Mittwoch, 28. Juni 2023

Die Quintessenz des Theaters

Das Beste zum Schluss: DT spielt Cyrano de Bergerac

Besser kann das Ende der Spielzeit nicht sein und Annette Pullen ist der große Wurf gelungen. Mit einer furiosen Inszenierung von „Cyrano de Bergerac“ in der Bearbeitung von Martin Crimp verabschiedet sich das Deutsche Theater Göttingen in die Sommerpause.

Es ist die Quintessenz des Theaters. Komik, Slapstick, Selbstironie, Zeitkritik, Liebenund andere große Gefühle und zum Schluss tiefe Verzweiflung. Diese Inszenierung zeigt alles, was am Theater so fasziniert. Am Ende bleibt die Einsicht, dass man das Leben von drei Personen nicht auf einer Lüge aufbauen kann. Da ist tiefster Schmerz vorprogrammiert.

Martin Crimp hat das Werk von Edmond Rostand in die Jetztzeit gebracht. Regisseurin Annette Pullen mischt in ihrer Inszenierung die Zeiten, um deutlich zu machen, dass es das alles irgendwie schon mal und immer gab. Damit verhandelt sie auf eindrucksvolle Weise die große Gefühle der Menscheit.

Perücken und Sonnenbrillen, Rüschenhemd und T-Shirt. Auch die Kostüme von Katharina Weissenborn sind ein Mix der Jahrhunderte und verstärkten damit den Anspruch auf Überzeitlichkeit. Das bereit dem Publikum Freude.

Die Personen

Das Landei Christian kommt in Stadt und stolpert gleich in die Pariser Theaterboheme.cEr ist auf dem Weg zum Militär und dieser Einstieg erinnert doch sehr an den vAuftakt von „Hair“. Auch dessen Verwirrspiel endet tödlich. Doch wer sich da von wem hat inspirieren lassen, die Frage ist zweitrangig.

Auf jeden Fall wird klar, dass sich die Dichter- und Dramatiker-Szene sich schon vor 400 Jahre mit den Problemen von heute herumärgern musste, mi
t Sprachpolizei, mit offener und versteckter Zensur, mit zweifelhaften Gönnern, mit Halbbegabten und mit talentfreien Protegés.

Auf jeden Fall überzeugt Daniel Mühe in seiner Rolle als der Überforderte schon an dieser Stelle. Die zögerliche Stimme und die Körperhaltung sind Schüchternheit pur. Da spielt Ronny Thalmeyer in der Rolle des Grafen de Guiche in einer anderen nGewichtsklasse. Mit enormer Präsenz und einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet, beherrscht er die Bühne. Seine spröden Auftritte als tollpatschiger Liebhaber machen die Figur rund.

Nathalie Thiede in der Rolle der umworbenen Schönheit Roxane gelingt ein anspruchsvoller Spagat. Im ersten Akt verkörpert sie mit Elan und ausholenden Bewegungen mitreißend die frisch Verliebte. Ihr fehlt eindeutig die Reife, um den offensichtlichen Betrug gleich zu durchschauen. Thiede Spiel eröffnet sogar die Frage, ob Roxane in ihrer Oberflächlichkeit betrogen werden wollte. Im zweiten Akt ist ihr beredtes Schweigen und das versteinerte Gesicht das Zeichen der tiefen Enttäuschung. Roxane ist am Ende ihrer Leidensfähigkeit.

Aber es ist eindeutig Gabriel von Berlepsch, der dieser Inszenierung seinen Stempel aufdrückt. Die Grenzen zwischen Darsteller und Rolle verschwinden und Berlepsch schafft es, alle Facetten des nicht einfachen Helden Cyrano gleichwertig auf die Bühne zu bringen. Er tobt, wenn er toben muss, und er schwelgt, wenn er schwelgen muss. Er ist Raufbold und Schwärmer zugleich, das sind die beiden Seiten derselben Person.

Es ist gelungene Gestik. Brust raus und Rücken straff. Mit dem Degen in der Hand stolziert von Berlepsch wie ein Gockel durch die Arne. Kaum trifft er auf Roxane, macht er sich klein, macht sich rund, zieht die Schultern ein und senkt die Lautstärke um sechs Dezibel. Honig mischt sich in die knarzige Stimme. Aber er schaut mit ihr zusammen nie in den Himmel. Der Raufbold und Dichter wagt nichts und bleibt ein Theoretiker der Liebe.

Es sind die poetischen Momente, wenn Cyrano mit großen Gesten und Begeisterung seine Texte in die Luft schreibt, wenn er seine Mitmenschen dazu einlädt, zum Himmel aufzuschauen, die diese Aufführung so sehenswert machen. Sie steigern diebFallhöhe ins Unendliche und deswegen wird der Schmerz am Ende umso größer.

Es sind diese Momente, in denen das Publikum hofft, Cyrano würde endlich reinen Tisch machen und das Possenspiel zu einem guten Ende bringen. Man möchte Sally Brown zitieren, die ihrem Bruder Charlie zuruft: „Nun küss sie schon, du Idiot!“bCyrano fehlt die Traute und er lebt lieber in der Lüge. Oder steckt hinterb seiner Selbstlosigkeit am Ende Berechnung?. Auf jeden Fall scheitern mit ihm zusammen alle Beteiligten an seinem Machismo.

Der Absturz

Das heitere Treiben im lichtdurchfluteten ersten Akt kontrastiert Annette Pullen mit einem düsteren zweiten Akt. Die Beleuchtung wird nun zum bestimmenden Element auf und neben der Bühne. Das zeigt sich vor allen in der Schlacht von Arras.

Annette Pullen inszeniert diese Szene wie einen Schützengraben in Flandern dreihundert Jahre später. Taschenlampen sind die einzige Beleuchtung und die Militärs sprechen die Sprache der Technokraten des Todes. Da schwelgt nichts im Barocken und damit untermauert die Regisseurin wieder den Anspruch auf Überzeitlichkeit.

Die Realität ist eingedrungen in die Welt der Poeten und Narren. Der Krieg bedeutetbauch für Cyrano, Christian und Roxane eine Zeitenwende. Die Ménage-à-trois, dieses poetische Lügengebäude, hält dem äußerem Druck nicht stand. Als Christian die Zusammenhänge und das Ausmaß des Selbstbetrugs erkennt, sucht und findet er den Tod. Wenigstens einmal im Leben kann er wsich als Held inszenieren.

Der Rest ist nur noch Schmerz. Nach dem Krieg ist nichts mehr so, wie es einst war. Dramatiker Lignière istvauf Krücken angewiesen und macht auf Seifenoper. Die Welt der Boheme liegt in Trümmern und Dichterin Leila Ragueneau erkennt, dass niemand mehr auf Poesie und Reime angewiesen ist. Also ist Cyranos Tod nur logisch. Mit Verzögerung stirbt er symbolträchtig an den Spätfolgen der Schlacht von Arras.

Roxane bleibt zurück mit der einsamen Erkenntnis, dass alles anders gekommen wäre, wenn sie schon früher deutlich gemacht hätte, dass schöne Verse ihr mehr bedeuten als schöne Nasen.

Gelungen ist nur ein unzureichendes Urteil für diese Inszenierung. Annette Pullen und demb Team des DT Göttingen ist gelungen, in 100 Minuten alles das zu zeigen, was die Faszination der Bühne ausmacht. Es ist eine Inszenierung; die unter die Haut geht mit ihrer direkten Ansprache und mit den Verweisen über die Zeiten hinweg.







Dienstag, 27. Juni 2023

Mozart und Marley sind Cousins

Gelungenes Crossover: Uwaga! bei den Kreuzgangkonzerten

Schubladen haben keinen Sinn und die Grenzen sind fließend. Das ist das Konzept von Crossover. Mit Uwaga! war am Freitag einer der Pioniere dieser musikalischen Spielart zu Gast bei den Kreuzgangkonzerten. Das Quartett hat deutlich gemacht, dass Crossover nichts für den Kopf ist sondern für das Tanzbein. Er kann auch Spaß machen.

Im Südharz war bisher nicht bekannt, dass die Violine eigentlich die kleine Schwester der E-Gitarre ist. Diese Wissenslücke haben Christoph König und Maurice Maurer am vergangenen Wochenende geschlossen. Ein ums andere Mal duellierten sich die beiden Virtuosen wie einst Peter Frampton und Jimmy Page und andere Gitarrenhelden der 70-er Jahre.

Um so etwas leisten zu können, muss man sein Streichinstrument schon exzellent beherrschen. Es verlangt zudem ein gewisses Maß an blindem Verständnis. Nur wer ganz genau hinhörte, bemerkte die zwei bis drei verpatzten Einsätze. Doch das tat der Stimmung keinen Abbruch.

Die Abwesenheit von Notenständern ist die nächste Parallele zur Rockmusik. Alles, was ertönt, liegt irgendwo zwischen knallhart einstudiert und frisch improvisiert. Nur Kontrabassist Jakob Kühnemann schaute gelegentlich aufs Blatt.

Dabei ging der Abend so ruhig los. Maurer schwelgte auf der Violine in weit ausholenden Bewegungen in Melancholie, dann bekam er Unterstützung von Miroslav Nisic am Akkordeon. Als dann König und Kühnemann einstimmten, nahm der Zug durch die musikalischen Welten deutlich an Fahrt auf und dieser Zug hatte keine Bremsen.

Es ging kreuz und quer durch den Kräutergarten, die Jahrhunderte und die Stilrichtungen. Balkan Beats trafen auf Barock und die zwei Geigen von Johann Sebastian Bach klangen, als wäre es eigentlich ein Song von Led Zeppelin. Bei der Gelegenheit hat das Quartett gleich noch eine Wissenslücke geschlossen: Wolfgang Amadeus Mozart war im tiefsten Herzen Rastafari und Cousin des Reggaegotts Bob Marley.

Uwaga! mischen seit 10 Jahren nicht nur erfolgreich Klassik und Rock. Die Basis ist vielmehr der Jazz und sein Verständnis des gemeinsamen Improvisierens und Entwickelns. Klingt trocken, geht aber ab wie The Who ohne Keith Moon.

Die Rhythmusgruppe fehlt im Quartett. Doch das brauchen die vier Musiker auch gar nicht. Denn eine Geige kann auch eine Bongo sein und ein Akkordeon ersetzt sowie ein vollwertiges Drumset.

Der Zug hatte keine Bremsen, aber immerhin einen kleinen Gang. Dass Uwaga! auch die langsamen Melodien beherrscht, bewiesen die vier mit der Eigenkomposition „Kein Weltuntergang“. Die fünf Minuten 45 zum Durchatmen waren an der Stelle auch nötig.

Doch die größte Überraschung lauerte an diesem Abend im Hintergrund. Eine dreiviertel Stunde lang mimte Jakob Kühnemann den soliden Bassisten, der für andere den musikalischen Teppich auslegt. Dann setzte er zu seinem ersten Solo an und eröffnete eine neue Klangwelt.

Er strich, er zupfte, er klopfte, er groovte und swingte und der Zuhörer wünschte, dass es niemals aufhören möge. Musste es dann doch irgendwann, aber Kühnemann konnte an diesem Abend mehrfach beweisen, dass er seine zahlreichen Auszeichnungen zu Recht bekommen hat.

Anfangs fremdelte das Publikum ein wenig mit der überbordenden Darbietung, aber spätestens nach dem Bach-Werk in der Led-Zeppelin-Version hagelte es Beifall. Doch Headbangen hat sich dann keiner getraut. Einzig der Zuschauerzuspruch hätte größer ausfallen können, ja müssen. Doch bestimmt bekommen die Südharzer noch einmal das Angebot, zusammen mit Uwaga! Wissenslücken zu schließen. Das Angebot sollten sie nicht ablehnen.