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Showdown auf der Tanzfläche

"Die Kaktusblüte" gedeiht prächtig am TfN

Seien wir doch mal ehrlich. Komödie ist das schwierigste der dramatischen Fächer weil die Grenze zwischen Genuss und Peinlichkeit so verdammt dünn ist. Mit seiner Inszenierung von "Die Kaktusblüte" am Theater für Niedersachsen beweist Karl-Heinz Ahlers, dass er dieses Fach beherrscht. Er erzählt die Dreiecksgeschichte von Pierre Barrillet und Jean-Pierre Grédy mit viel Tempo und einer seltenen Leichtigkeit.

Ahlers gelingt mehr, als nur das Lebensgefühl der Swinging Sixties herbeizureden.  "Die Kaktusblüte" am TfN ist eine komplette Inszenierung, nicht zuletzt dank des großartigen Bühnenbildes von Andrea Jensen und der gleichermaßen großartigen Ausstattung von Eva-Maria Huke. Nicht zu vergessen das Ensemble, das in seiner Spiellaune und Leistung durchweg glänzt. Es gibt nicht eine Rolle, die im Vergleich zu anderen abfällt. Das Gesamtpaket bietet pure Lust an guter Unterhaltung.

Antonia verlangt von Julian ein

Treffen mit seiner Frau.
Alle Fotos: TfN
Barrillet und Grédy brachten ihr Stück über die Zahnarzt Julian Winston und seine Liebesnöte 1964 auf die Bühne des Théâtre des Bouffes-Parisiens. Die Komödie wurde  ein voller Erfolg und erlebte schon ein Jahr später die Premiere als Musical am Broadway. 1969 folgte dann die Verfilmung mit Walther Matthau, Ingrid Bergman und Goldie Hawn.

Der Zahnarzt Julian Winston liebt die Frauen und die Frauen lieben ihn. Um sich eine dauerhafte Beziehung vom Leib zu halten, gibt er vor, verheiratet und Vater dreier Kinder zu sein. Deswegen ist seine Geliebte Antonia überrascht, als Julian ihr einen Heiratsantrag macht. Freudestrahlend sagt Antonia ja, unter der Bedingung, die vermeintliche Gattin selbst zu treffen und sich ihr Einverständnis zu holen. Nun braucht Julian ganz schnell eine Ehefrau und in der Not überredet es seine langjährige Sprechstundenhilfe Stephanie, die rolle zu übernehmen. Doch ist selbst schon seit Jahren in ihren Chef verliebt.

Damit ist "Die Kaktusblüte" ein Stück voller Klischees: ein alternder Playboy mit einer viel zu jungen Geliebten, ein Mauerblümchen, dass plötzlich aufblüht, dazu ein erfolgloser Schriftsteller, der es ernst meint mit der jungen Damen, ein Schwerenöter, der seine Chance gekommen sieht, eine überdrehte Dame der besseren Gesellschaft, die ihre Vereinsamung beim Zahnarzt und beim Friseur abarbeitet und ein Diplomat, der fern der Heimat über die Stränge schlägt. Das Ganze gipfelt in einem Showdown auf der Tanzfläche eines New Yorker Nachtclubs.

Solch eine Anhäufung von Stereotypen braucht schon jede Menge Feingefühl, um nicht ins Peinliche abzugleiten. Schließlich  muss es ja ein Happy End geben. Karl-Heinz Ahlers und Dramaturgin Cornelia Pook haben die Handlung in viele kleine Szenen zerlegt, die an die Arbeit mit schnellen Schnitten im Film erinnern. Dennoch geht der Faden nie verloren. Das Bühnenbild mit zwei Szenerien nebeneinander, die wirken wie aus der Schachtel-Architektur der 60-er Jahre, unterstützt diese Erzählweise kongenial.

Julian kann Stephanie zum Mummenschanz überreden.
Foto: TfN
Es scheint, als ob das TfN hier den Mikrokosmos einer verlorenen Zeit aufblättert. Bis ins Detail kann das Publikum den Charme einer  Ära mit viel Lebensmut und Aufbruchwillen begutachten. Das fängt beim Baby Doll an, geht über denn Zettelkasten bis hin zur Musik. Egal ob nun die Troogs, die Kinks oder Aretha Franklin, es gibt immer den passenden Soundtrack. Immerhin war Musik das Ausdrucksmittel der 60-er Jahre.

Ob  nun André Vetters als Julian Winston, Julia Gebhart als Antonia Simmons, gotthard Hauschild als Harvey Greenfield, Marek Egert als Igor Sullivan oder Michaela Allendorf in der Dreifach-Rolle Durant, Sánchez oder Barkeeper. Das Ensemble überzeugt mit einer geschlossenen Leistung. Simone Mende arbeitet in der Schlüsselrolle der Stephanie Dickinson alle Facetten heraus. Sie verkörpert das enttäuschte Mauerblümchen ebenso glaubwürdig wie die resolute Sprechstundenhilfe mit Domina-Appeal. Auch die Befreiung vom Rollenkorsett und der Wandel zum Vamp gelingt ihr glaubhaft. Um eine wohl bekannte Formulierung zu benuten: Das ist Unterhaltung auf höchsten Niveau. Mehr davon.


Die Kaktusblüte

Die Inszenierung
Das Theater für Niedersachsen 
Die Foto-Galerie

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