Mittwoch, 31. Dezember 2014

Meine Höhepunkte



Ein persönlicher Rückblick auf das Kulturgeschehen in 2014

Es war viel los "uff de gass", deswegen ohne viele Worte und mit einigen Bildern das Jahr 2014 im Rückblick mit sehr persönlichen Kriterien. Fortsetzung folgt.

In der Kategorie Theater

Die rasanteste Inszenierung: Der Fall der Götter am DT.

Die Komödie mit dem verzerrsten Gesichtern: La Mandragola in Nordhausen


Die Inszenierung mit dem meisten Klößen im Hals: Eine Stille für Frau
Karasch am TfN in Hildesheim. 

Die Inszenierung mit dem meisten "Betretenes
Schweigen im Publikum": Fast normal am TfN
Die Inszenierung mit dem größten Abenteuer-Appeal: Ronja Räubertochter in
Bad Gandersheim.


Die Inszenierung mit dem größten Mutmacher-Effekt: "Der Raub des
Prinzen Hugo" in Sonderhausen

Die Inszenierung mit der Schlussfrage "Verdammte Hacke, warum kann es
nicht endlich mal ein Happy End geben?" Orpheus steigt herab in Nordhausen.
Niemand kann so wütend sein wie Gunter Heun in "Die  Sommerfrische"
in Bad Gandersheim


Die Entdeckung des Sommer: Anne Preuckeler (rechts) in
"Gefährliche Liebschaften" in Bad Gandersheim.





In der Kategorie Musik

Gleich zweimal das beste Konzert: Stefan Gwildis in Göttingen und in Herzberg

Einmal das geilste Konzert: Jan Delay in Göttingen


Das Konzert mit dem höchsten Selbsterkenntniswert: Dirk Schäfer und das
Brel-Programm "Doch davon nicht genug" in Bad Gandersheim


Oper kann so schön schräg sein: Jochen Kowalski (mit Handschuh) in
George am TfN in Hildesheim.


In der Kategorie Begegnungen

Pepe Romero mit Gitarre, Frau und Interview in Walkenried









Montag, 29. Dezember 2014

Keine Kompromisse

Karsten Zinser und Tobias Schwencke erarbeiten sich Jacques Brel im JT

Das Programm heißt "Karsten Zinser singt Brel", richtiger wäre "Zinser erarbeitet Brel". Auf jeden Fall liefert er mit Tobias Schwencke am Klavier einen weiteren Beitrag zur Renaissance des großen Chansonnier und dieser Beitrag hat durchaus ein größeres Publikum verdient.
Aber ein, zwei Fragen sollten vorweg geklärt werden. Was macht die Faszination von Jacques Brel aus? Warum erlebt er derzeit eine Wiedergeburt? Zinser und Schwencke sind nicht die einzigen mit einer Hommage an den Belgier. Mit Suivre L'Etoile erschien 2013 so etwas wie das Gesamtwerk auf 20 CDs verteilt. Dirk Schäfer spielt Brel mit großen Erfolg, Dominique Horwitz tourt mit einem Brel-Programm durch voll Säle und in Karlsruhe geht der Brel-Abend in die zweite Saison. Die Liste liesse sich noch fortsetzen.
Der Reiz liegt darin, dass Brel so ganz offensichtlich aus der Zeit gefallen ist. Jacques Brel ist der Antipode. Mit einer Biografie voller Auf und Abs wirkt er in Tagen, in denen Lebensläufe designt werden, wie ein Exot. In Tagen, in denen Gefühle nur in Daily Soaps oder im Internet ausgelebt werden, wirkt seine Inbrunst verstörend. In Zeiten, in denen die political correctness  die Hoheit über die Köpfe erobert hat, wirkt die Kompromisslosigkeit seiner Lieder erfrischend. Angesichts von Akten- und Bedenkenträger, die alle geklont scheinen, wird Brel zum letzten Authentischen überhöht, zum Ausflug in das wahre Leben.
Karsten Zinser spielt Brel. 
Ihre erste Aussage zu Brel machen Zinser und Schwencke noch vor dem ersten Takt. Dort, wo der Komponist sich nicht vor großem Orchester und Streichern fürchtete, reduzieren sie das Arrangement auf Klavier und Stimme. Konzentration auf das Wesentlich lautet die Aussage. Der Text soll wirken, nicht die Geste. Deswegen gibt es auch keine Erläuterungen. Zinser leitet jeden Song mit ein paar deutschen Zeilen aus dem Text ein. Das reicht. Das Publikum an diesem Abend ist Brel-fest genug, um zu wissen, was gleich kommen wird. 
Das reduzierte Konzept setzen sie auch mit den Licht um. Die flache Beleuchtung der Bühne erweckt eher den Eindruck eines Übungsabends als den eines Liedervortrags. Schade, hier verschenken sie Potential, dass sie erst mit bei "Mathilde" andeuten.
Was spielt an solch einem Abend, angesichts der selbst gesetzten Grenze von 60 Minuten? Brel hinterließ immerhin 150 Aufnahmen und wohl mehr als 1.000 Kompositionen. Zinser und Schwencke haben einen Steigerungsfaktor bei der Auswahl eingebaut: Von nicht so ganz bekannt hin zu dem Chansons mit hohen Mitsumm-Wert. Das ist schlüssig und geht auf.
Dabei gelingt es ihnen, das gesamte Spektrum, das ganze Leben einzufangen, von der Kindheit bis zum Tod, von der ersten Liebe (Madeleine) über das Absterben der Gefühle (La Chanson de vieux Amants) bis zum furiosen Ende. 
Das Zusammenspiel von Stimme und Klavier klappt wunderbar, wenn es im Galopp dahingeht wie in "Vesoul". Doch dieses Konzept kommt an seine Grenzen, wenn Brels Poesie im Stakkato des Klaviers untergeht. Deutlich wird dies besonder bei "Ne Me Quitte Pas". Zinser lässt diese unendliche Traurigkeit auf das Auditorium niederregnen, doch Schwencke verhindert, dass man in diesem See aus musikalischen Tränen untergeht.
Aber er zeigt auch Parallelen, die andere noch nicht entdeckt haben. Sein Solo bei "Fernand" bluest schön vor sich hin. Zur Premiere hat sich Zinser zwei Rollen auferlegt. Anfangs ist er  der nervöse Eleve, der im Laufe des Abends immer stärker zum Entertainer wird. Das Hindernis Rampe überwindet er mit seinenm Ausflug bei "Les Bonbons". Doch  nun hat er das Publikum auf seiner Seite. Damit hat Zinser die Basis geschaffen für das furiose Finale mit drei Zugaben und dem grandiosen "Amsterdam", das die gesamte Welt von Jacques Brel in 2 Minuten 57 komprimiert.


Der Spielplan am Jungen Theater

Jacques Brel bei wikipedia


Montag, 15. Dezember 2014

Weihnachten ohne Zuckerguss

ensemble frauenkirche dresden mit lebhaften Programm in Kreuzgang

Wer sagt eigentlich, das Musik zu Weihnachten immer verinnerlicht, weltvergessen, leidensbetont und gravitätisch sein muss? Mit dem Programm "Fatto per la notte di natale" zeigte das ensemble frauenkirche dresden, dass die Komponisten des Barocks und der Klassik ganz anderer Meinung sind. Vom ersten bis zu letzten Takt hüpfte und jubilierte die Musik. Der eigene Anspruch des Ensembles war es, zu zeigen, wie in der Frauenkirche Weihnachten gefeiert wird. Offensichtlich ist in Dresden das Fest der Christen ein Fest der Freude.
Musik zu Weihnachten kann auch Musik mit sehr viel
Freude sein. Alle Fotos: tok
Seine unverkrampfte Haltung zur Weihnachtsmusik macht der Klangkörper gleich mit der Sinfonie G-Dur von Carl Philipp Emmanuel Bach deutlich. Aus dem Allegro assai arbeitet das ensemble frauenkrich so viel Dynamik heraus, dass es fast den ganzen Abend reichen würde. Dabei zeigt sich das Dezett als geschlossener Verband. Das Andante ist zurückhaltender im Volumen, aber verliert nicht merklich an Tempo. Die Tonsetzung bleibt präzise und prägnant, hier wird nichts verschliffen. Es ist kein Wunder zu Weihnachten, dass im Allegretto der leichte und graziöse Charakter im Stück von C.P.E Bach voll zur Geltung kommt.
Das ensemble frauenkirche geht auf die Initiative von Matthias Grünert zurück. Seit Januar 2015 ist der gebürtige Franke Kantor an der Dresdner Kirche. Seitdem konnte er wichtige Impulse nicht nur in Dresdens Hauptkirche setzten. Das ensemble versteht sich als Wegbegleitung der hauseigenen Chöre. Aber an diesem Abend im Walkenrieder Kloster beweißt das Dezett, dass es eben auch eigene musikalische Standpunkte liefert. Dabei hat Dirigent und Cembalist Matthias Grünert, ähnlich wie Jörg Faßmann an der ersten Violine, eher die Rolle eines primus inter pares inne. Seine Ensemble leitet er den ganzen Abend unauffällig, ohne Attitüde und mit leichter Hand. Dass Grünert eben auch zu den besten Instrumentalisten seines Faches gehört, zeigt er im Cembalokonzert in D-Dur von Johann Sebastian Bach.
Auch in den schwierigen Passagen gelingt dem
Ensemble eine klare und pointierte Spielweise.
Kaskaden von schnelle, quirligen Tönen fluten in diesem Hochleistungswerk von der Bühne. Matthias Grünert gibt ein enormes Tempo vor, dem die Streicher voller Freude folgen. Auch hier strudelt die Spielfreude und die Freude auf das Fest.
Dieses hohe Niveau hält das Ensemble auch in der Salzburger Sinfonie von Wolfgang Amadeus Mozart. Es zeigt mit seiner rasanten und pointierten Spielweise im Allegro di molto seine ganze Extraklasse. Für jubilierende Weihnachtsmusik braucht man keine Blechbläser. Diese Streicher schaffen es auch.
Das auch Jörg Flaßmannein primus inter pares ist, das zeigt er im Violinkonzert C-Dur von Joseph Haydn. Mit routinierter und souveränem Spiel bewältigt er die zahlreichen Tempowechsel, setzt eigene Akzente und lässt dem Ensemble doch genug Raum umzu wirken. Das Wechselspiel Solo - tutti im Allegro moderato gehört zu den Höhepunkten des Abends. Das rhythmusbetonte Presto vereint den Solisten und das Ensemble wieder.
Jörg Faßmann ist ein primus inter pares.
Alle genannten Stärken darf das ensemble frauenkirche im letzten Werk des Abends noch einmal ausspielen. Das Concerto grosso von Arcangelo Corelli, eben auch unter Fatto per la notte di natale bekannt, gibt den Ensemble mit seinen Anforderungen, den zahlreichen Stimmungswechseln , den schnellen und ansteigenden Tempo noch einmal den Boden, um die Merkmal dieses Klangkörpers zu betonen: das geschlossene Erscheinungsbild auf höchstem Niveau und die Freude am Spiel und am Zusammenspiel. Selbst das Pastorale versinkt nicht im Zuckerguss der Weltvergessenheit. Damit könnte die Dramaturgie dieses Konzert gar nicht besser sein.
Also will sich das Publikum nicht mit fünf Stücken abspeisen lassen. Wie gefordert, bekommt es mit dem dritten Satz aus Vivaldis A-Dur Konzert die wohlverdiente Zugabe.




In diesem Sinnen: Frohe dich, oh Christenheit

Das enbsemble frauenkirche dresden

Die Kreuzgang-Konzerte