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Einfach nur sensationell

Die Söhne Hamburgs sind in der Stadt

Das war eine Party für große Jungs und Mädels. Am Ende des Konzerts war nicht ganz klar, wer mehr Arbeit geleistet hat: Die Musiker oder das Publikum. Dem einen oder der andere werden nach dem Auftritt der Söhne Hamburgs in der Stadthalle Osterode die Hände von Klatschen weggetan haben. Heisere Stimme wird es wohl auch gegeben haben. Aber ansonsten war die Veranstaltung im Stefan Gwildis, Joja Wendt und Rolf Claussen einfach nur sensationell.

Aus dem Hintergrund bimmeln Glocken. Drei gesetzte Herren ziehen durch die Sitzreihen und singen ihre Version von "Kommet ihre Hirten". Schließlich heißt das Programm ja "Die Söhne Hamburgs feiern Weihnachten". Schon jetzt singen die ersten mit und das wird sich bis zum Ende auch nicht ändern. Auf jeden Fall haben Claussen, Gwildis und Wendt die ersten Lacher und das Publikum auf ihrer Seite.  Wer ein Konzert mit Gwildis besucht, der weiß, was ihn erwartet und geht genau deswegen hin.

Schon am Anfang ist die Stimmung auf dem Höhepunkt.
Alle Fotos: Thomas Kügler
Auf der Bühne steht ein altes Piano mit Gebrauchsspuren und ein improvisiertes Schlagzeug mit Becken und Mülleimer. Das Trio spielt seine Erkennungsmelodie und das Publikum klatsch weiter mit. Die drei erzählen davon, wie sie vor vierzig Jahren auf den Straßen Hamburgs Musik gemacht haben. Diese harte Schule ist die Grundlage für den einzigartigen und unbefangenen Umgang mit dem Publikum, das ständige Einbeziehen der Zuhörer.

Die Drei betonen immer wieder, dass sie aus Hamburg kommen. Aber da der Harz mit wenigen Sätzen mal ganz schnell eingemeindet wurde, gibt es keine Grenzen mehr. Das Publikum fühlen sich ernst genommen und mitgenommen und auf einmal sitzen insgesamt 605 gute Kumpels in der Stadthalle. Es ist ein Konzert, bei dem man schon nach drei Minuten wünscht, dass es nie zu Ende gehen mag.

Es fallen auch zum erstem Mal die Begriffe "Osterode" und "Harz". Die letzte Distanz verflüchtigt sich und jede bekommt das Gefühl, dass dies ein wirklich einmaliger Abend ist. Gwildis, Claussen und Wendt wecken die Illusion, dass sie nur für diesen Auftritt hart geübt haben.

Der Begriff "Rampensau" wurde für Stefan Gwildis erfunden. Aber auch Wendt und Claussen stehen ihm in nichts nach. Mindestens ein Drittel des Konzert verbringen sie im Publikum. Dabei praktizieren eine geschickte Rollenteilung: Ein Charmeur, ein Erklärer und ein Chaot. Jeder im Publikum hat seine Identifikationsfigur.

Zum ersten Mal gibt es an diesem Abend das Vorgabe-Echo-Spiel. Das braucht niemand zu erklären und auch kein Zeichen zu geben. Die erfahrenen Kräfte im Auditorium kennen die Einsätze.  Die Aufforderung "Gib mir ein S" wird prompt erfüllt, auch U, L und O folgen.

Mit "Tanzen übern Kiez" sind sie in der gewohnten Spur. Es gibt Soul mit deutschen Texten und der Klassiker von Martha & The Vandellas ist so etwas wie das Glaubensbekenntnis dieses Abend. alles was man braucht, ist gute Musik und jeder darf so sein wie er ist. Das klingt wie eine Reise zurück in die unkomplizierte Jugend. Da fliegen dann auch schon Brottüten geknallt und es fliegen jede Menge Konfetti.

Keine Angst, die sehen nur erwachsen aus.
Foto: Thomas Kügler
Die Show wird erwachsen. Die Techniker räumen die Reliquien ab, der Charme der Straßenmusik verschwindet und die Bühne glänzt wie zu den Zeiten des Ballrooms. Serviert werden Jazz, Soul, Blues und Rock'n'Roll. Alles was Spaß macht und von Hand gemacht wird. Mit dem Song "Kira Petersen" gibt es sogar einen Ausflug in die karibische Musik, gespickt mit Texten, bei denen man zuhören muss, um den Witz wirklich zu begreifen.

Da stehen 180 Jahre auf der Bühne und die haben mehr Elan als drei Boy-Bands zusammen. Ein wichtige Erkenntnis: Der Norddeutsche ist gar nicht so dröge und der Salsa wurde in Hamburg erfunden.

Stefan Gwildis entpuppt sich als passabler Drummer und Rolf Claussen kann singen. Aber musikalisches Highlight ist ohne Frage Joja Wendt. Er wird nicht ohne Grund als Herr der 88 Tasten bezeichnet. Sein Spiel ist nicht nur rasant und kraftvoll, sondern auch präzise und atemberaubend. Wenn es sein muss, dann geht das Solo von ganz unten nach ganz oben und auf der eigenen Stirn und am Bein des Flügels weiter. Musikalischer Ulk in einer eigenen Welt.

Höhepunkt ist die Nussknacker-Suite von Tschaikowsky. Sie startet jazzig im Stile von Dave Brubeck, geht dann in eine Rock-Nummer über und endet als Boogie-Woogie, der mit sechs Händen auf einem Klavier gespielt wird. Für den größten Teil der Zuhörer ist wohl das erste Mal, dass sie bei Tschaikowsky mitklatschen.

Überhaupt können die drei da oben alles anfangen mit denen da unten, das Publikum ist zu jeder Schandtat bereit. Bei "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" singt das Auditorium nicht nur mit. Es schunkelt ohne Ausnahme.

Es ist kein Konzert. Es ist eine Show in der Tradition der Samstagabend. Das Licht ist perfekt gesetzt und ein wichtiger Teil der Aufführung. Aber vor allem ist ist die Komik und der Humor. Die drei werfen sich Bälle voller Selbstironie zu. Da wird über Erlebnisse und Angewohnheiten gewitzelt, da werden Versprechungen ausgebreitet. auch die Anregungen aus dem Auditorium werden aufgegriffen, verarbeitet, wiederholt und weiter gesponnen. so muss man mit dem Publikum umgehen.

Mit dem können die Drei wirklich alles machen. Als Gwildis bei "Regennacht in Hamburg" mit einem tropfenden Schirm über das Parkett wandelt, erreicht das Gejohle das Level einer Teenager-Party. Diese Show ist ein Jungbrunnen. Da muss man ja nass werden.

Der Mann mit dem Regen ist da.
Foto: Thomas Kügler
Aber es ist keine Comedy, alles bleibt oberhalb der Gürtellinie und kein Pointe geht auf Kosten anderer. Von der Nabelschau deutscher Jammer-Popper ist dieses Altherren-Team meilenweit entfernt. Vielleicht kommt Gwildis seinem Vorbild Heinz Erhardt manchmal zu nahe, aber das tut dem Spaß keinen Abbruch.

Das Lachen kennt kein Halten mehr, als Gwildis und Claussen die Mikrofon-Eifersuchtsszene inszenieren. Der Sänger haucht seine Version von "Sie lässt mich nicht mehr los" ins Geräte, doch das wendet sich lautstark ab. Claussen steuert aus dem Hintergrund den Mikrofonständer und der fährt hin und her über die Bühne. Im Dialog mit Gwildis reiht er Sätze aneinander, die zum festen Repertoire des Beziehungsstress gehören. Doch Gwildis und Mikrofon finden wieder zueinander und wie das so ist, einen Verlierer gibt es doch, den Mikrofonständer.

Weihnachten wird auch noch gefeiert, wie sich das unter guten Freunden gehört. Wie versprochen liefern die Söhne Hamburgs deutsche Texte zu bekannten Weihnachtssongs ab. die sind durchaus makaber. Es geht um den korpulenten Reinhard, der sich zu Weihnachten immer betrinkt, und um Singles, die lieber die Gänse leben lassen sollten weil ihnen sonst niemand zuhört. Das unvermeidlich Last Christmas kommt auch. Bei der Umdichtung "Lars kriegt nix" singt die ganze Stadthalle mit. Die Handinnenflächen werden anschließend arg strapaziert

Erst in der Zugabe geht das Tempo nach unten. Erst singt das Publikum die deutsche Version von "Auld lang syne" und dann koppelt es sich von den Musiker ab. Die intonieren eine jazzige Version von Stille Nacht, heilige Nacht und aus dem Gesumme im Publikum wird Gesang. Jetzt kann Weihnachten kommen.







Material #1: Söhne Hamburgs - Die Website
Material #1a: Rolf Claussen - Der Typ

Material #2: Stefan Gwildis - Die Biografie
Material #2a: Gwildis - Die Website

Material #3: Joja Wendt - Die Biografie
Material #3a: Wendt - Die Website

Material #4: Wiederholungstäter - Gwildis in der Region








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