Freitag, 21. April 2017

Theater statt Therapie

Theaterjugendclub in Nordhausen wagt sich an die Psyche heran

Das muss man dem Theaterjugendclub schon lassen. Mut haben sie. Mit " .... und drin bist du" wagen sich die Jugendliche an das schwierige Thema "Psychische Erkrankungen". Auch wenn nicht alles perfekt ist, so ist doch ein berührendes Stück mit Happy End entstanden, das manchmal auch Beklemmung auslöst aber niemanden alleine lässt.

Zentrale Figur der Eigenproduktion ist Sissy. Wegen eines Borderline-Syndrom wird die junge Frau in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Damit ist sie drin im System. Im Wechsel von Schauspiel und Videosequenzen zeichnet Roland Winter hier die den Werdungsprozess des Teenagers nach und stellt vielfach die Frage, was denn normal ist und was gestört ist im Rahmen der Pubertät und der veränderten Selbstwahrnehmung. Was bedarf einer Behandlung und was müsste von der Umwelt akzeptiert werden?

In Zeiten der Ritalin-Schwemme sind dies Fragen, die durchaus immer wieder auf die Tagesordnung gehören. Somit gehört "... und drin bist du" auch in die Kategorie Dokumentationstheater der unbequemen Sorte. Wie krank ist eine Gesellschaft, die ihren Nachwuchs erst erkranken lässt, um ihn dann in vermeintlich professionelle Hände abzuschieben.

Das Bühnenbild wirkt auf den Blick wie das Wohnzimmer einer Mittelschichtsfamilie: Bücherregale, eine Leseecke, ein Klavier und als Zentrum ein langer Tisch. In der heilen Welt des alltäglichen TV-Programms trifft man sich an solch einem Ort, um Problem zu besprechen. Die Illusion platzt, als die Lernschwester das Zimmer stürmt und "Kontrolle" brüllt.

Sissy (Alina Rußß, 2 . v.l) wirkt wie die Kindliche
Kaiserin.

Alle Foto: Anja Daniela Wagner
Das ist eine Stärke dieser Produktion. " ... und drin bist du" setzt sich auch mit den Bedingungen auseinander, unter den psychisch Kranke behandelt werden. Der reglementierte Ablauf der Heilungsindustrie nimmt keine Rücksicht auf die Patienten. Ein Hauch von "Goldener Reiter " weckt durch die Inszenierung. Ärzte tauchen nicht im Bild auf, die Arbeit bleibt dem Pflegepersonal überlassen. Durch die räumliche Begrenzung der Studiobühne im Theater unterm Dach wird diese intensive und bedrückende Situation noch einmal verstärkt. Angesichts der Ausgangslage der Eigenproduktion des Theaterjugendclubs kann man dies durchaus schon als eine imponierende Leistung bezeichnen. Es stehen ja nur Amateure auf der Bühne.

In diese Mühle gerät nun Sissy, eingewiesen wegen Borderline. Die Mischung als Resignation, Abtasten und offener Aggression weckt Erinnerungen an "Einer flog über das Kuckucksnest". Düstere Vorahnungen zeichnen sich ab.Ob das gut geht.

Doch damit sind die Gemeinsamkeiten schon am Ende. Die junge Frau hat keine Gemeinsamkeiten mit Randle McMurphy aus dem Roman von Ken Kesey. Während der Kleinkriminelle den Weg über die Psychiatrie wählt, um dem Strafvollzug zu entkommen, erweckt Sissy eher den Eindruck, als wäre ais abegeschoben worden, weil niemand in der Lage ist, sich mit ihr auseinander zu setzen.

"Sissy wie die Kaiserin" ist eine ständig wiederkehrende Formulierung. Doch mit der Märchenprinzessin hat sie nicht gemeinsam. Sie ist eher die Kindliche Kaiserin aus der Unendlichen Geschichte von Michael Ende, aber eher die Kindliche Kaiserin nach dem Zusammenbruchs ihres Märchenreichs.

Elsbeth ist der Störfaktor.
Foto: Wagner
Für diese starke Leistung muss man Alina Ruß in der Hauptrolle gratulieren. Es ist rin reife Leistung, wie sie die Nöte der jungen Frau auf die Bühne bringt, ohne aber im Larmoyanz und Selbstmitleid zu versinken. Sie schafft es, die unterschiedlichen Stadien des Werdungsprozess zu vermitteln. Ihre Emanzipation aus den Zwängen der Heilungsindustrie und von den Mitinsassen ist durchweg glaubhaft.

Das liegt auch daran, dass sie mit Lea Tabatt in der Rolle der Elsbeth einen starken Widerpart hat. Die Namensgebung mit diesen beiden Formen von Elisabeth soll deutlich machen, dass es sich hier um alter egos handelt.  Der verletzlichen Sissy steht die aggressive Elsbeth gegenüber, um zwei Pole der Verhaltensweisen zu schaffen, an denen sich die Mitinsassen ausrichten.

Es überrascht aber wenig, dass sich zum guten Schluss die Sanfte gegen die Soziopathin durchsetzt. Sie darf die Klinik verlassen, während Elsbeth sich weiterhin im ihrem Unglück gefällt. Klinik und Krankheit sind auch eine besondere Form der Bühne.

Durchweg gelungen wäre dieses Werk, wenn sich Roland Winter und die Jugendlichen auf eben diesem Konflikt beschränkt hätten. Aber an einigen Stellen wirk " ... und drin bist du" wie ein Psychrembel, der es auf die Bühne geschafft hat. Dem Publikum werden viele Formen der kranken Psyche aufgetischt. Es ist fast schon ein Büffet der seelischen Erkrankungen. Weniger wäre mehr gewesen.

Siegmund Freud wusste, dass man von Lesen eines Fachbuchs genauso wenig gesund wird wie man vom Lesen einer Speisekarte satt wird. Ähnliches gilt wohl für Jugendtheater. Es kann keine Therapie ersetzen. Aber wie heißt es im Stück so schön? Verrückt zu sein hat heutzutage schon einen gewissen Hip-Faktor.

Aber dennoch bleibt es eine starke Leistung, die die Grenze des Jugendtheaters mit Amateuren auslotet. " ... und drin bis du" ist ein mutige Produktion und sehenswert allemal. Auch für Eltern.






Theater Nordhausen #1: Das Stück
Theater Nordhausen #2: Der Theaterjugendclub
Theater Nordhausen #3: Der Spielplan





Mittwoch, 19. April 2017

Den Doktor Faust zeitlos gemacht

TfN-Inszenierung zeigt das Optimum für die Oper

Es gibt die seltenen Fälle, in denen eine Inszenierung weit über das hinausgeht, was die Vorlage liefert. "Doktor Faust" am Theater für Niedersachsen ist solch ein Fall. Hier stimmt alles. Sie stellt die Frage nach dem menschlichen Verhalten in Phasen des Zeitenwechsels, des radikalen Umbruch und nach der Moral. Deswegen gab es zur Premiere am Karsamstag auch jede Menge Applaus.

Grundlage der Oper von Ferruccio Busoni ist die  Legende um ist Johannes Georg Faust. Er war  zu Beginn des 16. Jahrhunderts im süddeutschen und mitteldeutschen Raum als Wunderheiler, Wanderprediger, Alchemist und Magier tätig. Er gilt als zweifelhafte Randfigur einer Ära, in der sich im deutschsprachigen Raum Wissen, Humanismus und Neuzeit aus den Zwängen des Mittelalters und des Klerus befreiten. Damit gibt er die optimale Projektionsfläche für die Kritik der klerikalen Restauration ab.

Schwarz Inszenierung zeigt einen Menschen, der mit den wechselnden Rahmenbedingungen und den Zerwürfnissen einer Umbruchphase überfordert ist. Der seinen Wertehoriznt verloren hat, keinen neuen aufbauen kann und deswegen scheitert.

Faust liefert sich den Dämonen aus.
Alle Fotos: Quast
Seit 150 Jahren gibt es in Mitteleuropa gefühlt alle acht Wochen eine Zeitenwechsel. Auch die 1920er Jahre Busonis galten nach den Zerstörungen des 1. Weltkriegs nach Umbruchphase, als neue Ära. Nach der Individualisierung in der Postmodernen wird das Leben akutell digitalisiert und aus gewohnten analogen Bezügen gelöst. Und der nächste Wandel lauert bestimmt schon an der Straßenecke. Also kann man Uwe Schwarz nur dafür danken, dass er auf jegliche historizierende Elemente verzichtet.

Sein Faust ist in einem zeitlosen Raum angelegt, der alle Zeiten zugleich umfasst, weil sich die Situation immer wiederholt und sich die Problemlage immer wieder neu stellt. Wie verhält sich das Individuum in Zeiten, in denen sich traditionelle Bindungen und Werte auflösen. Faust wählt den egoistischen Weg und scheitert deshalb kläglich. Sein Wertehorizont verwandelt sich in einer schiefe Eben und lässt andere mit ins Unglück purzeln.

Umgesetzt wird diese Interpretation durch das starke stark reduzierte Bühnenbild von Philippe Miesch. Eine blanke Spielfläche begrenzt durch weiße Wände, die als Projektionsflächen dienen. Die lange Flucht der blanken Wände, die sich scheinbar im Endlosen treffen, zeigen die Grenzen auf, die sich gelegentlich verschieben, wenn eine Querwand die Spielfläche begrenzt. Die wechselnde Beleuchtung und wenigen Requisiten machen aus dem Studierzinmer eine Kirche, aus der Kirche einen Ballsaal, aus dem Ballsaal eine einsame Landstraße.

Der Herzog von Parma ist ein eitler Geck.
Foto: TfN/Quast
Hier ist der Mensch ganz auf sich geworfen, symbolisiert durch den überdimensionalen Zerrspiegel. Um 180 Grad gewendet verwandelt sich diese Requisite in einen Beichtstuhl. Nun ist  der Mensch seinen Taten ausgesetzt und wird zu Verantwortung gezogen. Eine mutige Aussage, dass sich hinter einem Priester manchmal der Mephistopheles verbirgt.

 Schon im ersten Vorspiel ist dies angelegt und zieht sich als wiederkehrender Topos durch die ganze Inszenierung. Nach dem Besuch der Krakauer Studenten verharrt Faust quälend lange Minuten in visueller Isolationshaft und beschwört seine Dämonen. Der Chor bleibt dabei im Dunkel verborgen und dräut aus dem Hintergrund und dem Untergrund.

Schwarz nutzt die Seitenflächen und die Halbvorhänge als Projektionsfläche. Er lässt dort ein Sammelsurium aus religiösen und wissenschaftlichen Symbolen entstehen, ein Miteinander und ein Gegeneinander. Aber vor allem der Schriftzug "Faust. Ewiger Wille" weckt Assoziationen zu Schopenhauers These von der Welt als Wille. Wie weit ist der Mensch also Herr der Verhältnisse? Die ästhetische Seite eines philosophischen Disputs.

Anders als im Goethe'schen Faust ist dieser Doktor nicht Gegenstand einer göttlichen Wette, sondern wählt sich seinen Mephistopholes selbst. Busonis Faust ist eine Handelnder, kein Umhertappsender, kein Verführter. Auf der Zeitleiste setzt die Handlung später ein, mit dem Tod des Mädchens hat Faust den ersten Sündenfall bereits hinter sich, auch ohne Zutun des Mephistopholes. Der Verfall ist vorprogrammiert.

Faust hat den Kontakt zu den Studenten verloren.
Foto: TfN/Quast
Leider haben Schwarz und Generalmusikdirektor Werner Seitzer das Zuspitzungspotential nur teilweise ausgenutzt. Manche Passage zieht sich dahin in ständiger Wiederholung bekannter Positionen und genügt sich in Ausübung des Symbolismus. Musikalisch macht sich diese Unentschlossenheit im ständigen Wechsel zwischen Rezitativ, Arioso und Arie beim Aufeinandertreffen von Doktor und Dämon bemerkbar

Aber die starken und eindrucksvollen Szenen überragen eindeutig und hinterlassen einen durch und durch begeisternden. Alle aufzuzählen würde den Rahmen sprengen. Sei es nun der Disput der Wittenbergischen Studenten oder die Ouvertüre am Hofe von Parma. Vor allem Auftritte des Chors gehören dazu, die im Vergleich zur Vorlage personell aufgestockt wurden.

Die Massenszene am Hofe von Padua gehört sicherlich zu den eindruckvollsten in dieser Aufführung. Ein Teufel und ein Doktor, die sich wie Rockstars aufführen, haben eine Bande im Griff, die sich kleidet wie Banker aus London. Bowler, Aktentasche und schwarze Mantel. Zum Schluss bleibt wenig von der Maskerade, weil Doktor Faust auch ein Ver-Führer ist.

Gesanglich hinterlässt hier Antonia Radneva als Herzogin von Parma den stärksten Eindruck. Ihre Sehnsuchts-Arie offenbart tiefe Sehnsucht auf einer leeren Bühne und sorgt für Gänsehaut-Momente.

Mephistopheles feiert den Sieg mit
einem
Solo auf der Luftgitarre.
Foto: TfN/Quast
Bariton Albrecht Pöhl überzeugt durchweg, aber er begeistert erst in der Gewissensszene. Eine Spur der Verwüstung hinter sich lassend kehrt es nach Wittenberg zurück und steht mit leeren Händen da. Aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft wird der Gewissenlose verbannt, sein einstiger Famulus Wagner übernimmt die Professor.

Nun plagen ihn die Gespenster der Vergangenheit, allesamt Menschenopfer. Das verführte und tote Mädchen erscheint ihm wie Gott sie schuf. Die Herzogin überricht ihm das tote gemeinsame Kind. Starke Bilder, starker Gesang, beides bleibt in Erinnerung. Viel Mut beweist Uwe Schwarz, als ausgerechnet Mephistopheles das nackte Mädchen als Gekreuzigte auf dem Altar männlicher Eitelkeit enthüllt.

Hier geht es nicht um Ästhetizismus, Attitüde oder sinnbefreite Effekte. Schwarz und Miesch haben  in diesen Stück starke visuelle Elemente geschaffen, die immer eine Aussage bieten, die über das Hier und Jetzt hinausgehen. Gepaart ist die mit überzeugenden Leistungen der Solisten und des Chors.

Abgerundet wird der überragende Gesamteindruck durch die Glanzleistung der TfN-Philharmonie. In seiner letzten Produktion als GMD schafft Werner Seitzer mit dem Ensemble einen transparenten Klang, der die spätromantischen und die neoklassischen Verzierungen zur Geltung bringen, ohne an Kraft zu verlieren.

Immerhin verstand Ferruccio Busoni dieses Werk als die Krönung des Schaffens. Schwarz und Miesch habe es nun vollendet.  



Theater für Niedersachsen #1: Der Spielplan
Theater für Niedersachsen #2: Doktor Faust - Die Oper


Busoni #1: Der wikipedia-Eintrag
DoktorFaust #1: Der wikipedia-Eintrag





Samstag, 15. April 2017

Reinkarnation schon am Gründonnerstag

Viel Blues macht Spaß mit Cloud 6 und B. B. & The Blues Shacks im Exil

Ich kann wieder beruhigt schlafen, ich habe die Zukunft des Blues gesehen. Sie heißt Cloud 6, kommt aus Göttingen und durfte am Gründonnerstag die Halbgötter Arlt und deren Band beim Konzert im Exil unterstützen. Am Ende stand ein mitreißendes Konzert a, das zeigte, warum B. B. & The Blues Shacks Europas Nummer 1 in diesem Genre ist.

Strategie ist nicht so die Sache der Brüder Arlt und ihrer Mitspieler. Hier wird nicht taktiert, von der ersten Minute an gehen B. B. and the Blues Shacks ein hohes Tempo, ein verdammt hohes Tempo. Da gibt es keine vornehme Zurückhaltung und vorsichtiges Einspielen. Das ist wohl auch ihr Erfolgsrezept.

Mit den Brüdern Arlt feierte der Blues in Deutschland eine Wiederauferstehung als schon niemand mehr an ihn glaubte. Sie haben ihm die Vitalität und die Lebensfreude zurückgegeben, als er bereits in Selbstmitleid und Larmoyanz versunken war, als er schon längst von nickenden Rollkragenpulloverträgern in den Jazz-Clubs beerdigt worden war. Damit haben sich B. B. & The Blues  Shacks ihren Platz im Olymp verdient.


Fabian Fritz holt mehr als 240 Töne pro Minute aus
seinen Tasteninstrumenten.     Alle Fotos: Kügler 
Wahrscheinlich ist nach 28 Jahren und  mehr als 3.000 Konzerten wohl auch annährend alles gesagt und geschrieben wurden zu diesem Phänomen. Trotzdem faszinieren sie immer noch weil sie eben dafür sorgen, dass jedes dieser mehr als 3.000 Konzerte ein einzigartiges Erlebnis ist, das das Publikum aus dem Jammertal des Alltags sonstwo hinträgt. Damit man das in voller Breite erleben kann, dazu bedarf es eben solch keiner Clubs wie das Exil, wo kein Graben Publikum und Musiker trennt und wo jeder und jede, die oder der möchte, vor der Bühne tanzen kann. So nah dran, dass man auch mal nachschauen kann, ob der Sänger vielleicht schon eine Mandeloperation hinter sich hat.

Ach ja, das Publikum. Zum Auditorium gehören an diesem Abend die üblichen Verdächtigen, schon ein wenig in die Jahre gekommen. Aber die Hälfte der Zuschauer und Zuhörerinnen ist erstaunlich jung, hat wohl gerade  das Licht der Welt als B. B.& The Blues Shacks mit Feelin’ Fine Today" ihr erstes Album veröffentlicht hatten. Offensichtlich erfreut sich ungekünstelte und ehrliche Musik aus den Geburtstagen der Pop-Musik wieder einer gewissen Beliebtheit in der jüngeren Generation. Über sättigt von Loops und Algorithmen?

Das Programm

Den Opener macht ein Song von B. B. King und damit die Marschrichtung vorgegeben: Straight forward und vor allem fast forward. Geprägt ist die Musik von der druckvollen Stimme von Michael Arlt. Er trägt den Song nach vorne mit seinem kräftigen TEnor. Wenn er will, dann steigt er auch mal in den Bariton und klingt  wie Tom Jones oder verfällt wie im Song von Solomon Burke auch mal ins Falsett. Egal in welcher Stimmlage, er hat Spaß an dem, was er macht und das Publikum hat Spaß daran, ihm dabei zuzuschauen und zuzuhören.

Andreas Arlt verzichtet auf Effekte
und lässt seine Gitarre sprechen. 
Dann kommt das Gitarren-Solo von Andreas Arlt und der zeigt wo Bartel den Blues holt. Ohne Attitüde und Herumgehampel zeigt er, wie viel Musik in einem einzigen Saiteninstrument stecken kann. Kein Waha-Wah, kein Phaser oder Delay. Andreas Arlt spielt seine Gibson Byrdland ganz ohne Effektgeräte. Er überzeugt und begeistert mit dem puren Klang der sechs Saiten. Das ist der Rückgriff in die Vergangenheit des Blues. Auch als er später für den Texas Blues auf die Fender Stratocaster umsteigt, gibt es nicht, was die Töne auf ihrem Weg von den Saite zum Auditorium aufhält.

Dann ist Raum für ein Tasten-Solo und Fabian Fritz zeigt, warum er mit seinem Einstieg 2015 eine echte Verstärkung war. Die Crumar Mojo heult, jammert und quietscht und doch haben alle Freude daran. Später wird er am E-Piano auch noch zeigen dürfen, dass man sich selbst beim 240 Tönen pro Minuten keine Knoten in die Finger holen muss, wenn man es denn kann.

Dann darf wieder gesunden werden. So ist das beim Blues, jeder darf mal zeigen, was er kann und zum Schluss treffen sich alle wieder auf einem gemeinsamen Nenner. Auch der Mann an der Mundharmonika muss mal ran. So wie gleich beim zweiten Song von Albert King.

Es mag sicherlich irgendwo in den Tiefen des amerikanischen Südens einen Mann an der Harp geben, der filigraner spielt als Michael Arlt. Aber wohl kaum kraftvoller. Was der Frontmann der Blues Shacks hier entfesselt ist ein Sturm an wilden Tönen. Für Trauermusik ist diese Bluesharp nicht gemacht. Auch sie Quietscht und schreit oder hechelt, aber sie treibt die Musik immer voran. Später blst Arlt ein zehn minütiges Harp-Solo hin, dass dem Publikum Hören und Sehen vergehen, man aber wünscht, es ging nie zu Ende. Denn irgendeinen überraschenden Ton zaubert er doch bestimmt noch aus der Mundharmonika.

Das ist das einfache Konzept von B. B. & The Blues  Shacks. 90 Prozent ihres Livematerials sind so gestrickt. Aber es ist ein Konzept aufgeht und mehr als zweieinhalb Stunden hält, weil sich kein Ton wiederholt, weil sich hier fünf Könner zusammengetan haben und weiter an sich arbeiten. Wohl, weil sie Spaß haben, an dem, was sie da machen. Oder sind sie im Auftrage des Herren unterwegs?

Der Nachwuchs

Den Support machten an diesem Abend die Lokalmatadoren von Cloud 6 und wenn man sie hört, dann ist einem nicht mehr bange um die Zukunft des Blues. Die jungen Männer um Sänger und Keyboarder Kim Shastri klingen rau und wild und viel versprechend und haben wohl viel Freude an ihrem Treiben. Der ungestüme Tastenzaber von Shastri wird angenehm kontrastiert vom coolen Gitarrenspiel von Florian Pertsch.

Pertsch und Shastri bestimmen den Sound von
Cloud 6.        Foto: Kügler
Aber auf jeden Fall spielen sie keinen Blues für Puritaner. In ihrem Programm mischen sich Rhythm 'n' Blues und Rockabilly und Rock 'n' Roll. Damit heben sie die Schranken auf, die einst Rassisten in den USA der 50er Jahren errichtet hatten. Natürlich kommen sie nicht ohne Zugabe von der Bühne. Schließlich war der eigene Fan-Club vor Ort, aber auf jeden Fall haben waren sie mehr als ein Appetitanreger im Exil.

Gegenwart und Zukunft an einem Abend. Blueser, was willst du mehr? Warum jedem Fall hat das Konzert gezeigt, das handgemacht Musik durch ihre Bodenständigkeit immer noch begeistert und der Blues wohl wieder das Zeug hat, die Generationen in der Freude zu vereinen.

Angeblich hat man es schwer,  sich dem Zauber des Blues zu entziehen weil dessen Rhythmus dem menschlichen Pulsschlag so nah kommt, bumm-bumm, bumm-bumm. Am Gründonnerstag schlug zumindest für einen Abend das Herz des Blues in Göttingen und es schlug schnell und vital. von Infarkt keine Spur.






B.B. & The Blues Shacks #1: Die Website
B.B. & The Blues Shacks #3: Der wikipedia-Eintrag
B.B. & The Blues Shacks #2: Bei Facebook
B.B. & The Blues Shacks #4: Juni-Gig in Northeim

Cloud 6 #1: Bei Facebook

Exil #1: Die Website
Exil #2: Die Selbsterfahrungsgruppe bei Facebook
Exil #3: Bei Facebook




Montag, 10. April 2017

Im Grunde genommen sehr lutherisch


Bach-Consort und Capelchor präsentieren zurückhaltende Johannes-Passion

War es nun die vorgezogene Eröffnung der Spielzeit oder doch ein Sonderkonzert? Auf jeden Fall spielten das Bach-Consort und der Capelchor aus Halle am Sonnabend Bachs Johannes-Passion im Kreuzgang im Kloster Walkenried. Unter der Leitung Wolfgang Kupke zeigten sie verinnerlichte und zurückgenommene Version der Leidensgeschichte und waren zutiefst lutherisch.

Das Werk gilt als einer der Höhepunkte im Schaffen von Johann Sebastian Bach. In der Johannes-Passion schafft er es, Gefühle wie Trauer, Wut oder Verzweiflung musikalisch auszudrücken und dieses innerhalb von knapp 2 Stunden. Bachs Matthäus-Passion ist da deutlich ausladender.

Das Instrumentarium war überschaubar. 
Alle Fotos: tok
Die Zurückhaltung zeigt sich schon in der Instrumentierung. Eine Orgel, fünf Streicher und fünf Holzbläser sind eine überschaubare Größe. Überhaupt kommt den Holzbläser in diesem Werk eine tragende Rolle zu und am Ende steht die Erkenntnis "Bach ohne Blech, das geht auch". Damit ist aber auch ein Gleichgewicht zwischen Orchester und Chor garantiert.

In dem Bemühen um eine historische Aufführungspraxis war da Bach-Consort auch beim Kreuzgangkonzert konsequent. Nikolaus Gädeke tauschte das Cello gegen die Viola da gamba, Annelie Matthes die Oboe gegen die Oboe da gaccia und beide Querflöten im Ensemble sind Holzinstrumente. Dies verschiebt die Grundstimmung nach unten und damit in den weicheren Tonraum.

Damit hat Leiter Wolfgang Kupke die klanglichen Möglichkeiten des Ensembles enorm erweitert. Dies zeigt sich an diesem Abend mehrmals, zum Beispiel im dritten Rezitativ des ersten Teils. Nach dem Verrat durch Judas stürzt hier die Stimmung ohne Bruch von himmelhoch jauchzend auf das "Zu Tode betrübt"-Niveau. Diese so wiederzugeben, stellt schon gehobene Anforderungen an die Musiker.

Kathleen Danke war die Überraschung des Abends.
Auch bei der Auswahl der Solisten hatte Kupke ein besonders glückliches Händchen. Im ersten Alt-Solo kann Annette Markert ihre meisterlichen Qualitäten ausspielen. Sie hatte schon mehrfach in Walkenried überzeugen können. Kontrastiert wird ihre klare Stimme durch die weiche Begleitung nur aus Kontrabass, Oboe und Fagott.

Die Überraschung des Abends erlebt das Publikum schon nach dem nächsten Rezitativ. Im Sopran-Solo zeigt Kathleen Danke eine ausgereifte Leistung. Mit einer vorsichtigen Portion tremolo in der Stimme wirkt sie eher knabenhaft. Sie klingt leicht fast schön fröhlich. Auch hier sorgen die Holzbläser mit Bassbegleitung für eine kontrastierte Grundlage.

Stephan Scherpe liefert in der letzten Arie des ersten Teils ein reifes Wechselspiel mit dem Chor. Der Tenor kann hier seine ganze Erfahrung als einer der markantesten Bach-Interpreten Mitteldeutschlands ausspielen.

Der zweite Teil belegt dann die These, dass Bachs Musik zutiefst protestantisch und durch und durch lutherisch. Im Zentrum steht nicht das Leiden Christi am Kreuz sondern die Auseinandersetzung mit Pontius Pilatus. Roms Statthalter baut dem Messias goldene Brücke. Immer wieder unterbreitet er ihm Vorschläge, wie er dem sicheren Tod am Kreuz entgehen könnte. Doch Jesus ist fest im Glauben und schicksalsgewiss. Das erinnert deutlich an Martin Luther und sein Zitat vom "Hier stehe ich, ich kann nicht anders".

Zum Schluss lobte der Dirigent sein Ensemble
Im zweiten Teil kommen auch Gotthold Schwarz und sein weicher Bass zur Geltung. Im Wechselgesang mit dem Chor kann der Thomaskantor seine gesamte Dynamik ausspielen. Doch den emotionalsten Punkt setzt wiederum Annette Markert in der "Es ist vollbracht"-Arie. Das ist tiefste Traurigkeit.

Doch das Resümee ist ein anderes, denn im Dunkel gibt es immer Licht. Musik als Fortsetzung r Theologie mit anderen Mittel: Das ist der Predigt-Anteil im Werk von Johann Sebastian Bach. Somit lautet das Fazit zum Beginn der Karwoche: Berührend, zum Teil auch ergreifend, aber nie erdrückend.


Musikerin #1: Annette Markert
Musikerin #2 Kathleen Danke

Musiker #1: Stephan  Scherpe
Musiker #2: Gotthold Schwarz

Kreuzgangkonzerte #1: Das Programm
Kreuzgangkonzerte #2: Die Historie






Samstag, 8. April 2017

Weltkunst im Südharz

Ausstellung mit Exponaten der Talanx-Sammlung im Kunsthaus 

Nordhausen. 65 Werke von 42 Künstlern, hinter diesen nüchternen Zahlen verbirgt sich wohl die Ausstellung des Jahre im Südharz. Die Exponate entstammen alle der Sammlung des Talanx-Versicherungskonzerns und die Schau ist  jetzt im Kunsthaus Meyenburg zu sehen. Unter dem Titel “Aus dem Verborgenen an die Öffentlichkeit” werden Werke gezeigt, die ansonsten in den Büros und Sitzungszimmer des Versicherungsunternehmens hängen. Die größte Überraschung ist die Sonderausstellung mit den Werken des sehr lebendigen MIchael Fischer-Art aus Leipzig.

Einen Querschnitt durch ein 150 Jahre moderne Malerei bietet die Ausstellung betonte Museumsleiterin Susanne Hinsching bei der Vernissage. Impressionismus, Expressionismus, Surrealismus und alle anderen Ismen des 20 Jahrhunderts sind hier versammelt. Die Kunsthistorikerin kann diese These auch mit Namen belegen.

Modell und Ergebnis? 1 x lebendig, 2 x Warhol.
Fotos: Kügler 
Chagal, Picasso, Braque, Miró, Tàpies, Warhol, Max Ernst, Emil Nolde, die Liste klingt nicht wie ein "Who's who", sie ist es. Dabei ist es sicherlich interessant, mal die Ikonen des 20. Jahrhunderts im Südharz zu sehen. Für Ehrfurcht reicht es allemal

Doch die eigentlichen Stärken der Ausstellung bei den weniger Bekannten, bei den Künstlern, die in Sachen öffentliche Aufmerksamkeit eher in der zweiten Reihe stehen. Damit gewinnt der Titel der Ausstellung, "Vom Verborgenen an die Öffentlihckeit", eine zweite Dimension.

Dazu gehören die Arbeiten von Georg Karl Pfahler genauso wie das großformatige "Weißkonfiguration mit Blau" von Ernst Wilhelm Nay.  Diese braucht Platz zum wirken und Susanne Hinsching und ihr Team haben dem Gemälde einen ganzen Raum gegeben. Gut gehängt.

Die Konzeption der Schau folgt Gott sei Dank nicht der Schulpädagogik. Es gilt nicht "Raum für Raum eine Stilrichtung."  Den Machern ist es gelungen, durch die Mischung in Teilbereichen Parallelen und Unterschiede der Stile deutlich zu machen. Weil es keine monotone Aneinanderreihung ist, darf der Besucher sich die Exponate nicht nur selbst erarbeiten sondern auch Zusammenhänge herstellen. Er muss es aber nicht.

Überraschung im KuK

Die eigentliche Überraschung wartet aber im Untergeschoss. Im KuK werden begleitend  zur Hauptschau 20 Werke von Michael Fischer-Art gezeigt. Der Leipziger gilt derzeit als einer der produktivsten und kreativsten Künstler im deutschsprachigen Raum. Dutzende von Auszeichnungen scheinen dies zu belegen.

Masur zitiert Picasso, der Auerbach zitierte, der
Kreis schließt sich.  Fot0: Kügler
Warum er auch einer der interessantesten Gesprächspartner zum Thema Gegenwartskunst ist, macht er in seiner Laudatio bei der Vernissage deutlich. Fischer-Art hat keine Skrupel auch mal über die wirtschaftliche Seite des Kulturbetriebs zu sprechen. Er versinkt nicht im abgehobenen und belanglosen Ästhetizismus.

Zu sehen sind 20 Exponate, die in den letzten beiden Jahren entstanden sind. Es sind Werke, die sich um die Auseinandersetzung mit der politischen Gegenwart nicht drücken und die zum Teil auch der Ost-Vergangenheit geschuldet sind. Die Gemälde und Übermalungen zeichnen sich durch einen nervösen und kräftigen Strich aus, der an Keith Harring erinnert. In ihrer plakativen Farbigkeit finden sich durchaus Reminiszenzen zur Pop Art. Sie bleiben immer eine persönliche Stellungnahme.
 




Interview #1: In Nordhausen brennt noch Licht - Michael Fischer-Art
Interview #2: Nicht nur Glück sondern auch harte Arbeit - Susanne Hinsching

Personen #1: Michael Fischer-Art - Die Website
Personen #2: Michael Fischer-Art - Der Wikipedia-Eintrag

Orte #1: Das Kunsthaus Meyenburg - Die Website




Dienstag, 4. April 2017

Wie verwandelt

Theater Nordhausen zeigt Kafka als Musiktheater

Das ist wohl ein Einstand nach Maß. Christoph Ehrenfellner, Composer in residence, hat aus Kafkas "Verwandlung" eine Stück Musiktheater gemacht, dass die eigenständige Tradition und das Heute miteinander vereint. Wer sich auf den Mix der Genres einlässt, wird mit starken eindrücken belohnt.

Ach so, für diejenigen, die mit "Composer in residence" nichts anfangen: Das ließe sich mit Komponist vor Ort übersetzen. Der Composer in residence soll in den nächsten zwei Jahren die Produktionen am Theater Nordhausen mit eigenständigen Kompositionen ergänzen.

"Die Vewandlung" ist Ehrenfellner erst selbstständige Arbeit am Theater Nordhausen. Dabei ist er durchaus ein hohes Risiko eingegangen, aber Figurentheater, Pantomime, Sprechtheater und Musik ergänzen sich, greifen ineinander und gehen in dieselbe Richtung. Sie ergeben eine Inszenierung, die bei aller Beklemmung auch komische Momente bietet.

Gregor Samsa hat sich in ein riesiges Insekt
verwandelt.           Alle Fotos: Susemihl
Gregor Samsa ist Handelsreisender, er lebt zusammen mit seiner Familien in einer ARt Wohngemeinschaft. Er ist der Haupternährer. Eines Tages erwacht er und ist ein riesiges Insekt verwandelt. Von nun an nimmt das Unglück seinen Lauf und es die tragische Situation kann am ende nur mit dem Tod des Protagonisten ausgelöst werden. Das ist der Ausgangs- und Endpunkt in Kafkas Erzählung "Die Verwandlung".

Doch Ehrenfellner hat Mutter Samsa aus dem Ensemble gestrichen. Somit verschärft sich die Situation von Gregor gegenüber der Vorlage, denn mit dem Wegfall dieser Figur verliert der Verwandelte den letzten Anknüpfungspunkt zur hinfälligen Familienidylle. Gregor Samsa ist jetzt dem Unmut der Schwester und des Vaters ausgeliefert.

Auch ansonsten hat Ehrenfellner die Figuren auf das Wesentliche reduziert. Neben Vater und Schwestern bleiben nur der Prokurist und ein Untermieter. Sie sind die Vertreter der feindlichen Außenwelt in dieser klaustrophobischen Inszenierung.

In der Interpretation bleibt Ehrenfellner dem Mainstream treu. Es sind zwanghafte Verhältnisse, in denen Gregor Samsa lebt und seine Verwandlung ohne Vorankündigung steht für die Entfremdung vom eigenen Ich. Sie ist Protest gegen den übermächtigen Vater, aber vor allem der einzige Weg, sich diesem zwangshaften Leben und der zwanghaften Tätigkeit als Handelsreisender zu entziehen. Dies macht vor allem die Auseinandersetzung mit dem Prokuristen deutlich. Danach gibt es keinen Weg mehr zurück.

Handelsreisender = Außendienstmitarbeiter

Aber dort ist eben die Anknüpfung an das Heute. Die Gregors Samsa heißen nicht mehr Handelsreisender sondern Außendienstmitarbeiter, Klinkenputzer sind sie trotzdem geblieben. Sie fahre nicht mehr mit dem 5-Uhr-Zug, sondern sitzen in Skoda Octavias, aber der Druck ist immer noch derselbe. Damit ist diese Aufführung keine Reise in die Vergangenheit. Die Arbeitswelt und die familiären Erwartungen ergeben einen giftigen Cocktail. Das Grundproblem ist also mehr als 100 Jahre alt.

Prokurist, Vater und Schwestern können es nicht
verstehen.
Unter dem Druck der Veränderung, in der Krise bricht das Gefüge auseinander. Es bleibt ihr auch nichts anderes übrig, da mit solch einer überraschenden Situation niemand gerechnet hat und niemand dafür Lösungen hat. Die geübten Verhaltensmuster geben das nicht her.

Das Bühnenbild st auf das Minimum reduziert. Es besteht im Wesentlichen nur aus einer schwenkbaren Wand und jeder Menge schwarzen Vorhängen. Ansonsten bleibt die Spielfläche frei für die Fantasie, denn der Rest entsteht im Kopf. Jeder tut seinen Teil dazu. Jeder füllt die vermeintlichen Lücken mit Erinnerungen, Erfahrungen oder gesehenen Bildern und Assoziationen auf. Ehrenfellner traut seinem Publikum etwas zu und das macht er richtig.

Die wenigen Elemente vermitteln vor allem Enge, beklemmende Enge einer schwarz-weißen Welt. In der Intenistät der Studiobühne unterm Dach verstärkt sich dieser Eindruck noch einmal. Kein Licht dringt in den Mikrokosmos der Familie Samsa ein und diese Welt kennt eben nur diese beiden Nichtfarben.

Neue Akzente

Aber Ehrenfellners Kafka-Adaption setzt vor allem neue Akzente. Dies liegt vor allem der gelungenen Kombination der unterschiedlichen Genres. Figurentheater und Pantomime, Sprechtheater und Musik gehen eine expressive Symbiose ein.

Zum Schluss bleiben nur Vater und
Schwester übrig. Alle Fotos: Susemihl
Der tragende Teil der Inszenierung ist die Musik, sie erzeugt nicht nur die Stimmung sondern trägt die Handlung in den textfreien Passagen voran. Es wird geklopft, gehämmert und gezupft. Das Trio aus Cello, Klavier und Oboe klingt wie die Neutöner des frühen 20. Jahrhunderts und ist damit Kafkas Zeit verhaftet. Wie bei Schönberg auch finden sich aber immer wieder spät- und nachromantische Passagen doch der expressionistische Anteil überwiegt deutlich.

Die Masken wirken wie dem Panoptikum vor George Grosz entnommen. Riesige Köpfe, die als Fratze eingefroren sind und die zu keinem menschlichen Ausdruck mehr möglich sind. Die Einschränkungen der Sprechanteile macht das Ensemble durch eine ausdrucksstarke Choreographie mehr als wett. Die Bewegung ersetzt das gesprochene Wort. Die starre Pose macht manchmal jede Erläuterung überflüssig. Eine Geste, ein Körperhaltung sagt mehr als tausend Worte.

Mit dieser Inszenierung liefert Christoph Ehrenfellner ein starkes Debüt ab. Das Interesse an mehr ist geweckt und er bestätigt noch einmal den Eindruck, dass seit dem  Herbst ein frischer Wind durch das Theater Nordhausen weht und ein Zeitenwechsel stattgefunden hat.





TNLos #1: Der Spielplan
TNLos #2: Das Stück


Wiki #1: Franz Kafka
Wiki #2: Die Verwandlung