Es gibt immer eine Sturmwarnung

Peter Grimes findet keinen Platz beim TfN


Benjamin Britten feiert im November 100. Geburtstag. Aus diesem Anlass hat  das Theater für Niedersachsen die Oper "Peter Grimes" neu inszeniert. Die Premiere am 9. November zeigte ein Verdrängungswettbewerb um Moral und Schuld und einen Wettbewerb um den Platz des Einzelnen in der Gemeinschaft. Die TfN-Inszenierung siedelt dieTragödie in der klaustrophobischen Atmosphäre eines Fischer-Nest an, in dem jeder jedem kennt und kontrolliert. 
Jeder hat seinen Platz gefunden und
ve
rteidigt ihn auch. Alle Fotos: TfN/Hartmann
Den Auftakt macht die Requisite Stuhl. Die Symbolik ist eindeutig. Die Dorfgemeinschaft trifft sich zur Verhandlung "Das Volk gegen Peter Grimes". Jeder bringt seine Sitzgelegenheit mit, denn jeder hat seinen Platz in dieser Gemeinschaft. Nur eben Peter Grimes nicht.
Der Angeklagte muss den Platz einnehmen, der ihn zugewiesen wird, die Anklagebank. Wie der Lehrling William ums Leben, das wird wohl nie eindeutig geklärt, das ist. Aber Grimes scheint nicht ohne Schuld zu sein. Es gibt keine Verurteilung, nur den Ratschlag, künftig auf Lehrjunge zu verzichten zu verzichten und stattdessen auf erwachsene Gehilfen zu bauen.
Doch Grimes kann diesen Ratschlag nicht annehmen, denn er ist auf Krawall gebürstet. In der Regie von Frank Van Laecke zeigt Hans-Jürgen Schöpflin in der Titelrolle zwei Seite derselben Person und die eine ist eben stocksteif, mit durchgedrückten Armen und immer im oberen Bereich der Lautstärke. Peter Grimes gilt als eine der schwersten Rollen im Musiktheater weil der Rolleninhaber ständig gegen alle anderen ansingen muss. Das gelingt Hans-Jürgen Schöpflin fraglos.
Grimes wird von seinen
Erinnerungen geplagt.
Die andere Seite des Peter Grimes in dieser Inszenierung ist die eines Mannes, der an seiner Verzweiflung verzweifelt. Immerhin hat er ein Kind auf dem Gewissen und das lässt ihn nicht mehr los. Van Laecke bedient sich karger aber eindrucksvollen Bildern und der Wiederholung. Erinnerung wird zur Tretmühle und Schöpflin zeigt die Gewissenqualen eines Mannes, der sich die Absolution nicht selbst erteilen kann, der aber über seine Schuld auch nicht sprechen kann. Er sucht Erleuchtung, Erlösung, doch das Licht, das Streichholz, das er anzündet bringt keine Helligkeit. Letztendlich werden es diese Geister sein, die den Delinquenten Grimes auf sein nasses Schaffott führen
Ach, hättest du geredet, Grimes. Er macht sich auch selbst zum Außenseiter, denn er scheint zu keiner friedvollen Kommunikation fähig. Selbst zu Ellen Orford kann er keine echte Beziehung aufbauen. Deswegen bleibt Isabell Bringmann in der Rolle der Dorflehrerin meist eine Randfigur. Einzig am Beginn des zweiten Aktes darf sie ihre Seele zeigen und ihr Können ausspielen. Eine gemeinsame Zukunft für den Fischer und die Frau kann man sich unter diesen Umständen kaum vorstellen. Hier wirkt Grimes doch arg eindimensional. So wird Potential verschenkt und hier wird nicht herausgearbeitet, warum Grimes so eklatant gegen die Schwarmintelligenz und alle gute gemeinten Ratschläge verstößt. Ihm geht es schlicht und um jeden Preis um die Verwirklichung seiner persönlichen Zukunftsvorstellungen. Dafür hetzt er auch den nächsten Lehrjungen in den Tod. In tragischer Tradition läuft die Inszenierung auf die Katstrophe zu, aber sie verzichtet auf  das schwarz-weiß Schema, hier die böse Meute der Heuchler und hier der gehetzte Grimes, sondern sie zeichnet grau in grau gegenseitige Verstrickungen in einem menschen- und vor allem kinderverachtenden Labyrinth. In diesem Bühnenbild von Phillipe Meisch gibt es kein Entrinnen. Überall sind Mauern.
Ellen und Peter können keine Beziehung
finden,die von gegenseitiger Achtung
geprägt ist.
Fotos: TfN
Die Welt der Fischer ist eine Männerwelt und es ist eine gewalttäige Welt. Die einzige Frau, die hier bestehen kann, ist Tantchen, die Wirtin. Doch Frank Van Laecke zeigt sie uns nicht als Pub-Chefin, sondern unmissverständlich als Puffmutter, als Puffmutter der resoluten und der taktierenden Art. In dieser Rolle setzt Christina Baader einen Gegenpol zu dem leidenden Frauen dieser Oper.
Peter Grimes ist die erste und wohl auch wichtigste Oper von Benjamin Britten. Damit gelang ihm 1945 die Erneuerung des Musiktheaters. Bei aller Erneuerung stand ihm die ganze Schatztruhe europäischer Musiktradition zur Verfügung. Und das TfN-Orchester bringt unter der Leitung von Leif Klinkhardt diese Juwelen zum Leuchten, Im Sinne der Programmmusik wird deskriptiv getrillert, operettenhaft geschwelgt in den kurzen retardierenden Momenten. Da wummern die Pauken, dröhnen die Bläser und sägen die Streicher, wenn neues Unheil heraufzieht. Und dann fegt auch schon mal ein Orkan aus dem Orchestergraben, als wäre Britten der Erfinder der Wall of Sound gewesen.
Aber der heimliche Star des Abends ist das Kollektiv. Dieser Chor kommt daher wie ein Sturm,wie eine tosende See. Dieser Chor kann es in Sachen Dynamik und Volumen mit allen Anderen aufnehmen, selbst mit dem TfN-Orchester. Achim Falkenhausen hat hier großartige Arbeit geleistet. Mit solch einem Chor legt man sich besser nicht an, Grimes. Aber diese Erkenntnis kommt zu spät.


Peter Grimes in der Selbstdarstellung

Noch mehr Bilder

Der Spielplan am TfN

Zum Vergleich: Peter Grimes am Theater Nordhausen

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