Direkt zum Hauptbereich

Mehr als schöne Bilder

Ein Telemann-Ballett am Theater für Niedersachsen

Lauter Amateure und trotzdem ein ambitioniertes Tanzprojekt. Kann das klappen? Ja, das kann. Dies zeigt zumindest der Ballettabend "Kann man das tanzen?" des Theaterpädagogischen Zentrum Hildesheim am Theater für Niedersachsen.

250 Jahre ist Georg Philipp Telemann nun also schon tot. Das muss man irgendwie feiern. Also ist das Tanztheater zu Telemanns "Auferstehung und Himmelfahrt" der Hildesheimer Beitrag zum Gedenkjahr. Ohne seine Hildesheimer Erfahrungen und die Förderung vor Ort wäre Telemann wahrscheinlich nie Profi-Musiker geworden. Da entbehrt es nicht einer gewissen Spitzfindigkeit, ihm mit einem Amateurprojekt zu ehren.

Grundlage des Oratoriums "Auferstehung und Himmelfahrt Jesu" ist ein Libretto von Karl Wilhelm Ramler, das in die empfindsame Phase fällt. Durch Telemanns eigene Dramatik erfährt es eine deutliche Aufwertung, die durch filigrane Tonstrukturen kontrastiert und aufgebrochen wird. Nicht umsonst gilt er damit als musikalischer Maler. Weil er sich von den Vorgaben der Lehrmeister löste, ist er ein wichtiger Impulsgeber für die Barockmusik.
Doch, die können tanzen. Foto: Harald Kiesel

Mit den zahlreichen Rezitativen und Unterstreichungen und Wiederholungen schafft Telemann hier eindrucksvolle Stimmungen. Die Capella Principale unter der Leitung von Jochen M. Arnold schafft es, eben diese feinen Strukturen hörbar zu machen und eben auch jene ganze Vielfalt in diesem einen Werk zur Geltung zu bringen.

Besonders die Streicher mit Miriam Risch und Constanze Winkelmann begeistern mit einem klaren Spiel. Gleiches gilt für Brian Berryman und Marion Schack an den Flöten. Aber das Ensemble überzeugt vor allem mit einer klaren Mannschaftsleistung.

Dagegen geraten die Solisten von Gli Scarlattisti leider manchmal in den Hintergrund. Gelegentlich fehlt es einfach an Volumen. Nur im Chor können sie durchgängig durchdringen.

Überraschend gut sind die vierzig Laientänzer. Die Choreographie ist eine Gemeinschaftsproduktion von Uta Engel, Judith Hölscher und Nicole Pohnert. Sie wissen die Fähigkeiten und Mittel ihrer Darsteller genau einzusetzen, denn von Amateuren kann man einfach keine passgenauen Pirouetten und Spitzentanz erwarten. Also verbleibt die Choreographie zumeist am Boden und baut auf die Ausdrucksmittel des Modern Dance. Gerade die Massenszenen sind ausdrucksstark und eindrucksvoll.

Der Heilige Geist wird ausgeschüttet.
Foto: H. Kieser 
Dennoch entstehen beeindruckende Bilder. Schon der Einstieg mit dem Zug der Zahllosen durch den Bühnennebel sorgt für das erste Staunen. Fast unbemerkt wird der leichnam Jesu Christi im Hintergrund über die Tanzfläche getragen. Man muss also durchaus auf die Details achten.

Überhaupt ist das Lichtdesign von Jörg Finger ein bestimmender Teil der Inszenierung. Er setzt nicht nur Punkte, sondern macht das Licht sogar zum Handlungsträger.  Tänzer und Licht treten mehrfach in einen Dialog, so bei der Ausschüttung des heiligen Geistes.

Ohne Solisten baut die Choreographie vor allem auf die Mannschaftsleistung und gemeinsam hinterlässt das Ensemble bleibende Eindrücke. Dabei setzten sie auf eine verständliche Sprache und nachvollziehbare Aussagen. Der Reiz dieser Choreographie liegt in der Konzentration auf die einfachen Mittel. Das wird besonders nach Arie 4 und der Öffnung des Grabes deutlich.

Was aber so einfach erscheint, ist bis ins Detail durchdacht. Mit ihrer Ausstattung und dem Kostümwechsel unterstreicht Anne-Katrin Gendolla den Wandel von der tieftraurigen Grablegung an Ostern zur optimistischen Zusammenkunft der elf überlebenden Jünger zu Pfingsten.

Auch wenn es ein Abend der Smartphones und mitfilmenden Verwandten war, haben sich alle Beteiligten den tobenden Applaus verdient.




Darsteller #1: Das TPZ Hildesheim
Darsteller #2: Das Projekt

Gastgeber #1: Das Theater für Niedersachsen

Der Komponist #1: Georg Philipp Telemann bei wikipedia
Der Komponist #2: Die Zeit in Zellerfeld und in Hildesheim


 



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Dieter Nuhr offenbart sich als Menschenfreund in Vollzeit

In Goslar zeigt er Werke, die Distanz schaffen Seit dem Auftritt von Christo hat keine Werkschau in Goslar solch ein Aufsehen erregt. Dieter Nuhr stellt dort aus unter dem Titel „Du denkst an durchfahrene Länder“. Es geht um Menschen und Landschaft, denen der Mann vom Niederrhein auf seinen Reisen um die Welt begegnet ist.  Zur Vernissage am 21. Juli war der Garten im Mönchehaus Museum bis auf den wirklich allerletzten Platz belegt. Direktorin Bettina Ruhrberg und Dieter Nuhr machten im Einführungsgespräch deutlich, dass man den Kabarettisten und Künstler voneinander trennen sollte, auch wenn es nicht immer gelingt. Schließlich geht es um zwei Seiten derselben Person.  Dieter Nuhr begann sein Studium als Kunstlehrer 1981 an der Folkwangschule in Essen. Er wollte Künstler werden, sein Vater bestand auf den Lehrer. ein typischer Kompromiss für die alte Bundesrepublik der 70-er und 80-er Jahre. Dass er dann Kabarettist geworden ist, bezeichnete er als Unfall und dann als Glücksfa...

Grell und schnell in Richtung gestern

"Deutsches Haus" ist Heim für überlebende Hirnspender Ein Ensemble in Höchstform, ein Bühnenbild zum Fürchten, eine rasante Inszenierung mit Rocky Horror Momenten und jede menge laute und leise Lacher. Die Uraufführung von Philipp Löhles Eigenwerk "Deutsches Haus" in Eigenregie am Deutschen Theater in Göttingen überzeugt. Doch eins sollte man nicht machen: Diese Komödie zum Politikersatz hochstilisieren. Die Aufführung beginnt mit einem Aha-Effekt. Das Bühnenbild von Thomas Pump verlängert den Plüsch des altehrwürdigen Dekors des DT Göttingen bis auf die Brücke. Das ist nicht neu und gab es in Göttingen vor vielen Jahren schon einmal beim "Zauberberg" zu sehen. Aber es wirkt immer noch. Diese  bauliche Maßnahme durchbricht noch vor Spielbeginn die "vierte Wand" und macht dem Publikum deutlich: Ihr seid ein Teil der Inszenierung! Immer eine Kann in der Hand: Im  "Deutschen Haus" wird gebechtert wie in einer Dorfkneipe. Fotos: DT Gö/ Thom...

Wie ein Kostümfest in Nordhausen

Idomeneo wird zerrieben zwischen Kohl und Sohn Mozart "Idomeneo" erlebt selten eine Aufführung und das hat gute Gründe. Wer das schwächelnde Werk auf den Spielplan setzt, muss eine starke Inszenierung in der Hinterhand haben. Das kann Nordhausens Operndirektor Benjamin Prins nicht von sich sagen. Bei der Premiere zeigt seine Inszenierung einige starke Szenen, die reichen aber nicht, um die Aufführung zum Gewinn für das Publikum zu machen. Trotz der Kürzungen an der Vorlage gibt es an diesem Abend über weite Strecken mehr Fragezeichen als Antworten. Die Aufführung bietet gleich zu Anfang einen mutigen Schritt, von dem das Publikum profitiert. Thomas Kohl schlüpft in die Rolle des Erzähler, der Vorgeschichte und aktuelle Ereignisse vorträgt, die Beziehungen der Akteure und ihre Motivation erläutert. Der auktoriale Erzähler im Bild ist ein Hilfsmittel aus den B-Movies der 50 Jahre, bis er in der Rocky Horror Picture Show als Karikatur endet. Sohn und Vater im Dauerkonflikt. F...