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An der Revolution verzweifelt

DT Göttingen bringt Mathematikprofessorin auf Bühne

Gibt es eigentlich einen besonderen Gattungsnamen, wenn die Biographie einer beliebigen Person auf die Theaterbühne gebracht werden? Na, egal.  Anne Jelena Schulte hat das Leben von Sofja Kowaleskaya zu einem Theaterstück verdichtet und Antje Thoms hat es für das Deutsche Theater bearbeitet. Das Ergebnis ist Kopftheater und am Donnerstag war Uraufführung im DT - 2.

Sofja Kowalewskaya ist heute wohl so etwas wie ein vergessener Star der Wissenschaftsrevolution im 19. Jahrhundert. Sie war nicht nur eine hochbegabte Wissenschaftlerin und weltweite die erste Frau, die eine Professur für Mathematik bekam, sondern auch eine Kämpferin für die Rechte der Frauen. Die Tochter eines russischen Generals überwand mit Beharrlichkeit alle Hürden, lebte ein schnelles Leben, stürzte in tiefe Not und verstarb früh. Fast schon ein James Dean der Zahlen und Formeln.

Das Bühnenbild von Jeremias Böttcher ist pure Geometrie. Es erinert an ein rühes Werk von Malewitsch. Auf schwarzem Grund treffen sich unzählige weiße Linien im rechten Winkel und laufen ins Unendliche. In der Mitte steht eine Drehbühne in Form eines Würfel. Er wird später zur zentralen Spieleinheit, zum Mittelpunkt des Geschehens. Die menschlichen Dinge sind an den Rand gedrängt, im wesentlichen geht es um Abstraktion.

Am Anfang steht eine Verabredung.
Alle Fotos: DT Göttingen
Je länger die Aufführung dauert, desto deutlicher wird, dass dem Werk die emotionale Komponente, die Tiefe oder vielleicht auch die russische Seele fortwährend abhanden kommt. Alles ist Berechnung, selbst die Ehe mit Wladimir Kowalewsky. Damit kommt die Inszenierung der Realität in der zaristischen Oberschicht und den Startvoraussetzungen der Emanzipation wohl ziemlich nah.

Dennoch beginnt das Stück mit jugendlichen Übermut. Sofja, ihr Schwester Anjuta und die gemeinsame Freundin Julja verabreden sich, die russische Provinz zu verlassen und in der Fremde zu studieren. Dafür gibt es nur eine Möglichkeit: Scheinehe. Sofja heiratet Wladimir Kowalewsky und er willigt in das Arrangement ein. Die vier gehen auf Auslandsreise und bilden in Heidelberg eine WG aus der Kategorie "Finger weg".  Das Bündnis zerbricht, als Anjuta nach Paris geht.

Im Dreigestirn sind die Rolle klar verteilt. Felicitas Madl spielt die dominante und lebensnahe Anjuta. Ihr Wandel zur Emotionsbewußten passiert leider im Verborgenen. Christina Jung überzeugt in der Hauptrolle der verkopften und ein wenig unbedarften Sofja Kowalewskaja. Sie bleibt durchweg stoisch und zurückhaltend, denn och schafft sie es, Akzente zu setzen. In dieser Dreier-Konstellation gerät Dorothée Neff leider etwas aus dem Fokus.

Die Rolle des verhinderten Ehemanns, Orientierungsloser und Revolutionär ein wenig Widerwillen erfüllt Bardo Boehlefeld so gut, dass man ihn durchaus mal tröstend zu Seite nehmen möchte, um ihn Mut zu zusprechen. Die Duette Jung und Boehlefeld  prägen die Inszenierung. Doch es sind vor allem Wladimirs gesprochenen Briefe an den Bruder die das Stück strukturieren. Sie bilden den Kitt zwischen den Stationen. Zudem ist es eine schöne Reminiszenz an die Literatur des 19. Jahrhunderts, wichtige Teile in auf Paper auszulagern.

Jeßing (rechts) spielt soviele Professores, dass es
für eine ganze Uni reicht.
Seine Wandlungsfähigkeit beweist Andreas Jeßing an diesem Abend ein ums andere Mal. Der Dialog Sofja und Un-Leitung mit Jeßing als die Proffessores Friedrich und Kirchhof und sonstigen Schargen des Wissenschaftsbetrieb gehört zu den den wenige heiteren Momenten.

Der Hang zum "Brief zitieren" ist nur eine Reminiszenz an das 19. Jahrhundert. Auch ansonsten steckt das Werk mitten im Symbolismus. Da ist das Tee trinken als Ausdruck des alten Russlands und die beständige Ablehnung, die musikalische Begleitung  und vor allem der Bezug auf Tschechows Kirschgarten als Zeichen für den vergangenen Glanz einer erstarrten Oberschicht.

Doch das stärkste Symbol ist der drehende Würfel. Diese Bühne gerät immer dann in Rotation, wenn Bewegung angesagt ist, wenn lange Reise anstehen, revolutionäre Veränderungen vor der Tür stehen oder sich die Binnenverhältnisse ändern.

Es ist müssig zu fragen, ob sich das Leben von Sofja Kowalewskaja sich wirklich bis ins Detail so abgespielt hat. Sie war ein Kind ihrer Zeit und ihrer Klasse und hat wie viele andre Jungrussen mit adeligen Hintergrund Stückwerk hinterlassen. Das revolutionäre Subjekt kommt aus der Oberschicht, es geht nicht nur um die Befreiung der Massen, sondern vor allem um das Ich. Das Proletariat kommt nur in Form der Amme vor. Als Anjuta sich mit den Proletariern verbundet, endet es in der Katastrophe der Pariser Kommune.

Wahrscheinlich liegt hier der Kern des Stücks, der erst noch freigelegt werden muss. Die Parallelen zu den Befreiern von Heute sind da.


Deutsches Theater - Der Spielplan
Deutsches Theater - Das Stück

Sofja Kowalewskaya bei wikipedia



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