Dienstag, 22. Dezember 2015

Schlag nach bei Shakespeare

Auch außerhalb des Kulturpolygons gibt es sehenswerte Aufführungen. Auf Einladung von Dirk Schäfer war der Harzer Kritiker im Staatstheater Kassel. Hier ist seine Reisebericht.

Ein quietschlebendiges Musical im Opernhaus 

Beziehungsdramen haben wieder Konjunktur auf deutschen Bühnen. Dass man dies auch auf lebendige, unterhaltsame und gleichzeitig nachdenkliche Weise machen kann, beweist derzeit Tom Ryser mit "Kiss me, Kate" im Kasseler Opernhaus. Seine Inszenierung sprudelt über vor Ideen und Einfällen. Sie lebt von der Begeisterungsfähigkeit des Ensembles und von zwei Hauptdarstellern, die das vorgeschriebenen Katz-und-Maus-Spiel fast zur Perfektion treiben.

Das Musical von Cole Porter, Simon und Bella Spewack ist das Paradebeispiel für eine Stück-im-Stück-Konstruktion. Tom Ryser denkt dieses Prinzip so weit zu Ende, dass die Grenzen zwischen Rahmen- und Binnenhandlung für den ungeübten Zuschauer gelegentlich verschwinden. Das Bühnenbild von Mayke Hegger leistet dabei großartige Unterstützungsarbeit.

Dirk Schäfer spielt den Theaterchef
Fred Graham.
Alle Fotos: Nils Klinger 
Fred Graham ist der Chef einer Theatertruppe, die eine musikalische Version von Shakespeares "Der Widerspenstigen Zähmung" auf die Bühne in der Provinz bringen will. Graham selbst hat sich mit der Rolle des Petruchio bedacht. Die Rolle der Katharina spielt seine Ex-Frau Lilli Vanessi. Zudem hat Graham gerade ein Verhältnis mit der Schauspielerin Lois Lane, die eigentlich mit dem Kollegen Bill Calhoun liiert ist. Der Ärger ist also vorprogrammiert.

Zudem ist Lilli Vanessi mit dem General Harrison Howell verlobt, der fest entschlossen ist, die Dame dem Diktat der Ehe zu unterwerfen. Dann tauchen auch noch zwei Gangster auf, die die Spielschulden, die Bill unter Freds Namen gemacht hat, eintreiben wollen. Zur Not auch mit Waffengewalt. Doch Fred Graham schafft es, die beiden Geldeintreiber auf seine Seite zu ziehen.

Das dürfte eigentlich genug Stoff für zwei Musicals, aber in diesen Rahmen wird auch noch die Aufführung der Widerspenstigen Zähmung eingepasst. Es spricht für das Werk von Cole Porter und vor allem für die Inszenierung von Ryser, dass das Stück an keiner Stelle überladen wirkt. Er lässt das Publikum an der Entstehung des Binnenstück teilhaben, das Musical wird so zum "Work in Progress". Alles wird offen gelegt, die Umbauten erfolgen im laufenden Stück und selbst die Souffleuse ist am linken Bühnenrand sichtbar platziert. Zudem korrespondiert die Hektik der simulierten Theaterproduktion mit dem Tumult des Shakespeareschen Stücks, ohne dass die Aufführung in Richtung Alberei abgleitet.

Säule der Inszenierung ist das Bühnenbild von Mayke Hegger. Es ist auf Symbole reduziert und der Blick geht bis tief in die Hinterbühne. Zwei einfache Tische, ein paar Lampen und zwei Rahmen ohen Spüiegel, mehr braucht es nicht, um eine Garderobe. Ein Beleuchtungszug kommt ins Blickfeld, auf der Hinterbühne werden Stühle aneinandergereiht und schon ist klar, dass die Handlung in einem Theater stattfindet  Sogar die Beleuchtungstürme links und rechts werden in das Spiel miteinbezogen. Die Aussage ist klar: Musical ist nicht Glamour sondern harte Arbeit vieler Beteiligter.

Auf der Drehbühne findet der Widerspenstigen
Zähmung statt.     Foto: N. Klinger
Der Schnitt kommt, wenn die Handlung zu Shakespeare springt. Dann wird eine Drehbühne hereingerollt, die im Lichterglanz strahlt. Die Beleuchtung wird bunt, zum Teil quietschbunt, und die Kostümierung von Uta Meenen springt von jetztzeitlich knapp um auf opulent und fantastisch. Da gibt es auf einmal wallende Gewänder und Flokati an den Füßen und auf den Köpfen.

Wechsel ist ein durchgängiges Motiv in dieser Aufführung, denn das turbulente Treiben beginnt mit einem Moment der Orientierungslosigkeit, als Inspizient Paul (Peter Schenk) die leere und dunkle Bühne betritt, in die Stille hineinruft und lange keine Antwort bekommt. Jubel und Trubel kommen erst im Schlepptau von Fred Graham (Dirk Schäfer) auf die Bühne. Kurz vor der gespielten Premiere darf sich das gesamte Ensemble inklusive Chor und Orchester zeigen. Alle sind in gespielter Hektik. Das Publikum sieht nicht nur, wer alles beteiligt ist, Ryser mcht nicht nur "Work in Progress", sondern er eröffnet damit eine neue Ebene, ein neues Stück-im-Stück ohne den Faden zu verlieren.

Zum Auftakt des zweiten Aktes greift die Aufführung dieses Ruhe-vor-dem-Sturm-Motiv noch einmal auf. Dieses Mal wird es aber in einer furiosen Tanzshow aufgelöst, die vor allem die Freude der Tanzkompanie an der ungewohnten Arbeit zeigt.

Lilli lässt sich nicht zähmen. Foto: N. Klinger 
Getragen wird die Handlung von drei Pärchen: Fred und Lilli, Lois und Bill und den Gangster Klein und Bernie. Im Gegeneinander von Lilli Vanessi und ihrem Ex-Gatten Fred blättern Susan Rigvava-Dumas und Dirk Schäfer alle Seiten einer enttäuschten Liebe auf und machen auch noch die Rest-Anziehungskraft einer gescheiterten Beziehung deutlich. Im Staatstheater Kassel funktioniert es so wunderbar, weil sich mit Rigvava-Dumas und Schäfer zwei Partner auf Augenhöhe gefunden haben, um mal eine strapazierte Formulierung zu gebrauchen. Hier treffen zwei starke Solisten und Darsteller aufeinander, deren Duette einen hohen Gänsehaut-Wert haben und deren Wortgefechte einen Wiedererkennungswert von knapp vor 100 Prozent liegen.

Aus heutiger Perspektive gehört das Beziehungsmusical "Kiss me, Kate" eher in die Schublade "Chauvi-Stück", doch mit wenigen Änderungen, die nicht immer political correct sind, hat Ryser die Akzente in Richtung anerkennende Partnerschaft verschoben. Im Schlussmonolog versichert Kate/Lilli alles für ihren Petruchio/Fred zu tun, weil sie weiß, dass auch er alles für sie tun würde.  Mit diesem einen Satz lässt Ryser Shakespeares Patriarchat in sich zusammenfallen.

Peter Schenk darf den ersten und den zweiten Akt
eröffnen.        Foto: N. Klinger
Zu den Überraschungen der Inszenierung gehören Tom Schimon in der Rolle des Gangsters Klein und Bernd Modes als Gangster Bernie. Die fast schon kindliche Spielfreude der beiden überträgt sich nahtlos auf das Publikum, trotzdem sind sie immer wieder für Überraschungen und können den Wandel von der Bedrohung zum Freund glaubwürdig darstellen. Ryser Inszenierung glänzt mit vielen Einfällen, aber Modes Beatbox-Einlage beim Evergreen "Schlag nach bei Shakespeare" ist sicherlich einer der Höhepunkte des Abends.

Ein Highlight ist sicher auch das Orchester unter der Leitung von Deniola Kuraja. Der Klangkörper harmoniert perfekt mit dem Ensemble und bleibt dynamisch ohne sich in den Vordergrund zu spielen. Aber vor allem kann das Orchester mit klanglicher Transparenz begeistern. Jedes Instrument hat seinen erkennbaren Platz    



Das Staatstheater Kassel
Das Stück in der Eigendarstellung

Das Stück bei wikipedia


Freitag, 18. Dezember 2015

Showdown auf der Tanzfläche

"Die Kaktusblüte" gedeiht prächtig am TfN

Seien wir doch mal ehrlich. Komödie ist das schwierigste der dramatischen Fächer weil die Grenze zwischen Genuss und Peinlichkeit so verdammt dünn ist. Mit seiner Inszenierung von "Die Kaktusblüte" am Theater für Niedersachsen beweist Karl-Heinz Ahlers, dass er dieses Fach beherrscht. Er erzählt die Dreiecksgeschichte von Pierre Barrillet und Jean-Pierre Grédy mit viel Tempo und einer seltenen Leichtigkeit.

Ahlers gelingt mehr, als nur das Lebensgefühl der Swinging Sixties herbeizureden.  "Die Kaktusblüte" am TfN ist eine komplette Inszenierung, nicht zuletzt dank des großartigen Bühnenbildes von Andrea Jensen und der gleichermaßen großartigen Ausstattung von Eva-Maria Huke. Nicht zu vergessen das Ensemble, das in seiner Spiellaune und Leistung durchweg glänzt. Es gibt nicht eine Rolle, die im Vergleich zu anderen abfällt. Das Gesamtpaket bietet pure Lust an guter Unterhaltung.

Antonia verlangt von Julian ein

Treffen mit seiner Frau.
Alle Fotos: TfN
Barrillet und Grédy brachten ihr Stück über die Zahnarzt Julian Winston und seine Liebesnöte 1964 auf die Bühne des Théâtre des Bouffes-Parisiens. Die Komödie wurde  ein voller Erfolg und erlebte schon ein Jahr später die Premiere als Musical am Broadway. 1969 folgte dann die Verfilmung mit Walther Matthau, Ingrid Bergman und Goldie Hawn.

Der Zahnarzt Julian Winston liebt die Frauen und die Frauen lieben ihn. Um sich eine dauerhafte Beziehung vom Leib zu halten, gibt er vor, verheiratet und Vater dreier Kinder zu sein. Deswegen ist seine Geliebte Antonia überrascht, als Julian ihr einen Heiratsantrag macht. Freudestrahlend sagt Antonia ja, unter der Bedingung, die vermeintliche Gattin selbst zu treffen und sich ihr Einverständnis zu holen. Nun braucht Julian ganz schnell eine Ehefrau und in der Not überredet es seine langjährige Sprechstundenhilfe Stephanie, die rolle zu übernehmen. Doch ist selbst schon seit Jahren in ihren Chef verliebt.

Damit ist "Die Kaktusblüte" ein Stück voller Klischees: ein alternder Playboy mit einer viel zu jungen Geliebten, ein Mauerblümchen, dass plötzlich aufblüht, dazu ein erfolgloser Schriftsteller, der es ernst meint mit der jungen Damen, ein Schwerenöter, der seine Chance gekommen sieht, eine überdrehte Dame der besseren Gesellschaft, die ihre Vereinsamung beim Zahnarzt und beim Friseur abarbeitet und ein Diplomat, der fern der Heimat über die Stränge schlägt. Das Ganze gipfelt in einem Showdown auf der Tanzfläche eines New Yorker Nachtclubs.

Solch eine Anhäufung von Stereotypen braucht schon jede Menge Feingefühl, um nicht ins Peinliche abzugleiten. Schließlich  muss es ja ein Happy End geben. Karl-Heinz Ahlers und Dramaturgin Cornelia Pook haben die Handlung in viele kleine Szenen zerlegt, die an die Arbeit mit schnellen Schnitten im Film erinnern. Dennoch geht der Faden nie verloren. Das Bühnenbild mit zwei Szenerien nebeneinander, die wirken wie aus der Schachtel-Architektur der 60-er Jahre, unterstützt diese Erzählweise kongenial.

Julian kann Stephanie zum Mummenschanz überreden.
Foto: TfN
Es scheint, als ob das TfN hier den Mikrokosmos einer verlorenen Zeit aufblättert. Bis ins Detail kann das Publikum den Charme einer  Ära mit viel Lebensmut und Aufbruchwillen begutachten. Das fängt beim Baby Doll an, geht über denn Zettelkasten bis hin zur Musik. Egal ob nun die Troogs, die Kinks oder Aretha Franklin, es gibt immer den passenden Soundtrack. Immerhin war Musik das Ausdrucksmittel der 60-er Jahre.

Ob  nun André Vetters als Julian Winston, Julia Gebhart als Antonia Simmons, gotthard Hauschild als Harvey Greenfield, Marek Egert als Igor Sullivan oder Michaela Allendorf in der Dreifach-Rolle Durant, Sánchez oder Barkeeper. Das Ensemble überzeugt mit einer geschlossenen Leistung. Simone Mende arbeitet in der Schlüsselrolle der Stephanie Dickinson alle Facetten heraus. Sie verkörpert das enttäuschte Mauerblümchen ebenso glaubwürdig wie die resolute Sprechstundenhilfe mit Domina-Appeal. Auch die Befreiung vom Rollenkorsett und der Wandel zum Vamp gelingt ihr glaubhaft. Um eine wohl bekannte Formulierung zu benuten: Das ist Unterhaltung auf höchsten Niveau. Mehr davon.


Die Kaktusblüte

Die Inszenierung
Das Theater für Niedersachsen 
Die Foto-Galerie

Das sagen die Kollegen


Sonntag, 22. November 2015

Letzte Ausfahrt Sehnsucht


Lauter überzeugende Leistungen in “Der Zarewitsch” am Theater Nordhausen  

Schwungvolle Musik, bunte Kostüme, opulente Bühnenbilder und raumgreifende Tanzszenen. Dazu Frauen, die sich an starken Männerschultern ausweinen, ein Diener, der den Kaspar spielt und eine Ehefrau als Xanthippe. Das sind die Zutaten in der Oper “Der Zarewitsch” und die Inszenierung von Holger Potocki am Theater Nordhausen überzeugt als Unterhaltung auf hohem Niveau.


Die Geschichte ist nicht neu und an anderer Stelle schon in vielen Variationen erzählt worden. Mann liebt Frau, Frau liebt Mann, doch ihre Liebe entspricht den Erwartungen ihres Standes und somit endet die Liebe tragisch. In dieser Operette ist es der Zarewitsch Aljoscha, der Sohn des Zaren, der auf die Tänzerin Sonja trifft und sich vom Frauenhasser zum enthusiastischen Liebhaber wandelt. Kurzfristig werfen beide die Konventionen über Bord und fliehen nach Neapel. Doch als der Zar stirbt, gibt Sonja den Geliebten frei und der Zarewitsch kann dem Ruf der Pflicht folgen.

Mascha und Iwan sind für die komischen Momente
zuständig. Alle Fotos: Roland Obst
In seiner Inszenierung bleibt Holger Potocki der literarischen Vorlage treu. Konzentriert erzählt er die Geschichte und eröffnet keinen Seitenstrang. Über die Gründe der Frauenphobie des Zarewitsch kann, wer will, spekulieren. Man muss es aber nicht, die Operette funktioniert auch so. Auch über die Vorgeschichte der Sonja Iwanowna erfährt das Publikum nur das Nötigste, schließlich steht die Liebesgeschichte eindeutig im Zentrum.

Die Premiere ist der Abend von Desirée Brodka in der Rolle der Tänzerin Sonja. Ohne Frage kann sie hervorragend singen, aber die Sopranistin kann auch schauspielern und bisweilen sogar tanzen. Über die gesamte Dauer des Stücks verbleibt sie auf dem allerhöchsten Niveau.

Die Stimme ist voll, treffsicher dynamisch und trotzdem rund und passt in allen Passagen. Sie hat ausreichend Volumen, um sich gegen das Orchester durchzusetzen. Auch Mimik und Gestik sitzen immer. Offensichtlich hat Desirée Brodka in der krankheitsbedingten Zwangspause ihr Repertoire noch einmal deutlich ausgebaut.

Wenn es an diesem Abend etwas zu bemängeln gab, dann die orchestrale Lautstärke. Das Loh Orchester unter der Leitung von Michael Ellis Ingram zeichnet sich als temperamentvolles und
zugleich transparenter Klangkörper. Ingram versteht es, gerade die folkloristischen Elemente, auf die der Komponist Franz Lehár so viel Wert legte, herauszuarbeiten. Aber der Schwung ist gelegentlich so groß, dass nicht nur die Rezitative schwer verständlich sind. Selbst der Chor verschwindet im zweiten Akt unter dem Klangteppich.


Desirée Brodka, eine Uniform und die vermutlich

längste Treppe der Operettengeschichte. Foto: Obst 
Keine Operette ohne Tanz und schon gar nicht, wenn es um den Sehnsuchtsort “Das alte Russland” geht. Genau den beschwört Jutta Ebnother mit ihrer Choreographie  herauf, wenn sie tänzerische Zitate aus dem Trepak, Kasatschok und dem Chorowod verarbeitet. Der Schwermütigkeit des Zarewitsch wird die Lebensfreude der Bauern entgegengesetzt und das Rezept gegen die Traurigkeit funktioniert.

Für Jan Novotny war der Freitagabend eine doppelte Premiere. Er stand zum ersten Mal in Nordhausen auf der Bühne und er stand zum ersten Mal in der Rolle des Zarewitsch auf der Bühne. Da scheint es schon verständlich, dass er im ersten Akt noch zögerlich und zurückhaltend agiert. Frei atmen kann er nur dem Sternenhimmel, der am Ende des ersten und zwei Aktes alle überstrahlt. Doch nach der Pause war er wie ausgewechselt, dominant und kraftvoll. Aber natürlich lag dieser Wechsel auch in der Rolle begründet.

Eine Operette funktioniert am besten, wenn zwei Clowns ihre gelegentlichen Auftritte haben. Im Zarewitsch sind dies der Lakai Iwan und seine Ehefrau Mascha. Als russische Ausgabe der
Xanthippe stellte Katharina Boschmann mal wieder ihr komische Talent eindrucksvoll unter Beweis, sowohl als Sängerin als auch als Schauspielerin. Wenn sie die Bühne betrat, dann war sie der
Mittelpunkt des Geschehens. Dabei überschritt sie aber nie die schmale Grenze zwischen Komik und Klamauk. Als Sängerin  bestand auch Katharina Boschmann den Orchester-Test. Somit wird diese Inszenierung des Zarewitsch vor allem von zwei starken Frauen bestimmt.
Unter den Sternen von Neapel.

Marian Kalus in der Rolle des Lakaien Iwan, der nicht nur Diener seines Herren sondern auch Opfer der ehefraulichen Eifersucht ist. Doch das Konzept war so stimmig, dass noch nicht einmal die gegenseitigen Anzüglichkeiten negativ auffielen. Gerade deswegen freute sich das Publikum, als Iwan in der Italo-Western-Einlage im dritten Akt die Dinge ins Lot brachte und klar stellte, wer der Herr im Haus ist. Der letzte Abschnitt ist eine wichtige Zäsur, die in die Logik des Werks passt, die Regisseur Potocki  aber noch ausarbeiten könnte, da das Historienstück jetzt erst im 20.Jahrhundert ankommt.

Der Bruch wird schon durch die Optik deutlich. In den ersten beiden Akten war  das Bühnenbild durch Opulenz gekennzeichnet. Selbst ein Harald Glöökler hätte seinen Spaß an soviel falschen Marmor, Stuck, Blattgold und Purpur. Doch diese Pracht gehört ja auch da hin, wo sie ist. Zum einen ist der Zarewitsch eine Operette und zum anderen lässt sich der goldene Käfig, in dem Aljoscha leben muss, nicht eindeutiger darstellen. Erst mit der Flucht nach Neapel bricht er aus diesem Gefängnis aus. Nun funkeln die Sterne ganztägig.
Gelegentlich war dem Publikum Angst und Bange um

Die Bühnenbilder von Lena Brexendorff arbeiten auch mit Zitaten. Die Treppe im zweiten Akt ist noch länger jene berühmte aus Eisensteins Filmmonument “Panzerkreuzer Potemkin”. Die Birken im ersten Akt sind keine Fremdkörper sondern stehen als Symbole für schwermütige russischen Seele. Nach soviel optischer Ausschweifung wirkt das reduzierte Bühnenbild im letzten Akt bald schon wie eine Erholung für die Augen.




Das Stück
Der Komponist

Der Spiel am Theater Nordhausen



Sonntag, 15. November 2015

Der Gesang der Lerche

BarrocoTout stellt sich im Kloster vor

Wenn die Zukunft der Alten Musik so aussieht, dann muss sich über den Barock keine Sorgen mehr machen.  Im Rahmen des eeemering-Projeklts stellte sich BarrocoTout aus Belgien mit einem Konzert im Kreuzgang vor. Was bleibt, war der Eindruck eines jungen Ensemble mit erfrischender Herangehens, von dem man sicherlich noch viel mehr hören wird.

Was BarrocoTout so bemerkenswert macht, ist die Instrumentierung und die Spielweise, die ein transparentes und filigranes Klangbild erzeugen, das immer wieder die Assoziationen an einen hellen Frühlingsmorgen voller Vogelgesang wecken. Wenn Lerchen Instrumentalmusik machen würden, dann würde sie wohl so klingen.

Dabei lässt sich dieses Klangbild an zwei Personen festmachen. Da ist zum einen Carlota Garcia an der Traversflöte. Im Gegensatz zur metallischen und spitzen Cousine Querflöte zeichnet sich das Holzblasinstrument durch einen weichen und runden Klang aus, der gelegentlich auch ins Meditative hineinspielt. Dies ist ein Punkt, an dem das Ensemble seinen Anspruch, zur historischen Aufführungspraxis zurückzukehren, gekonnt umsetzt.

Das Konzert von BarrocoTout hatte Workshop-
Charakter. Fotos: tok
Der andere Pfeiler heißt Zeljko Manic. Der Cembalist zeigt schon jetzt ein Können, dass auf eine große Karriere hoffen lässt. BarrocoTout ist einer der wenigen Klangkörper, bei denen dass Cembalo als Basso continuo im Hintergrund grummelt. Hier darf es die Melodieführung übernehmen und kann sich als eigenständiges Instrument etablieren. Dieses Konzept nennt sich Cembalo obligato und ist ein weiterer Schritt in Richtung Historische Aufführungspraxis.

Eeemerging ist ein Netzwerk aus acht Partner in der europäischen Kulturbranche. Mit Mitteln aus dem Kulturfond der EU sollen jungen Ensemble für die Anforderungen des Musikmarktes fit gemacht werden. Im Rahmen eines Stipendiums weilte BarrocoTout in Duderstadt, um dort mit Schülern und Senioren zu musizieren.

Kooperationspartner des eeemerging-Prjektes in Niedersachsen sind die Händel Festspiele, die an diesem Abend auch als Gastgeber fungierten. Der Auftritt in Walkenried war gewissermaßen der Abschluss der Projektwoche. Damit hatte der Abend eher den Charakter eines Workshops. Die lockere Atmosphäre steigerte das Vergnügen und das Publikum zeigte angesichts der musikalischen Leistungen Verständnis für manch ungewohntes Detail in der Präsentation. Alte Musik muss eben nicht immer im Smoking und Abendkleid stattfinden.

Auch das Programm ist bemerkenswert, es stehen ein sehr früher Händel drauf. Dazu gesellen sich mit Lebrecht Julius Schultz, Johann Christoph Friedrich Bach und Joseph Aloys Schmittbauer. Man wolle unbekannte Komponisten bekannte machen und bekannte Werke aus einer neuen Perspektive zeigen, erklärt Carlota Garcia in der Einführung, die zu lang und zu akademisch gerät.

Mit dieser Werkauswahl wird der Abend zu einer Entdeckungsreise zur Basis und in die Zukunft der Barockmusik. Kling komisch, ist aber so. Das Quartett II in D-Dur zeigt diese filigrane Struktur, die schon jetzt das Markenzeichen dieses jungen Ensembles ist. Traversflöte und Cembalo hüpfen im Allegretto wie Vögel die Tonleitern rauf und runter. Auch das Larghetto bleibt trotz des verschleppten Tempos hell im Gesamtbild und im zweiten Allegretto treten Manic und Garcia in einem bezaubernden Dialog ein.

Edouard Catalan hatte an diesem  Abend
Spaß und das Publikum mit ihm.
Das Kontrastprogramm ist die Trisonate op. 1. Sie zeigt einen verinnerlichten und fast schon meditativen Händel. Im Andante entwickeln flöte und Cembalo gemeinsam die Melodie, im Allegro spinnt Carlota Garcia zusammen mit Izana Soria an der Violine diesen Faden weiter. Das Largho ist durch eine weiche, fast schon hypnotisch Traversflöte gekennzeichnet, die zum Verweilen an diesen temporeichen Abend einlädt.

Ein überraschendes Stück Barockmusik präsentieren Zeljko Manic und Edouard Catalan am Cello mit der Sonate in D-Dur von Johann Christoph Friedrich Bach. Im Werk des sogenannten "Bückeburger Bachs" laufen Cembalo und Cello erst lange Zeit nebeneinander her, scheinen gar nicht zusammenzugehören. Zwei Soloinstrumente interpretieren dasselbe Material auf sehr unterschiedliche Weise. So hat es den Anschein und damit viel Jazz-Appeal.

Erst im Larghetto finden Cembalo und Cello zueinander, bis dahin haben beide eine Kette an Tonperlen geflochten. Obwohl nur im Duett tanzt das  Rondo dann wirklich. Immer wieder schimmert der Vögel, der Hochzeit feiner wollte, durch das Tonmaterial. Allein schon wegen dieses selten gespielten Bachs ist der Abend ein voller Erfolg.

Das Quartett IV in F-Dur von Joseph Schmittbaur ist gekennzeichnet durch ein schnelles Spiel und den Wechsel der kurzen Soli. Carlota setzt hier wieder die Akzente. Ihre Barockmusik hat einen sehr hohen Ian-Anderson-Faktor. Ian Anderson? Das ist der von Jethro Tull. Carlota Garcia hat Spaß an dieser Musik und diesen Spaß vermittelt sie dem Publikum und sie teilt diesen Spaß auch mit dem Publikum.

Wenn die Zukunft der Alten so aussieht, dann muss man sich keine Sorgen über den Barock machen und kann nur hoffen, dass es in Zukunft noch mehr zu hören gibt von BarrocoTout. Vielleicht bei der in der Göttinger Reihe der Händel Festspiele.      


BarrocoTout - Die Website
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Das eeemerging-Projekt - Die Website
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Die Kreuzgangkonzerte
Die Händelfestspiele





Dienstag, 10. November 2015

Ein Universum implodiert

Theater für Niedersachsen macht

Mannsche Fabuliersucht und theatralische Dramatisierung, kann dass überhaupt zusammenpassen? Bereits vor zehn Jahren lieferte John von Düffel eine Bühnenversion der “Buddenbrooks”, Bettina Rehm hat am Theater für Niedersachsen daraus das spannende Psychogramm einer Familie gemacht, deren Universum implodiert.

Ein Mensch liegt gekrümmt auf den Boden, eine Frau in Dienstkleidung verrichtet einfache Hausarbeiten, aus dem Off kommt eine Stimmen. Die Aufführung beginnt einfach so, ohne Vorhang und ganz beiläufig. Der Zuschauer schlittert in die Geschichte, er beobachtet zwei Menschen in einem intimen Moment und in einem banalen Moment. Das Publikum wird zu Voyeur. Mit diesem Einstieg bändigt Regisseruin Bettina Rehm die Angst vor diesem Monument der deutschsprachigen Literatur.

Zentralgestirn der Aufführung ist das Familienbuch, in dem die Geschwister Antonia und Thomas so gerne lesen. Seit Jahrhunderten notieren die Familienoberhäupter darin die Zeichen ihre Geschichte. Geburten, Hochzeiten und Tod, alles muss notiert werden. Der Kaufmann führt sein Kontor auch daheim weiter. Für die Kinder ist das Familienbuch Zeugnis der Abstammung, Fundament der Existenz und Wegweiser in die Zukunft. “Alles ist vorbestimmt”, versichert Thomas Buddenbrook. Auch er kreist wie ein Trabant um dieses Zentralgestirn und muss zuschauen wie die Fliehkräfte seiner Geschwister immer stärker werden.

Weizen ist die Grundlage des Reichtums.
Alle Fotos: TfN
Hüter der göttlichen Ordnung ist Konsul Jean Buddenbrook. Er versucht die Geschäfte weiterzuführen wie es die Tradition und die Etikette verlangt und er versucht, seine Familie zu führen, wie er auch seine Firma führt. Er hat das Leben in Zahlen, in Zahlen und noch mal in Zahlen gefasst. André Vetters gibt einen Hanseaten, den man sich steifer oder kühler gar nicht vorstellen kann. Selbst in der Katastrophe bleibt gefasst. Die Stimme entgleitet ihm nicht einmal im größten Unglück

Es sind zwei Enzyme, die die schwere Kost der Vorlage löeicht verdaulich machen.  Rehm hat zum einem den Erzählstrom in kleine Episoden aufgeteilt, sich auf die Wendemarke in der Familiengeschichte konzentriert. Dies gibt der Inszenierung eine leichtigkeit, die in der literarischen Vorlage leider nicht zu finden ist. Da sticht vor allem das Eindringen des Hochstaplers Grünlich in das Familienuniversum hervor. Dies setzt eine Kettenreaktion in Gang, die selbst der Konsul nicht mehr kontrollieren kann. Der Familien-GAU nimmt seinen Lauf. Dennoch schafft es das Ensemble die Episoden nicht zur Nummern-Revue verkommen  zu lassen. Der Zusammenhang und die Richtung bleiben allzeit klar.

Und es ist die Konzentration auf wenige Figuren der Familie, die aber genau nachgezeichnet werden. Der Vielzahl der Figuren eines hanseatischen Kaleidoskop setzt Rehm die Reduzierung auf die tragenden Personen der Geschichte entgegen. Dies ist das zweite Enzym. In der Summe ergeben die Einzelschicksale aber die komplette Familiengeschichte. Aber die Hildesheimer Inszenierung mach deutlich, dass das Familienbuch das einzige Bindemittel ist.

Kristallisationspunkt ist das Schicksal der Tochter Antonia Buddenbrook, die von Julia Gebhardt einfühlsam und überzeugend dargestellt wird. Sie beherrscht die Verliebheit eines Teenagers ebenso wie die Berechnung einer Hanseatentochter.

Die Liebe von Morten und Toni hat keine Chance.
Die Sprünge in der Biografie kennzeichnen auch die Rolle des Thomas Buddenbrook. Seie nicht standesgemäße Liebschaft mit Anna beendet er sachlich und kühl, weil die Ausbildung in Amsterdam ansteht, nach dem Tod des Vaters wird er schlagartig zum Statthalter und doch nur in dem Momenten mit der Schwester Antonia wird er zum Mensch. All diese Sprünge kann Thomas Strecker glaubwürdig und sehenswert vermitteln.

Dennis Habermehl wird in dieser Inszenierung einiges mit den Rollen des Hochstaplers Bendix Grünlich, des Morten Schwarzkopf und das Alois Permaneder einiges abverlangt. Sei es die kühle Berechnung des Betrügers, die tiefe Liebe des Jüngling oder die enttäuschte Lebensfreude des Gatten, Habermehl erledigt die Aufgaben mit Bravour.

>Heimlicher Star der Inszenierung ist das Bühnenbild von Swana Gutke, das sich auf wenige Elemente konzentriert. Das warme Sepia der Kulisse weckt Erinnerungen an glücklich, unbeschwerte Sommertage an der See  und steht damit im Kontrast zu dem kühlen bis düsteren Geschehen. Überall ist Weizen, er rieselt durch die Finger, wird hin und her geschoben, dient Lager und das Sprungtuch. Die Frucht der Felder ist seit Jahrhunderten die Grundlage des Buddenbrook’schen Reichtums. Doch der Weizen wird mehr und mehr zur Verfügungsmasse.

Auch die Möblierung ist sparsam. Sie verbleibt aber ebenso wie die Kostüme nicht im 19. Jahrhundert, sondern wagt einen Schritt in die Tiefe des 20. Jahrhunderts. In Zeiten, in denen wieder alles dem ökonomischen Zwang unterworfen, hat eine Geschichte wie die “Buddenbrooks” ungeahnte Aktualität. Dies ist wohl die wichtigste Aussage an diesem Abend

Der Spielplan
Das Stück

Die Vorlage bei wikipedia

Sonntag, 25. Oktober 2015

Ein opulentes Märchen mit Musik

"Gold!" im Theater unterm Dach

Der härteste aller Kritiker war mal wieder unterwegs. Auf dem Spielplan stand "Gold!" von Leonard Evers, ein Märchen für zwei Schauspieler und zwei Musiker. Die Inszenierung von Bianca Sue Henne überzeugt mit vielen Einfällen, visueller Opulenz und dem märchenhaften Bühnenbild von Wolfgang Rauschning.

Das Libretto von Flora Verbrugge folgt dem Märchen vom Fischer und seiner Frau. Es ist eine Geschichte von Glück, Gnade, Gier und der Katastrophe, die alles wieder ins Reine bringt, einen vermeintlich natürlichen Zustand wieder herstellt. Fast alles ist wie immer, aber nur fast. Denn  neben den modernen Zutaten wie Auto und Weltreisen hat das Autorenpaaren noch zwei wichtige Ergänzungen beigesteuert.

Jakob fängt den Fisch.
Fotos: Tilmann Graner 
 Zum einen gibt es einen Perspektivwechsel. Träger der Handlung ist nicht der Fischer. Er und seine Frau sind die Eltern von Jakob. Er fängt den verzauberten Fisch und aus der Sicht des Jungens wird die Geschichte erzählt. Jakob lässt den Fisch wieder und er trägt auch die Wünsche vor, die nicht immer seine sind. Denn das bleibt, die treibende Kraft ist weiblich. Die Gier der Mutter beschwört die Katastrophe herauf. Ihr Sohn wollte einfach nur ein Paar Schuhe.

Neu sind auch die Beziehungen der Akteure. Je reicher die Familie Fischer wird, desto mehr entfremden sich Vater, Mutter und Kind. Erst sind es die großen Räume, in denen sie einsam und verloren sind, kurz vor dem Schluss geht jeder allein auf Reisen und seine eigenen Wege. Nach der Rückkehr stören sie sich an all den anderen Menschen. Da scheint es doch gut, dass sie nach dem Rücksturz in das Elend wieder zueinander finden. Ist das die neue märchenhafte Sicht? Armut schweißt die Menschen zusammen.
  
In der Anlage erinnert "Gold!" ein wenig an "Peter und der Wolf". Ein Geschichte wird vorgetragen und dazu gibt es Musik. Doch der Klang hat bei den Kompositionen von Leonard Evers eine atmosphärische Funktion. Es schält sich keine Melodie heraus, sondern die Musik soll Stimmungen verstärken und das Publikum auf das Geschehen vorbereiten. Das klappt wunderbar und auch das jugendliche Publikum übernimmt gern die Rolle als Wind oder als tosende See.

Den Darstellern verlangt diese Inszenierung einiges ab. Catriona Morison muss nicht nur singen, sondern sie spielt auch Jakob und Mutter zu gleich. Es dauert einen Augenblick, bis der härteste aller Kritiker die Gleichungen  Morison + Mütze = Jakob und Morsion - Mütze = Mütter verstanden hat.

Stefan Landes (rechts) spielt ein Solo mit Benzin-
kanister. Foto: Tilmann Graner 
Stefan Landes aus dem Loh-Orchester ist für die Bedienung des umfangreiche Schlagwerk zuständig und da gibt es einiges. Die Sprache ist einfach. Erklingen Vibraphon, Marimbaphon oder die Cymbals geht es um Wind und See und andere Naturerscheinungen. Spielt Landes die Melodika, dann ist Trauer angesagt. Immerhin das Solo mit Benzinkanister klingt nach Reggae und erinnert an den Südseezauber, bis die Stimmung wieder in den Blues kippt.

Aber Stefan Landes darf auch als Vater oder  als Chauffeur in das Geschehen eingreifen. Dabei hat der Musiker ganz offensichtlich Spaß, der sich auch auf das Publikum überträgt. Dennoch bleibt die Rollenverteilung simpel. Die Muter ist die treibende Kraft, Jakob der Erfüllungsgehilfe und der Vater nur Randfigur. Aber gut, Kindertheater verlangt einfache Identifikationsmöglichkeiten. Auch wenn das junge Publikum den Begriff Cameo sicherlich nicht kennt, aber dass sich Katharina Winter an diesem Morgen mal aus der Regieassistenz lösen darf und zur Mitspielerin, das bemerken nicht nur die Fachleute wohlwollend.

Die Inszenierung von Bianca Sue Henne verzaubert mit ihrer Opulenz, mit der Vielfalt an Einfällen, Formen und Ausdrucksmitteln. Der Wechsel von Ruhe hin zur Hektik verdeutlicht die Dramatik des Geschehen. Jakob fängt den Fisch mit einer Angel und mit einer schönen Pantomime, bei der die Kinder mitzittern. Abends liegt er unter einem Sternenhimmel und alle Kinder schauen nach oben.

Die Fischerin hat ein Auto und einen
Chauffeur. 
Als Catriona Morison barfuß über die Muschelbänke hüpft, da spürt das Publikum den Schmerz fast schon in den eigenen Gliedmaßen. Überhaupt ist sie immer in Bewegung, springt von Bühne eins zu Bühne zwei. Stillstand im Theater akzeptieren Kinder schon lange nicht mehr. Der Nachwuchs kommt auch mit den Wechsel der Mittel klar, denn gerade die Projektionen auf das Segel des Fischerboots finden den Gefallen des härtesten aller Kritiker.

Auch der Umgang mit den Requisiten ist kindlich leicht. Ein Stock wird zur Angel, ein Reifen zum Lenkrad und einiges existiert nur in der gemeinsamen Vorstellung. Das Spiel mit der Fantasie ist fester Bestandteil der Inszenierung und genau das wollen Kinder.

Richti gelesen, die Bühne ist zweigeteilt und ganz anders als sonst. Dort wo im Theater unter Theater sonst gespielt wird, sitzt nun das Publikum im großen Rund und Catriona Morison und Stefan Landes müssen sich auf ein Podest beschränken. Dort wo im Theater unterm Dach sonst das Publikum sitzt, hat Wolfgang Rauschning eine Dünenlandschaft samt Fischerboot entstehen lassen. Beim Anblick träumt sich das Publikum an ferne Gestade hinwegund bleibt doch mitten im Geschehen. Hier ist Rauschning großes auf kleinsten Raum gelungen.

Der Raum dazwischen dient mal als trennendes Wasser, mal ist er zusätzliche Spielfläche. Doch der sichere Hafen ist für die Darsteller nur das kleine Podest im großen Rund des Publikums.

Eine Frage bleibt ungeklärt: Warum heißt das Stück Gold!, wenn das Edelmetall doch keine Rolle spielte? Vielleicht kennt ja eine Leserin, ein Leser die Antwort.

Das Stück
Die Regisseurin

Der Spielplan

Andere Meinungen vom härtesten aller Kritiker

Der härteste aller Kritiker - Teil eins
Der härteste aller Kritiker - Teil zwei
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Der härteste aller Kritiker - Teil fünf
Der härteste aller Kritiker - Teil sechs
Der härteste aller Kritiker - Teil sieben
Der härteste aller Kritiker - Teil acht
Der härteste aller Kritiker - Teil neun
Der härteste aller Kritiker - Teil zehn
Der härteste aller Kritiker - Teil elf



Sonntag, 18. Oktober 2015

Von Terror keine Spur

Premiere am DT: Von Schirachs Drama ist gar keins

Das Leben sei kein Seminar für Jurastudenten, sagt Strafverteidiger Biegler. Das Theater aber auch nicht. Deswegen hinterlässt "Terror" von Ferdindand von Schirach einen zwiespältigen Eindruck. Ein Drama ist es auf jeden Fall nicht und bei der Premiere am Sonnabend holte das  DT-Ensemble noch das Beste aus der Vorlage. Das Publikum belohnte das Bemühen mit viel Applaus.

Der Text gibt nicht vor, mehr zu sein als eine Gerichtsverhandlung. Verhandelt wird der Fall des Majors Lars Koch, angeklagt des Mordes in 164 Fällen. Der Pilot eines Kampfflugzeugs hat einen Airbus  abgeschossen. Der Flug LH 2047 von Berlin-Tegel nach München war entführt worden. Der Kidnapper kündigte an, den Flieger in die vollbesetzte Allianz-Arena stürzen zu lassen. Dort steht das Fußball-Länderspiel Deutschland-England an. Nach Rücksprache mit dem Verteidigungsminister hatten Kochs Vorgesetzte den Abschuss ausrücklich untersagt.Wenige Minuten bevor das Passagierflugzeug das Ziel erreicht, drückt Koch auf den Knopf und schickt die Passagiere, das Bordpersonal und den Entführer in den sicheren Tod.

Staatsanwalt Nelson (2.v.r.) befragt den Zeugen
Lauterbach (1.v.l.). Alle Fotos: Thomas Müller
Ferdinand von Schirach ist Jurist und Autor von Rechtsthrillern in millionenschwerer Auflage. Der Name zieht und deswegen erlebt sein erstes Drama "Terror" in dieser Saison viele Premieren in der deutschsprachigen Theaterlandschaft. Am 3. Oktober fanden die Welturaufführungen zeitgleich in Frankfurt und in Düsseldorf statt.

Der Text gibt nicht vor, mehr zu sein als eine Gerichtsverhandlung und deswegen ist das Stück auch aufgebaut wie eine Gerichtsverhandlung. Aufnahme der Personalien, Verlesen das Anklageschrift, Erklärung des Angeklagten durch seinen Verteidiger, Beweisaufnahme, Vernehmung eines Zeugen, Vernehmung des Nebenklägers und Abschluss der Beweisaufnahme vor der Pause. Nach der Pause die Plädoyers des Staatsanwalts und des Verteidiger, Schlusserklärung der Vorsitzenden Richterin, Urteilsverkündung und Begründung. Die Entscheidung muss aber das Publikum finden, es darf per Karte über Freispruch oder Verurteilung abstimmen. Um es vorweg zu nehmen, in Göttingen wie auch in Frankfurt und Düsseldorf votierte eine Mehrheit im Zweifel für den Angeklagten. Das gibt dem ganzen den Charme eines Moot Court, bei dem Studenten ihre Fähigkeiten testen können. Tja, eigentlich sollte das Theater ja kein Seminar für angehende Juristen sein.

"Terror" ist Sprechtheater im Überfluss. Ständig deklarieren die Akteure, zitieren dabei Kant, deklinieren die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zum Luftsicherheitsgesetz und füttern das Publikum mit Informationen. Schließlich muss es ja zum Schluss richten. Die Interaktion zwischen den Darstellern ist auf ein Minimum reduziert.

Die Vorsitzende weißt Major Koch auf seine Rechte
hin.  
Der Übermaß an Text, die Bewegungsarmut und auch das Bühnenbild wecken Assoziationen an griechische Dramen. Elisa Alessi hat auf Anleihen bei der Gerichtsarchitektur verzichtet. Es gibt keine Anklagebank, keinen Richterstuhl, eine Tribüne über die gesamte Bühne macht das Theater zur Arena. Oder ist es ein Forum oder eine Agora. Es wirkt auf jeden Fall klassisch. Licht spendet ein Leuchter, der ein wenig an die Kuppel des Reichstagsgebäudes erinnert, nur eben auf dem Kopf gestellt.

Das Licht kennt nur eine Einstellung. Es bleibt während der gesamten Vorstellung flach und nüchtern. Es ist halt eine Gerichtsverhandlung.

Wer etwas zu sagen hat, der tritt nach vorne. Stellt seinen Standpunkt dran und verschwinden dann wieder im Hintergrund. Das ist die Formensprache im ersten Akt. Die Sprache ist kühl und nüchtern. Florian Eppinger als Staatsanwalt Nelson seziert den Vorgang mit der Abgebrühtheit, die man Juristen ja so gern nachsagt.

Aber die Arena ist auch eine Agora, der Ort an dem seit der griechischen Antike diskutiert und argumentiert, der Ort an dem Logik entwickelt wurde. Deswegen spricht die Vorsitzende immer wieder das Publikum direkt und als Schöffen an. "Terror" ist der Kampf zweier Logiken. Auf der einen Seite die Treue zum Gesetz, der Glaube an das Prinzip als letzter Maßstab, der nicht hinterfragt werden darf. Auf der anderen Seite die Menschlichkeit. Es ist der Kampf des kategorischen Imperativs gegen den Utilitarismus. Kant versus Bentham.

Dominiert wird die Göttinger Inszenierung von dem Geplänkel zwischen Staatsanwalt Nelson und Paul Wenning in der Rolle des Verteidiger Biegler. Vornamen haben die beiden Herren nicht, die Vorsitzende Richterin trägt gar keinen Namen. Sie sind keine Personen, sondern Statthalter des Systems.

Major Koch erklärt dem Staatsanwalt sein Motive.
Alle Fotos: Thomas Müller
Dazu passt auch das Grau in Grau der Kostümierung. Unscheinbar, farblos, leblos, eine amorphe Masse. Lediglich Verteidiger Biegler Satin und zwei offene Knöpfe tragen. Das unterstreicht den fragwürdigen Charakter.

Emotional wird es nur, als Staatsanwalt Nelson und der Angeklagte Koch (Benedikt Kauf) in einen Disput geraten oder als die Vorsitzende Richterin (Andrea Strube) den Nebenkläger Franz Meiser (Nikolaus Kühn) befragt. Er verlor durch den Abschuss seine Frau, die Mutter seiner sechsjährigen Tochter. Als er vor der Beerdigung des leeren Sargs erzählt, herrscht für einen kurzen Augenblick Totenstille im weiten Rund. Dies ist die einzige Passage, in der es wirklich menschelt. Ansonsten stehen auf der Bühne Argumentationsmaschinen.

Somit bleibt den Akteuren auch wenig Raum, um ihre Fähigkeiten zur Geltung zu bringen. Das enge Korsett verhindert das Setzen von Akzenten.

"Terror" ist Kopftheater. Es gibt keine Bilder. Katharina Ramser setzt einzig auf das Mittel der Sprache, um das Unbegreifliche zu transportieren. Die Entführung, die Drohung, der Kampf der Passagiere ums Überleben, der Abschuss, all das muss sich das Publikum selbst ausmalen. Das lässt Raum für eigene Interpretationen oder eigene Deutungen. Schließlich gibt der Text nicht vor, mehr als eine Gerichtsverhandlung zu sein.

Theater lebt aber von Emotionen. Von Schirach nimmt uns mit auf einen kopfgesteuerten Exkurs durch die Geistesgeschichte der Menschenwürde. Es ist aber eine Menschenwürde ohne Menschlichkeit, kalt und argumentativ,  Vielleicht ist das große Haus auch der falsche Ort? Ich plädiere für eine Verlegung auf die Studiobühne.

Das Stück
Der Spielplan

Selbes Stück, anderes Ensemble, anderer Ort: Terror in Osterode




Samstag, 17. Oktober 2015

Lieber Tango hören als nach Hause gehen

Bolero Berlin verwandeln dern Kreuzgang in eine Bodega

Wenn das Konzertpublikum im Kreuzgang mit den Füßen wippt und mit den Fingern schnippt, dann ist die Ordnung gest;rt, dann gibt es einen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum, dann muss es außergewöhnliches passiert. Am Freitag war es so weit. Bolero Berlin spielt im Kreuzgang und das Publikum wippte mit den Füßen un schnippte mit den Finger. Das Sextett aus Berlin verwandelte das altehrwürdige Gemäuer in eine Bar, eine Cantina und in einen Club.

Nein, das haben sie nicht mit einem Zaubertrank geschafft sondern mit einem zauberhaften Musikmix. Aber mit welchen Musikmix haben sie das getan? Die Frage kann man mit einem Exkurs in die Kategorie "Expertenwissen, das nur dazu dient Laien zu verwirren"  beantworten.


Martin Stegner ist das Sprachrohr von
Bolero Berlin. Alle Fotos: tok 
Der musikgeschichtliche Verdienst von Simon Both und Larry Stabbins besteht sicherlich darin, dass sie einst zusammen mit der Sängerin Juliet Roberts die Formation "Working Week" gründeten und dass sie den sterilen und akademischen Jazz der damaligen Zeit mit einer Frischzellenkur aus lateinamerikanischen Rhythmen wieder auf die Beine brachten. Sie retten ein totgerittenes Genre und waren die Wegbereiter eines neuen Jazz-Feuers. Der Faden, die mit Auflösung von Working Week verloren ging, den nimmt Bolero Berlin wieder auf und spinnt ihn weiter.

Es rumbat, es sambat, es mambot und ein wenig Bossa Nova gibt es auch noch. Dazu kommen Tango und Bolero und jede Menge Chorinho und im Grunde genommen ist es Jazz. Wenn man so viele Stile mischt, dann läuft man durchaus Gefahr, einen Mischmasch ohne Konturen zu schaffen. Doch der Mannschaft um Martin Stegner und Helmut Nieberle gelingt es wimmer wieder, aus all diesen Zutaten das Beste zu destillieren und das ist Leidenschaft und Rhythmus.

Aber es ist Jazz, denn hier erarbeiten sich exzellente Charaktere ein Thema, wandeln es, improvisieren in ihren Soli darüber und zum Schluss finden sie dann doch wieder zusammen.   Man braucht den Exkurs aber auch gar nicht. Dass Bolero Berlin einen eigenständigen Stil gefunden hat, der begeistert, dass merkt auch der Laie.

Das Programm besteht zum größten Teil aus Coverversionen. Doch Bolero Berlin fügen der Bibliothek an nachgespielten Songs nicht noch ein weiteres Dutzend hinzu. Sie entdecken den Südamerikaner in bekannten Songs, bringen so neue Seiten zum Vorschein und schreiben die Geschichte der Songs. Das wird schon beim ersten Stück deutlich. Man hat Schwierigkeiten die "Windmills of your minds" zu erkennen. Selbst Michel Lagrand wusste bisher nicht, wie vielmehr Rhythmus in seinem Übersong steckt, das es mal Mambo, mal Gypsy-Swing sein kann.. Aus dem eher verhaltenen Lied über das Kopfkarrussel  eines Verliebten wird ein lebensbejahendes Stück Musik. Jedes der zahlreichen Soli lotet eine andere Ecke der musikalischen Grundlage aus. Mal singt Manfred Preis mit der Klarinette, mal Martin Stegner an der Viola.

Helmut Nieberle ist das Mastermind.
Auch für "Summertime" hat Helmut Nieberle das Arrangement geschrieben und dem Übersongs des klassichen Jazz ganz andere Ansichten entlockt. Nach dem verhalten Anfang mit Raphael Haeger am Klavier nimmt der Blues solch ein Tempo auf, biegt um diese Ecke und schaut mal in dieser Stilecke vorbei, dass die zuckersüße Kruste der Vorlage ziemlich bald verschwindet und ein Filetstück zum Vorschein kommt.

Was Bolero Berlin zu einem der besten Jazz-Ensembles der Jetztzeit macht, ist der runde und volle Klang. Helmut Nieberle an der Gitarre, Daniel Gioioa an der Perkussion und Matthew McDonald am Bass legen nicht nur ein belastbares Rhythmus-Fundament, das auch mal hier und mal dort eine Petitesse setzt und das kleine Extra zeigt. Gelegentlich Nieberle mit einem zurückhaltenden Solo auch zeigen, dass das Ensemble auf allen Positionen mit Könnern der Extra-Klasse besetzt ist.

Aber es geht auch langsamer. Die Eigenkomposion "Chornho a Moda da Casa", der Chroinho nach Art des Hauses, kommt leicht und locker daher und erinnert doch an Regentage unter einem südlichen Himmel.

Dann wagen sich Bolero Berlin an eine Ikone der lateinamerikanischen Musik heran. Aber darf man Tango, darf man Piazzolla ohne Bandoneon spielen? Kann das überhaupt gut gehen? Ob man es darf, ist egal. Es klappt an diesem Abend gleich zweimal wunderbar. Die Bratsche übernimmt die Führung  und trägt die Melodie. Da ist es von Vorteil, dass es keine quietschende Violine sondern eben eine dunkle Viola ist.

Stegner macht auch das dunkel gefärbte Intro zu Besame Mucho, bevor Preis mit der Klarinette zustimmt. Alles deutet auch ein herkömmliche Interpretation hin, bis Nieberle drei Akkorde greift, von der Percussion abgelöst wird, das Klavier die Führung übernimmt und das Tempo ganz sachte aber ständig anzieht. Die Gitarre bekommt ein Solo und noch erinnert der transparente Sound an Working Week. Doch dann wird Daniel Gioia von der Leine gelassen und man fühlt sich  in die besten Zeiten von Carlos Santana versetzt.

Manfred Preis ist der Mann an der
Rampe bei Bolero Berlin.
Kurt Weil erfährt an diesem Abend gleich drei Überarbeitungen. Dabei bleiben der Tango Habanera und der September Song überraschend entspannt und zurückhaltend. Am "Mack the Knife" haben sich schon Generationen von Musiker versucht. Legendär ist sicherlich die die Version von Louis Armstrong, verkopft und anstrengend das Dou von Sting und Gianna Nannini. Doch soviel Leben wie die Version von Bolero Berlin haben sie alle nicht. Wie gesagt, das Sextett stellt nicht einfach weitere Coverversionen in die Bibliothek der Musikgeschichte. Sie erweckt das Material zu neuen Leben.

Danach trieb Macheath sein Unwesen bestimmt nicht in London, sondern lebte ein schönes Leben an der Copa Cabana. Klavier, Klarinette, Bratsche und Gitarre, sie dürfen alle einmal temporeich über das Thema improvisieren und finden sich doch wieder. Die Frage, ob dies Version mehr Bossa Nova oder mehr Jazz ist, die können die Schubladendenker für sich beantworten. Alle anderen freuen sich einfach an einer außergewöhnlichen Darbietung.

Das Publikum kann nicht nur mit den Füßen wippen und mit den Finger schnippen. Zum Schluss kann es auch noch außerordentlich applaudieren und es erklatscht sich die fälligen Zugaben. Schließlich ist der Auftritt von Bolero Berlin das bemerkenswerteste Gastspiel dieser Saison. Die Frage, ob man lieber Tango hört oder nach Hause fährt, hätte Martin Stegner gar nicht erst stellen brauchen. An diesem Abend beantwortet sie sich von selbst.

Der youtube-Channel von Bolero Berlin

Die Kreuzgangkonzerte
  


Mittwoch, 14. Oktober 2015

Getanzte Clara

Ballettkompanie Nordhausen überzeugt mit getanzter Biografie

Clara Schumann gehört zu den tragischen Figuren der europäischen Musikgeschichte. Erst in den letzten 20 Jahren ist das Leben der Komponistin, der Musikerin, der Frau von Robert Schumann und Geliebte von Johannes Brahms in den Fokus der Öffentlichkeit gekommen. Mit "Geliebte Clara" hat Jutta Ebnother in Nordhausen ein Tanztheater inszeniert, dass die entscheidenden Momente der Biografie verständnisvoll nachtanzt. Die Rebellion bleibt aus. Am Ende fügt sich auch diese Clara in das Rollenbild des 19. Jahrhunderts.

Ist es nun ein Ballettabend oder schon ein Konzert? Diese Frage bleibt bis zum Schluss unbeantwortet. Vielleicht muss man hier auch keine Antwort finden. Auf jeden Fall ist die Musik von Clara Schumann, von Robert Schumann und im zweiten von Johannes Brahms ein bestimmendes Moment. Die Abstimmung zwischen den Akteuren auf der Bühne und im Orchestergraben funktionierte beim der Premiere auf jeden Fall bestens. Das Dirigat von Markus L. Frank und die Choreographie von Jutta Ebnother ergänzen sich kongenial.

Vater Wieck klammert sich an 
seine Tochter Clara.
Alle Fotos: András Dobi
Die Romantik ist die Musik des Biedermeiers, des Rückzug ins Private nach stürmischen Zeiten. Das Biedermeier steht für Restauration und bürgerliche Resignation. Die Emanzipationsbestrebungen der Aufklärung und der Revolution sind Geschichte. Zu dieser Zeit entstehen die Rollenbilder, die man heute für traditionell hält. Die Romantik ist auch die Musik der Verzückung und der Verinnerlichung.

Somit geht der Blick dieses Tanztheaters folgerichtig in die Seelen seiner Protagonisten. Jutta Ebnother greift in ihrer Choreografie viele Ausdrucksmittel des klassischen Balletts auf. Vor der Pause dominieren runde, fließende Bewegungen, Hebefiguren und Duette. Folgerichtig tritt die Moderne nur dann auf, wenn es Risse in der scheinbaren Idylle gibt, wenn sich Abgründe auftun.

Hände spielen eine große Rolle in der Choreografie, Hände und flinke Finger, schließlich geht es ja auch um Musiker, um Klavierspieler und um ein Publikum als amorphe Masse in Schwarz, die applaudiert und auch fordert. Immer wieder stehen die Akteure einfach auf der Bühne und lassen die Hände sprechen, weiße Hände, die vor dunklen Hintergrund dahin fliegen.

Die schwierigste Rolle in dieser Inszenierung hat wohl András Virág. Er tanzt den Friedrich Wieck, Claras Vater, der sein Kind nach der gescheiterten Ehe zum musikalischen Wunderkind dressieren will. Gravitätsch und im Bratenrock stolzier er über die Bühne beim Duett führt er Yoko Takahashi wie eine Marionette, er hebt sie gen Himmel empor und klammert dann wieder. Sind das Vater und Tochter oder Mann und Geliebte? Auf jeden Fall gibt es auch die inzestösen Momente. Mit dieser Choreographie lotet Jutta Ebnother die Tiefen und Untiefen der 'V'ater-Tochter-Beziehungen aus.

Der Höhepunkt des ersten Akts ist sicherlich die Ménage à trois, als Wieck und Robert Schumann um Clara kämpfen, an ihr zerren, sie verschieben, sie zum Spielball ihrer unterschiedlichen Projektionen machen. Das ist getanztes Rollenverständnis in getanzter Form. Die Innerlichkeit wird zur Äußerlichkeit und dies sicherlich einer dynamischen Momente an diesem Abend.

Das Schicksal von Yoko Takahashi ist es, herumgereicht zu werden an diesem Abend. Es gibt nur wenige Momente, an denen sie nicht wie eine Puppe wirkt. Da sind die Soli im ersten und im zweiten Akt. Im ersten steckt sie voller Euphorie und Freuden mit großen raumgreifenden Bewegungen. Im zweiten ist sie in sich versunken. Im Duett mit Kirill Kalashnikov als Johannes Brahms tanzt Yoko Takahashi tagträumerisch wie befreit auf. Um so größer ist  jedoch die Fallhöhe als sie auf die Realität trifft.

Robert und Clara Schumann erleben ein letztes Mal
das Glück der Liebe. Foto: Dubi 
Der Dynamo auf der Bühne ist David Roßteutscher in der Rolle des gesunden Robert Schumann. Er darf die Bühne durchmessen und große Vorhaben in Schritt umsetzen. Aber er darf auch an sich selbst zerbrechen und den Selbstzweifel in Schritt umsetzen. Roßteutscher versteht es die beiden Seiten des Robert Schumann zu verdeutlichen, seine Begabung und die Euphorie auf der einen Seite und den Wahn und letztendlich die Schizophrenie auf der anderen Seite. Der Blick in das Innere geht an diesem Abend bis die Bereiche, wo es weh tut.

Aber diese dunkle Seite des Robert Schumann war den ganzen Abend auf der Bühne. Denn Fem Rosa Has tanzt als Spiegelbild des Komponisten im Hintergrund immer mit. Das ist die leitende Idee dieser Eigenproduktion. Das alter ego, das andere Ich ist immer dabei, egal wo hier hingehen. Es gibt Momente der Entscheidung, in denen es an die Rampe tritt, sich nach vorne drängt und sichtbar für alle wird. Dann übernimmt es auch die Regentschaft. Nirgends wird es deutlicher, als  Virág, Takahashi und Has noch einmal das Motiv der  Ménage à trois aufgreifen. Doch bei diesem Kampf bleiben nur Verlierer zurück und das Dreigestirn fällt auseinander.

Auch das Bühnenbild von Ronald Winter birgt einige überzeugende Momente. Als biedermeierlicher Salon konzipiert kann man  die ins Endlose verzerrte Perspektive auch als ein finstere Loch erleben. Dann wieder schieben sich Wände wieder in Richtung Rampe, verknappen den Raum auf ein Minimum und machen aus dem Salon ein Puppenheim oder sind das Gefängnis des Schumannschen Wahns.    


Geliebte Clara, das Ballett

Clara Schumann bei wikipedia




Was für ein Mensch

Günter Maria Halmer liest Kishon und Roth

Satire kann zeitlos sein. Gute Satire ist zeitlos. Das bewies Günther Maria Halmer bei seiner Lesung im Kloster Walkenried. Es war so menschlich, da war die Zugabe schon vorprogrammiert.
Auf dem Programm standen Texte von Ephraim Kishon und Eugen Roth. Begleitet wurde der Vorleser von Jörg Fuhrländer am Akkordeon.

Der macht auch den Auftakt. Er improvisiert über ein Thema, das deutlich nach Klezmer klingt. Dabei versinkt Fuhrländer in die Musik und fast in sein Instrument. Halmer stellt den Musiker später als  seinen Partner vor.

Jörg Fuhrländer ist auch ein guter
Zuhörer. Alle Fotos: tok
Es ist eine kongeniale Partnerschaft. Hier der extrovertierte Münchner, dort der stille Siegerländer, das ergibt eine abwechslungsreiche, eine kontrastreiche Paarung. Zwischen den Lesungen gibt Fuhrländer dem Publikum immer genug Zeit und Raum zum Verdauen und Vorbereiten. Das Repertoire umfasst Tango, Chanson und Tango-Motive. Nichts, was sich aufdrängt und von eigentlichen Ziel des Abends ablenken könnte.

Das lautet nun einmal Vorlesen und Zuhören. Der erste Teil des Abends besteht aus drei Texten von Ephraim Kishon. Damit ist klar, dass es um Alltagsbeobachtungen, menschliches Verhalten im Allgemeinen und Menschen in überspitzten Situationen geht, also um echte Typen und irgendwie um jeden von uns.

Halmer liest zwei Stücke aus Kishons Hundezyklus. "Pedigree" dreht sich  um die Anschaffung eines HJundes für die Familie Kishon. Dabei zerlegt er die Ansprüche, Vorwände und Wirklichkeit in ihre Einzelteile. Die beste Ehefarau von allen schiebt die Kinder vor, um ihren Wunsch nach einem Vierbeiner zu rechtfertigen. Die falsche Bescheidenheit entpuppt sich als Ehrgeiz zum lupenreinen Stammbaum des Vierbeiners und der Ich-Erzähler kann die Erwartungen seiner Familie nur mit Halbwahrheiten ausbremsen. Ein Familienleben wie im richtigen Leben also, weil sich jeder wiedererkennt, hat Halmer auch gleich die Lacher auf seiner Seite.

Aber es scheint, als müsse sich der Profi erst einmal an das ungewöhnliche Umfeld herantasten. Die Stimme sitzt nicht in allen Passagen und klingt noch sperrig. Der Vorleser liest nur vor.

Bei Halmer klingt auch der Schüttel-
reim rund.
Doch dies ändert sich schon mit der zweiten Geschichten. "Die Dressur" erzählt, wie es in der Familie Kishon weitergeht nach der Anschaffung der Hündin. Mit ''Papi als Schwimmlehrer" ist halmer mittendrin in seinem Element. Die Vorlesung wird jetzt zur szenischen Lesung. Die Stimme hat Schwung und Dynamik, mal laut, mal leise, mal flehend, mal drohend. Das Kino im Kopf im Kopf geht an. Halmer liest nicht Kishon, Halmer spielt Kishon mit begrenzter Ausstattung, aber treffend.

So muss es sein, wenn Väter versuchen, ihrem verzagten Nachwuchs das Schwimmen beizubringen. Es endet in der Katastrophe und das schon seit Generationen. Aus diesen Katastrophe kommen wir alle mit einem Schmunzeln heraus.

Den zweiten Teil des Abend bestreitet das Duo mit Texten von Eugen Roth aus seinem "Ein Mensch"-Zyklus. Dies sind Lebensweisheiten und Anekdoten im Schüttelreim-Rhythmus. Die Mensch-Geschichten sind wohl einst für's Selbstlesen und Nachdenken konzipiert wurden. Deshalb klingt es anfangs hölzern und sperrig. Doch Halmer findet sich bald in den Werken zurecht und das Publikum folgt ihm in die zeitlosen Geschichten von Roth, die wie Kishon allzu menschliches zum Thema haben. Schließlich geht es um Weisheiten und Verhaltensweisen, die die Jahrzehnte überdauert haben, weil sie wohl ins Genom geschrieben sind. Deswegen enthält sich Halmer der Häme und der Überheblichkeit. Der Schüttelreim klingt weich und die Geschichten über enttäuschte Liebhaber und andere Mitmenschen zeigen eins: Mitgefühl.

So bleibt am Ende die Gewissheit, dass dort auf der Bühne zwei Menschen stehen, die ihre Mitmenschen verstehen.        


Günther Mari Halmer bei wikipedia
Mehr zu Jörg Fuhrländer

Die Kreuzgangkonzerte bei wikipedia
Die offizielle Website


Sonntag, 4. Oktober 2015

Leicht und bunt wie ein Ballon

Rike Reiniger inszeniert einen traumhaften Luftballonverkäufer

Poesie, Philosophie und Theater und alles zusammen in 45 Minuten und dann auch noch für Kinder. Kann das gut gehen? Ja, das kann es. Das beweißt die Inszenierung von "Der Luftballonverkäufer" am Theater unterm Dach. Zum Maus Türöffner Tag gab es noch einmal ein Sondervorstellung voller Zauber und Poesie. Traumhaft schön und leicht gibt es die Antwort auf die allerletzte aller Frage: "Wo landen die Luftballons, wenn sie davon geflogen sind".
Die Freundinnen Antonella (Uta Haase) und Margherita (Bianca Sue Henne) erzählen die Geschichte vom Luftballonverkäufer Alberto. Jeden Tag bläst er die Ballons auf, bindet sie fest und stellt sich dann auf seinem Platz. Jeden Kind, dass ihm ein Geldstück gibt, gibt er einen Ballon. Sie berichten von seinem Abenteuer, das begann, als der Wind ihn und sein 400 Ballons davontrug. Auf dem Planet der verlorenen Spielsachen fand er unter den drei Sonnen alles das, was die Kinder vermissen. Dazu gehören auch die Luftballons, die davon geflogen sind. Er rettet den Planeten vor dem Angriff der Wespen und kehrt als stiller Held zurück. Dann steht er wieder auf dem Platz und gibt jedem Kind, das ihm ein Geldstück gibt, einen Luftballon.
Margheritha und Antonnella haben Spaß mit Ballons.
Alle Fotos: A. D. Wagner
Das ist die pure und knappe Geschichte des Stücks von Roberto Frabetti. Aber entscheidend ist die Erzählweise und die ist in der Inszenierung von Rike Reiniger voller Poesie und Leichtigkeit. Auf der Bühne steht die Puppe Alberto mit seinen Luftballons, hinter ihm drei Wände. Aus dem Off erklingt das Akkordeon aus "Sous le ciel de Paris". Für die Kinder klingt es nach Zirkus, die Erwachsenen träumen vom Mut zum Fernweh. Antonella und Margheritha betreten die Bühne. Stumm und nur mit den Mitteln der Pantomime schaffen Uta Haase und Binanca Sue Henne es, den Charme einer Piazza, lichtdurchflutet und voll mit Menschen und mit viel Winke Winke ins Theater unterm Dach zu zaubern. Sie erkennen sich, tauschen Gesprächsfetzen aus und beginnen einen Tanz mit den Luftballons. Federleicht. Kindlich. Es ist schon erstaunlich, was man so alles mit einem Stück aufgeblasenes Gummi machen kann.
Da steckt Sprechtheater und Pantomime drin, Akrobatik und Clownerie und ein wenig Figurentheater. Später kommt auch noch Schattenspiel dazu. Diese gelungen Mischung macht die Inszenierung für Kinder spannend, das meint zumindest der härteste aller Kritiker und der ist ausgesprochener Experte in Sachen Kurzweil und Kindertheater.
Die Rollen sind klar verteilt. Margheritha ist die Bescheidwisserin, Antonella ist der Clown, der nicht einmal Luftballons aufblasen kann. Eindeutig Identifikationsangebote Schön, dass diese Rollenverteilung  zum Schluss aber kippt.
Zum Schluss stehen alle wieder auf ihren Plätzen.
Foto: Anja Daniela Wagner
Margheritha beginnt mit der Erzählung, Antonella darf die Sätze zu Ende bringen. Die Sprechweise ist kindgerecht aber nicht kindisch. So reden eben zwei Freundinnen, wenn sie gemeinsam eine Geschichte erfinden. Oder sich die wirklich elementaren Fragen stellen.
Die Menschheit weiß, wie viel Licht wiegt und kennt noch ganz andere Antworten aus Physik und Chemie, die kein Kind braucht. Aber warum der Schatten eines Elefanten riesengroß und trotzdem federleicht ist oder was mit den Ballons passiert, wenn sie weg geflogen sind, darauf wissen Erwachsene keine Antwort. Gut, dass Alberto nun zumindest eine Antwort kennt und gut, dass Philosophie so unterhaltsam sein kann.
Doch, manchmal stockt der Text, machen die Protagonistinnen eine kurze Sprechpause, könne sich das Nachdenken und dann geht es weiter. Der härsteste aller Kritiker muss sich diesem Workshop-Anteil erst erklären lassen. Sein Vater findet aber Gefallen an der Illusion, dass die Geschichte offen ist und an einigen Stellen eine überraschende Wendung nehmen könnte.
Aber nein, natürlich gibt es ein Happy End. Alberto überlistet die Wespen und rettet den Planet der verloren gegangenen Spielsachen. Dann steht er wieder auf seinem Platz und alles hat am Ende wieder seine Ordnung. Nur wir, die stillen Beobachter,  und Alberto, wir wissen, was passiert ist. Das Verschwörergetue verbindet.
Das Akkordeon summt vom Himmel über Paris und die Erwachsenen träumen vom Mut zum Fernweh. Der härteste aller Kritiker gibt 4 von 5 Luftballons.
Da wird man ganz schwermütig, weil "Der Lufballonverkäufer" aus dem Spielplan am Theater Nordhausen verschwunden ist. Was würde eigentlich Alberto sagen, wenn wir, der härteste aller Kritiker und alle anderen eine Petition starten?


Das Stück am Theater Nordhausen
Antonella: Uta Haase
Margheritha: Bianca Sue Henne

Inszenierung: Rike Reiniger

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