Mittwoch, 30. Juni 2021

In 80 Bildern um die Welt

Reisebilder Sehnsuchtsorte im Kunsthaus Meyenburg

Die Durststrecke hat 16 Monate gedauert, nun ist sie beendet. Am Sonnabend eröffnete im Kunsthaus Meyenburg die neue Sonderausstellung. Unter dem Titel “Reisebilder Sehnsuchtsorte” sind 80 Werke zu sehen, die sich in unterschiedlicher Form mit dem Fernweh beschäftigen. 

In ihrer Begrüßung erinnerte Bürgermeisterin Jutta Krauth an Einschränkungen des letzten Jahres. So musste sie die letzte Vernissage im März 2020 noch persönlich absagen und die Gäste nach Hause schicken. Deswegen sei es umso schöner, dass man zwar in begrenzter Zahl aber doch gemeinsam eine Ausstellung eröffnen könne.
Wenn man im letzten Jahr etwas gelernt habe, dann wie wichtig es ist, aufeinander Acht zu geben. In diesem Sinne wünschte sie den Zuhörerinnen und Zuhörern einen unbeschwerten Kunstgenuss. 

In seiner Einführung erinnerte Dr. Michael Grisko von der Sparkassen-Kulturstiftung daran, wie sehr sich das Reisen in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Dank zunehmender Technisierung sei der Charakter des Verreisens als Abenteuer verloren gegangen. Das Thema “Falsch abgebogen” stelle sich dank Navigationsgerät nicht mehr.

Regelkonforme Vernissage im Park.
Fotos: Th. Kügler
Er machte auch auf die Subjektivität der Wahrnehmung aufmerksam. Den Nil auf einem Schiff zu überqueren sei etwas anderes als ihn mit dem Flugzeug zu überfliegen. Es sei schwer, diese unterschiedlichen Eindrücke in Einklang zu bringen. 

Kunsthauschefin Susanne Hinsching. gab eine Einführung in die Werke. Ansätze zur Landschaftsmalerei habe es in der Neuzeit mehrere gegeben. Doch erst mit dem Impressionismus im späten 19. Jahrhunderts gewann sie ihre heutige Bedeutung. Die Impressionisten brachten auch neue Arbeitsweisen ein, indem sie “plein air”, also die Freiluftmalerei,  zum Standard machten. 

Ein weiterer Wendepunkt seien die Arbeiten von Gauguin. Die Bilder seiner zweiten Tahiti-Reise habe die massiven Farben in den Vordergrund gerückt und den Expressionismus vorbereitete. 

Hinsching betonte auch, dass Sehnsuchtsorte nicht immer in der Ferne liegen müssen. so hat man die Leihgaben der Galerie Sundermann mit Werken aus der eigenen Sammlung ergänzt, die den Harz und die Region zeigen. Auch durch die Corona-Beschränkungen habe sich der Begriff  Sehnsuchtsort verschoben. Wegen innerdeutschen Reiseverboten und Ausgangssperren wurde manchmal schon der Nachbarort zu Sehnsuchtsort. 

Diesen Gedanken greift das erste Werke der Ausstellung auf. Die Installation in der Eingangshalle zeigt eine vermeintliche Eisenbahner-Idylle mit kleinen Störungen. In der Tonspur sind die Partikel enthalten, die auf die Störungen hinweisen.

Die Ausstellung

Die Gliederung der Ausstellung ist einfach nachzuvollziehen. In neun Räumen werden neun Länder oder Region abgearbeitet. Die luftige Hängung lässt Platz für Gedanken und Zitaten von ausgestellten Künstlern. 

Venedig: Ein Thema drei Bilder. 
Fotos: Kügler
EiWährend die erste Etage von den bekannten Namen wie Monet, Cezanne oder Chagall  dominiert wird, bietet vor allem das Obergeschoss die Überraschungen und Entdeckungen. Das ist zum einen die orientalische Fantasie von August von Siegen. Das Gemälde des weitgehend unbekannten Österreichers besticht durch seinen Fotorealismus und die direkte Ansprache der Betrachter. 

Ein Kontrapunkt dazu bilden die Werke von Denis Jully. Der zeitgenössische Franzose löst die Konturen weitestgehend auf, so dass nur noch Licht und Farben bleiben. Damit reaktiviert er den Impressionismus in einer abstrakten Form. Dennoch geht von seinem marokkanischen Wasserfall eine erfrischende Wirkung aus.

Der Clou der Hängung ist der Kuratorin Hinsching im Italien-Raum gelungen Drei Bilder auf einer Wand widmen sich dem Motiv Venedig und Canal Grande. Das Werke eines unbekannten Künstlers verdeutlich das Treiben der Gondeln und Barken um 1800. Der monochrome Markusdom des Nordhäuser Jürgen Rennebach zeigt das Gebäude in einer ungewohnten Dynamik. Abgeschlossen wird der kleine Zyklus mit einer dunklen Lithographie von Ilsetraut Glock-Grabe zum venezianischen Karneval.

Die Daten

Die Ausstellung läuft noch bis zum 17. Oktober. Geöffnet ist das Kunsthaus Meyenburg dienstags bis freitags von 13.00 bis 17.00 Uhr und am Sonnabend und am Sonntag  von 10.00 bis 17.00 Uhr. 


Montag, 28. Juni 2021

Zwischen Poesie und Klamauk

Duo Mimikry im Zappelini -Zelt

Die sogenannte Kleinkunst hat es schwer, besonders in Zeiten der Pandemie. Auf jeden Fall hätte der Auftritt des Duo Mimikry im Zappelini-Zelt mehr Publikum vertragen. Mit dem Programm "Tasty Biscuits" haben Rocher und Liermann gezeigt, wo die Messlatte für Pantomime heutzutage hängt, nämlich sehr hoch. 

Es ist schon eine unverschämte Koketterie zu behaupten, man sei die schlechtesten Pantomimen der Welt. Das mag stimmen, wenn man die Maßstäbe der 70-er Jahre anlegt. Aber wer macht das?

"Visual comedy" nennen die beiden Berliner ihr Konzept. Aber es geht nicht nur um Lacher sondern auch um Emotionen, die die beiden so fast ohne Worte darstellen. Das ist sicherlich nicht für Feingeister, denn die Gesten sind in der Regel raumgreifend und die Gesichter plakativ. Oft genug poltert und klappert es aus dem Hintergrund. Doch das Duo kann ganz auf die Ausdruckskraft ihrer Körper und Bewegungen vertrauen und auf Requisiten verzichten. Das Publikum denkt sich die fehlenden Teile. Überhaupt gelingt dem Duo das Spiel mit den Zuschauern und ihren Erwartungen. 

Die Komik besteht dann meist darin, dass sie gewohnte Verhältnisse auf den Kopf stellt. Da wird in der Geschichte "Superman beim Zahnarzt" ganz klar. Der Superheld wird vom Dentisten an den Rande des Nervenzusammenbruchs gebracht. Dabei funktioniert Nicolas Rocher die Kanzlerinraute zum Erkennungssymbol der Sadisten um. Wer auf die Details schaut, hat mehr von der Vorstellung. Deswegen ist diese Pantomime ein Angebot an die Erwachsenen.  

Emotionen ohne Worte aber mit Gestik
und Mimik.     Foto: Duo Mimikry

Aber sie können auch wortlos Geschichten erzählen. Die Show startet mit dem Raub der vier Kekse, der Tasty Biskuits eben. Es ist ein munteres Spiel mit popkulturellen Versatzstück und mit der Musik und dem Tempo der Rififi-Filme der 60-er Jahre. Würden Peter Selles oder David Niven auf einmal auf der Bühne stehen, niemand würde sich wundern. 

Im Erzählen liegt überhaupt die Stärke von Liermann und Rocher. Es sind auch Geschichten wie die vom Puppenspieler  Pepe und seiner Handpuppe Eric. Diese verlangt ein hohes Maß an Koordination, spätestens als Puppenspieler und  Puppe gemeinsam jonglieren.

Aber es ist vor allem eine feine Dramaturgie. Stück für Stück kehren sich die Machtverhältnisse um, Für das Publikum ist es ein Entwicklung in poetischen Bildern und mit kleinen Merkmalen. Immer häufiger übernimmt Eric die Kontrolle und es verwundert nicht, dass zum Schluss Pepe als willenlose Puppe auf dem Hocker sitzen bleibt. 

Diese Umkehrung der Verhältnisse bestimmt auch die Geschichte vom König und seinen Narren. Nur geht es hier robuster zu. Da wird viel gefochten ohne Schwert. Es fallen Stühle, die nicht sichtbar sind, und es rollen Köpfe, die auf keinem Hals sitzen. Aber es darf fürchterlich viel gelacht werden und am Ende siegt die Freundschaft von König und Narr, 

Doch manchmal  bleibt einem das Lachen im  Halse stecken. In der gewaltüberladenen Nummer "Cheeseburger Comedy Club" machen Liermann und Rocher sehr deutlich, dass vieles, was in den Medien als Komik daher kommt, auf der Erniedrigung des Anderen basiert. 

Da ist es doch gut, dass der Abend mit der überdrehten  Heavy-Speed-Death-Metal-Nummer endet. Harte Jungs werden hier entzaubert und nach so viel Tempo ist alle Last weggeblasen. 



Material #1: Das Zappelini-Zelt - Die Website  


Material #2: Duo Mimikry - Die Website

Montag, 14. Juni 2021

Der Prinz kommt jetzt mit der Solo daher

Uraufführung am DT: So monoton kann das Leben an der Leine sein

Sie haben es mal wieder getan Zum dritten Mal innerhalb eines Jahres haben Antje Thoms und Florian Barth ein sehenswertes Statement zur Corona-Pandemie abgegeben. Nach den Experimenten "Die Methode" und "DT Tankstelle" ist mit "Mode nach Madrid" am Deutschen Theater in Göttingen ganz den klassischen Theatermitteln verhaftet. Statt mit aufregenden Techniken überzeugt dies Musikrevue eher mit schlüssigen Charakteren.

Selten wurde Monotonie so gut inszeniert. Es wirkt wie das "Warten auf Godot" in Corona-Zeiten. Hinter der durchdachten Sammlung popkulturellen Zitaten stecken lauter kleine Geschichten, die erzählen, wie die Corona-Krise Tausende von Biografien umgeworfen hat. Die bitterböse Satire zeigt, wie Lebensläufe entwertet wurden. Manchmal bleibt einem das Lachen im Halse stecken, bei so viel Realitätsnähe

Es ist schon eine seltsame Gesellschaft, die sich im Reisebüro "Bon Voyage" versammelt hat. Da sind die Chefin Cindy Jane Möller und ihre beiden Angestellten Nina Weber und Moni Fischer. Der Auszubildende Kevin Schmidt komplettiert das Quartett. Zusammen wollen sie einen Weg finden, um das Reisebüro aus der Corona-Krise zu führen  


 
Motivationstraining ist angesagt.
Fotos: Thomas M. Jauk
Die Rollen sind klar verteilt. Nina ist die Motivatorin und Ulknudel, Kevin der Ungeschickte und Moni die Neurotische. Immer wieder zitiert sie die Corona-Regeln für den Arbeitsplatz und erficht sich mit dem Zollstock den gesetzlichen Mindestabstand.

Gaia Vogel glänzt in Rolle der Frau, die auf Einhaltung besteht um die Kontrolle über das verlorene Leben wieder zu erlangen. Im Stakkato zitiert sie Paragraphen und mit rudernden Armbewegungen macht sie deutlich "Bis hier hin und nicht weiter.

Dann sind da noch drei gestrandete Gäste. Das Duo No-Show besteht aus zwei namenlosen Musiker, die ohne Reisegesellschaften arbeitslos sind. Florian Barth hat ihnen Anzüge verpasst, die so farbenfroh sind wie die Seychellen-Bilder vom Michael Adams. Einen härteren Kontrast kann es nicht geben.

Rudi Maria Kron ist ein lebendes Fossil, ein Dinosaurier aus der Globetrotter-Ära und abgewrackter Reiseleiter der MS Theodor Körner. Mit seiner reduzierten Darstellung macht Paul Wenning die ganze Erbärmlichkeit dieser Person deutlich. Die Gestik bleibt im Schlaff-Modus und die Stimme leiert mehr als das sie rezitiert.

Aber das Mitleid mit dieser Witzfigur hält sich in Grenzen. Selbst wenn er nichts tun muss, scheitert er. Den Big-Lebowski-Ähnlichkeitswettbewerb schließt er lediglich mit Platz 11 ab.

Was bei der Musikauswahl auffällt: Es sind fast nur Stücke aus der Schublade "Oldie". bis in die 80er Jahre hinein waren Fernweh und Sehnsucht immer einen Song wert. Dann verschwanden die Themen weil Reisen zum Leistungssport und zur Massenbewegung wurden.

Deswegen schmerzt die Bruchlandung umso mehr. Gerade noch ein Traumjob, sind die Reisekaufleute die Verlierer der Krise. Selbst das Subproletariat der Paketboten scheint ihnen nun überlegen. Denen geht es auch nicht besser, aber sie sind die neuen Helden.

Den Verlust an Orientierung gibt Gaby Dey als Cindy Jane Möller eine beeindruckende Gestalt. Ihr bleibt nichts als Erinnerungen, sie ist nicht in der Lage ihrer Mannschaft den Weg zu weise. Ihre einzige Tat mit Energie bleibt der Abgang, die Flucht aus der Ratlosigkeit.

Die einfachste Rolle an diesem Abend hat Nathalie Thiede als die Betriebsnudel Nina Weber. Thiede gelingt es, dieser Nervensäge der permanenten guten Laune Tiefe zu verleihen. Es dauert ein wenig, bis Thiede deutlich macht, dass Webers Betriebsamkeit auch nur übertünchte Ängste sind. Aus dem ständigen Arme nach oben recken wird ein Schulter nach vorne drücken, ein Kleinmachen.

Der Prinz fährt eine alte Solo.
Fotos: Thomas M. Jauk
Es ist ein Treffen der Untoten im Reisebüro "Bon Voyage". Da darf dann wie im billigen Gruselfilm auch mal der Strom ausfallen. Somit ist der Auftritt von Andrea Strube als "Die Puppe" auch logisch. Wie einst Graf Orlok in "Nosferatu" hat sie sich selbst verschickt. Ihr Einzug in das Reisebüro ist aber wesentlich pompöser als dessen Ankunft in Wisborg.

Oder ist sie doch eher "Die Mumie"? Auf jeden Fall wirkt sie bleich geschminkt und mit Julia-Timoschenko-Frisur wie ein Überbleibsel aus einer Zeit, die nicht sterben will.

Die stärkste Entwicklung macht an diesem Abend aber Gaia Vogel in der Rolle der Moni Fischer. Anfangs überrascht es, dass ausgerechnet die Neurotikerin den Mut aufbringt, diese ungesunden Verhältnisse zu verlassen. Doch es ist wie im Märchen. Der Prinz kommt auf einer alten Solo daher, zitiert Udo Jürgens und mit neuer frischer Körpersprache macht sie sich dann mit ihm auf den Weg. Ende gut alles gut, zumindest für die Beiden. 

Die Rolle des Kevin Schmidt ist vielleicht zu eindimensional, um darin glänzen zu können. Doch Daniel Mühe überzezugt vor allem als Sänger. Zusammen mit Jan Beyer und Tobias Vethake bringt er eine Show, die an Zeiten, als alles noch möglich war. Sie klingen energiegeladen und spröde wie einst "Fehlfarben" in ihren besten Tagen. Da stört es auch nicht, dass er das Moped erst im zweiten Versuch zum Laufen bekommt.

Es ist nicht alles gelungen in diesem Stück, manches entbehrt der immanenten Logik. So kommt das Gebrüll des Telefonkunden unvermittelt und geht sowieso unter. Aber das Publikum ist am Ende zum größten Teil begeistert und übt sich in einer komplett analogen Tätigkeit: Applaudieren und das sogar im Stehen.