Karsten Zinser und Tobias Schwencke erarbeiten sich Jacques Brel im JT
Das Programm heißt "Karsten Zinser singt Brel", richtiger wäre "Zinser erarbeitet Brel". Auf jeden Fall liefert er mit Tobias Schwencke am Klavier einen weiteren Beitrag zur Renaissance des großen Chansonnier und dieser Beitrag hat durchaus ein größeres Publikum verdient.
Aber ein, zwei Fragen sollten vorweg geklärt werden. Was macht die Faszination von Jacques Brel aus? Warum erlebt er derzeit eine Wiedergeburt? Zinser und Schwencke sind nicht die einzigen mit einer Hommage an den Belgier. Mit Suivre L'Etoile erschien 2013 so etwas wie das Gesamtwerk auf 20 CDs verteilt.
Dirk Schäfer spielt Brel mit großen Erfolg,
Dominique Horwitz tourt mit einem Brel-Programm durch voll Säle und in Karlsruhe geht der Brel-Abend in die zweite Saison. Die Liste liesse sich noch fortsetzen.
Der Reiz liegt darin, dass Brel so ganz offensichtlich aus der Zeit gefallen ist. Jacques Brel ist der Antipode. Mit einer Biografie voller Auf und Abs wirkt er in Tagen, in denen Lebensläufe designt werden, wie ein Exot. In Tagen, in denen Gefühle nur in Daily Soaps oder im Internet ausgelebt werden, wirkt seine Inbrunst verstörend. In Zeiten, in denen die political correctness die Hoheit über die Köpfe erobert hat, wirkt die Kompromisslosigkeit seiner Lieder erfrischend. Angesichts von Akten- und Bedenkenträger, die alle geklont scheinen, wird Brel zum letzten Authentischen überhöht, zum Ausflug in das wahre Leben.
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Karsten Zinser spielt Brel. |
Ihre erste Aussage zu Brel machen Zinser und Schwencke noch vor dem ersten Takt. Dort, wo der Komponist sich nicht vor großem Orchester und Streichern fürchtete, reduzieren sie das Arrangement auf Klavier und Stimme. Konzentration auf das Wesentlich lautet die Aussage. Der Text soll wirken, nicht die Geste. Deswegen gibt es auch keine Erläuterungen. Zinser leitet jeden Song mit ein paar deutschen Zeilen aus dem Text ein. Das reicht. Das Publikum an diesem Abend ist Brel-fest genug, um zu wissen, was gleich kommen wird.
Das reduzierte Konzept setzen sie auch mit den Licht um. Die flache Beleuchtung der Bühne erweckt eher den Eindruck eines Übungsabends als den eines Liedervortrags. Schade, hier verschenken sie Potential, dass sie erst mit bei "Mathilde" andeuten.
Was spielt an solch einem Abend, angesichts der selbst gesetzten Grenze von 60 Minuten? Brel hinterließ immerhin 150 Aufnahmen und wohl mehr als 1.000 Kompositionen. Zinser und Schwencke haben einen Steigerungsfaktor bei der Auswahl eingebaut: Von nicht so ganz bekannt hin zu dem Chansons mit hohen Mitsumm-Wert. Das ist schlüssig und geht auf.
Dabei gelingt es ihnen, das gesamte Spektrum, das ganze Leben einzufangen, von der Kindheit bis zum Tod, von der ersten Liebe (Madeleine) über das Absterben der Gefühle (La Chanson de vieux Amants) bis zum furiosen Ende.
Das Zusammenspiel von Stimme und Klavier klappt wunderbar, wenn es im Galopp dahingeht wie in "Vesoul". Doch dieses Konzept kommt an seine Grenzen, wenn Brels Poesie im Stakkato des Klaviers untergeht. Deutlich wird dies besonder bei "Ne Me Quitte Pas". Zinser lässt diese unendliche Traurigkeit auf das Auditorium niederregnen, doch Schwencke verhindert, dass man in diesem See aus musikalischen Tränen untergeht.
Aber er zeigt auch Parallelen, die andere noch nicht entdeckt haben. Sein Solo bei "Fernand" bluest schön vor sich hin. Zur Premiere hat sich Zinser zwei Rollen auferlegt. Anfangs ist er der nervöse Eleve, der im Laufe des Abends immer stärker zum Entertainer wird. Das Hindernis Rampe überwindet er mit seinenm Ausflug bei "Les Bonbons". Doch nun hat er das Publikum auf seiner Seite. Damit hat Zinser die Basis geschaffen für das furiose Finale mit drei Zugaben und dem grandiosen "Amsterdam", das die gesamte Welt von Jacques Brel in 2 Minuten 57 komprimiert.