Dieser Fotograf ist nur etwas für Erwachsene
Neu bei Steidl: Zeitaufnahmen von Werner Bartsch
Dieses Buch sollte man von hinten nach vorne lesen. Im
Nachwort von Stefan Gronert ist der Schlüssel zum Verständnis versteckt und der
lautet „Projektionsfläche“. Es ist aber auch zulässig, sich die Fotos
anzuschauen, erst dann das Nachwort zu lesen und mit der Zusatzinformation
einen erneuten Zugang zum Schaffen von Werner Bartsch zu suchen.
Bartsch gehört zu den prägenden Fotografen der Gegenwart.
Seit Jahrzehnten lichtet er Zeitgenossen für die großen Publikationen der
deutschen Presselandschaft ab. Mit „Zeitaufnahmen“ hat er jetzt im
Steidl-Verlag einen Überblick über die letzten 25 Jahre veröffentlicht. Auf 196
liefert er Porträts von und Fotos mit bekannten und unbekannten Mitmenschen ab.
Das ungewöhnliche Format von 52 mal 31 Zentimeter auf der
Doppelseite schmeichelt dem Auge. Es sind durchweg Aufnahmen im Querformat und
die korrespondieren wunderbar mit der Gestaltung. Auch haptisch ist dieses Buch
ein Erlebnis. Gelegentlich wird die Struktur der Motive begreifbar.
Von außen und ... |
Die Menschen in ihrem Umfeld darstellen, dass ist der Ansatz von Werner Bartsch. Das ergibt einen immer gleichen Aufbau der Fotos. Links jede Menge Umfeld, rechts dann das Model. Die Ergebnisse sind unterschiedlich. Günter Grass vor der großen Bücherwand wendet sich selbstbewusst dem Betrachter zu, Maler Jonas Burgert passt schlüssig in sein Wandgemälde, Karin Beier überzeugt auch aus der Froschperspektive, aber Hito Stayerl wirkt verloren auf dem Cordsofa.
Bartsch inszeniert seine Fotos bis ins Detail und manchmal erdrückt die
Inszenierung das Motiv. Das Symbol wird mächtiger als der Mensch. Bei Gerhard Richter hingegen funktioniert die Inszenierung. Der beherrscht selbst die Leere seines riesigen Ateliers als kleiner Kraftpunkt rechts unten im Bild.
Gronert spricht in seinem Nachwort von den Bildern als
Projektionsfläche für die Betrachter. Für Bartsch sind die Models seine eigene
Projektionsfläche. In „Zeitaufnahmen“ präsentiert er drei Serien mit jungen
Menschen. Sie schauen tiefsinnig in die Gegend oder starren in die Kamera. Von
Jugendlichkeit keine Spur. Die Rollenverteilung hat sich wohl umgedreht. Der
Fotograf hat den Models seine Sichtweise übergestülpt. Es ist die aufgesetzte Tiefsinnigkeit
eines alten weißen Mannes.
Man muss ein erwachsener und gestandener Mensch sein, um dem
Fotografen Wolfgang Bartsch gegenüber treten zu können. Boris Herrmann schaut
ganz selbstbewusst in die Kamera. Kein Wunder, er hat auch gerade solo die Welt
umsegelt.
Otto Sander fordert den Fotografen heraus und Otto Waalkes
zeigt eine Seite, die den Betrachter überrascht. Hinter dem Komiker Otto steckt
der der Waalkes mit der ganzen Erfahrung von 73 Lebensjahr. Das deutlich zu
machen, das ist große Kunst.
Das beste Foto kommt ganz ohne Menschen aus. Eine blau
lackierte Holztür gibt halbgeöffnet den blick in einen unscharfen Hintergrund
frei und das Namensschild auf der Tür wirkt, als wäre es vor Jahrzehnten en
passant für wenige Mark bei Mister Minit erstellt worden. Darauf steht Habermas
und dahinter wohnt der wichtigste Denker der deutschen Gegenwart. Bartsch holt
den Philosophen von dem Sockel, auf dem der sich gern selbst sieht.
... von innen. |
Inwieweit ist es zulässig, Menschen auf ein Detail zu
reduzieren? Wie weit darf pars pro toto gehen? Bedient Bartsch hier die
Klischees oder ist Bartsch so sehr ein Teil der kollektiven Wahrnehmung, dass
er selbst die Klischees in den letzten Jahrzehnten geprägt hat? Bilden Fotos
die Wirklichkeit ab oder erschaffen sie die kollektive Wirklichkeit? Diese
Fragen beantwortet Stefan Gronert in seinem Nachwort nicht. Das muss man selbst
machen und deswegen lohnt es sich, sich den „Zeitaufnahmen“ zu widmen.
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