Sonntag, 13. November 2016

Terror ist kein Theater

Versuch über einen Erfolg

Seit einem Jahr spricht Deutschland über „Terror“. Am Samstag gastierte das Ensemble des Euro-Studio Landgraf mit dem Stück in Osterode. 800 Zuschauer in der Stadthalle mussten als Schöffen herhalten und ein Urteil fällen über Major Lars Koch. Am Ende der Verhandlung stand ein klares Votum. Nicht zuletzt die Ausstrahlung des gleichnamigen Fernsehfilms hatte für das große Interesse gesorgt. Wie anderswo in der Republik war auch diese Vorstellung ausverkauft. Aber worin in der Erfolg begründet? Am Stück kann es nicht liegen. Terror ist kein Theater.

Ob nun Bühne oder Wohnzimmer. Mit „Terror“ ist Bestsellerautor Ferdinand von Schirach eine Anstiftung zum Diskurs gelungen, die auch in Osterode zündete. Die wichtigsten Auseinandersetzungen fanden nicht auf der Bühne sondern während der „Verhandlungspause“ im Foyer statt.

Willkommen in der Realität der Justiz.
Alle diskutierten, ob Major Koch schuldig ist. Das Theaterstück simuliert eine Verhandlung vor einem Amtsgericht und ist damit eigentlich ein sperriger Stoff. Regisseur Thomas Goritzki legt eine Inszenierung vor, die die Ansprüche der Justiz und die Anforderungen des Theaters weitestgehend in Einklang bringt, so weit es bei diesem sperrigen Stück überhaupt geht.

Angeklagt ist Lars Koch des 164-fachen Mordes. Am 26. Mai 2013 erhält der Pilot eines Kampfjets den Befehl, einen von Terroristen gekaperten Airbus vom Kurs abzudrängen. Die Terroristen wollen das Flugzeug in die ausverkaufte Münchner AllianzArena stürzen lassen. Dort fiebern 70 000 Zuschauer dem Länderspiel Deutschland-England entgegen. Der Versuch, das Flugzeug abzudrängen, scheitert. Es bleiben nur noch wenige Minuten, bis das Flugzeug im Stadion einschlägt.

Lars Koch entscheidet sich eigenmächtig und gegen den Befehl seiner Vorgesetzten, das Passagierflugzeug abzuschießen. Alle 164 Airbus-Insassen sterben. Ist Koch schuldig, weil er 164 Menschen zum Objekt gemacht hat und damit deren Rechte und Menschenwürde verletzte? Um diese Frage dreht sich das Stück.

Dem Stück liegt eine Auseinandersetzung zugrunde, die die Philosophie seit mehr als zwei Jahren spaltet. Prinzipientreue gegen Abwägung, Kant gegen Bentham. Nach dem Terror der RAF und der Entführung der Landshut im Oktober 1977 geisterte solch ein Gedankenspiel schon einmal durch die juristischen Proseminare an deutschen Universitäten.

Der Verdienst von Autor Ferdinand von Schirach liegt darin, die Fragen nach der Begründung staatlichen Handelns auf die Bühnen und in die Fernseher der Republik gebracht zu haben. Die Ereignisse rund um das Länderspiel Frankreich – Deutschland am 13. November 2015 haben seinen Überlegungen ungewollte Brisanz verliehen.

Verteidiger können schlechte Selbstdarsteller sein.
Terror ist kein Theaterstück, es ist ein Versuch, eine Gerichtsverhandlung auf die Bühne zu bringen. Selbst die Rituale der Juristen werden simuliert, inklusive Geplänkel zwischen Verteidiger, Vorsitzenden und Staatsanwältin.  Es werden lange, sehr lange Monologe. Alles kommt auf den Tisch, jedes  Argument wird ausgereizt und bis ins letzte Detail ausgeführt. Das ist die Logik einer Gerichtsverhandlung. Aber nicht die Logik des Theaters. Das lebt eben manchmal von dem , was nicht gesagt wird, was angedeutet wird, was sich das Publikum dazu denken kann. Hier nichts davon.

Terror ist der fast völlige Verzicht auf die Mittel des Theaters. Als Film funktioniert das Stück, der Film kann schneiden, er kann nah heranfahren, gegenschneiden. Im Theater nichts davon, es sind zweieinhalb Stunden in der Totalen. Dem Publikum ist das egal, es ist nicht gekommen, um an einen ästhetischen Diskurs teilzunehmen.

Terror simuliert nur den juristischen Apparat. Es  gibt es auch inhaltliche Schwäche, das beginnt mit dem Verhandlungsort. Auch die Fragestellung ist falsch. Es kann keinen Freispruch für Lars Koch geben. Er hat gestanden, schuldig zu sein. Aber dem Publikum ist auch das egal. Die Zahl der juristisch Halbgebildeten ist überschaubar.

Das Bühnenbild zeigt den kargen Verhandlungssaal eines x-beliebigen Gerichts. Es versinkt im kontrastlosen Nebeneinander von blaugrau und beige. Mit dieser Ausstattung versetzt Heiko Mönnich das Publikum schlagartig in die nüchterne Atmosphäre deutscher Rechtsprechung. Die Kostüme verstärken den Realitätsschock. Es gibt auch keine Spielereien mit Licht. Zweieinhalb Stunden lang flutet das Neonlicht die Bühne.

Nur das Grundgesetz in der knallroten Version der Beck‘schen Textausgaben wird die Eintönigkeit durchbrechen. Wie ein Monolith wird es später auf dem Tisch an der Rampe aufgebaut. Schließlich ist es auch der heimliche Star des Abend und immerhin kann man darauf auch stolz, behauptet zumindest Jean Ziegler. Der muss es wissen, der kennt genug andere Staaten.


Schon furchtbar, so viele Zivilisten.
Die Diskussion um den Wert von Menschenleben und von Prinzipien, über Prinzipientreue und Ausnahmen beginnt als Scharmützel zwischen dem Vorsitzenden Richter und dem Strafverteidiger. Ganz im Sinne seiner Rolle gelingt es Johannes Brandrup, dieser Aufführung den Stempel aufzudrücken. Leider gleitet sein bestimmender Ton oftmals auch in die genervte Stimmlage ab.

Vor allem die Auseinandersetzung mit dem Augenzeugen Lauterbach wird zum Geplänkel zwischen einem Juristen, der Herr des Verfahrens bleiben möchte, und einem Militär, der mit seiner Geringschätzung den Zivilisten gegenüber, nicht hinterm Berg hält. Der Angeklagte Christian Meyer in der Rolle des Angeklagten mimte den Überzeugungstäter mit stoischer Ruhe.

Nur einmal fällt er aus seiner Rolle. Als die Staatsanwältin ihn fragt, ob er das Flugzeug auch dann abgeschossen hätte, wenn seine Frau und sein Sohn an Bord gewesen wären. Sein Zögern und seine Sprachlosigkeit lassen den Menschen in Uniform erkennen.

Doch den menschlichsten Auftritt hat an diesem Abend Tina Rottensteiner. Sie spielt die Nebenklägerin, deren Mann beim Abschuss getötet wurde. Von ihm ist ihr nicht mehr geblieben als sein linker Schuh und eine SMS auf dem Handy, das die Polizei immer noch beschlagnahmt hält. Das einzige Erinnerungsstück an ihren verlorenen Gatten schlummert in der Asservatenkammer des Apparats.

Ihre Fassungslosigkeit angesichts des unbegreiflichen Geschehens sorgt für die ganz stillen Momente in der ausverkauften Stadthalle. Tränen sind an dieser Stelle erlaubt.Hier trifft der einzige Mensche an diesem Abend auf die Argumentationsmaschinen. Mensch verliert gegen Maschine.

Gemäß der Strafprozessordnung schickt der Vorsitzende Richter die Schöffen auf Zeit in die Beratung. Im Foyer und vor der Stadthalle wird lebhaft gesprochen über Flieger, Terrorabwehr, Menschenwürde, Prinzipien, Kant, Menschenverstand und Wahrscheinlichkeit. Im Hammelsprung-Verfahren kehrt das Publikum zurück in den Saal. 157 Besucher haben sich für die Tür mit der Überschrift „Schuldig“ entschieden, 392 haben die „Unschuldig“-Pforte genommen. Also haben sich 300 Zuschauer die Freiheit gegönnt, sich kein Urteil über Lars Koch zu bilden.


Das Landgraf-Ensemble mit dem Stück


Die Aufführung am DT Göttingen mit der Erklärung




Mittwoch, 9. November 2016

Keine falsche Scham

Theater für Niedersachsen begeister mit Puppenmusical

Sollten Waldorf und Statler eines Tages ein Musical schreiben, dann wird es  genau so aussehen und klingen. Am Sonntag zeigte das Theater für Niedersachsen (TfN) "Avenue Q" in der Stadthalle in Clausthal-Zellerfeld. Die Inszenierung von Intendant Jörg Gade untermauerte den Ruf des TfN als experimentierfreudiges Ensemble, das es versteht, anspruchsvolle Unterhaltung zu liefern.

Waldorf und Statler? Ach ja, die Logenbesetzer aus der Muppets-Show. Auch wenn die Puppen die Hauptrolle spielen, dieses Musical  ist alles andere als jugendfrei. Denn es um die Themen, die die Erwachsenen so bewegen: Sex, Geld, Beruf, Freundschaft, Einsamkeit, der Sinn des Lebens und Sex.

Brian (Alexander Prosek) und Kate Monster finden
es zu Kot....
  Foto: tok
Nach dem Examen ist Princeton arbeitslos. Auf der Suche nach einer Wohnung landet er in der Avenue Q. In deren billigen Absteigen leben Menschen und Puppen zusammen und jagen ihren Träumen nach. Hier tun sich ein wahres Panoptikum durch die Es sind die Gestrandeten wie Brian, der pointenfreie Komiker, oder Daniel Küblböck, der vergessene C-Promi, die in dieser Straße wohnen. Dann gibt es noch Chrismas Eve, die japanische Psychologin, die in einem China-Restaurant kellnern muss, Terry Monster, den Porno-Produzenten oder Rod, den Investmentbanker, der mit seinem Coming-Out hadert.

Mit "Avenue Q" landeten Robert Lopez, Jeff Whitty und Jeff Marx 2003 einen Überraschungserfolg. Das Musical schaffte den Sprung vom Off-Broadway an die Hauptstraße, heimste eine Reihe von Preisen und Auszeichnungen ein und wird am Off-Broadway immer noch gespielt. "Avenue Q" ist ein offener und schonungsloser Blick an die Ränder der Gesellschaft. Es geht um den amerikanische Traum vom permanenten Wohlstand und von Aufstieg. Der Traum ist zwar nicht tot aber doch schwer vergrippt. Und es geht um die Beziehungsneurosen von Großstädtern.

Alles ist verpackt in eine musikalische Mischung aus klassischen Broadway-Swing, Blues und Rockballaden. Gerade der Kontrast zwischen den überbordenden Bläser-Arrangements und der ausgefeilten Choreographie auf der sonnigen Seite und dem Ernst der Lage macht die trostlose Situation der Avenue-Bewohner deutlich. Dazu steht auch das Puppenhaus-Ambiente des Bühnenbildes von Hannes Neumaier  im belebenden Widerspruch zum Text.

Sandra Pangl und Tim Müller haben ihre Figuren
gut im Griff. 
Dabei geht es von Anfang derb und zielsicher zur Sache. In "Es ist zum Kotzen" swingen sich Brian und Kate Monster gegenseitig ihre Sorgen und Nöte zu und das ist erst der Auftakt.

Das Miteinander von Menschen und Puppen funktioniert wunderbar. Man könnte fast die strapazierte Redewendung "auf Augenhöhe" überdehnen. Besonders Sandra Pangl als Puppenführer der Kate Monster hebt die Statik des Genres auf. Sie scheint eins zu werden mit ihrer Figur.

Mit der Auswahl von "Avenue Q" ist Jörg Gade ein Glücksgriff gelungen. Es ist ein Musical, das sich ohne falsche Scham de Nöte und Hoffnungen von echten Mitmenschen und Mitpuppen auf die Bühne bringt. Mit Muppets Show hat es wenig zu tun. Mit der Inszenierung hat Jörg Gade wieder einmal den Ruf des TfN als experimentierfreudige Bühne bestätigt.



Das Stück in der Selbstdarstellung
Der Spielplan im TfN

Die Auszeichnungen für Avenue Q