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Eins sein mit sich und den anderen

Festival schließt mit Tanzabend ab

Das Theaternatur-Festival ist dann am besten, wenn es etwas wagt und neue Wege beschreitet. Das hat der Tanzabend "UnEins" unter Beweis gestellt. die drei Choreographien konnte auch die begeistern, sich sich sonst nicht so für Tanztheater erwärmen können. Damit bekam das Festival einen gelungenen Abschluss. 

Es war durchaus ein Wagnis von Intendant Janek Liebetruth. Bisher ist Ballett in Benneckenstein nur auf begrenzten Zuspruch gestoßen. Das er mit der dreifachen Aufführung an den letzten Festivaltagen richtig lag, belohnt den Mut. 

Die Klammer war das gemeinsame Thema. Das Individuum und die Gesellschaft, das Ich und das Ihr stand im Mittelpunkt der drei Beiträge. Damit verbunden war ein Querschnitt durch das, was moderenes Tanztheater ausmacht. Klassik. Modern Dance, Break und ein wenig Akrobatik fanden an den drei Abenden zusammen. Dies ermöglichte die Vielfalt an ausdrucksformen 

Ein Solo, eine Quadrille und ein Ensemble. Auch hier waren die Formen vielgestätigund auch widersprüchlich.

Das Solo

Eine leere Bühne, links ein Stuhl, der aus einem Dorfgemeinschaftshaus zu stammen scheint. In seiner Choreographie verzichtet Yotam Peled auf Requisiten. Der Tänzer lässt in seinem Werk seinen Körper sprechen. 

Aber erst einmal muss man die Stille aushalten. Fast zwei Minuten lang kein Ton und keine Rührung ehe er sich in  Bewegung setzt. Aus der Stille wird ein penetranter Sinus-Ton. Es sind Bewegungen, die beim Zuschauen schmerzen. Peled scheint nicht Herr über seine Gliedmaßen zu sein. Er zuckt, er streckt sich, er dreht sich. Mediziner würden einen tonisch-klonischen Krampfanfall vermuten. Auf jeden Fall wirkt die Figur auf der Bühne fremd bestimmt. 


Aus dem Sinus-Ton wird Rhythmus und die Bewegungen verlaufen nun synchron. In seinem Militärdress vollführt Peled Übungen, die eindeutig Drill sind. Immer noch ist er fremdbestimmt.

Es ist jede Menge Breakdance und Akrobatik in dieser Aufführung. Immer wieder dreht und windet sich Peled auf dem Kopf. Er leidet. Er verdreht sich, weil andere, unsichtbare an ihm drehen. Das lässt den Schmerz fühlen. Aber mit diesere Kombination überwindet er auch die Grenzen etablierter Tanzformen. 

Doch der Tänzer und Choreograph erzählt hier in Etappen die Geschichte einer Emanzipation. Aus dem Gruppenmitglied wird ein Individuum. Stück für Stück, Windung für Windung  pellt er sich aus der Uniform. Er entpuppt sich bis aus der Larve ein schillerndes Insekt geworden ist.

Doch Peled geht weiter. Zum Schluss ist er nackt und verletzlich, aber er selbst. Wie Phönix erhebt er in einem starken Schlussbild aus der Asche seiner Uniformität. Auch hier muss man die Stille wieder aushalten können. Dazu zwingt das reduziert Licht geradezu zur Konzentration  Weil seine Geschichte nicht im Mief des Persönlichen bleibt, sondern über das Ego hinau transzendiert und Anknüpfungspunkte für jedem im Publikum bietet, ist dieses begeistert.

Viererbande

In der Choreographie von Xenia Wiest steht die Dynamik einer Gruppe im Vordergrund. Es geht um das Zueinander positionieren, das Zueinander finden und das sich Voneinander entfernen. Das  

Vier Menschen, ausgestattet mit Klappstühlen, bilden ein Geviert, das die Größe eines Boxrings hat. Jeder verbleibt in seiner Ecke und beschäftigt sich mit sich selbst. Das bietet zwar schöne Einzelleistungen, wirkt aber nicht harmonisch. 



Ein Klavier spielt Tonlinien aus der Romantik, die man vor allem mit Einsamkeit assoziiert. Auch die Sprache der Tänzerinnen und Tänzer verbleibt im klassischen Tanztheater. 

Dann tritt die Tänzerin Alice Gaspari an die Rampe und dreht an einem Radio. Die Lautsprecher spucken das Kratzen eines manuellen Suchlaufs aus, bis die Suchende bei einer klassischen Soul-Nummer. Alle sind wie verzaubert. Auf einmal klappt das Miteinander. Aus den vier Solisten ist ein Ensemble geworden. 

Aus der Klassik wird Jazz Dance. In Geviert ohne Stühle begeben sich die Tänzerinnen und Tänzer auf die Suche nach dem verbindenden Wesen der Musik. Ob man dabei so viel mit den Armen rudern muss, sei dahin gestellt.Tänzerinnen und Tänzer aus der Klassik wirke ein wenig hüftsteif für den beckenfordernden Soul.

Doch jeder Zauber ist schnell zu Ende. Der nächste Sendersuchlauf endet im Feuilleton und einem Vortrag über das paradoxe Verhältnis von Individuum und Gruppe. Daher der Name Füße aus, Kopf an, Stühe aus der Ecke. Alle vier finden sich nun in einem Stuhlkreis wieder. Was die Vier deutlich machen: Man redet mit Händen und Armen über einander. 

Xenia Wiest hat eine feine Beobachtung in eine passende Sprache umgesetzt. Aus dem Diskurs wird schnell ein Nachäffen. Es wird nicht klar, wer den Ton angibt. Die Vier sind synchronisiert als sie aus dem Stuhlkreis heraus wieder den Tanzboden erobern. 

Doch die Harmonie der zweit Szene ist verschwunden. Nun folgt der letzte Bruch. Marco Rizzi verlässt die Gruppe und markiert sich selbst als Außenstehenden. Das ist das letzte Bild, das in Erinnerung bleibt. 

Die Compagnie

Die Choreographie "Konsequenzen" hat Ester Ambrosino bereits 2017 erarbeitet. In der Corona-Krise wird die Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, nach Handeln, Unterlassen und Folgen immer wieder neu gestellt. Deswegen hat die Arbeit des Tanztheaters Erfurt schlagartig an Aktualität gewonnen.

Es ist eine surreale Reise ohne Ziel über viele Stationen durch dieses weite Feld, das aber keinen Erzählstrang folgt. Hätte Buñuel Ballett gemacht, es hätte wahrscheinlich so ausgesehen. Es sind überwältigende Bilder, die sich der üblichen Logik entziehen.Es ist vor allem ein gelungenes Zusammenspiel aus den Elementen Tanz, Sprache, Musik und Licht und an diesem Abend der Beitrag mit der meisten Reife.   

Nicht alles erschließt sich dem Betrachter, einiges bleibt im eigenen Code der Gruppe verborgen. Andere Szenen sind von beeindruckender Eindeutigkeit. Das gilt vor allem für die Fesselszene, in der das Individuum im Netzwerk über den Tanzboden geschliffen wird. Oder die "Reise nach Jerusalem", die Inklusion und Exklusion in Bewegung und Gruppendynamik umsetzt. Soziale Prozesse werden durch Tanz verdeutlicht. Was will man mehr? 

 


Der Dreiklang lautet Geheimes, Eindeutiges und Ambivalentes. Damit ist die Inszenierung komplett und gibt jedem die Chance für die eigene "Konsequenz". Dazu gehört der geschlechtslose Riese. Ist es ein Figur aus Pink Floyds "The Wall" oder ein Verwandter von Harry Potters Dementoren? Was macht der Reise eigentlich? Ist das die heilige Konsequenz? Manche Fragen muss man sich selbst beantworten und das ist gut so, denn die Choreographie von Ester Ambrosino  setzt eben auf erwachsene Zuschauer.

Genauso vielfältig sind die Formen. Das Tanztheater Erfurt verbindet in dieser Aufführung Modern Dance mit Jazz Dance und macht Anleihen beim Break Dance. Es sind immer raumgreifende Bewegungen, als wollten die Tänzerinnen und Tänzer selbst in der Klaustrophobie die ganze Welt umarmen. 

Dabei können sowohl die Solisten überzeugen als eben auch die Compagnie als Gruppe. Die Spannung entsteht in aller Regel aus den Einzelleistung im Kontrast zum Ensemble, dass wie ein Körper agiert.

Dennoch hätte konsequente dramaturgische Arbeit der Aufführung gut getan. Bei einer Dauer von 65 Minuten als dritter Teil eines Tanzabend ist die Aufnahmefähigkeit im Plenum dann schon erschöpft. Auf jeden Fall weckt dieser Tanzabend die Vorfreude auf Theaternatur 2021  



Material #1: Mehr Fotos - hier

Material #2: Theaternatur - Das Festival

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