Der Mensch als Ungeheuer
Ulrich Tukur liest Moby Dick im DT
Die Geschichte vom weißen Wal und von Käpt'n Ahab, dessen Rachsucht ein Schiff und seine Mannschaft in den Tod reißt, ist Weltkulturerbe. Ulrich Tukur und der Pianist Sebastian Knauer haben sich dieses Schwergewicht angenommen. Ihre musikalische Lesung am Samstag im Deutschen Theater erfüllt die Erwartungen gänzlich.Links ein Flügel, rechts ein Tisch, die Bühne ist übersichtlich bestückt. Ein dunkelblauer Vorhang trennt Vorschiff und Achterdeck. Seine Farbe erinnert an die Tiefsee und in diesem Abgrund werden Schiff und Mannschaft verschwinden.
Der Tisch steht auf gedrechselten Beinen. In der Mitte seiner Kreuzüberblattung ruht eine Weltkugel. Das Möbel gehört einfach in die Kajüte eines Käpt'n. Das hat das kollektive Gedächtnis in Dutzenden Piratenfilmen gesehen.
Das Theaterschiff ist voll, nur Käpt'n und Steuermann fehlen noch. Alles Foto: Kügler |
Dann setzt die Musik ein.Sie ist mehr als Beiwerk und auch keine Umrahmung. Knauers Spiel ist präzise, ohne falschen Pathos und es gliedert den Abend. Es kündigt die Zeitsprünge an und leitet die zahlreichen Wendungen ein. Als Stimmungsmacher ist die Musik wesentlicher Teil der Inszenierung. Als die Pequod in See sticht, umtosen stürmische Töne ihren Bug. Zurückhaltendes Spiel leitet dann das Finale im windstillen Ozean ein.
Auf dem Programm stehen Werke von Schubert, Debussy und anderen Früh- und Spätromantikern. Knauer geht sehr frei mit dem Material um und nur der Mussorgsky ist eindeutig zu erkennen. Auch mit einer Ragtime-Nummer und etwas Swing, ist die Musik doch vom tragischen Ende her konstruiert. Warum die Klagelaute nicht mal von einem Bandoneon erklingen lassen. Das wäre sicherlich eine andere Klangfarbe.
Vielen gilt Melvilles “Moby-Dick” als der Beginn der modernen Literatur. Die Erzählperspektive ist radikal persönlich und die Ansprach direkt. Dazu kommt der lakonische Ton, der die Coolness des 20 Jahrhunderts vorwegnimmt, und sich nicht immer der Hochsprache bedient. Die rasanten Wechsel im Tempo hätten dem Geheimrat aus Weimar und seinen Epigonen wahrscheinlich den Herztod bereitet.
Knapp 170 Jahre nach der Veröffentlichung hat Moby Dick davon nichts eingebüßt. Das macht Tukur mit dem Einstieg in die Originalgeschichte deutlich. Mit jeder Menge Ironie schildert er die Situation des Erzählers Ismael und so ganz nebenbei auch die Geschichte des Walfangs an der amerikanischen Ostküste. Das Schmunzel, das sich einstellt, hat durchaus einen sarkastischen Unterton und den trifft Tukur genau. Aber er entwirft nebenbei auch das Ideal einer multikulturellen Gemeinschaft , die am gemeinsamen Ziel des Überlebens arbeitet. Damit ist Tukur ganz der Jetzt-Zeit verhaftet.
Die Melancholie der ersten Absätze wird von einem Orkan verblasen, als der Erzähler auf den Harpunier Queequeg trifft. Es holtert und poltert und kracht und vor dem geistigen Auge entsteht das Universum einer zweifelhaften Hafenspelunke bei Nacht. Tukur schmeißt Deutsch und Englisch durcheinander und wenn auch nicht alles verständlich ist, so wird das Bild doch lebendig und das scheint das Ziel zu sein.
Am Horizont deutlich zu erkennen: Steuermann und Käpt'n sind jetzt an Bord. |
Das Ende ist klar: Der Kahn säuft ab und mit ihm alle bis auf einen. Deswegen verschiebt Tukur die Gewichte von der Action-Geschichte weg zur Charakterstudie. Die Handlung tut hier nichts zur Sache. Es geht nicht darum, einen Sachverhalt darzulegen, denn das Publikum ohnehin kennt. Die Typen darlegen, den Menschen erklären, so lautet das holde Ziel.
Es geht um die Tragödie, um das unaufhaltsame schlimme Ende und die Menschen, die darauf zusteuern. Bis alle tragenden Figuren vorgestellt sind, bis das ganze Universum aus Offizieren, Schiffseigner, Matrosen und Ex-Matrosen entworfen ist, lassen Tukur und Knauer aber immerhin 50 Minuten vergehen. Erst dann kommt die allseits bekannte Geschichte.
Der Mensch ist das wahre Ungeheuer. So lautet die Aussage in der Ankündigung. Für Tukur gibt es hier nur das eine Ungeheuer und das heißt Ahab. Im Vortrag macht Tukur deutlich, wie das Schiff und die Mannschaft von Ahab quasi in Geiselhaft für den Rachefeldzug genommen werden.
Es braucht nicht viel Transferleistung, um zu erkennen, dass Tukur hier einen Typen Mensch entwirft, der heute so weit verbreitet ist, wie nie zuvor. Diese Transferleistung trauen die Künstler ihrem Publikum zu. Schließlich ist es nicht nur erwachsen sondern auch weit gereist
Doch wenn er bei der Darstellung der Handelnden aus einem reichhaltigen Schatz an Stimmenvielfalt schöpfen kann, so bleibt der Ahab weitestgehend eindimensional. Tukur rezitiert ihn leider nur im Brüllton. Mal ein leises Wort scharf gesetzt, das würde ihn viel lebendiger machen. Einzig die Szene des Kartenstudiums in der Kajüte mit Flüsterstimme und viel Hall auf der Anlage, lässt den Käpt’n kurz ins Gespenstige abgleiten. Das hätte man ausbauen können.
Das Finale ist furios. Im Eiltempo berichtet Ismael vom Angriff des weißen Wals und vom Untergang der Pequod. Doch dann ist plötzlich Stille und das Licht erlischt. Einfach und wirkungsvoll. Das Publikum bedankt sich für diese Inszenierung und die gute Leistung mit reichlich Beifall.
Material #1: Moby-Dick - Das Werk
Material #2: Herman Melville - Die Biographie
Material #3:Ulrich Tukur - Die Website
Material #4: Ulrich Tukur - Die Biographie
Material #5: Sebastian Knauer - Die Website
Material #6: Sebastian Knauer - Die Biographie
Material #7: DT Göttingen - Der Spielplan
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