Montag, 24. Juni 2019

Göttlich und mitreißend

"Spatz und Engel" eröffnen die Domfestspiele

Ich habe die Piaf gesehen, doch wirklich. Die steht in diesem Sommer in Bad Gandersheim auf der Bühne. Dort lebt, leidet und stirbt sie auch eindrucksvolle Weise. Doch hübsch der Reihe nach.

Man könnte es wohl Musiktheater nennen. "Spatz und Engel" von Daniel Große Boymann und Thomas Kabry behandelt das Verhältnis von Marlene Dietrich und Edith Piaf zueinander. Was dabei Historie und was Fiktion ist, bleibt in der Inszenierung von Sandra Wissmann zweitrangig. Die Möglichkeit ist entscheidend. Es könnte so gewesen sein, es könnte sich so zugetragen haben.

Die Aufführung vor der Stiftskirche entwickelt eine eigene Logik. Aber vor allem fesselt sie durch die gesangliche Leistung von Syliva Heckendorn. Damit erleben die 61. Gandersheimer Domfestspiele eine mitreißende Eröffnung.

Da ist sie noch die Kühle.
Alle Fotos: Kügler
Auf ihre spezifische Art und Weise haben Marlene Dietrich und Edith Piaf das Showgeschäft des 20. Jahrhunderts geprägt. Die Göttlich, wie Marlen Dietrich auch genannt wurde, hat als kühle Blondine ein neues Frauenbild installiert. Der Spatz von Paris hat ein bestehendes Frauenbild ins Absurde übersteigert. Die lebte selbstbestimmt, die andere getrieben. Bei allen Gegensätzlichkeiten gab es auch eine Gemeinsamkeit: Sie pfiffen auf Konventionen.

Das Stück beginnt mit einer Niederlage. Piaf erlebt 1948 in New York ein Debakel. Dann trifft sie auf Marlene Dietrich und diese nimmt sie unter ihre Fittiche. Dietrich wird zu Garantin des musikalischen Welterfolgs.

Die Inszenierung von Sandra Wissmann ist eine Studie über Abhängigkeiten. Die Dietrich versucht immer wieder die Kontrolle über das leben der Piaf zu erlangen. Doch damit muss sie scheitern. Die Französin entzieht sich immer wieder dem Zugriff auf ihr komplettes Leben.

Sind es anfangs kleine Schlupflöcher, kommt es bald zum Eklat. Das Projekt "Kontrolle" muss scheitern, weil sonst die Piaf'sche Tragödie nicht vollendet werden kann. Aber wer braucht hier eigentlich wem? Schwan macht deutlich, dass auch marlene Dietrich nur über ein beschränktes Repertoire an Verhaltensweisen hat. Anders formuliert: Sie kommt aus ihrer Haut nicht raus und deswegen bleibt ihr Werk unvollendet.

Was sich anhört, wie ein Ausflug in die Küchenpsycholgie, kommt aber als witzige, freche und rasante Revue daher. Allein schon, die Idee, das erste Treffen in der Damentoilette stattfinden zu lassen, ist auch heute noch Basis für einiges an pikierten Befremden.

Wenn auch die Moralvorstellungen in Sachen Sex großzügiger geworden sind, so mag doch mancher im Publikum mehrere "Ach ja"-Momente erlebt haben. Aber es ist vor allem die ungeschönte Sprache. Hier wird nichts beschönigt, es wird gesprochen wie die Münder gewachsen sind. Das Wort "Scheiße" fällt mehrmals und es wirkt noch nicht einmal aufgesetzt. Es passt dort, wo es auftaucht.

Im Eiltempo geht es durch 15 Jahre und zahllose Szenen, Umbau folgt auf Umbau und die Nebenrollen wechseln mitunter im Sekundentakt. das ist dem Thema und der zeit durchaus angemessen.

Aber es ist vor allem die Musik und insbesondere die Hauptdarstellerinnen, die diese Aufführung so großartig machen. Ferdinand von Seebach verzichtet auf das Orchestrale. Er sitzt am E-Piano und Vassily Dück spielt das Akkordeon. Manchmal gibt es auch nur E-Piano. Die Reduzierung stellt die Musik und ihre Aussage in den Vordergrund und nicht das Arrangement.

Diese beiden Damen haben für einen großen Abend
gesorgt.   Alle Fotos: Kügler
Miriam Schwan gibt eine Marlene Dietrich, wie sie dem Mythos entspricht: Kühl, bestimmt und selbstbewusst. Geht es um Handlung ist ihre Gestik ist meist gerade aus und fast schon kantig. Die Sprache knapp. Dann schaltet sie um in den Show-Modus und alles fließt. So macht die Eintopf-auf-den-Küchentisch-Szene deutlich, dass auch die Göttliche gelegentlich ganz menschlich war. Da passt der emotionale Vortrag von "Sag mir wo die Blumen sind" bestens dazu.

Doch das Zentrum, um das sich diese Inszenierung dreht, ist Sylvia Heckendorn. Der zur Schau gestellte Akzent mag ein wenig aufgesetzt sein und der Rücken zu sehr vom Gram gebeugt, aber wenn sie sich freut, dann freut sich das Publikum mit ihr. Wenn sie leidet, dann leidet auch das weite Rund mit ihr. So viel Leben steckt in ihrem Spiel.

Aber das große Plus der gelernte Sängerin sind ihre Stimme und ihr Vortrag. Als sie nach gut zwanzig Minuten mit "Padam, Padam" den ersten Piaf-Song intoniert, herrscht im Auditorium  erstauntes Schweigen. Heckendorn ist nicht nur verdammt nahe dran am Original, sie legt auch noch ein Stück selbst Erlebtes mit hinein.

Bei "La vie en rose" summt das Publikum mit und als es bei "Milord" sogar mitklatscht ist die Grenze zum Konzert längst überschritten. Dennoch wird "Je ne regrette rien" nicht zur Schnulze sondern zu einem Bekenntnis. Man nimmt es Sylvia Heckendorn ab, das sie nichts bereut, sofern sie denn die Piaf wäre.







Material #1: Gandersheimer Domfestspiele - Die Website
Material #2: Spatz und Engel - Das Stück

Material #3: Edit Piaf - Die Biografie
Material #4: Marlene Dietrich - Die Biografie


Sonntag, 23. Juni 2019

Trennung ohne Schmerz

David Orlowski Trio verabschiedet sich mit einem fulminanten Konzert

Es ist alles gespielt, es ist alles gesagt. So kann man ruhigen Gewissens auseinandergehen Mit einem fulminanten Konzert verabschiedete sich am Sonnabend das David Orlowsky Trio von seinem Publikum in Walkenried.

Nach zwanzig Jahren trennt sich das Ensemble im Herbst. Die drei Musiker gehen dann eigene Wege. Auf der Liste ihrer Abschiedstournee stehen nur Orte, die den Dreien besonders am Herzen liegen. Dabei war allein die Präsenz in Walkenried schon eine Auszeichnung genug. Das Auftritt war dann das Sahnehäubchen.

Vielleicht lag es auch an der Kabbala. Immerhin war es der siebte Auftritt des Trios bein den Kreuzgangkonzerten und die Sieben ist nach jüdische Mystik eine heilige Zahl.

Der Beginn ist fließend. Florian Dohrmann zupft die Saiten des Bass vorsichtig, Jens.Uwe Popp gibt etwas Gitarre dazu. Dann meldet sich Orlowsky zurückhaltend zu Wort. In den Schöpfungsgeschichten hat der Gott den Wesen das Leben eingehaucht. Einer alten Musikerlegende zufolge tat er dies mit einer Klarinette.

Schon im ersten Song "Noema" wird der ganz besondere Reiz der DOT-Kombination deutlich. Die perkussive Spielart der Gitarre erzeugt ein transparentes Klangbild, in den jeder einzelne Ton seinen Stellenwert hat. Die Klarinette produziert hingegen einen Strom an Tönen, der mal bedächtig fließt, mal quirlig sprudelt.

So viele Töne aus so einem kleinen Instrument.
Alle Fotos: Kügler
Die Aussage, dass dieses Trio Klezmer spielt, ist zu kurz gegriffen. Klezmer, Klassik und Jazz, Es sind unterschiedliche Traditionen, in denen sich die drei Musiker sehen. Damit haben sie in den letzten 20 Jahren ihr eigenes Genre geschaffen, die "world chamber music", das Kammerorchester der Weltmusik. gewissermaßen. Bei allen  Mischereien bleiben die Quellen aber erkennbar.

Dann kommt Leben in das Spiel. Der  "Night Train to Odessa" ist ein wahrer Schnellzug. Orlowski gibt ein Thema vor, das Popp aufgreift und beschleunigt. Dann nimmt die Klarinette den Ball wieder auf. Es entsteht eine Klanggewebe, das an Intensität kaum zu überbieten ist. Wer ist hier Schaffner und wer Heizer? Die Rollen wechseln ständig und beweisen die Gleichwertigkeit der drei Mitglieder des Trios.

Bei den letzten Auftritten zeigte sich das Trio eher zurückhaltend, nun haben alle drei deutlich an Lebendigkeit gewonnen. Vor allem haben sich die Gewichte hinzu den Saiteninstrumenten verschoben. dies sorgte noch einmal für mehr Dichte und für ein Plus an Ausdrucksmöglichkeiten. In "Insomnia" erzeugt Dohrmann mit Bogen einen meditativen Bass als Grundlage für Popps Gitarrensolo.

Im anschließenden "Valsa sem Nome" zelebrieren beide die Leichtigkeit brasilianischer Musik. Sie haben Spaß daran und den teilen sie mit dem Publikum. Eine ganze Welt liegt in diesem Klängen.

Mit dem "Schelm" von Florian Dohrmann und zwei Songs des legendären Naftule Brandwein kehrt das Trio dann zurück zur Rasanz des klassischen Klezmer.

Florian Dohrmann ist Basser.
Alle Fotos: Kügler
Nach der Pause ist  Orlowskys "Indigo" der gewohnt vorsichtige Einstieg in den nächsten Teil des Abends. Er versinkt in der Musik und das Publikum fokussiert sich auf die Klarinette. Die Schnelligkeit erstaunt, aber auch die Vielfalt der Klangbilder. Orlowskys Instrument kann alles: jubilieren, seufzen, klagen und auch feiern

Die Klarinette ist wieder mit einem Schöpfungsakt beschäftigt. Es scheint, als ob Orlowsky eben gerade in diesem Moment die Melodie erfindet. In der "Bucovina" ist diese Melancholie wie weggeblasen. Jetzt zeigt Dohrmann, dass ein Bass mehr ist als ein Rhythmusinstrument. Das Griffbrett rauf und runter und jeden Ton sauber gesetzt. Sein Solo wird mit Szenenapplaus belohnt.

In "Carnyx" treten wieder Gitarre Kontrabass in einen Dialog ein und in "Quinta" verdeutlicht Jens-Uwe Popp noch einmal, das die klassischen Gitarrenmusik sein Basislager ist. Seine filigranen Tongebilde könnten auch für sich allein stehen.

Mit "Jodaeiye" kommt ein Kontrastprogramm. Dohrmann lässt den Bass mit dem Bogen klingen wie Digeridoo, darüber setzt Popp eine Melodie, die der Musik Andalusiens verbunden ist. Hier treffen Welten friedlich aufeinander und beginnen einen Dialog.

Das Finale gehört wieder David Orlowsky. Seine Moderation beweist, dass er die verkopften alten Zeiten hinter sich gelassen hat. Souverän und selbstironisch führt die Zuhörer in "Goldfinger" ein. Er spielt mit dem Publikum und dies folgt seinen Anweisungen. So locker war Orlowsky noch nie. Als er dann noch den längsten Ton, der je auf einer Klarinette gespielt wurde, in den Kreuzgang haucht, steigert sich die Begeisterung zu Euphorie.

Zweimal erklatschen sch die Zuhörer an diesem Abend Zugaben. Als das Publikum bei "Donna Donna" vielstimmig mitsummt, ist klar: Danach kann nichts mehr kommen.






Material #1: Die Walkenrieder Kreuzgangkonzerte - Die Website

Material #2: David Orlowsky Trio - Die Website
Material #3: David Orlowsky Trio - Die Geschichte




Jesus Christ ist ein Superstar

Schlossfestspiele mit Musical eröffnet


Statt vieler Worte mal multimedial hier.Der Trailer zu "Jesus Christ Superstar" bei den Schlossfestspielen Sondershausen.






Material #1: Die Schlossfestspiele - Der Spielplan
Material #2: Jesus Christ Superstar - Das Musical

Donnerstag, 20. Juni 2019

Lazarus bleibt halbtot

Musical am DT Göttingen gefällt nur streckenweise

Die Reanimation ist nur ein Teilerfolg. Das Musical "Lazarus" am Deutschen Theater Göttingen bleibt hinter den eigenen Ansprüchen zurück. Da helfen auch die großartigen Bilder und die Video-Projektionen nur bedingt.

Angekündigt ist das Stück als das Vermächtnis von David Bowie. Das Musical knüpft an den Roman "The Man who fell toEarth" aus der Feder von Walter Tevis. In dessen Verfilmung spielte Bowie 1976 die Hauptrolle des Thomas Jerome Newton.

Der Außerirdische reist durchs  All, um wasser für seinen Heimatplaneten zu besorgen. auf der Erde erlebt er Ruhm und Aufstieg, die große Liebe mit Mary-Lou  und die herbe Enttäuschung. Zum Schluss kann er die Erde nicht mehr verlassen, kann auch nicht leben und nicht sterben und verharrt im Dämmerzustand.

Knapp vierzig Jahre später schrieb Bowie zusammen mit dem Dramatiker Enda Walsh die Geschichte fort. Newton lebt als schwer reicher Exzentriker völlig zurückgezogen in seinem Luxusappartement. Erst tritt Elly in sein Leben als seine neue Assistentin und dann das namenlose Mädchen. Dieses wurde geschickt, um Newton auf seinen Heimatplaneten zurückzuholen.

Lazarus ist aus dem Bett auferstanden.
Alle Fotos: Birgit Hupfeld
Die Inszenierung ist geprägt von einer eigen Optik und die zeichnet sich durch Poesie aus und wird durch das nasse Element bestimmt. Noch bevor sich der Vorhang öffnet hockt Volker Muthmann am linken Bühnenrand und spielt mit dem Wasser. Der Spot von rechts oben wirft faszinierende Reflexionen auf den Vorhang.

Dieser geht hoch und macht deutlich, dass die gesamte Bühne unter Wasser steht. Newton bewegt sich auf die Insel in der Bühnenmitte. Dort empfängt er seinen ehemaligen Kollegen Michael. Muthmann und Gerd Zinck schauen sich minutenlang an und ihre verklemmte Gestik macht die gewachsene Entfremdung der beiden Protagonisten deutlich. Schauspielerisch ist das eine solide Leistung

Dieses Schweigen mag für ein Musical befremdlich erscheinen. Aber die erzwungene Stille ist eben der andere Teil der Poesie in dieser Inszenierung. Dann kommt Andrea Strube als Elly ins Spiel und es ist vorbei mit der Ruhe. Als Elly, die Newton benutzt, um aus ihrer erstarrten Ehe zu fliehen, zeigt Strube in diesem Ensemble der Selbstzweifler eine Darbietung voller Kraft und Entschlossenheit.

Da ist ihr Daniel Mühe als Valentin Ergänzung und Widerpart zugleich. Er fährt eine andere Strategie und Mühes Mimik und Artikulation ist geprägt von Hinterlist und Umwegen, die doch zum Ziel führen.

Wie heißt es so schön: Held nur für
einen Abend.  Foto: Hopfeld
Mit dem ersten Song "Lazarzus" kann Muthmann die Schwachstellen noch übertünchen. Aber je länger der Abend dauert desto deutlich treten die Defizite zutage und die liegen vor allem im musikalischen Bereich. Schauspieler sind eben Schauspieler und Bowies Musik stellt eben doch so seine Anforderungen.

Spätestens bei "Absolute Beginners" wird dies deutlich. Gesanglich ist nicht jeder seiner Aufgabe gewachsen und die in diesem Song so notwendigen Bläser versacken. Die Dynamik ist gleich null. Überhaupt stimmt die Tonmischung nicht. Der Sound ist schwammig und auf dieser Grundlage wirken gerade die weiblichen Stimmen ohne eigenes Zutun gelegentlich überzogen wirken.

Die Legende von Lazarus ist die Geschichte einer Reanimation. Es scheint, als ob Bowie und Walsh das Musical nutzen wollten, um alten Songs neues Leben einzuhauchen. Dabei ist die Reihenfolge in der Göttinger Aufführung nicht immer schlüssig. Glam-Rock der 70-er mischt sich mit Edelpop der 80-er und mit Balladen der 10-er. Auf der Playlist finden sich sämtliche großen Hits von David Bowie, dennoch wirkt es streckenweise wirkt es wie die Compilation "The second Best of David Bowie". Bekanntes Material wurde hier einfach nebeneinander gestellt. Nur die Popularität der Songs scheint das Kriterium gewesen zu sein. Nicht immer wird die Verbindung von Songs zum Spiel klar. Lediglich "Changes" trägt was zur Handlung bei, wenn Elly klar macht, das sich ihr Leben ändern wird.

In einzelnen Szenen werden die Protagonisten vorgestellt, immer unterbrochen von einem Song, alle hübsch der Reihe. Dann gibt es Rückblenden in die Vergangenheit und einzelne Fetzen. Das nimmt Zeit in Anspruch und wirkt wie eine Revue der zerplatzten Träume. Anstatt hier weiter zumachen, werden nach einer Dreiviertelstunde alle die Fäden zu einem Strang zusammen geflochten und eben damit kommt der ärgerliche Bruch. Die Inkonsequenz. Die Inszenierung bekommt so hat den Charme eines Schülermusicals. Da ist noch Potential für eine dramaturgische Straffung.

Es ist eine Geschichte über die verschiedenen Arten der Reanimation und der Projektion. Elly will ihrem Leben wieder Schwung verleihen und reanimiert Mary-Lou, das Mädchen will die Hoffnung in Thomas Newton reanimieren und was Valentine reanimieren will, das wird nie so klar. Auf jeden Fall will jeder Kontrolle über den Außerirdischen.

Alle zusammen: Absolute Beginners.  Foto: Hopfeld
Da passt sich die Inszenierung von Moritz Beichl bestens ein.  Auf weiten Strecken wirkt sie wie eine Roadshow durch die 70-er Jahre im schwülstigen Sound einer Rock-Oper. Alles ist auf retro getrimmt und ist somit halbtot. Aber er schafft es, großartige Bilder im Glam-Rock-Look entstehen zu lassen. Nur leider sind es meist Unikate, die für sich allein stehen.

Immerhin machen die Video-Projektionen von Moritz Hils  deutlich, dass seit der Filmpremiere über 40 Jahre vergangen sind. Sie stecken voller Symbole, die sich erst später erschließen. Aha-effekt mit Verzögerung. Sie sind aber auch eine sinnvolle Ergänzung, wenn das Mienenspiel von Volker Muthmann in Großaufnahme gezeigt wird.

Das Element mit der Faszination ist aber das Bühnenbild von Valentin Baumeister. Es besticht nicht nur mit dem omnipräsenten Wasser. Er fesselt auch mit den sechs Vorhängen aus Riesenlametta. Sie heben und senken und trennen die Ebenen des Bewussten, des Sichtbaren, vom Unterbewussten, vom Latenten. Sind alle unter, das entsteht auf der Bühne des Dickicht aus Metallstreifen, ein Urwald, der je nach Beleuchtung in unterschiedlichen Farben schimmert. Sind alle oben, dann herrscht die weite Leere der blanke Bühne. Dann ist Einsamkeit angesagt.

Lazarus mag das Vermächtnis von David Bowie sein. Aber vieles wirkt hier aufgewärmt. Man muss schon ein großer Fan sein, um daran Gefallen zu finden.






Material #1: Deutsches Theater - Der Spielplan
Material #2: Lazarus - Das Musical

Material #3: Lazarus - Zwei Legenden

Material #4: David Bowie - Die Biografie
Material #5: Enda Walsh - Die Biografie



Montag, 10. Juni 2019

Der Abend des Bassisten


Jazz der Extraklasse mit Till Brönner und Dieter Ilg

Zwei Hochkaräter auf der Bühne der Kreuzgangkonzerte: Am Freitag gastierten Till Brönner und Dieter Ilg im Kloster Walkenried. Sie präsentierten ihr aktuelles Programm und machten deutlich, wie schön zeitgemäßer Jazz sein kann.

Es ist ziemlich genau zwei Jahre, als genau diese Kombination aus Trompete und Kontrabass bei den Kreuzgangkonzerten die DNA des Jazz freigelegt hat. In dieser Zeit haben sich die Akzente deutlich verschoben. Auf dem Album „Nightfall“ aus dem letzten Jahr zeigen die beiden Ausnahmemusiker, was man im Jazz so alles machen kann.

Eine weitere Verschiebung gab es auf der Bühne. Stand der Auftritt 2017 ganz im Zeichen von Till Brönner, war es diese Mal der Abend des Dieter Ilg. Er zeigte, was auf dem Bass so alles möglich ist, ohne die Nerven des Publikums zu strapazieren.

Brönner denkt sich seinen Weg durch die Melodie.
Alle Fotos: Kügler
Brönners Ruhm beruht nicht auf temporeichen Spiel. Da gibt es in der Geschichte des Jazz eine ganze Reihe von Trompetern, die wesentlich schnellere Finger haben. Brönners Ruhm beruht auf diesem einzigartig weichem Spiel, das machen die einleitenden Songs „A Thousand Kisses Deep“, „Nightfall“ und „Nobody Else but me“ deutlich.

 Brönner pustet die Töne nicht heraus, er lockt sie mit einer Geschmeidigkeit, die an den mittleren Miles Davis erinnert. Er spielt nicht nach Blatt, sondern Brönner denkt sich seinen Weg durch die Melodie. Jeder Ton scheint gerade erst erfunden und zwar in einer Logik, die auch dem Publikum im Kreuzgang Walkenried klar ist. Damit wird jeder Song zu einem eigenständigen Werk, selbst wenn er Jazz-Standards spielt wie eben „Nothing else but me“ oder später „Body and Soul“.

Dabei lässt er die Grenze zwischen den Schublade verschwinden. Spätestens bei der Hommage an Charlie Parker stellt sich die Frage, ob das Cool oder ob das Bebop ist. Schon nach der Pause machen Brönner und Ilg mit „Scream & Shout“ von den Black Eyed Peas einen Ausflug in den Hip-Hop. Der kann auch geschmeidig und ganz ohne Macho-Attitüden daherkommen, lautet die Erkenntnis.

Den weichen Flow von Brönner kontrastiert Dieter Ilg mit einem akzentuierten Spiel auf dem Kontrabass. Er ist derjenige, der an diesen Abend die Vitalität in das Programm bringt. Leichtfüßig und schnell macht er aus dem scheinbar schwerfälligen Kontrabass einen musikalischen Schmetterling. Belohnt wird er mit reichlich Szenenapplaus.

In den zahlreichen Soli an diesem Abend wird das Rhythmusinstrument zum Melodieführer und der Bass scheint sogar zu singen. Manchmal intoniert er einen düsteren Blues und manchmal swingt er locker vor sich hin.

Ilg hat ein inniges Verhältnis zu
seinem Instrument.     Foto:Kügler
 
Das Highlight setzt Ilg dann vor der Pause. „Eleanor Rigby“ ist sicherlich der Song der Beatles, der den meisten Jazz-Appeal hat. Aber was das Duo Trompete-Bass daraus machen, geht über die Erwartungen hinaus. Während Brönner über der bekannten Melodie improvisiert, kontert Ilg mit den Akkorden aus „Come together“. Das passt einfach großartig. In dieser Dichte und Intensität hat mach die Beatles wohl noch nie gehört.

Es ist aber auch eine unterhaltsame Lehrstunde. Eleanors Klage über die Einsamkeit setzen Brönner und Ilg die Beatles Hymne der Gemeinsamkeit entgegen. Das thematisiert nur nicht die Entwicklung der Fab Four. Es zeigt vor allem, wie weit der Weg der Fab Two seit dem letzten Auftritt vor zwei Jahren war.

Brönner und Ilg machen sich an diesem Abend auf einen gemeinsamen Weg, nicht händchenhaltend, sonder jeder auf seiner Straßenseite. Aber sie treffen sich immer wieder, mal diesseits der der Mittellinie, mal jenseits. Dabei gehen gelegentlich auch bis an die Grenze zum Free Jazz. Bei „Wetterstein“ überschreiten sie diese dann auch mal. Die Klangcollagen finden sich dann aber wieder zusammen in einer Melodie, die wohl von der musikalischen Tradition des Wettersteingebirges geprägt ist. Ein schöne Referenz.

Eine Grenzverletzung gibt es noch mit „Peng! Peng!“, einer weiteren Eigenkomposition. Aus dem Antwortspiel zwischen Trompete und Kontrabass entwickelt sich ein Ilg-Solo, das sogar die Erotik dieses Instruments offenbart. Das wird gekratzt und geklopft und es ergeben sich Töne, die man so nicht für möglich gehalten hätte.

Mit dem Kirchenlied „Ach bleib mit deiner Gnade“ schicken Brönner und Ilg das Publikum beseelt auf den Heimatweg.


Material #1: Walkenrieder Kreuzgangkonzerte - Das Programm
Material #2: Die DNA des Jazz - Das Konzert 2017

Material #3: Till Brönner - Die Website
Material #4: Dieter Ilg - Die Website