammen, dass man die Wahrheit gar nicht wissen will. Das ist wohl Natürliche Intelligenz. Die lässt sich auch nicht vom kleinen Regenschauer aufhalten. 

Das war's dann wohl

Immer wieder bedankt sich Götz Alsmann bei Thomas Krause und seinem Team. Das kleine Festival im kleine Garten ist dem großen Musiker und seinem Ensemble über 20 Jahre hinweg ans Herz gewachsen. Mehr Lob kann es kaum geben. 

Doch im nächsten Jahr steht der Kreuzgarten wegen Sanierungsarbeiten als Spielstätte nicht zur Verfügung. Zudem beendet Thomas Krause am Ende diesen Jahres seine Intendanz bei den Kreuzgangkonzerten. Wie es dann weitergeht, ist noch unklar.

Auf der anderen darf spekuliert werden, ob das Album " ... bei Nacht ... " das Opus magnum ist, mit dem sich Alsmann und sein Ensemble von den Bühnen verabschieden wollen. Dann darf sich das Publikum umso mehr freuen, Teil dieses grandiose Konzert gewesen zu sein.  




Blick ins Archiv


Die höchsten Weihen - Alsmann 2016 im Kreuzgang

Fliegen, singen, tanzen - Alsmann 2019 im Kreuzgarten

Die letzten ihrer Art - Alsmann 2022 im Kreuzgarten