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Mit Alice ins digitale Wunderland

Theaterclubs eröffnen neue Dimension des Spiels

Sie haben es wieder getan. Zum zweiten Mal in der Corona-Krise hat das Deutsche Theater Göttingen die Maßstäbe für zeitgemäßes Spiel neu definiert. Mit “Ich sehe was, was du nicht siehst” haben die Theaterclubs eine neue Dimension eröffnet, in der sich Wirklichkeit und virtuelle Realität mischen. Das Urteil des härtesten Kritikers ist eindeutig: "Geil".

Am Sonntag ging das Projekt gewissermaßen online. An diesem Termin sollte eigentlich der Start des Festivals “Am Puls” sein. Doch Corona hat dies und auch die Proben dazu verhindert. Da man aber doch etwas aufführen wollte, haben Gabriele Michel-Frei, Lisa van Buren und Jana Kühner etwas Neues konzipiert. Man könnte es als “Theater on demand” bezeichnen.

Erst scannen, dann gucken,
Alle Fotos: Kügler 
In der Corona-Krise haben sich viele Theaterschaffende mit Streaming abgemüht. die wenigstens Ergebnisse waren länger als 15 Minuten sehenswert. DT-Intendant betont zu Recht, dass hochwertiges Streaming eben auch einen hochwertigen Aufwand erfordert. Zudem macht es die Betrachter zu reinen Konsumenten, die auf die Perspektive der Kamera reduziert werden.
“Ich sehe was, was du nicht siehst” geht einen anderen Weg. Es zieht das Publikum in das Spiel hinein und lässt ihm doch die Freiheit der eigenen Sichtweise. Zudem entsteht im Grenzbereich zwischen Konserve und Jetzt eine neue Dimension des Spiels.

Die Clubs haben in Kleingruppen geprobt und gefilmt. Ihre Szenen spielen um das Haus herum, in den Werkstätten und auf dem Theaterwall. So sind 11 Stationen entstanden, die ein Ganzes ergeben.
Technik braucht man doch schon. Die Szenen werden per Smartphone und QR-Code aufgerufen und in Corona-sichern Gruppen läuft man die Stationen ab. Menschen, die auf Handys starren, gehören nun zum Erscheinungsbild des DTs. Ein Bluetooth-Kopfhörer vervollständigt die Abschottung zur Außenwelt. Jeder ist sei eigener Kosmos, seine eigene Filterblase.

Deswegen sagt der härtestes Kritiker aber auch: "Man kommt sich schon komisch vor, gelegentlich zumindest."
.
In der ersten Szene übernimmt Helena die Begrüßung. Sie fungiert nun als Lotsin durch den Videowalk. Mit einem Rüschenkleid kostümiert erweckt sie Assoziationen an Alice. Weil auch immer wieder ein Kaninchen durch das Bild hüpft, ist der Betrachter schon mit dem ersten Schritt im Wunderland.

Neun Theaterclubs beteiligen sich an dem Projekt. Dementsprechend vielfältig ist das Ergebnis. Es geht um aktuelle fragen, wie den Umgang mit Müll. Shakespeare taucht gleich zweimal auf und Ödipus spielt auch eine Rolle. Es gibt Tanzt und einen Ratgeber für Erwachsene.

Einige Szenen setzen auch leichte Verfremdung und die Perspektiven sind ungewöhnlich. Die Jugendlichen haben mit den Möglichkeiten experimentiert.

Leider fällt der Beitrag des Spielclubs 20+ ab. Er wirkt wie abgefilmtes Theater und passt sich sich nicht in das Gesamtbild ein.die Szene bezieht die Umgebung nicht ein und vergibt damit viele Möglichkeiten.

Endgültig verschwinden die Grenzen im Betrag des Spielclubs 10 - 20. Der Zoom geht in den verwunschene DT-Garten am Wall. Zwischen den alten Bäumen zeigen sie die Ausgangspositionen in Shakespeares “Was ihr wollt”. Der Klassiker landet sprachlich und visuell im 21. Jahrhundert. Da ist es schon schade, dass der Clip nicht länger dauert.

Den ganzen Sommer

Ein Rundgang dauert je nach eigenem Tempo etwa 50 Minuten. Noch bis zum 12. Juli finden täglich Vorstellungen statt. Dabei machen sie sich die Einzelpersonen und Kleingruppen im Abstand von 15 Minuten auf den Weg. eine Anmeldung unter theaterkasse@dt-goettingen.de ist erforderlich.

Der Besuch ist kostenlos, aber ein Spende für das Projekt “Theaterkasse” ist gern gesehen. Damit wird die Theaterarbeit in den Schulen unterstützt.

Ursprünglich war geplant, die OR-Codes während der gesamten Sommerferien zu präsentieren. Ob dies möglich ist, wird derzeit noch geklärt.

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