Dienstag, 30. August 2016

Die höchsten Weihen erfahren

Das anschließende Interview vorweg


Götz Alsmann und Band begeistern mit Broadway-Melodien

Selten hat jemand so schön gelogen. Am Anfang des Abends versprach der Künstler, dass es das wärmste Konzert des Jahres werden würde. Glatt gelogen und untertrieben. Ein Abend mit Götz Alsmann und Band ist nicht einfach nur ein Konzert. Es ist eine Show. Eine Show der Extraklasse, ein bisschen retro und für alle Sinne. Auf jeden Fall kann im dreistündigen Programm keine Langeweile auf.

Im aktuellen Programm “Am Broadway” hat Götz Alsmann 18 Perlen aus der goldenen Ära des Musicals versammelt. Er hat sie aufgebockt, hat sie getunt und er hat ihnen mit deutschen Texten ein neues Chassis verpasst. Auf jeden Fall läuft der Unterhaltungsmotor und die Tour schon seit 2 Jahren reibungslos. Mit dem Echo-prämierte Programm “In Paris” hatte Alsmann sich vor fünf Jahren mal den Chansons zur Brust genommen. Im nächsten Jahr soll dann “In Rom” folgen.

Götz Alsmann war mit seinen Jungs im Kloster. 
Alle Fotos: tok
Alsmann hat kein Genre wiederbelebt oder neu entdeckt. Er nimmt das Publikum mit zurück in eine Zeit, dass Musiker noch “Handelsgold Fehlfarben” schmöckten und “Racke Rauchzart” tranken. Aber er hat die Songs eben doch getunt nd ihnen vor allem ein lateinamerikanisches Gewand übergezogen.

Der Meister und die Band machen es spannend. Der Vorspann des Titelsongs läuft mehrfach, bevor das Quintett die Bühne betritt. Doch genug der Vorrede, sofort swingt es ordentlich und Alsmann und Altfrid Sicking am Vibraphon werfen sich die Noten und Phrasen zu. Sicking und Alsmann, diese Kombination wird den Abend bestimmen.

Dann hat das Publikum Zeit zum Verschnaufen, denn Götz Alsmann erzählt die Entstehungsgeschichte dieses Projekts. Er ist mit Engagement und man soll ihm anmerken, dass ihm dieses Programm eine Herzensangelegenheit ist. Später wird mit einer ordentlichen Portion Selbstironie erzählen, dass die Grundlagen einst an einem Spätsommernachmittag in Jahre 1965 bei einer Modenschau in der Münsterland-Halle gelegt wurden.

Alsmann erzählt von den Aufnahmen in Manhattan, im legendären Sear Sound Studio. Er erzählt von dem vermeintlichen New-York-Experten im Verwandtenkreis und ihren vielfältigen Tipps. Er erzählt von Pannen in der Planungen und er tut dies alles mit Wortungetümen und mit eigenen Worterfindungen, die aber sofort eingängig sind.

Altfrid Sicking spielt Trompete zum
Vibraphon.
Götz Alsmann beherrscht nicht nur die Musik sondern auch die Sprache und seine Stimme. Er ist laut und hektisch und im nächsten Moment verschwörerisch leise. Aus dem Konzert wird eine Lesung ohne Literaturvorlage.Spätestens hier taucht die Frage auf, ob Alsmann Musiker ist oder Entertainer oder schon ein Gesamtkunstwerk.

Schnell wird klar, dass Alsmann hier eine exzellente Show  aus der guten alten Zeit abliefert und niemand würde sich wundern, käme er eine Show-Treppe hinunter. Es fehlen zwar die Tänzerinnen, aber immer die Garderobe der fünf Männer auf der Bühne passt haargenau in das Gesamtbild. Rosa Sakkos mit schwarzem Samtkragen, so etwas wird heutzutage nur noch während des Christopher Street Day getragen.

Immer wieder trägt Götz Alsmann Geschichten zu den Songs vor. Er erklärt ihre Entstehung und er trägt Anekdoten aus den New Yorker Tagen vor. Er bemüht Klischees und Steroetypen, aber er tut es immer wieder mit einem überdeutlichem Augenzwinkern. Hinter dem Doktor der Musikwissenschaften steckt immer noch der kleine Junge, der an jenem Spätsommernachmittag im Jahr 1965 in der Münsterland-Halle auf Big Bob Bingo traf. Er strotzt vor Selbstironie und man verzeiht ihm auch Sprüche über wohlbehütete Bürgertochter aus dem Sauerland.

Ob die Geschichten wahr sind oder nicht, das ist egal. Sie könnten wahr und sie passen einfach in das Gesamtbild.

Aber dann gewinnt die Musik doch wieder die Oberhand. Alsmann hat die Klassiker meist in ein lateinamerikanisches Gewand gesteckt und das passt. So macht er aus Nat King Cole Ballade “Nature Boy” eine Rumba. Es folgen noch zahlreiche Verwandlungen und bei Blue Moon muss man zweimal hinhören, um den Rodgers-Song zu erkennen. Aber alle zeigen “So hätte es auch klingen und es wäre trotzdem gut gewesen. Was überzeugt ist nicht die Stiltreue sondern die Vielfalt, die das Wesen der Musik deutlich: Gute Unterhaltung auf höchstem Niveau.

Als Zugabe gibt es Cowbos-Songs zum Banjo.
So kann Götz Alsmann auch mal das Wesen des europäischen Theater seit der Antike lebensnah darstellenoder sich von Perkussionist Markus Paßlick den Plot für das kommende Alsmann-Musical erklären lassen. So viel sei schon mal verraten: Das Kloster Walkenried wird bei Sister-zienser Act eine wichtige Rolle spielen.

Aber die Musiker sind auch Fans der eigenen Sache. Götz Alsmann und seine Band spielen, reden und albern sich immer mehr in einen Rausch. Je länger der Abend dauert, desto höher steigen die Raketen im Gag-Feuerwerk. Alsmann macht keine Witze auf Kosten anderer sondern er macht vor allem witzig über sich selbst,  über die gemeinsame Vergangenheit und über den Glauben an die guten alten Zeiten.

Doch irgendwann ist auch die Abend zu Ende. Doch in den Stunden bis dahin gibt es jede Menge Musik, die swingt, mambot, merenguet und vor allem begeistert.


Das anschließende Interview hinterher


Das Programm im Kloster Walkenried

Die offizielle Alsmann-Website


Donnerstag, 25. August 2016

Unterhaltsame Lehrstunde in Sachen Klassik

Ein leichter Sommerabend mit dem Staatsorchester Braunschweig

So gefällig kann Musikunterricht als auch sein. Mit dem Programm "Klasse! Klassik!" hat das Staatsorchester Braunschweig eine Lehrstunde in Sachen Klassik erteilt und es klang nicht einmal im entferntesten nach Belehrung. Nein, es sind einfach drei Stücke, die einen unterhaltsamen Querschnitt durch die Epoche bilden, präsentiert von einem überzeugenden Orchester und einer überragenden Solistin. Ob Lehrstunde oder nicht, am Ende fühlte sich das Publikum gut unterhalten und erklatschte sich eine klassische Zugabe.

Manche Orchester sind wie ein Ufo.
Alle Fotos: tok 
Ob nun Wolfgang Amadeus Mozart im Alter von 8 Jahren wirklich seine Sinfonie Nr. 1 selbst geschrieben hat oder ob der Vater maßgeblich die Feder führte, auf jeden Fall kann man hier bereits die Leichtigkeit des späteren Mozarts erkennen. Diese Leichtigkeit transportiert das Staatsorchester Braunschweig bestens.

Gerd Schaller entlockt ihm einen transparenten Tonfall im Molto allegro. Das kontrastiert er im Andante durch die Dominanz der Bläser in Holz und Blech. Auch der Bass kommt hier in aller Schwere zum Tragen. Dann im dritten Satz darf der Klangkörper als Ganzer wirken und trotz aller Dynamik bleibt das filigrane Notengewebe erhalten.

Carl Stamitz gehört zu den eher selten gespielten Komponisten. Der Vertreter der Mannheimer Schule ist zwischen Spätbarock und Frühklassik beheimatet. Dies gilt auch für sein Konzert für Viola und Orchester. Im Allegro kontrastiert der weiche Klang der Bratsche wunderbar zu den spitzen Klängen der Geigen.

Der Bass muss bis zum dritten
Satz warten. 
Es entwickelt sich ein Wechselspiel, das auch das Andante moderato bestimmt. Das Solo von Sara Kim bringt ist zum Steinerweichen schön. In den kleine Lücken des ritardando scheint die Zeit still zu stehen. Für Sekunden lauscht das Publikum in sich selbst hinein.

Natürlich ist das Rondo des dritten Satz tänzerisch. Im Wechsel von Viola und Violinen scheinen die Töne selbst zu hüpfen. Wer glaubte, das Solo des zweiten Satzes sein nicht mehr zu steigern, zieht sich schnell getäuscht. Doch jetzt kokettiert Sara Kim mit den kleinen Verzögerungen. Sie  lässt das Publikum auf das Vorankommen warten und zeigt einen spielerischen Umgang mit dem Material und den Erwartungen.

Carl Stamitz hat in seinen Viola-Konzerten den Virtuosen alles abverlangt. Die Solistin meistert alle Hürden. Sollte das Staatsorchester also noch einmal nach Walkenried kommen, dann bringt es gefälligst Sara Kim wieder mit und spielt mindestens zweimal Stamitz.

Frühklassik, Vorklassik, nach der Pause ist das Programm mitten in der Hochklassik. Auf dem Programm steht Haydns Sinfonie Nr. 101, bedeutungsschwanger auch "Die Uhr" genannt. Schließich geht es um nicht geringeres um das Verrinnen der Zeit.

Die Celli müssen warten.
Schon die Besetzung macht deutlich, dass es jetzt in das klassische Hochgebirge geht.  Die Blechbläser haben sich mit zwei Trompeten und Hörner verstärkt. Es steht musikalische Urgewalt auf der Bühne, doch diese kommt leicht und locker daher. Schaller bleibt dem transparenten Klang treu. Am besten gelingt dies im dritten Satz im Wechsel von crescendo und diminuendo. Da sind sie wieder, die Augenblicke, in denen die Zeit still zustehen scheint.

Doch Haydn weist hier schon über seine Zeit hinaus, an einigen Stellen schimmert deutlich der Beethoven hindurch. Dräuende Pauken und drängelnde Blechbläser, dieser Kombination begegnet die Musikwelt fortan häufiger.. Nun ist klar, wo Ludwig einst den Most holte.  Da ist es nur folgerichtig, dass das Staatsorchester eben jenen Herrn Beethoven auch noch zu Wort kommen lässt und einen Satz aus seiner achten Sinfonie spielt. Mit der Spätklassik geht der Abend dann zu Ende.



Das Programm bei den Kreuzgangkonzerten

Das Staatsorchester Braunschweig



Freitag, 12. August 2016

Im Wald da sind die Tänzer

Ballettgala beim TheaterNatur-Festival weiß zu gefallen

Natürlich geht zu einem Festival der darstellenden Künste auch der Tanz. Mit der Ballettgala "Wild|Wald|Tanz" bot das TheaterNatur-Festival einen Überblick über aktuelles Tanztheater, der sowohl insgesamt als auch in den Einzelteilen zu gefallen wusste.

Doch den Versprechungen des Titels wurde die Gala nicht ganz gerecht. Es gab mehr Wald als Wild in dieser doch eher meditativen Schau. Es war mehr Romantik als Exotik, aber das muss ja kein Fehler sein. Immerhin reihte sich die Gala problemlos unter das Oberthema #ImDickichtdesWaldes ein.

Zum Auftakt gab es viel Tutu, Spitze,
Hacke, 1, 2, 3.   Alle Fotos: Tok
Die elf Choreographien drehten sich um Thema aus der Natur. Darunter waren immerhin zwei Uraufführungen. Dies spricht für den hohen Stellenwert, den das Festival schon jetzt genießt. Und natürlich auch das internationale Ensemble mit tänzerinnen und Tänzern aus Deutschland, den Niederlanden, Italien, Spanien und Russland.

Die Mischung aus klassischem Ballett und aktuellen Tanztheater und Modern Dance gab dem Nicht-Fachpublikum die Gelegenheit, sich von dieser Muse wach küssen zu lassen oder auch verzaubern zu lassen. Diese Mischung gab der Compagnie auch die Möglichkeit, sich in allen Sparten des Bühnentanzes zu profilieren.

Wer fällt einem zum Thema Ballett zuerst ein? Richtig, Tschaikowsky. Nein, es gab nicht den Schwanensee, sondern eine Choreographie von Marius Petipa zum Blauen Vogel aus Dornröschen. Nirgends ist das Dickicht dichter als bei Dornröschen. Doch Marta Navasardyan und Zachary Rogers strahlen die Leichtigkeit aus, die ein Vogel braucht, um abzuheben.

Mit viel Spitze und Tutu und viel Romantik wandelt die recht narrative Choreographie anfangs auf traditionellen Pfaden. Sie erzählt mit bewährten Mitteln die Geschichte des Vogel, mit dem die Prinzessin zumindest im Gedanken auf die Reise geht und sich aus dem Dickicht des Hofstaates emporhebt. Dementsprechend wird der zweite Teil auch von Hebefiguren dominiert. Zeitweilig wirkt die Choreographie damit wie Etüden für Balletteleven. Sie will verzaubern und genau das gelingt ihr auch. Ziel erreicht.

Den Kontrast bietet Thuja. Das Stück von Lukas Timulak aus Den Haag ist eine von beiden Uraufführungen in diesem Programm. Introvertiert ist wohl das passende Stichwort für die erste Hälfte. Mit dem Rücken zum Publikum windet sich Valentina Scaglia zur Musik von Saskia Langhoorn.

Mancher braucht zum Anfang eine
Schnupperphase.
Das Kostüm lässt kein Rückschluss auf das Geschlecht der dargestellten Person. Mit einer akrobatischen Glanzleistung schaut Scaglia dann das Publikum durch die eigenen Beine an, macht schleift ihren Kopf über den Tanzboden, dass man selbst den Schmerz in den eigenen Halswirbeln spürt und gibt der bis dahin performativen Choreographie schlagartig eine andere Richtung.

Jetzt erzählt sie mir raumgreifenden Schritten von der Einsamkeit, vom Suchen und Nicht-Finden. Der schnelle aber logische Wandel beeindruckt und bleibt im Gedächtnis. Doch die Geschichte bleibt ohne Happy End und Valentina Scaglia allein.

Innaturale, die zweite Uraufführung in diesem Programm, verlässt den meditativen Raum. Chiara Annunziato hat eine Folge entwickelt, die eher vom Tempo denn von Introvertiertheit bestimmt ist. Zum Electro-Sound von Muse tanzen die Choreografin selbst und David Horn die Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Streitigkeiten eines Paares. Sie führen sich, sie finden zueinander, sie stützen sich, aber sie stoßen sich auch. Überraschend ist der Einfalt, diese Bewegungen und dieses Verhalten im zweiten Teil  von Marta Navasardyan und Zachary Rogers widerspiegeln zu lassen. Paar eins kann nun zur Seite treten, sich selbst beobachten und eben reflektieren.

Um Paarfindung geht es auch im achtminütigen Ausschnitt aus Distorted Seasons. Hier verläuft die Paarfindung aber positiv. Aus zwei Solisten werden nach der Schnupperphase ein Team. Die Choreographie von Jorge Garcia Perez überzeugt mit vielen witzigen und selbstironischen Einfällen. Dazu gehört sicherlich die "Schnupperphase".

Adagietto, eine intime Paarbeziehung.
Paarbeziehung ist auch das Thema von Oscar Araiz in seiner Choreographie zum Adagietto von Gustav Mahler. Doch hier geht es zurück in die Innerlichkeit. Es geht vor allem um den Schutz, den zwei Menschen einander bieten können. Immer wieder geht Zaloa Fabbrini in die Embryo-Haltung , bildet ihren eigen Kokon. Doch Zhani Lukay trägt sie und schafft so die Basis für die gelegentlichen Höhenflüge. Es ist eine Geschichte von Liebe und von berührender Intimität, die das Publikum anrührt.

Aus Wettergründen wurde die Aufführung von der Waldbühne in die Tennishalle verlegt. Das bedeutet aber Gewinn. Der Abstand zwischen Zuschauern und Tänzern reduziert sich auf ein Mindestmaß. Es entsteht eine ungewohnte Intimität. Die Akteure sind sehr nah. Man hört ihr Atmen deutlich, man hört die Schritte auf dem Tanzboden und sieht die Markierungen dort. Die Aufführung erhält so Workshop-Charakter, man sieht den Künstlerinnen und Künstlern bei der Arbeit zu. Studio-Theater gibt es häufig, Studio-Ballett leider viel zu selten.  Somit wird aus dem vermeintlichen Problem ein deutlicher Gewinn. Es wäre wünschenswert, auch 2017 ein ähnliches Erlebnis zu haben.



Das TheaterNatur-Festival 2016

Die Ballettgala Wild|Wald|Tanz



Mittwoch, 10. August 2016

Im Wald da sind die Räuber

Eine Inszenierung voller Tempo auf der Waldbühne Benneckenstein.

 Mit einem Klassiker auf zu neuen Ufern. “Die Räuber” eröffneten am Freitag das TheaterNatur-Festival. Für die Inszenierung von Janek Liebetruth gab es bei der Premiere von den 400 Zuschauern minutenlang stehende Ovationen. Es scheint, als habe die Region auf diese Form des zeitgemäßen Theaters gewartet.

Das Bühnenbild von Hannes Hartmann sorgt für Hingucker. Es ist auf das nötigste reduziert. Eine weiße Bühne wird von einer weiße Wand begrenzt. Links oben blinkt eine Videoinstallation, rechts führt eine Tür in den Bühnenhintergrund. Auf der Bühne links eine junge Birke, rechts ein Wasserbecken. Später werden einige Akteure versuchen, sich hier zu reinigen.

Das Ganze ist von einem Baugerüst umrahmt. Auf jeden Fall machen Liebetruth und Hartmann deutlich, das es hier um elementare Dinge. Nichts unnötiges soll vom Text ablenken. Das Gerüst dient auch als Balkon und macht den Kunstgriff möglich, die Kontrahenten Karl und Franz Mohr gleichzeitig auftreten zu lassen, ohne dass sie sich auf der Bühne begegnen

Gerrit Neuhaus ist als Franz Mohr die
beherrschende Figur auf der Bühne. Alle Fotos: tok 
Zum Beginn setzt sägende Elektromusik ein, minutenlang, links oben läuft eine Animation. Der Spannungsbogen ist fast schon überspannt als Gerrit Neuhaus die Bühne betritt. Er spielt Franz Mohr, den Bösewicht in Schillers Geschichte von Kain und Abel. Das wird er so gut machen, dass er in der gleichmäßig stark besetzten Aufführung am Ende eine der Stützen ist. Die Inszenierung von Janek Liebetruth ist vor allem Sprechtheater und Neuhaus beherrscht eben dieses Spiel exzellent. Mit leisen und abgewägten Tönen setzt er in den ersten Minuten die Akzente.

Dann betritt Angelika Böttiger die Bühne. Sie spielt die Maximillia Mohr, die Mutter der beiden Kontrahenten Franz und Karl. Mit der Einführung der Gräfin anstelle des Grafen haben Regisseur Janek Liebetruth und Dramaturgin Lisa Friedrich eine wichtige Verschiebung vorgenommen. Aus dem Vater-Sohn-Konflikt wird ein Streit von Mutter und Sohn. Der Konflikt verschärft sich, er wird elementarer.

Der Streit ist grundsätzlicher Natur. dies wird in Franz “Was hat sie aus mir gemacht”-Monolog mehr als deutlich. Hier kommt Neuhaus Beherrschung der Sprache, sein punktgenaues Setzen von Akzenten und Pausen voll zur Geltung.  Und der Konflikt löst sich nur durch Gewalt lösen. Das ist die eindrückliche Aussage, als Franz Mohr seine Mutter mit den Füßen von der Bühne stößt. Es ist ein Verstoß gegen die göttliche Ordnung und das Publikum kann nur noch mit Hilflosigkeit antworten.

Mark Pohl verleiht dem Spiegelberg viel Tiefe.
Er ist nicht nur ein Mann des Wortes, sondern auch der Tat, wenn es sein muss. Als er die junge Birke mit Stumpf und Stiel von der Bühne entfernt, auch da bleibt dem Zuschauern nur die Hilflosigkeit angesichts der rohen Symbolik. Dieses Bild bleibt ebenso haften wie Amalia, die später versucht wieder Bäumchen der Hoffnung zu pflanzen.

Nun stürmen die Räuber das Bühnenrund. Doch es sind keine Wegelagerer des 18. Jahrhunderts. Sie gebärden sich wie Aktivisten des 21. Jahrhunderts. Noch kämpfen sie für den freien Zugang zum Wald, aber es könnten auch Tierrechte oder Mietpreise sein, die bald auf der Agenda stehen. Es ist eine Horde zorniger junger Männer. Dies macht vor allem Benjamin Kramme deutlich. Sein Karl Mohr ist ist an der Grenze zum Berserker angelegt. Er befindet sich permanent in Lauerstellung und drückt vor allem Alarm aus. Seine Stimme befindet sich permanent am oberen Limit. Erst beim heimlichen Treffen mit der geliebten Amalia darf er die Stimme senken. Schade, dass Kramme sein Potential nur andeuten darf.

Ganz anders hingegen agiert Ulrike Knobloch in der Rolle der Amalia. Gestik und Mimik sind ihre Mittel und damit wechselt sie glaubhaft zwischen standhaft und verzweifelt und damit kann sie die leisen Tönen setzen und für das Innehalten in dieser atemlosen Inszenierung sorgen. Für das Ying und Yang braucht es eben auch solche Pole.


Mark Pohl darf auf allen Ebenen zeigen, was er kann. Er kann auf ein reichen Schatz an Gestik. Mimik und Stimme zurückgreifen und verleiht dem Räuber Moritz Spiegelberg damit eine Tiefe, die nicht alle erreichen. Er kann poltern und raufen, er kann auch flüstern und einschmeicheln.  Pohl kann so den Wandel der Aktivistengruppe zur Terroreinheit am besten verdeutlichen. Es ist schon erstaunlich, welch starkes Ensemble hier auftritt.

Liebetruth und Friedrichs bleiben beim Versmaß der Vorlage, aber im Text machen sie Ergänzungen, die den nahtlosen Übergang in die Postmoderne möglich macht. Beiden gelingt eine Weiterentwicklung ohne Bruch. Schiller muss nicht als Schülertheater daher kommen, er liefert immer noch Aussagen zur Zeit. Man muss sie nur aufdecken und Parallelen ziehen. Genau dies ist Janek Liebetruth mit dieser Inszenierung gelungen

Amalia will ganz eindeutig nichts von Franz wissen.
Dazu bemächtigt er sich einer Theatersprache, die ganz im Hier und Jetzt verwurzelt ist. Die symbolischen Handlungen sind nicht dem 18. Jahrhundert entlehnt, sondern ganz gegenwärtig. Die Begleitmusik macht das deutlich: Elektropop und Techno.

Weil sich Liebetruth in seiner Inszenierung aktueller Stilmittel bedient, kann er den Konflikt der Brüder noch zuspitzen. Im Original treffen sich Karl und Franz nie auf der Bühne. In Benneckenstein ist immer einer von beiden als Einblendung auf der Videowand allgegenwärtig. Wie das Auge Gottes wacht er über das Treiben der Anderen.

Berühmt wurden “Die Räuber” weil Schiller eine bis dahin unbekannte Rasanz auf die Bühne brachte. Die Inszenierung in Benneckenstein legt zumindest in den ersten drei Akten ein sehr hohes Tempo an den Tag, aber dann zeigt sich doch noch dramaturgisches Potential.bis zum Finale zieht es sich. Denn Publikum ist das an diesem Abend egal. Dankbar für diese erfrischende Inszenierung spendet es minutenlang Applaus. Sachsen-Anhalts Kulturstaatsekretär hat es schon deutlich gemacht, das Land wird das Festival auch im nächsten Jahr unterstützen. Bei solchen Aufführungen ist das Geld gut angelegt.



Das TheaterNatur-Festival
Der Spielplan 2016


Regisseur Janek Liebetruth

Schiller Räuber bei wikipedia

Dienstag, 9. August 2016

Musik gemacht für die gesamte Menschheit


Eine Annäherung an Giora Feidman und das Rastrelli Cello Quartett

Am letzten Samstag habe ich wieder das Phänomen gesehen. Giora Feidman und das Rastrelli Cello Quartett verzauberten ein dankbares Publikum im Klostergarten Walkenreid. Erst nach minutenlangen stehenden Ovationen durften der Meister und seine Mitstreiter die Bühne verlassen. Aber warum schafft er das immer wieder, egal mit wem er spielt

Einige Erklräungsversuche. Zum einem konnte sich die Musikwelt über Feidmans 80. Geburtstag freuen, zum anderen war er nach eigener Zählung zum zehnten Mal in Walkenried. In dieser Zeit hat sich der Mann mit der Klarinette sein Publikum erzogen. Feidman und Walkenried, das ist wie ein altes Ehepaar. Man weiß, was man voneinander zu erwarten hat. Aber es ist ein Ehepaar, dessen innige Liebe zueinander in all den Jahren noch gewachsen ist.

Feidman hat einen guten Draht nach oben, sagt er.
Alle Fotos: tok 
Dieses Mal hat Feidman das Rastrelli Cello Quartett im Gepäck. Vier Musiker aus Russland und Weißrussland, die sich auf dem weiten Feld zwischen Klassik, Jazz und sonst noch was bewegen. Genau auf diesem Feld haben sie wohl irgendwann einmal Giora Feidman getroffen. Man erkannte sich als Brüder im Geiste und ging auf die gemeinsame Tour.

Aber vier Celli in einem Paket? Kann das überhaupt funktionieren? Kommt da nicht zu viel nervtötender Gleichklang heraus? Nein, keine Angst. Jedes Instrument klingt im tutti eine Nuance anders. Jeder der vier Musiker spielt seine Instrument den berühmten Tuck anders und damit ergibt sich ein umfassendes Klangbild.

Das Auditorium blickt gespannt auf die Bühne, die vier Musiker aus Russland und Weißrussland treten auf. Doch wo ist Feidman? Dann nähern sich von links die leisen Klagetöne einer Klarinette. Feidman schreitet um die Ecke und das Publikum ist begeistert. Dieses Intro hat er in Walkenried schon mehrfach gewählt, doch seine Wirkung erzielt es immer noch. “Ihr und ich, wir bewegen uns auf Augenhöhe”, lautet die Botschaft. Erst dann steigt der Meister zu den Mitmusiker auf die Bühne.

Das Programm heißt “Klezmer Brigdes” und es schlägt eben jene Brücken zwischen den Musikstilen, mit denen sich Feidman seit 60 Jahren beschäftigt und mit denen sich auch das Rastrelli Cello Quartett seit mehr als 12 Jahren beschäftigt. Es ist eine Mischung aus Klezmer, der jüdischen Musik Osteuropas, es ist jede Menge Jazz in unterschiedlichen Stilrichtung und auch ein wenig Pop und Romantik dabei.

Man kann ein Cello auch halten wie Dajngo Reinhardt
einst seine Gitarre.
Erwartungsfrohe Aufregung wechselt sich ab mit meditativen Klängen, die ganz aus der Tiefe der Seele des Musikers kommen und tief in die Zuhörer fahren. Die Bassklarinette klingt wie das Horn eines Schiffs, dass alle mitnimmt auf die Reise in das Innerste.

Aber Feidman und das Quartett bieten keinen konturlosen Mischmasch. Sie zeigen Verwandtschaften zwischen den Musikrichtungen auf und überwinden Grenzen und sie spielen mit den Versatzstücken dieser Stile. Manchmal agiert Feidman atonal wie ein Freejazzer, mal klingen die Celli wie eine Heavy Metal Gitarre.

Feidman ist ein Teamplayer. Immer wieder tritt er zur Seite und gibt dem Rastrelli Quartett den nötigen Platz, spendet Szenenapplaus und feuert an. Schließlich sei es das beste Quartett der Welt, versichert er glaubwürdig. die vier zeigen dann beim Jazz-Klassiker “Take five” was so alles möglich ist. Da wird gezupft, gestrichen und geschrammelt was die Saite aushält. So hätte wohl Jimi Hendrix Cello gespielt, wenn er denn eins gehabt hätte. Und trotzdem finden vier immer wieder zueinander und bauen die bekannten Phrasen aus.

Gleich danach wird es ruhiger. Auf dem Spielplan steht “Donna Donna” und alle Beteiligten wissen, was sie zu leisten haben. Auf ein Handzeichen von Feidman hin singt und summt das Publikum den Refrain in den Abendhimmel. Man ist aufeinander eingespielt. Später wird sich das Schauspiel noch einmal wiederholen. Das Konzert ist eine Gesamtleistung von Künstler und Auditorium.

Ist Giora Feidman ein Magier, der aus seinem Instrument Töne hervorzaubert wie kein anderer. Auf jeden Fall gibt er allen die Illusion, er würde nur für sie spielen. Alle Anwesenden glauben das gern, obwohl er doch für die ganze Menschheit spielt. Auf jeden Fall haben alle am Ende die Gewissheit, dass sie Teil einer einmaligen Inszenierung, eines ganz besonderen Momentes waren. Wie auch schon beim letzten Auftritt in Walkenried und wie wohl auch bei seinem nächsten.

Feidman kann auch Bässer.
Oder ist Feidman ein Musikdealer, der sein Publikum schon vor langer Zeit angefixt hat? Jedesmal, wenn er wieder im Revier auftaucht verbringen, dann alle einen Abend im Rausch. Auf jeden Fall gehen er und sein Publikum eine Symbiose ein und das Konzert wird zum Gemeinschaftswerk.

Feidman ist aber auch ein politischer Mensch, ein Mensch mit einer klaren Botschaft und die lautet “Frieden für alle und überall”. Diese Botschaft verklausuliert er nicht in Reden, sondern lässt sie lebendig werden in der Musik, die er mit dem Rastrelli Quartett und mit dem Zuhörern teilt. Wie einfach das Leben doch sein könnte, das macht der Louis-Armstrong-Klassiker “What a wunderful world” überdeutlich. In sich versunken singt Feidman mit der Klarinette den Text von der Schönheit der Natur, der Freundlichkeit der Menschen und dem Zauber der Neugeborenen.

Auf alle Fälle ist Giora Feidman auch ein Entertainer der anderen Art. Einer, der mit wenigen Worten authentische Geschichten und ewige Weisheiten erzählt. Wenn er nicht Musiker geworden wäre, dann wäre er wohl Milchmann geworden und hieße Tevje.

Aber Giora Feidman ist eben Musiker geworden. Mit seinem Instrument streichelt er an diesem Abend die gereizten Seelen seiner Fans. Feidman ist vor allem ein Mensch mit einem sehr, sehr  großen Herzen in dem alle Platz haben: Israelis, Deutsche, Palästinenser, Juden, Christen und die gesamte Menschheit.




Das Konzert 2014 in Walkenried

Mehr zu Giora Feidman


Das Rastrelli Cello Quartett


Programm der Kreuzgangkonzerte


Samstag, 6. August 2016

Grinsend sterben

Mit einen breiten Grinsen in den Tod 

 “Romeo und Julia” im Sommertheater Nordhausen ist eine Tragikomödie

 Im Takt klatschen und schunkeln und das bei “Romeo und Julia”? Doch das ist möglich und unterhaltsam ist es auch. Im Shakespeare-Jahr hat der Verein extempore für sein Sommertheater das “Theaterdinner” engagiert. die Truppe aus Leipzig hat aus der todtraurigen Geschichte eine Farce gemacht, bei der man nicht nur schmunzeln muss, sondern auch breit grinsen darf.

Um die Traditionalisten zu beruhigen: Auch in dieser Inszenierung sterben der junge Montauge und seine noch jüngere Frau den Liebestod. Doch bis es soweit ist, schütteln die fünf Darsteller des Shakespeare ordentlich durch. Es ist ein rasanter Wechsel aus frei erfunden und irgendwie dicht am Original. Statt des Chor eröffnet Schwarzmarkthändler Luigi das Spiel. Sonnenbrillen zweifelhafte Herkunft will er verkaufen, bevor er von seiner Gattin aus dem Off zur Raison gebracht wird.

Gemäß der Vorlage treten nun zwei Diener auf und der seit Jahrhunderten andauernde Streit der Capulets mit den Montagues flammt wieder auf. Wer gedacht hat, er sei nun in ruhigen Fahrwasser sieht sich getäuscht. Es ist Jugendsprech im “Yoh män, konkret krass Digger”-Modus, den Oscar-Wolf Maier und Hans Machowiak hier ablassen.

Julia hält Ausschau nach ihrem Romeo .... 
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In diesem Sinne geht es weiter bis zum tödlichen Schluss, auch wenn sich die Sprache schnell dem Normalmodus annähert. Es ist ein respektloser Umgang mit dem Übervater aus Stratford-upon-Avon und das ist auch gut so..Mit ihrer Inszenierung unterhalten Irene Holzfurtner und Mathias Engel nicht nur. Doch, sie eröffnen auch eine neue Perspektive auf das Überwerk der europäischen Theatertradition und mit der Wahrnehmung des Traditionstheaters.

Zwei Stunden lang reihen die fünf Darsteller Schüttelreim an Schüttelreim. Doch wer genau hinhört erkennt den Trick, man darf sich nicht vom Versmaß täuschen lassen. Was so altbacken daherkommt ist eine sehr freie Interpretation der Vorlage. Es werden auch schon einmal Zitate von Goethe, aus dem Volksmund und aus der Werbung dazwiwschen gepackt. Aber es passt trotzdem.

Zudem ist es ein Spiel mit Stereotypen und mit Klischees. Das beschränkt sich nicht nur auf den verhinderten Latin Lover Luigi. Romeos Nebenbuhler Graf Paris kommt als Frühform von Louis de Funes daher, einschließlich des legendären “Nein - doch - Ooooh”-Dialogs. Julia Vater rollt das “R” so schön wie einst Marcel Reich-Ranicki. ein Schelm, wer böses denkt.

Noch schöner als das Spiel mit Zitaten und Klischees ist aber das Spiel mit dem Publikum. Das ist fester Bestandteil der Inszenierung, wird immer wieder direkt angesprochen und eingebunden. Es trägt so seinen Teil zum Gelingen des Abends. Spaß macht es allen Beteiligten und deswegen klatscht das Publikum begeistert mit, als sich die Capulets und der Graf zum Klang von Al Bano und Romina Powers mit Takt wiegen.

Aber der mag nicht hinschauen.
Der größte Teil der Vorstellung findet sowieso zwischen den Stuhlreihen statt. Publikum und Darsteller sind fast auf Augenhöhe und die Bühne wird fast zur bloßen Dekoration. Die Gegebenheit  vor Ort werden voll einbezogen. Für die Balkon-Szene muss ein Treppenaufgang herhalten. Überhaupt bilden die Kostüme, die Mittelalter imitieren, und die englisch inspirierte Architektur der Traditionsbrennerei, die nicht anderes tut, als Mittelalter zu imitieren, wunderbar zusammen.

18 Rollen für 5 Darsteller, das ist schon eine ordentliche Aufgabe. Doch das Leipziger Ensemble bewältigt die selbst gestellte Aufgabe bestens. Es sind eben Erzkomödianten, die in Sekundenbruchteilen in ein neues Kostüm und in eine neue Rolle schlüpfen, die sie dann genauso glaubwürdig verkörpern wie die anderen drei zuvor auch. Am besten gelingt dies  Hans Machowiak. Egal ob als Diener, als Benvulio, als Tybalt oder als Pater Lorenzo, man nimmt ihm alles ab. Vielleicht sollte er Sonnenbrillen verkaufen. Grandios ist er in der Rolle des Geistlichen mit einer Schwäche für Marihuanna. Ganz entspannt und locker. Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen Shit und Weihrauch, fragt man sich hier.

Zwischen aller Ulkerei gibt es noch eine spektakuläre Szene mit dem Degenduellen  Tybalt - Mercutio  und Tybalt - Romeo. Theaterdinner glänzt auch in der Kategorie “Mantel und Degen”. Ob nun lustig, albern oder kämperferisch, dem Publikum am Premierenabend gefiel es.

Die letzte Vorstellung ist am 13. August in der Traditionsbrennerei. Karten gibt es unter extempore-sommertheater.de.


Das Sommertheater Nordhausen

Das Theaterdinner


Donnerstag, 4. August 2016

Musik erlaufen

Die Chursächsische Kapelle im wandelt Kloster Walkenried


Doch, doch, man kann einen Überraschungserfolg wiederholen. Wenn nicht als Überraschung, so doch zmindest als Erfolg. Dies bewies das Wandelkonzert im Kloster Walkenried im Juli. Die Chursächsische Capelle aus Leipzig konnte beim italienischen Abend  auch 2016 konzeptionell und musikalisch überzeugen.

Wandelkonzert? Die Musik findet nicht nur auf der Bühne statt. Das Ensemble wandelt durch das Gebäude und über das Gelände. Sie finden sich immer wieder an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Formationen zusammen. Dann wird musiziert und jedes Mal entsteht ein einmaliges Klangbild und ein einmaliges Erlebnis. Dem Postulat nach stetiger und gleichförmiger Reproduktion setzt die Chursächsische Capelle die Idee des ganz Besonderen entgegen.

In der Abtskapelle kamen sich Künstler
und Publikum nah.  Alle Fotos: tok
Künstler und Publikum erarbeiten sich so gemeinsam die unterschiedlichen Klangräume. Sie erleben den genius loci, den Geist eines Ortes, auf völlig neue Weise. Das Konzept scheint maßgeschneidert für Walkenried. Weil es auf der Klosteranlage eben so viele unterschiedliche Orte gibt, gab es am Samstag auch so viele unterschiedliche und einmalige Erlebnisse.

Es gibt viel zu entdecken, unterschiedliche Geister werden an diesem Abend geweckt. Beate Rüllecke spielt am Cembalo im Kreuzgang Etüden, Akkorde und kurze Lieder. Hier wartet ein kontemplativer, ein in sich gekehter Genius loci auf die Zuhörer, ganz wie in den Zeiten, als in Walkenried noch Klosterbetrieb herrschte.

Das Licht im Kapitelsaal ist gedimmt, nur zwei Säulen strahlen in violett, die Farbe der Buße. Zur Ruhe und zur Besinnung laden Amber McPherson und Klaus Bundies her mit ihren Streicherduetten ein.

Das Stelldichein mit Frank Pschicholz ist eher intim. Sechs Sitzplätze und fürn Stehplätze passen gerade mal ins Archiv. In der Enge des Gemäuers entführt er sein Publikum mit Lieder zur Laute in die Renaissance.

Ein anderes Ambiente bietet das Außengelände. Es herrscht Gartenfeststimmung bei dem den Streiche-Sonetten mit Anne Schumann, Britta Gemmecker an den Geigen und Felix Görg am Cello. Mit heiteren Werken aus dem Barock beschwören sie den Geist des Sommers. Die Schranken zwischen Künstler und Publikum sind hier aufgehoben. Man scherzt miteinander und teilt die Freude an diesem gelungenen Abend.

Ebenso heiter geht es an der langen Tafel am Badehaus zu. Klaus Bona, Christine Trinks und Rhoda Patrick begleiten die kulinarischen Genüsse der Zuhörer mit Violine und Fagott. Es fällt nicht schwer, sich auf ein barockes Fest hinweg zu träumen. Bei Antipasti und Vion ist die Stimmung locker, über all entstehen Gespräche, die Zuhörer werden zu Miteinander-Rednern.  Wer hier keinen Platz findet, der führt seinen Austausch im Klostergarten weiter.

Zum Schluss ging es wieder auf die
Bühne. 
Wandelkonzert? Eigentlich ist der Begriff zu kurz gefasst. Der italienische Abend im Kloster Walkenried ist ein barockes Fest für alle Sinne und alle Ansprüche, komprimiert auf drei Stunden und ohne Kleiderordnung. Eingerahmt wird das Fest von zwei Bühnenauftritten. Im Kreuzgang gibt es Stücke vor dem Essen und drei nach dem Essen.

Vivaldi steht gleich zweimal auf dem musikalischen Speiseplan. Anspruch des Orchesters unter der Leitung von Anne Schumann ist es, auf historischen Instrumenten hauptsächlich vergessene Werke der Barockmusik aufzuführen. An einem italienischen Abend mit acht Streichern kommt man nicht an dem Venezianer vorbei. Vivaldi ist nicht der Erfinder des Violinenkonzertes, aber dessen erster Hohepriester.

Auch die Forderung nach historischen Instrumenten lässt sich nur bedingt umsetzten. Aber mit der Barockgitarre in der Bass-Gruppe und zwei Viola da Spalle unter den Streicher hat die Chrusächsische Capelle eine sehr eigens Klangbild. Es ist rund und weich, vermeidet die spitzen Obertöne einer klassischen Besetzung und ist sehr nah am Barock.

Auf alle Fälle findet es das Gefallen des Publikums. Überhaupt scheint schon beim zweiten Auftritt eine innige Beziehung zwischen Auditoruim und Ensemble entstanden zu sein. Weil man gute Freunde nicht so einfach gehen lässt, muss die Chursächsische Capelle noch zweimal auf die Bühne, bevor es in einen lauen Sommerabend entlassen wird.


Die Chursächsische Capelle

Die Kreuzgangkonzerte