Schwanensee am Theater Nordhausen schlägt eine Brücke
Wort gehalten. Als Ivan Alberosi seine Stellung als Ballettdirektor in Nordhausen antrat, versprach er eine spannende Mischung aus klassischen Ballet und aus modernen Tanztheater. Gleich mit seiner ersten abendfüllenden Choreographie "Schwanensee" hat er dieses Versprechen gehalten. Das Ballett schlägt eine Brücke zwischen den Zeiten und versteht es auch, andere Ausdrucksmittel einzubauen.Der Auftakt verbleibt im klassischen Deutungsmuster. Vom ersten Takt an macht das Loh-Orchester unter der Leitung von Henning Ehlert deutlich, dass es einen Schritt nach vorne gemacht hat. Zum vollen Klang kommt ein filigranes und transparentes Gesamtbild. Jedes Instrument ist erkennbar und kommt im Laufe des Abend zu seinem Recht. Gerade die Holzbläser werden Akzente setzen. Damit scheint alles bereit für ein märchenhaftes Spiel.
Im ersten Akt öffnet Ivan Alboresi eine charmante Trickkiste. Das Bühnenbild von Ronald Winter lockt auf den ersten Blick in die Märchenecke Ein Ballsaal, die Tanzgesellschaft tritt ein, zuerst die Herren im Sakko. Sie durchmessen den Raum, sind die Beherrscher des Saals, die Boyz n the Hood. Dann finden sich die Paare und die Dance Hall Party beginnt.
Ivan Alboresi hat sein Versprechen eingehalten.
Foto: tok
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Nun kommt Prinz Siegfried hinzu. Doch es ist ein doppelter Siegfried. Einmal der gute Prinz in weiß und der zwielichtige in schwarz-rot. Alboresi verzichtet auf den Zauberer Rotbart und zerlegt stattdessen den Helden in seine Bestandteile. Er spiegelt die Doppeldeutigkeit der Odette/Odile in der zweiten Hauptfigur wider und macht aus dem Prinzen einen Menschen wie jedermann. Damit bekommt das Ballett ein neue Moment, eine neue Dimension. Das Märchenspiel wird zum Psychogramm.
Aus dieser Doppelung ergibt sich eine weitere Ergänzung. Nun stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Gruppe zum Individuum und die Antwort ist durchaus konfliktbeladen. Denn die Gruppe positioniert sich eindeutig gegen den weißen Siegfried.
Der zweite Akt beginnt mit einem Aha-Effekt. Die rissige Fassade entschwindet nach nach oben und gibt den Blick frei auf ein Kabinett von Zerrspiegeln. Sie werfen Siegfried immer wieder zurück auf sich selbst. Sie spiegeln damit schonungslos seine Einsamkeit und verlängern sie in die Unendlichkeit.
Der zweite Akt ist auch ein Cut in Sachen Tanz. Das klassische Ballett tritt nun deutlich in den Hintergrund. Der Pas de Deux von David Nigro und Konstatina Chatzistavprou ist eine Verschmelzung der Stile, von fließenden Bewegungen dominiert und nur wenige Hebefiguren bilden die Reminiszenz an die Vorlage. Hier entsteht etwas ganz Besonderes.
Am Ende des zweiten Akts versinkt Siegfried im Purple Rain. Foto: Theater NDH |
Der Schwarm funktioniert hier als Ganzes und die fließenden Bewegungen der sechs Tänzerinnen und Tänzer wecken die Assoziationen an ein aufgewühltes Gewässer. Manche Schrittfolge und Position wirkt mit Absicht gestelzt, dazu werden die Arme hinter dem Rücken gespreizt. Soviel Realismus muss sein, grazil soll es schon sein. Zur Erinnerung: Das Stück heißt ja Schwanensee und nicht Ententeich.
Ivan Alboresi erneuert hier sein Konflikt-Motiv. Wieder stellt sich die Gruppe, der Schwarm gegen den Prinzen, die Tütüs als Schutzschirme aufgestellt bilden die Körper eine undurchdringliche Wand. Odette wird dem Prinzen entrissen und der bleibt einsam im Regen der Blütenblätter zurück. Purple Rain, wie Prince singen würde.
Das bleibt nicht spurlos und so ist das Bühnenbild des dritten Aktes deutlich verändert. Es bleibt nur der klassizistische Hintergrund, die Zerrspiegel der See-Szene bleiben stehen. Der Akt wird geprägt von der Konfrontation der ungleichen Siegfrieds. Das Pas de deux von David Nigro und András Dobi nach dem Divertissments hat die Qualität eines Stierkampf. Zwei Herzen wohnen ach in Siegfrieds Brust. Der Streit ist ein innerlicher, dies machen die gespiegelten Bewegungen der Kontrahenten deutlich.
Doch gleich und gleich gesellt sich gern und deswegen erringt der finstere Siegfried die Gunst der Odile. Ihre dominante Präsenz gleicht dem Auftritt eines B-VIP auf einer Party.
Als die Party vorbei ist, bleibt Siegfried allein zurück, in sich versunken im Spotlight. Alboresi
beendet auch diesem Akt mit einem echten Hingucker. Der Beamer projiziert das bisherige Geschehen im Zeitraffer auf den Bühnenhintergrund. Das ist nicht nur eine Zusammenfassung sondern auch eine Verdeutlichung der Situation vor dem Finale.
Der schwarze Siegfried ist seinen weißen Pendant überlegen. Foto: Theater NDH |
Eindrucksvoller Moment im vierten Akt ist der Pas de trois. Die zwei Seiten des Siegfrieds ringen um Odette, doch zum Schluss bekommt keiner das Mädchen. Aber leider hat dieser Akt bis dahin durchaus einige Längen und bekannte Aussagen werden hier wiederholt.
Abgesehen von diesem Schönheitsfehler ist Schwanensee am Theater Nordhausen mehr als sehenswert. Es ist ein Werk, dass aus Klassik und Moderne eine kraftvolle Symbiose schafft und aus dem Märchenspiel heraus allgegenwärtige Fragen stellt. Ivan Alboresi ist es bereits mit seiner erste abendfüllenden Choreographie gelungen, die Ballettkompanie einen wichtigen Schritt nach vorne zu bringen. Dazu trägt auch sicherlich das neue Klangbild des Loh-Orchesters bei.
Theater Nordhausen - Der Spielplan
Theater Nordhausen - Das Stück
Schwanensee - Das Ballett
Das Interview mit Ivan Alboresi bei soundcloud
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