Sonntag, 11. März 2018

Mit Bildern in die Balance gebracht


Ramser inszeniert Köck: Ein Füllhorn an Einfällen

Mit "paradies fluten" hat Thomas Köck ein neues Genre geschaffen: Das Öko-Drama. Das Deutsche Theater zeigt nun den ersten Teil der Klimatriologie. Die Inszenierung von Katharina Ramser stellt der Flut an Text beeindruckende Bilder an die Seite. Damit kommt das Stück in die Balance.

Man wird den Eindruck nicht los, dass Autor Köck von der Ambition "Ich erkläre die ganze Welt in einem Stück" getrieben wurde. Auf jeden Fall baut er auf drei Strängen auf. Diese sind nicht miteinander verwoben, sondern verlaufen parallel. Nur gelegentlich tauchen die missing links auf. Das Publikum ist gefordert, die Verknüpfungen, die kausalen Zusammenhänge zu finden. Damit hat Katharina Ramser erfolgreich die Gefahr umschifft, der "Ich erkläre euch die Welt"-Versuchung zu

Auch die letzten Menschen müssen sich noch filmen.
Alle Fotos: Thomas Müller
Als der Vorhang aufgeht, hängen fünf verrenkte Körper von der Decke. Sonst herrscht Dunkelheit. Es scheint, als hätte man hier ein Gemälde von Hieronymus Bosch auf das Minimum, auf das Wesentliche reduziert. Nun geht, es um nichts weniger als den Weltuntergang und da schaut man gern mal gebannt zu.

Zu entspannten elektronische Tönen erzählen Stimmen aus dem Off, wie die Menschen von den Fluten in den Abgrund gerissen wurden. Mit dem Schmelzen der Polkappen haben die Menschen sich die zweite Sintflut selbst zuzuschreiben. Dann tauchen Gerd Zinck und Nikolaus Kühn als "Der von der Prophezeiung vergessene" und als "Der von der Vorsehung vergessene" auf. Am Ende der Rationalität flüchtet das Theater in eine neue Religiosität.

Sie wirken wie Estragon und Wladimir. Doch ihr Godot wird ganz bestimmt nicht kommen, denn die Vergessenen sind die letzten Beiden der Menschheit und das wissen sie auch. Am Ende der Rationalität wendet sich die Regisseurin wieder dem absurden Theater zu. Angesicht der Flut morg und angesichts der Atombombe gestern scheinen die Situationen wohl vergleichbar.

Nikolaus Kühn und Gerhard Zinck werden mit der letzten Szene auch den Schlusspunkt setzten. Damit ist klar, dass es kein Entrinnen gibt.

Darin eingebettet entwickelt Ramser die beiden anderen Stränge. Da ist Familie Namenlos irgendwann in den Frühzeiten des Turbokapitalismus. Der Vater will den Aufstieg schaffen und sich selbstständig machen mit einer Kfz-Werkstatt und mit einem Reifenhandel. Nicht mehr Arbeiter sein, das ist sein Motiv. Florian Eppinger vermittelt dieses mit einer kleinbürgerlichen Beharrlichkeit, die später in schiere Ratlosigkeit umschlagen wird. Eppinger kann aber auch den geistigen und körperlichen Zerfall des gescheiterten Kleinstunternehmer fast greifbar machen.

Doch es ist eine Selbstständigkeit am Rande de Existenzminimums. Die Mutter rebelliert und kann sich doch nicht durchsetzen. Deswegen antwortet Angela Strube nur in Ton der kalten Wut.

Die Grauen Herren haben alle im Griff.
Alle Foto: Thomas Müller
Streit durchzieht die Familie und nur der Großvater könnte vermitteln. Doch der ist vom alten Schlage und versteht nicht so recht, was dort vor sich geht. Mit sparsamer Gestik  vermittelt Paul Wenning genau diese Hilflosigkeit.

Die Tochter möchte Tänzerin werden, doch das ist finanziell eigentlich nicht drin. Sie wird es doch und schlägt sich als Ich-AG durch den Theaterbetrieb. Mit Querfinanzierungen löst sich die Tickets für eine bessere Zukunft, die sich aber nicht einstellen wird. Zum bösen Schluss schiebt sie Vater und Mutter in das Pflegeheim ab und verkauft deren Haus.

Kapitalismus isst Familien auf, zerstört soziale Bindungen und die Kinder leben nur noch von der Substanz, die die Eltern einst angehäuft haben. Damit liefert Köck eine treffliche Analyse ab. Ramser setzt dies in klare Bilder um. Ständig sind die Darsteller in Bewegung und kommen doch nicht an.  Eine blanke Bühne, auf der nichts übrig bleibt.

Der Verzicht auf zeitgeistige Videoprojektionen ist durchdacht und passt ins Konzept. Es gilt das Primat des Theaters.

Zu diesen eindringlichen Spiel ist Elisa Alessi ein markantes Bühnenbild gelungen. Im Hintergrund droht der Bug eines Containerschiffs als Sinnbild der Globalisierung. Die Arche Noah ist es auf jeden Fall nicht.

Der dritte Strang ist die Eroberung des brasilianischen Urwalds durch die Kautschuk-Industrie am Ende des 19. Jahrhunderts. Der Kautschuk und die Reifenproduktion ist das Bindeglied zu Familie Namenlos.

Im Goldenen Zeitalter des Fordismus regnet es Geld.
Foto:Müller 
Köck vermengt in seinem Amazonien historische Ereignisse und Personen mit Akteuren von Heute. Da überspringt der Ingenieur Simon Baumann mal schnell 100 Jahre. Warum auch nicht? Die Eroberung des Urwalds und die Enteignung der Einheimischen dauert ja.

Idealist Baumann trifft auf die Vertreter des internationalen Kapitals die wirken wie die grauen Herren von der Zeitsparkasse. Da kann Florian Donath noch so viel Verzweifelung aufbringen wie er mag, gegen diese amorphe und wandlungsfähige Masse kann er nicht gewinnen. Schön, wie Ronny Thalmeyer hier mit Plattitüden Akzente setzen kann und Paul Wenning in seiner lakonischen Art den abgebrühten Finanzjongleur gibt. Auch hier schafft das Ensemble im Miteinander mit dem großartigen Bühnenbild bleibende Momente. Da kann man den Patzer mit dem Spanisch vernachlässigen.

Die Inszenierung von Katharina Ramser ist auch voller Idee, die überzeugen. Das barocke Ballett zum goldenen Zeitalter des Fordismus und des Keynesianismus ist so eine. Was wie eine nette Posse beginnt, endet im Goldtaler-Regen. Zum Schluss werden dem von der Prophezeiung vergessene die letzten Taler aus der Tasche fallen. Eine schöne Brücke und ein starkes Symbol: Es ist endgültig vorbei.

MDR-Redakteur Tom Bille stellt vor kurzen die Behauptung in den Raum,  das das Theater wieder die Bühne für die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ist weil die anderen Künste in der Reproduktion des Bekannten gefallen. Die Aufführung am Deutschen Theater ist ein Beleg für diese These. Dabei verzichtet Katharina Ramser auf einen scheinbar wissenschaftlichen Diskurs. Sie setzt auf die Mittel des Theaters, auf Ästhetik und auf die Macht der Bilder.




Material #1: Absurdes Theater
Material #2: Thomas Köck



Deutsches Theater #1: Der Spielplan
Deutsches Theater #2: Das Stück.








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