Spektaktel mit sechs Musikern und einem Schauspieler

Die Comedian Harmonists als Sommertheater

Nun ist das letzte Geheimnis der Domfestspiele 2015 gelüftet. Bei der der Premiere der Comedian Harmonist präsentierte Achim Lenz am Freitag unterhaltsames Sommertheater in perfekter Form und verwischte damit die Grenzen der Genres.

Drama, Musical oder Konzert. Für das Publikum war diese Frage zweitrangig, es konnte nicht genug bekommen und forderte drei Zugaben ein. Drei Zugaben? Drei Zugaben. Also ist die Frage doch beantwortet: Es war ein Konzert, ein Konzert mit szenischer Darstellung.

Der Traum von Frommermann und Biberti lässt sich
in Noten fassen. Alle Fotos: Hillebrecht
Die Comedian Harmonists stehen in erster Linie für Musik, die auch 80 Jahre nach dem Aus der Band nicht von ihrem Reiz verloren hat. Diesem Reiz konnten auch Regisseur Achim Lenz und Dramaturgin Jennifer Traum nicht widerstehen. Sie sind in ihrer Inszenierung konsequent. Im zweiten Teil des Abends werden die Songs der Comedian Harmonists zum Träger der Geschichte.

Schließlich ist es zu diesem Zeitpunkt eine Erfolgsstory. Hit folgt auf Hit und die Erfolgsgeschichte lässt sich eben wunderbar mit diesen Hits erzählen. "Veronika, der Lenz ist da", "Mein kleiner grüner Kaktus", "Ein Freund, ein guter Freund" und einige andere Songs der Harmonist. Die Schlagerparade ist komplett.

Doch bis dahin ist kein leichter Weg. Lenz die Entstehungsgeschichte des Sextetts in Stationen. Die erste Station ist die legendäre Annonce vom 18. Dezember 1927. 70 Musikerund solche, die sich dafür hielten sollen sich damals bei Harry Frommermann gemeldet haben. Fast alle werden sie von Jens Schnarre verkörpert. Er darf sogar ein wenig über die Zeitgenossen Kurt Weill und Jopie Heesters witzeln.

Schnarre ist in diesem Stück der einzige Schauspieler unter sechs Musikern. Ob Kriegsversehrter, Vermieterin, Manager, Nachtclub-Inhaber, SA-Mann oder NS-Scherge. Er meist alle Aufgaben glaubwürdig und es ist faszinierend, wie er ohne Glaubwürdigkeitsverlust in wenigen Sekunden von Rolle zu Rolle springt.

Wochenend und Sonnenschein. Mit dem Erfolg kommt
der Wechsel der Garderobe.
Dann betritt Daniel Dimitrow in der Rolle des Robert "Bob" Biberti die Bühne und die Verwirklichung eines Traums nimmt erste Formen an. In der Gandersheimer Aufführung bekommt Dimitrow die prägende Funktion, die sein Alter Ego Biberti im Geflecht der Harmonist wohl auch hatte. Mit Stimmvolumen und Körperlichkeit erfüllt Dimitrow diese Funktion ganz. Zusammen wollen Biberti und Frommermann etwas schaffen, was in Deutschland noch nie gegeben hat. Sie wollen nicht nur zusammen träumen, sondern für diesen Traum auch arbeiten.

Dirk Weiler als Harry Frommermann und Gero Wiest in der Rolle des Pianisten Erwin Bootz können in ihrem Kampf der Platzhirsche ähnliche Akzente wie Dimitrow setzten. Für Oliver Polenz, Jannik Nowak und Johannes Kiesler bleiben im Vergleich dazu eher die Nebenrollen. Doch eins zeichnet alle aus. Es ist bewunderswert, wie Darsteller, die hauptberuflich Schauspieler sind, innerhalb kurzer Zeit zu einem mitreißenden Gesangsensemble zusammengefunden haben. Da zerfließen die Grenzen zwischen Werk und Arbeit.

Ausgiebig berichtet die Inszenierung von den Schwierigkeiten der Bandwerdung. Es sind vor allem die äußeren Schwierigkeiten, die aber nicht den Weg auf die Bühne finden. Zum Teil könnte das Sextett auch die Besatzung eines Raumschiffs sein. Die Realität bringt immer nur in Form diverser Anrufe zu den Musikbesessenen vor. Seit der Reanissance erfüllte der Brief diese Funktion, nun ist es das Telefon. Warum auch nicht, schließlich war Tempo das bestimmende Lebensgefühl der 1920er Jahre.

Tempo nimmt auch die Aufführung mit dem ersten Engagement des Sextetts auf. Es folgt der Garderobenwechsel. Der Arme-Leute-Mantel weicht dem Smoking und die Schiebermütze wird durch den Zylinder ersetzt. Die Musik tritt immer stärker in den Vordergrund. Die Aufführung wird endgültig zum Konzert und die Geschichte der Comedian Harmonist mit ihren Songs erzählt.

Das Sextett versteht nicht, was in Deutschland
passiert.
Auf der Insel der Glückseligen, die Comedian Harmonist heißt, werden die Veränderungen in Deutschland erst nur am Rande wahrgenommen. Das Aufziehen der Hakenkreuzfahne im Bühnenhintergrund wirkt anfangs wie reine Dekoration. Auch die Spannungen im Sextett bleiben nur Marginalien. Deswegen kommt der Bruch im Ensemble unvermittelt. Er ist schnell, schmerzvoll und endgültig. Weilers Versuch, die Fahne herabzureißen, ist Ausdruck purer Hilflosigkeit. Aber vielleicht spiegelt die Inszenierung damit mehr Zeitgeschichte wider, als auf den ersten Blick scheint. Vielen Mitbürgern jüdischen Glaubens war 1933 nicht bewusst, was ihnen bevorstand. Sie waren  integriert und konnten auf ihre Verdienste als Frontkämpfer im I. Weltkrieg verweisen.

Doch der Traum zerbricht so wie die Bühnenarbeiter die Schallplatte zerbrechen, die bisher das Geschehen dekorierte. Am Anfang der Gesangsrevue steht "In einem kühlen Grunde" und am Ende steht es noch einmal auf dem Programm. Die musikalische Klammer macht deutlich: Mit dem Zerbrechen der Comedian Harmonist kehrte das treudeutsche Volkslied zurück auf die Bühne des Reichs.

Träume sind das Thema der diesjährigen Domfestspiele und mit seiner Inszenierung hat Achim Lenz dieses Thema umfassend aufgegriffen. Da sind Menschen, die träumen, die zusammen träumen, die zusammen an der Verwirklichung ihrer Träume arbeiten und schon schlossen platzen diese Träume aus unterschiedlichen Gründen. Die Geschichte der Comedian Harmonists wird somit zur kurzweiligen Parabel über das wahre Leben und vielleicht ist deswegen am Ende des Abends das Publikum aus dem Häuschen. Da sind drei zugaben doch wohl das Mindeste.

Die Gandersheimer Domfestspiele

Die Comedian Harmonist bei wikipedia

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