Komisch, befremdlich, tieftraurig, optimisch und auf alle Fälle anrührend

Supergute Tage im Theater für Niedersachsen

Wie bringt eine Handlung, die auf Innerlichkeit beruht, in die Äußerlichkeit einer Theaterbühne? Jörg Gade hat es vorgemacht. Seine Inszenierung von "Supergute Tage oder die sonderbare Welt des Christopher Boone" am Theater für Niedersachsen ist befremdlich und mitfühlend, tieftraurig und optimistisch, erschreckend und komisch und auf alle Fälle anrührend. Der Erfolg beruht auch auf dem mitreißenden Spiel der beiden Hauptdarsteller Marek Egert und Martin Schwartengräber.

Christopher Boone ist 15 Jahre alt und an Asperger erkrankt. Er besucht eine Förderschule und lebt mit seinem Vater zusammen. Eines Abends entdeckt er den toten Hund der Nachbarin Mrs. Shears. Mr Wellington wurde mit einer Forke in ihrem Vorgarten ermordet. Trotz väterlichem Verbot macht sich Christopher auf die Suche nach dem Mörder.

Mit seinen unbedarften Fragen und seinen offensichtlichen Ängsten bringt er die Fassaden der Erwachsenen zum Wanken und auch zum Einstürzen. Auf dem Weg zur Wahrheit muss er viele Enttäuschungen hinnehmen. Er verliert das Vertrauen und findet es wieder und er gewinnt jede Menge Selbstbewusstsein und letztendlich findet er seine tot geglaubte Mutter wieder.

Die schwierige Vater-Sohn-Beziehung eskaliert.
Alle Fotos: Jochen Quast 
"Supergute Tage oder die sonderbare Welt des Christopher Boone" oder besser im Original "The curious Incident of the Dog in the Night-Time" war das erste "Erwachsenenbuch" von Mark Haddon. Zuvor hatte er sich einen Namen als Autor von  Kinder- und Jugendbücher gemacht.

Im Prinzip bleibt das Werk ein klassischer Entwicklungsroman. Aber in Form des besonders schutzbedürftigen Christopher Boone macht Haddon deutlich, wie wichtig es ist, das menschliche Miteinander auf der Basis von Vertrauen und Empathie aufzubauen; auch bei Erwachsenen.

Genau dies macht die Inszenierung von Jörg Gade deutlich. Das liegt am gelungenen Gesamtpaket aus Dramaturgie und Bühnenbild und vor allem den beiden Hauptdarstellern.

Seien es die fahrigen Bewegungen,  die nervösen Finger, die schleppende Sprechweise oder stets gebückte Haltung. Mit jedem Detail macht Marek Egert die Verletzlichkeit des Asperger-Autisten Christopher Boone deutlich, geradezu direkt erfahrbar. Wenn er leidet, dann leidet das Publikum mit und wenn er seine Hilflosigkeit herausbrüllt, dann möchte das Publikum mitbrüllen. In den Momente des Schweigens schluckt man den Kloß im Hals hinunter oder man wäscht sich das Pipi aus den Augen. Das gilt vor allem für Wiederentdeckung der Modelleisenbahn als Anker in eine vermeintlich heile Vergangenheit

"Rain Man" war Kindergeburtstag, Christopher Boone ist Realität. Egert liefert eine Leistung voller Empathie ab und deswegen freut sich das Publikum um so mehr, als der scheinbar Behinderte über sich hinauswächst, die Ängste überwindet, seinen Weg in einem vermeintlichen Chaos und sich der Kontrolle durch Eltern und Erzieher zum Teil entzieht.

Die Wiederentdeckung der Modelleisenbahn ist ein
Anker in die Vergangenheit. Foto: J. Quast
Martin Schwartengräber gelingt es in der Rolle des Vaters Ed Boone die anderen Akzente zu setzen. Ständig changiert er zwischen Entschlossenheit und latenter Überforderung. Da ist immer wieder dieser nervöse Griff ins eigene Haar, die breitbeinige Posen sollen nur kaschieren, aber die Stimme verrät die eigene Unsicherheit. Schwartengräber blättert die gesamte Tiefe dieser Person auf.

Weiß, abgeschlossen und eng. Das Bühnenbild von Hannes Neumaier vermittelt auf dem ersten Blick klaustrophobische Beklemmungen. Es steht für die Enge und Abgeschlossenheit des Mikrokosmos einer Kleinstadt und Christophers Eingesperrt sein in seiner eigenen Gefühlswelt. Die Lichtführung verstärkt  diesen Eindruck immer wieder.

Dann sind da immer wieder die Türen, die von rechts und links auf die Spielfläche fahren. Den Zuschauern versperren sie den Blick in die Tiefe und zergliedern den Mikrokosmos Kleinstadt in immer kleinere Teile. für Christopher sind es unüberwindbare Hürden,

Die unerwarteten Tempowechsel machen diese Inszenierung so eindringlich. Auf ruhige Erzähl-Phasen folgen unvermittelt Schreie und Getrampel und dann auf einmal Momente des Schweigens. Besonders die London-Sequenz ist davon geprägt. Aus der Enge des Kleinstadt Swindon wird schlagartig das rasante Treiben der Millionenstadt. So macht Gade das Chaos im Kopfe des Kranken deutlich. Damit liefert das TfN eine intelligente Aufführung ab, die nicht nur Herz hat sondern intelligent vermitteln kann. Damit ist "Supergute Tage" wohl so etwas wie ein komplettes Werk.



TfN #1: Der Spielplan
TfN #2: Das Stück

Stück #1: Der Autor




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