Dienstag, 28. Januar 2020

Verzaubert mit viel Lyrik

Lenz inszeniert die Zauberflöte in Nordhausen

Das Tiefstapeln war rein taktischer Natur. Mit seiner Inszenierung der Zauberflöte hat Achim Lenz die Erwartungen mehr als erfüllt. Starke Sängerinnen und Sänger trafen bei der Premiere auf ein Loh-Orchester in Spiellaune. Nach anfänglichem Fremdeln war das Publikum begeistert.

Die Ansprüche sind unterschiedlich. Mozart vorletztes Bühnenwerk ist für die einen ein Menschheitswerk wie der Doktor Faust. Andere sehen es etwas nüchterner und für sie ist die Oper um zwei ungleiche Paare, die Erlangung der Weisheit und die Macht der Liebe ein unterhaltsames und lehrreiches Wechselspiel.

Achim Lenz sieht es vor allem als Schatz mit vielen Ideen und Anregungen. Ein paar hat aufgegriffen, ein paar neue hat er hinzugefügt. Vor allem hat er Schauspiel in das Singspiel gebracht. Seine Sängerinnen und Sänger agieren regelrecht, miteinander und gegeneinander. Der Schauspiel-Anteil ist erfreulich hoch.

Tamino und ein Fan-Club.
Alle Fotos: Marco Kneise
Schon in der Ouvertüre präsentiert das Loh-Orchester den besonderen Helmrath-Sound: Behutsam und akzentuiert. Ein Wohlklang in Es-Dur erfüllt den Raum. Dem Loh-Orchester gelingt es, die Lieblichkeit dieser Tonart zur Geltung zu bringen. Das zieht sich durch bis zum Finale des zweiten Akts.

Die Videoprojektion zeigt das Werden und Vergehen einer Dieffenbachia. Mit ihrer vielfältigen Bedeutung steht die Pflanze sinnbildlich für die unterschiedlichen Rezeptionen dieser Oper der tausend Themen. Eindeutig ist hingegen die Szene der Keine während des Pamina-Papageno-Duetts. Zum Teil gestalten die Projektionen einfach den Raum und reduzieren die Umbauarbeiten auf ein Minimum.

Der Vorhang gibt den Blick frei auf eine Industriebrache. Das ist die Welt der König der Nacht, Zerstörung allerorten. Deswegen ist Tamino auch gekleidet wie ein Krieger und bleibt es bis zum Schluss. Kyounghan Seo liefert in dieser Rolle eine technisch saubere Leistung ab und auch den Ausdruck entdeckt er zusehends. Die Bremse früherer Inszenierungen scheint gelöst.

Diese Aufführung ist durchweg glänzend besetzt. Das beweisen schon die drei Damen der Königin. Stimmlich harmonierend zeigen sie auch Schauspieltalent und der Schulterklopf-Reigen ist belebende Komik und ihr Interesse an den Helden ist ganz bestimm nicht platonischer Natur. Es lohnt sich, auf die kleinen Gesten zu achten. Ganz in schwarz gekleidet wirken sie wie der Background Chor einer finsteren Soul Queen. Überhaupt hat Birte Wallbaum hier eine großartige Ausstattung vorgelegt.

Pamina und Papageno wären das bessere Paar.
Alle Fotos: Marco Kneise
Die Zauberflöte ist Menschheitsepos und munteres Possenspiel. Das macht Philipp Franke als Papageno deutlich. Hier paaren sich eine starke Gesangsleistung mit schauspielerischen Talent. Er beherrscht das Protzen ebenso wie die Verzweiflung und die Schicksalsergebenheit. Damit verschiebt Franke den Fokus eindeutig.

Dies wird im Duett mit Amelie Petrich als Pamina deutlich. Es taucht der Gedanke auf, dass diese beiden doch weitaus besser zueinander passen würden.Doch diesem Schritt über die Klassenschranken wird letztendlich nicht gewagt.

Trägt Papgeno den Keim der Erkenntnis in der Glaskugel noch im ersten Akt mit sich, wird ihm dieser beim Eintritt in den Tempel abgenommen. Volksweisheit zählt nicht in der Gesellschaft der erwählten Männer. Die haben zwar kein Brett vorm Kopf, aber einen eisernen Vorhang im zweiten Akt. Details sagen manchmal mehr als die Arie.

Eine weitere Überraschung ist Marian Kalus. Die Rolle des Monostatos ist in aller Regel recht begrenzt. Doch Kalus arbeitet alles heraus und legt noch mehr hinein. Eigentlich konzipiert als das Alter Ego des strahlenden Sarastro macht Kalus daraus eine eigenständige Figur. In einer Welt des Händchen Haltens und der Gänseblümchen-Erotik ist er der Einzige, der seine Begierde nicht kultivieren möchte.

Gänseblümchen-Erotik ist nichts für Monostatos.
Alle Fotos: Marco Kneise
Schauspiel hin und her. Die besten Gesangseinlage liefert an diesem Abend  Sufin Bae als Königin der Nacht. Ihr Auftritt im ersten Akt ist schon eine starke Leistung, denn sie mit der Mord-Arie im zweiten Akt noch steigert. Ohne Zittern und klar kommt sie in die höchsten Höhe und die Koloraturen der zweiten Arie sorgen für Staunen im Publikum. Vielleicht wäre hier ein Dwäääng-Gitarren-Solo auf der Stratocaster angebracht. Doch der Schritt über die Genre-Grenzen wird letztendlich nicht gewagt.

Ist der erste Akt für die Traditionalisten noch schwer verdaulich, versöhnt sie der zweite Akt. Das Tempo geht deutlich zurück, das Bühnenbild schaltet von Industriebrache auf Lobby-Optik um. Aber es zeigt sich hier auch noch Potential für eine fokussierte Erzählung.

Es sind vor allem die lyrischen Momente dieser Aufführung, die so verzaubern. Dazu gehören die Auftritte der drei Knaben. Sie faszinieren nicht durch die außergewöhnliche Optik. Sie sorgen auch für das Innehalten und Reflektieren, schließlich tragen sie den Müll der Welt mit sich. Das ist ein starke Aussage und eine gelungene Dramaturgie.




Material #1: Theater Nordhausen - Der Spielplan
Material #2: Die Zauberflöte - Die Inszenierung

Material #3: W.A. Mozart - Die Biografie
Material #4: Die Zauberflöte - Das Werk

Material #5: Achim Lenz - Die Website




    

Sonntag, 26. Januar 2020

Ein Abend voller Entdeckungen

Zweites Kaiserpfalzkonzert mit der TfN-Philharmonie

Unverhofft kommt nicht allzu oft, wenn aber doch, dann ist es umso schöner. Das ist das Fazit des zweiten Kaiserpfalzkonzert der TfN-Philharmonie in Goslar. Statt Erfahrung und Reputation stand dort Jugendlichkeit und Engagement am Pult. Das Publikum erlebt wohl so etwas wie die Geburt eines Stars.

Als Dirigent war für diesen Abend mit Mozart und dem Londoner Bach Reinhard Goebel angekündigt. Als Gründungsmitglied der Musica antiqua Köln ja schon ein Hochkaräter. Doch Goebel musste kurzfristig absagen. Der Ersatzmann Oscar Jockel entpuppte sich als Hauptgewinn.

Der 24 Jährige ist ein aufgehender Stern am Dirigentenhimmel. Er sammelt Preis und Auszeichnungen wie andere. Mit Mitte zwanzig ist die Liste seiner Referenzen so umfangreich wie bei Kollegen, die zwanzig Jahre älter sind. In diesem Jahr wir er einer von drei Drigenten beim Beethoven-Festival sein.

Alle Fotos: Thomas Kügler
Dass alle diese Vorschusslorbeeren berechtigt sind, stellte Jockel mit dem Konzert in Goslar unter Beweis. Unter seiner Leitung lieferte die TfN-Philharmonie schlicht und einfach eine Meisterleistung ab. Angesichts der kurzen Zeit, um Dirigenten und Orchester in Einklang zu bringen, ist diese Leistung umso höher zu bewerten.


Jockels Dirigat ist expressiv und engagiert, um Teil sogar sportlich, aber er schafft es, die wichtigen Akzente zu setzen. Mit großen Gesten spart er nicht. Er ist fordernd und eindeutig und bleibt doch ein Teamplayer. Er lässt den Musikern, den Raum, den sie brauchen und das Lob des Publikums gibt er stets und sofort an das Ensemble weiter.

Die Werke


Unter all den Bachs ist Johann Christian wohl derjenige, der ein wenig ins Hintertreffen geraten ist. Das ist umso erstaunlicher, da er doch wichtige Marken in der Entwicklung der klassischen Musik gesetzt. J.C. Bach verbindet die Polyphonie des Barock mit der Melodieentwicklung der Klassik.

Alle Fotos: Thomas Kügler
Schon im Allegro assai der Sinfonia concertante Es-Dur verstehen Dirigent und Orchester es, die ganzen Besonderheiten dieses Werkes herauszuarbeiten. Die zahlreichen Wechsel in den Tempi funktionieren wunderbar, auch die Dialoge zwischen Tutti und Solisten sind ein Genuss. Streicher im Stakkato des Presto folgen auf ruhige Passagen Ganz im Bachschen Sinne vermag es Jockel, die Bläser zu ihrem Recht zu kommen.

Das gilt insbesondere für den zweiten Satz. Hier im temporeduzierten Larghetto können sich Zsolt Sokoray an der Flöte, Markus Hartz am Horn und Kanako Weldner am Fagott auszeichnen. Auch der Wechsel in das sehr barocke Minuetto im dritten Satz erfolgt ohne Bruch. Es verdeutlich damit die Zwischenzeit, in der sich J.C. Bch befand.

Leichtigkeit hier, Gewichtigkeit hier. Der zwiete Bch-Beitrag, die Ouvertüre und Suite aus "Amadis des Gaules" spricht musikalisch ein andere Sprache. Die Heldengeschichte kommt mit viel Belech daher, das sich mit Streicher im Stakkato abwechselt, um dann von den Pauken beendet zu werden.

Es ist schon faszinierend, wie diese Vielfalt in einem Satz von der TfN-Philharmonie schlüssig umgesetzt werden kann. Das Klangbild bleibt stets ausgewogen. Russlan Bojkov und Claire Händel an den Oboen können im Andante mehrfach die Akzente setzen  Somit folgt es einer eigenen Logik, dass die "Séquence de ballet" tänzerisch daherkommt, wobei die Holzbläser sich tirillierend auf die Basis der Streicher setzen, die dann doch wieder dominieren. So entsteht vor dem geistigen Auge das Bild eben doch ein Tanz.

Alle Fotos: Thomas Kügler
J.C. Bach ist Vorklassiker, Wolfgang Amadeus Mozart gilt als Vollender diese Phase. Wie weit er aber schon in die Zukunft weist, das machten Jockel und die TfN-Phlharmonie mit der Chaconne aus dem 3. Akt des Idomeneos deutlich. Aus einer zarten Melodie-Linie entwickeln sie ein furioses Finale, aus dem schon Beethovens Urgewalt und Emotion hervorschaut.

Zuvor hatten Jockel und das Orchester über die sechs Sätze der Fantasien in c-Moll eindrucksvoll gezeigt, wie sich eine musikalische Idee über die Tempi steigern und variieren lässt und sich doch treu bleibt.

Auch wenn das Programm krankheitsbedingt verkürzt wurde und die Zugabe ausfiel, war das Konzert doch reichlich gefüllt mit bleibenden Erlebnissen. Es ist schon bemerkenswert, wie schnell Ensemble und Dirigent zueinander gefunden haben. Das war ein Abend, der in Erinnerung bleiben wird.



Material #1: Die TfN-Philharmonie - Das Ensemble

Material #2: Oscar Jockel - Die Website

Material #3: Johann Christian Bach - Die Biografie
Material #4: Wolfgang Amadeus Mozart - Die Biografie


Samstag, 4. Januar 2020

Wer braucht schon Wien?

Loh-Orchester mit einem schwungvollen Programm

So fängt das Neue Jahr gut an. Mit dem Programm "Wo die Zitronen blüh'n" begrüsste das Loh-Orchester im Achteck-Haus das neue Jahrzehnt. Die abwechslungsreiche Auswahl und der meisterliche Vortrag begeisterten.

Musik aus Italien und italienisch inspirierte Werke standen auf dem Programm. Die Ouvertüre aus Rossinis war der passende Auftakt. Den Loh-Orchester gelang es hervorragend, den schnellen Wechsel der zahlreichen Motive zu gestalten. Aus dem Knall der Pauken und dem Stakkato der Streicher entwickelte die Oboe das erste Thema, dass dann von den Streichern übernommen wird. Die Geigen bauen es aus und lassen sich auch nicht von dem Pauken und Trompeten stören.

Das deutliche Dirigat von Michael Helmrath zeigt klare Vorstellungen vom Zusammenwirken der Instrumentengruppen. Selbst im furiosen Finale sind die Unterschiede deutlich und das Klangbild transparent. Nur so lassen die unzähligen Ohrwürmer erkennen, die in diesem kurzen Werk komprimiert stecken. Rossinis Meisterwerk hat hier kongeniale Partner gefunden. 

Seine ganze Bandbreite zeigt das Ensemble im letzten Werk. Sieben Stücke von Rossini aus dessen "Matinées musicales" und "Soirées musicales" hat Benjamin Britten hier zusammengetragen. Auf das zarte Glockenspiel im Tanz folgen rührende Trommeln und scheppernde Blechbläser. Michael Helmrath gelingt es, selbst den staatstragenden Märschen ein heiteres Lächeln zu entlocken.

Eine Einheit: Orchester, Dirigent und Publikum.
Alle Fotos: Kügler 
Das Orchester hat Spaß daran, alles zeigen zu dürfen. Der überträgt sich auf das Publikum und es ist versucht, im Walzer mitzugehen. Auch die anschließende Tarantellas und der Bolero zaubern einen Hauch von Ballstimmung in das Achteckha. us.

Da ist Tschaikowskys "Cappriccio italien" fast schon ein Stimmungstöter. Die musikalischen Farben springen um von "lichtdurchflutet mediterran" auf "finster osteuropäisch". Aber auch diesem Wechsel schafft das Ensemble ohne Einbußen. Es ist immer wieder die Oboe, die sich aufschwingt aus dem düsteren Grund in musikalische Höhe. Die Streicher sind dabei leise Begleiter, bis beide in der bekannten Tarantella dahinschweben. Das ist schon eine überzeugende Entwicklung.

Das einzige Manko im ersten Teil  war lediglich das nicht abgestimmte Mikrofon des Dirigenten.So gingen seine Erläuterungen im weiten Rund verloren. Leider nimmt sich niemand in der Pause dieses Problems an.

Von Schwermut keine Spur. Der zweite Teil des Abend beginnt mit dem jüngeren Strauß und die Polka "So ängstlich sind wir nicht" und das Publikum ist wieder in Feierlaune. Nach dem filigranen Klangbildern überzeugt das Loh-Orchester hier mit einer Dynamik und Fülle, mitreißt ohne zu übertönen.

Nicht alle durften mitspielen 
Eine lange Atempause gibt es dann mit einem Intermezzo von Pietro Mascagni und sieben Soundtracks aus "Der Leopard" von Oscar-Preisträger Nino Rota. Es wird ein Festspiel für die Streicher, die hier zeigen dürfen, was die Musik des morbiden 19. Jahrhunderts so alles bereithielt für die Saiten-Instrumente. Es ist Kammermusik in großer Besetzung, in der nur gelegentlich mal ein Holzbläser seine Stimme erheben darf. Mit sieben Tänzen ist diese Phase aber recht ausgiebig.

Es darf mitgeklatscht, ist das Motto im nächsten Stück. In seinen "Erinnerungen an Ernst" hat der ältere Strauß den Musiker viele Gelegenheiten gegeben, sich zum Thema "Mein Hut, der hat drei Ecken" solistisch auszuzeichnen und die Musiker des Loh-Orchester nutzen jede einzelne. Das zeugt von einem gesunden Selbstbewusstsein.

Nach zweimal Strauß gibt es in der Zugabe noch einmal Rota. Dieses Mal seine weltberühmte Titelmelodie zum "Der Pate". Dann koppelt sich das Orchester ab und spielt den Radetzky-Marsch, das Publikum klatscht mit und man zeigt sich als eingeübte Einheit. Danach kann nichts mehr kommen. Also, wer braucht schon Wien?

Schade nur, dass OB Buchmann als Aufsichtsratsvorsitzender von Theater und Orchester freiwillig auf diesen Genuss verzichtet hat. 



Material #1: Das Loh-Orchester - Die Geschichte

Material #2: Loh-Orchester - Das Programm