Direkt zum Hauptbereich

Ein leichtes Spiel für Jago

"Otello" am Theater Nordhausen zeigt Studie eines rasanten Verfalls

Zum 100. Geburtstag hat sich das Theater mit Verdis "Otello" mit einer Ausstattungsoper erster Güte selbst beschert. Die Inszenierung von Anette Leistenschneider pflegt die traditionelle Aufführungspraxis und erfreut die Freunde werkimmanenter Interpretationen. Unter der Leitung von Michael Helmrath zeigt das Loh-Orchester eine begeisternde Leistung, die alle Anforderungen übererfüllt.

Musikalisch packt Verdi in diesem Spätwerk alles aus. Die Arbeit an seine Wunschprojekt beginnt er 13 Jahre  nach der Uraufführung der Aida. Das liegt auch daran, dass Arrigo Boito ein Liebretto vorlegt, dass Shakespeares Werk noch einmal straffte. Konzeptionell bedeutet diese Oper für Verdi einen weiteren Schritt nach vorn. Mit Otello wendet sich der Komponist endgültig von der Nummernoper ab und legt ein Stück aus einem Guss vor, durchkomponiert von der ersten Note bis zum traurigen Ende

Die Ouvertüre ist klanggewaltig. Sie lässt einen gewaltigen Sturm über das Publikum hinwegbrausen, begleitet vom Chor. Das Loh-Orchester nutzt gleich die erste Chance, um die eigene Klasse unter der Leitung von Michael Helmrath unter Beweis zu stellen.

Orchester und Chor harmonieren hier wunderbar. Jeder lässt den anderen dem Raum, den er benötigt. Das war in Nordhausen nicht immer so und somit ist die neue Harmonie ein weiteres Indiz für die positive Entwicklung, die das Orchester unter Helmrath gemacht hat.

Das Gift der Verleumdung: Jago hat
Otello fest in der Hand. Foto: TNLos! 
Überhaupt kommt hat Verdi dem Chor in diesem Werk eine tragende Rolle zugeschrieben. Markus Popp ist es gelungen, Opernchor, Extrachor und Kinderchor zu einer Einheit zusammenzufügen und  somit eben jenen hohen Anforderungen mehr als gerecht zu werden.

Wie schon an anderer Stelle mehrfach ausgeführt, dürfte auch dieses Stück nicht "Otello" heißen, sondern "Jago". Der Enttäuschte wird zum Intriganten, zum Strippenzieher und Lenker. Die Inszenierung von Anette Leistenschneider bleibt dieser Sichtweise treu und liefert damit ein feines Psychogramm des Perfiden und des Abhängigen. Es ist eine Studie darüber, wie schnell Hierarchien kippen können. Mit Krum Galabow hat sie dafür die passende Besetzung gefunden.

Der Bariton bietet eine erstaunliche Spannweite. Er beherrscht die leisen, schmeichelnden Passagen ebenso wie den Zorn in der "Credo in un Dio"-Arie. An Schluss des zweiten Aktes ist er die treibende Kraft im "Si, pel ciel marmoreo giuro!"-Arie.

Auch darstellerisch weiß Galabow als Jago zu überzeugen. So hat er Michael Austin in der Titelrolle einiges voraus. Dessen Mimik bewegt sich meist im Bereich zorniger junger Mann. In der Rolle es Otello hat Verdi den "tenore di grazia" mit dem "tenore di forza" und dem Spintotenor zusammengefasst. Leider legen Leistenschneider und Austin den Schwerpunkt aber eindeutig auf den Heldentenor. Das nimmt der Inszenierung einige Entwicklungsmöglichkeiten. Damit ist der dramaturgische Weg vorgezeichnet. Der seelische Verfall des einstigen Helden findet in wenigen Sekunden statt, in zu wenigen.

Eine echte Entdeckung dieser Inszenierung ist Kyounghan Seo in der Rolle des Cassio. Sein Tenor ist jugendlich und forciert und zeigt doch Lyrik an den Stellen, an denen sie erforderlich ist. Dazu kommt ein Spiel, das durchaus schon als ausgereift gelten kann.

Hätte Desdemona einst so gesungen, wie Zinzi Frohwein in dieser Aufführung, da wäre ihr das finstere Schicksal erspart geblieben. Wer beim "Piangea cantando nell'emma landa"-Solo nicht dahin schmilzt, der hat kein Herz und sollte mit Jago eine Selbsthifegruppe eröffnen.

Hier wird gleich gestorben.
Foto: TNLos!
Wie in der bisherigen Adaption lebt auch diese Inszenierung von Kontrast zwischen dem absoluten Bösem verkörpert in Jago und reinen Unschuld der Desdemona. Madonnenhaft gleitet Frohwein über die Bühne, allgegenwärtig steht die Figur am rechten Bühnenrand und für alle, die es immer noch nicht verstanden haben, lassen Verdi und Leistenschneider eine Mutter-Prozession über die Bühne ziehen.

Aber diese Aufführung eröffnet auch eine neue Perspektive. Der Konflikt zwischen dem tobsüchtigem Otello und seiner ahnungslosen Gattin ist ein Paradebeispiel häuslicher Gewalt. Leider  wird dieser Aspekt nicht gänzlich ausgearbeitet.

Die Kostüme von Anja Schulz-Hentrich tragen dazu bei. Wallende Gewänder wie man sie sich vor 100 Jahren für die aufkeimende Neuzeit vorgestellt. Die Männer in Leder gekleidet, die Dame des Hauses in Samt und Brokat. Fast könnte man denken, das Theater Nordhausen hat sich zum 100. Geburtstag eine Oper geschenkt, die man auch zur Eröffnung gern gesehen hätte.

Schade, etwas mehr Mut zur Jetztzeit hätte die Inszenierung aus dem Historismus geholfen. Aber auf jeden Fall bleibt eine Inszenierung, die mit Farbenpracht und eindrucksvollen Massenszenen die Freunde traditioneller Aufführungen mehr als zufrieden stellt.




Theater Nordhausen #1: Der Spielplan
Theater Nordhausen #2: Die Inszenierung


Verdi #1: Die Biografie
Verdi #2: Otello - Die Oper

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Dieter Nuhr offenbart sich als Menschenfreund in Vollzeit

In Goslar zeigt er Werke, die Distanz schaffen Seit dem Auftritt von Christo hat keine Werkschau in Goslar solch ein Aufsehen erregt. Dieter Nuhr stellt dort aus unter dem Titel „Du denkst an durchfahrene Länder“. Es geht um Menschen und Landschaft, denen der Mann vom Niederrhein auf seinen Reisen um die Welt begegnet ist.  Zur Vernissage am 21. Juli war der Garten im Mönchehaus Museum bis auf den wirklich allerletzten Platz belegt. Direktorin Bettina Ruhrberg und Dieter Nuhr machten im Einführungsgespräch deutlich, dass man den Kabarettisten und Künstler voneinander trennen sollte, auch wenn es nicht immer gelingt. Schließlich geht es um zwei Seiten derselben Person.  Dieter Nuhr begann sein Studium als Kunstlehrer 1981 an der Folkwangschule in Essen. Er wollte Künstler werden, sein Vater bestand auf den Lehrer. ein typischer Kompromiss für die alte Bundesrepublik der 70-er und 80-er Jahre. Dass er dann Kabarettist geworden ist, bezeichnete er als Unfall und dann als Glücksfa...

Hier zerbricht mehr als nur ein Krug

Beichl verschiebt Kleist in die Gegenwart  Der Meister des Klischees und der Plattitüden überrascht positiv. Mit seinem "Zerbrochenen Krug" am Deutschen Theater Göttingen legt Moritz  Beichl legt eine Inszenierung vor, die Themen zu Tage fördert, die ansonsten unter dem Deckel das Schwanks verborgen bleiben. Damit macht er aus dem Klassiker der Aufklärung ein Stück für die Gegenwart. Premiere war am 7. Dezember. Dabei kann er auf starke Besetzungen in den Nebenrollen bauen. In Bastian Dulitsch als Gerichtsschreiber Licht und Leonard Wilhelm als  Bauernsohn Ruprecht Tümpel überzeugen mit starken Darstellungen von Menschen, die sich auf ihre Weise gegen das ancien régime wehren und damit erfolgreich sind. Am Ende steht eine neue Ordnung, die menschengemacht ist. Denn letztendlich siegt die Macht der Liebe über die Selbstherrlichkeit des Dorfrichter Adam. Als Intro wird auf den Gaze-Vorhang ein Video-Clip projiziert, in dem sich Eve und Rupprecht knutschen und kusch...

Viel Abwechslung mit nur einem Instrument

Vier Cellisten beim Kammerkonzert im Kunsthaus Wer Piazzolla spielt, kann kein schlechter Mensch sein. Schon gar nicht, wenn´s gleich zweimal Piazzolla ist. Bis es soweit ist, darf das Publikum einige andere Highlights beim Kammerkonzert der vier Cellisten im Kunsthaus Meyenburg erleben. Das Programm ist zweigeteilt. Vor der Pause gibt es bedächtige Romantik, nach der Pause wird es rhythmusbetont. Kein Grund zur Besorgnis: Das Cello schafft das schon. Das Instrument und das Ensemble bringen dafür ausreichend Potential mit. Erst klassisch, .... Den Auftakt macht Joseph Haydn und sein "Divertimento in D-Dur". Dies hat er einst für eben die Besetzung des Abends geschrieben, für vier Celli. Im zweiten Satz ist das Quartett das erste Mal gefordert. Das Allegro di molto verlangt ein präzises Zusammenspiel, damit der Dialog der Instrument funktioniert und er funktioniert. Im Allegretto des anschließenden Menuetts zeigt Sebastian Hennemann, dass ein Cello tanzen und hüpfen kann...