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Die Göttin kam aus Bremen - V

 

Mit Isabella durch die Toskana des Nordens

Gang 4

Als alte Rallye-Hasen kennen wir das morgendliche Ritual. Proviant im Auto verstauen, Startnummer anbringen, Brötchen aus der Schubkarre schöpfen, frühstücken und auf das Briefing warten. In diesem Jahr war die Ungeduld besonders groß. 

Wir wollen fahren, fahren, schweben. Deswegen erschien uns das Briefing in diesem Jahr besonders lang, zumal anders als im Vorjahr keine Änderung an der Strecke gab. Das Road Book vom Vortag hatte immer noch Bestand. Immerhin ist das Frühstück eine gute Gelegenheit, mit den Sitznachbarn ein Schwätzchen zu halten. 

"Wo kommt ihr her - Seid ihr das erste Mal bei der PS.Speicher-Rallye dabei - Einfach eine tolle Veranstaltung - Ja die beste dieser Art - Das Frühstück ist rustikal, aber in Ordnung - Ja, das gehört einfach dazu - Wie lange will der eigentlich noch reden - Wir wollen auch los - Was fahrt ihr - Wir fahren eine Isabella Borgward". 


Winken, cool gucken und bloß nicht die Anspannung anmerken lassen.

An dieser Stelle macht das Gespräche eine kurze Pause, statt Worte gibt es anerkennende Blick. Aber jeder und jede, die dabei ist, fährt ein tolles Auto und ein Porsche 356 ist auch nur ein Käfer mit kaputten Auspuff. 

Es ist schon eine komische Gemengelage. Irgendwie sind die Teilnehmer der PS.Speicher-Rallye eine Gemeinschaft von gleichgesinnten Auserwählten. Nicht jeder schafft es hierhin. Wir sind Brüder und Schwestern im Geist, weil wir dieses besondere Gefühl suchen. Aber wie das in einer Familie so ist, man konkurriert auch ein wenig, denn am Ende des Tages möchte keiner Letzter sein.

Neue Freunde sind integraler Bestandteil

Dennoch ist das Gewinnen neuer Freunde ein wichtiger Bestandteil einer jeden PS.Speicher-Rallye. Jeder kann mindestens eine Geschichte erzählen und bei der PS.Speicher-Rallye 2025 treffen wir Birgitt und Heinz Hüter. Sie wohnen in Wernigerode, sind zum vierten Mal rund um Einbeck dabei und eine Legende in der Oldtimer-Szene im Nordharz. Zusammen mit drei Freunden hat Heinz schon 1977 den Oldtimerclub in Wernigerode gegründet. zu vergeben hat. 

Heinz und seine Frau fahren etwa 20 Rallyes pro Jahr. Er hat sich vor drei Jahren einen Traum erfüllt: einen BMW 2002. Er wollte mal West-Technik fahren und für die Strecke in diesem Jahr braucht es schon ein Auto mit Kraft unter der Haube. Es geht bergan, bergab, um die Kurve und gleich nochmal um die Kurve in der nächsten Steigung.



Die Hüters sind ein traumhaftes Trio.

Ein Jahr lang hat er an dem Auto geputzt, gekabelt und geschraubt. Nun fährt er damit im Westen. Bei Rallyes im Osten ist er im gelben Shiguli 1200 unterwegs. Die Auswahl hat kommunikative Gründe. 

Mit dem Shiguli, auch als Lada bekannt, kommt er im Osten schneller ins Gespräch, mit dem BMW im Westen. Nach den Erfahrungen mit dem Ford "Badewanne" gleich bei der ersten Teilnahme 2018 kann ich das nachvollziehen. Das "Oh, den hab' ich auch gefahren" oder das "Mein Vadder hatte auch so einen" ist der beste Einstieg in den Erfahrungsaustausch.

Technisch benachteiligt

Wie ich an anderer Stelle schon erwähnt hatte, funktionieren die Kilometerzähler an unserer Isabella nicht. Das macht das Fahren nach Road Book unnötig schwer, aber ich kann ansatzweise mit Ortskenntnissen ausgleichen. Zumindest auf den ersten 30 Kilometern muss mir meine Liebste nur die Namen der Orte zurufen, die wir durchfahren sollen. Zurufen, denn wir fahren ja ein altes Cabrio. Bei neueren Cabrios soll die Luft besser strömen, habe ich mir sagen lassen. Aber wer will schon ein neues Cabrio fahren, wenn er eine Isabella Borgward steuern darf? 

Bei der ersten Wertungsprüfung sollen wir auf die Zehntelsekunde genau anfahren. Macht das mal mit einer Kupplung, die zwei Sekunden braucht bis sie merkt, dass sie gemeint ist. Dafür haben wir die Reste des "Känguru-Benzins" aufgebraucht. Der Wagen fährt ruckelfrei an, was sage ich "fährt an", er gleitet, zu spät, aber er schwebt davon wie eine Göttin und die trägt uns in die Toskana des Nordens. Das Kätzchen unter der Motorhaube schnurrt zufrieden. 

Es ist das Gesamtpaket, dass die PS.Speicher-Rallye einzigartig macht. Zu diesem Gesamtpaket aus historischen Fahrzeug, kompetenter Organisation, erstklassiger Betreuung und Benzingesprächen gehört das Publikum und seine Begeisterung. Es ist nicht nur das Publikum, dass uns in Einbeck verabschiedet und später willkommen heißt. Es sind die unzähligen Menschen an der Strecke, die uns Wildfremden zujubeln, mit denen wir mit Winken und Hupen in einen sekundenschnellen Austausch treten. 


Das morgendliche Studium des Road Books hilft nur begrenzt, wenn der Kilometerzähler nicht funktioniert.

Sie haben sich in Gruppen zusammengefunden, Tische und Stühle an die Straße gestellt, filmen und fotografieren, rufen uns zu, manche erkennen unseren Wagen auf Anhieb und freuen sich umso mehr, wir teilen unser Freude mit unzähligen Menschen. 

Apropos Hupe. Man merkt, dass Borgward kurze Zeit im Schiffbau tätig war. Die Isabella hat keine Hupe, die Isabella hat ein Schiffshorn. Der mächtige Ton ist schon ein bemerkenswerter Kontrast zur eleganten Erscheinung der alten Dame.

Etappenziel erreicht

Mit zweimal verfahren erreichen wir das Etappenziel Bilster Berg. Dass sich dort eine Test- und Rennstrecke befindet, haben wir dank der Ausschreibung zur Rallye erfahren. Nachdem sich Duderstadt 2024 aktiv als Etappenziel beworben hatte, gehe ich davon aus, dass es hier ähnlich lief. Denn mit einer Gesamtlänge von 180 Kilometern ist die Strecke 2025 deutlich länger als in den Vorjahren.

Wer aber wissen möchte, warum man auf die Idee kommt, hier in der ostwestfälischen Provinz mitten im Teutoburger Wald und dann auch noch oben drauf, eine Rennstrecke zu bauen, der sollte mal hinfahren und einfach die Aussicht genießen und der muss sich sagen lassen, dass die Aussicht aus einem Cabrio, das im Midtempo über die Strecke fährt noch zehnmal, hundertmal besser ist, weil eben auch der Vierzylinder entspannt schnurrt. Das war wohl der längste Satz der Automobilgeschichte und dafür beantrage ich einen Preis.

Weder meine Liebste noch ich waren jemals auf eine Rennstrecke. Also sind wir aufgeregt genug. Die Stewards sorgen für ausreichenden Abstand zwischen den einzelnen Startern, trotzdem höre ich im 3-Sekunden-Takt "Fahr doch nicht so schnell". Ah ja, schnell fahren mit einem 65 Jahre alten Auto mit 75 PS auf einer Strecke, auf der es nur hoch und runter geht. Die kleinste Steigung hat 10 Prozent, die größte 26. Wie soll da "schnell fahren" gehen?


Der Mann von Welt trägt auch auf der Rennstrecke Hut. Selbst in Ostwestfalen. 

An der Mausefalle schaffen wir es auf 70 km/h in der Senke, doch die anschließende Nordwand saugt den ganzen Schwung auf. Oben auf der Kuppe muss ich in den dritten Gang runter schalten, um nicht stehen zu bleiben. Wie war das noch mal? Kupplung durchtreten, Schalthebel in die neutrale Position schnellen lassen, nach vorne oben drücken, Kupplung kommen lassen und Gas geben.

Von den Fahreigenschaften unserer Isabella bin ich ein wenig überrascht, positiv überrascht. Na klar ist Straßenlage nicht so sportlich exakt wie beim Fiat 850 Spider oder beim Fiat Viotto, aber bei weitem nicht so schwammig wie einst beim Ford Taunus 17m. Das Übersteuern hält sich in Grenzen und wir bewältigen de Pylonenwald ohne ein Hütchen umzuwerfen. Ich betone: wir bewältigen den Pylonenwald gleich zweimal ohne ein Hütchen umzuwerfen.

Ich kann das leichte Schaukeln sogar nutzen, um mit Schwung durch die S-Kurven zu kommen. 2 CV-Fahrerinnen kennen die Technik ebenfalls.


Der Blick unter die Haube verrät links unten, dass diese Isabella in Handarbeit bei Karl Deutsch in Köln umgebaut worden ist. 

Wir ergaunern uns eine zweite Runde und müssen deswegen am Büffet Tempo machen, um noch die vereinbarte Startzeit für die Rückreise einzuhalten. Das ist unnötig, denn beim Gang durch den "Parc fermé" bummeln alle anderen so wie wir.

Für den Ford Capri I RS 2600 und den Packhard ist hier Schluss. Wir müssen uns an dem 67-er Ford Mustang vorbeischlängeln. Der will noch nicht zurück.

Der lange Weg zurück

Nun geht es wieder in die Zivilisation und dabei kommen uns die PS.Speichler entgegen, die deutlich nach uns gestartet sind. Wir winken, sie winken zurück, Lichthupe und Borgward antwortet mit dem Nebelhorn. 

Ganz besonders freuen wir uns, als wir den marineblauen BMW 2002, Baujahr 1973 und 100 PS, mit der Startnummer 200 und dem WR-Kennzeichen im Gegenverkehr entdecken. Das Winken und Hupen ist nun besonders auf beiden Seiten. Was wir noch nicht wissen: Es vorläufig die letzte Begegnung mit den Hüters. In der Menschenmenge des Fahrerabends werden wir uns nicht mehr treffen. Schade.

Auf den 100 Kilometern zurück nach Einbeck gibt es viele Gelegenheiten, die Stärken der Isabella auszuspielen. Es gibt jede Menge lange Landstraßen durch dünn besiedeltes Gebiet bis Höxter, links und rechts nur einzelne Höfe versteckt zwischen Buchen.


Ich bin noch nie so oft fotografiert worden, wie an diesem Wochenende.
Fotografin leider unbekannt, trotzdem Danke.


An der Ampel in der Kreisstadt kommen wir mit einem Radfahrer ins Gespräch. Er lobt die Eleganz unseres Fahrzeug, ich lobe seine austrainierten Waden. Durch ein Gewerbegebiet verlassen wir Höxter und müssen wieder auf die Schnellstraße. Keinem behagt das. 

Die weltbeste Road Book-Leserin passt auf. Auf einer schmalen steilen Straße hinter Holzminden muss wir links abbiegen in einer noch steilere und noch schmalere Straße durch den Wald nach Silberborn. Nach der kühle Phase im Teutoburger Wald scheint wieder die Sonne und auf dem Waldweg hinter Torfhaus (Solling) schluckt die Isabella alle Unebenheiten weg.

So langsam wird die Landschaft wieder so wie sie sein soll, eben die Toskana des Nordens mit goldenen Feldern auf sonnendurchfluteten Hügeln. Nun werde ich übermütig und setze mich mal durch. Bergab hinter Hilwartshausen beschleunige ich das Gefährt und der Tacho zeigt 90 km/h an. 

Wie am Rosenmontag

Im großen Bogen geht es um Einbeck herum und durch Einbeck, denn wir kommen aus der falschen Richtung, gewissermaßen. Der Zielstrich ist in diesem Jahr auf dem Markplatz und den können wir nur aus dem Norden kommend erreichen.

Tausende von Menschen begrüßen uns dort, sie winken, wir winken zurück und vor Inbetriebnahme des Schiffshorn warne ich meine Mitmenschen. Kinder machen große Augen und Opa freuen sich. Es ist eine riesige Party mit glücklichen Menschen. Ein wildfremder Mensch bietet mir an, mit meinem Smartphone Bilder von uns zu machen und ich gehe drauf ein. Hier wird niemand zu Dieb.


Selten so entspannt nach 180 Kilometern ohne elektronische Hilfen. Das Foto hat der junge Mann mit dem Gipsarm gemacht, der wohl aus Indien zugewandert ist. 

Ich hatte schon mehrfach gesagt, es sei ein wenig wie Rosenmontag in Höckel'n. Auch dort werden zum Schluss die Wagen und die Wagenlenker vorgestellt. Fachjournalist Andy Schwietzer erklärt dem unkundigen Publikum auf dem Marktplatz in Einbeck, warum eine Isabella seinerzeit das coolste Auto Deutschlands war und der Liebling der neuen Eliten und wesentlich teurer als ein Porsche.

Wir nehmen die Medaillen in Empfang und stellen den Wagen am PS.Speicher ab. 180 Kilometer ohne Servolenkung und Bremskraftverstärker durch die Toskana des Nordens und trotzdem kein Stück erschöpft. Das muss am Serotonin liegen

  




   


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#thomaserinnertsich     #spätermehrdazu










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