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Ein leiser Angriff auf den Mythos

Erich Sidler inszeniert "Wagner - Ring des Nibelungen" am DT Göttingen 

Dieses Stück ist wohl nötiger denn je. Am Deutschen Theater Göttingen hat Erich Sidler “Wagner - Der Ring des Nibelungen” von Thomas Köck inszeniert. Es geht um die Wirkungsmächtigkeit der Mythen. Die Aufführung ist ein vielschichtiger Kommentar zur Zeit und lässt dabei Raum für die Zuschauer.

Vier Opern, 16 Stunden Spielzeit und insgesamt 24 Jahre Schaffenszeit. Der Ring der Nibelungen ist das Opus magnum von Richard Wagner. Das Werk und ihr Schöpfer verschmelzen in der Populärkultur. Seine Fans bezeichnen sich als Wagnerianer und bekennen sich zu ihrem sektenhaften Verhalten. Nicht weniger als die ganze Welt erklären, wollte Wagner hiermit und ausgerechnet der selbst ernannte Punk Schlingensief holte den bayerischen Sachsen aus der Ecke der Untoten.

In Zeiten, in denen das Narrativ mehr zählt als die Fakten, ist ein Stück, dass sich mit der Kraft der Mythen beschäftigt, dringend notwendig. Autor Thomas Köck liefert mit dem Blick in die Vergangenheit eine Betrachtung der Gegenwart ab. Allein schon diese Leistung verdient Lob.

In der Inszenierung von Erich Sidler am Deutschen Theater Göttingen bleibt nicht viel vom Wagnerschen Pomp. Statt dräuender Pauken oder Bläser gibt es Stille, statt Helmen mit Hörnern gibt es Bilder. Statt von der Musik erdrückt zu werden, bleibt dem Publikum so Raum für Reflexionen.

Der Ausgangpunkt: Siegfried, Vater und
Psychiater.   Alle Fotos: DT Göttingen
Auf dem eisernen Vorhang flimmert Fritz Langs Stummfilm von 1923. Männer in Fellen hüpfen durch den Wald, schauen bedeutungsschwanger und töten Drachen. Das wirkt heute unfreiwillig komisch, aber es bleibt die Frage: Wohnen in diesem Wald nicht auch die Hobbits? Gleich zum Start gelingt die Anknüpfung an Tolkien und dessen Opus magnum.

Das Bühnenbild von Jörg Kiefel ist karg. Die Wände in Sichtbeton-Optik erinnern an die unmenschliche Architektur des Brutalismus. Die Seitenwände verkleinern die Guckkasten-Bühne noch einmal und verengen den Blick auf die Drehbühne in der Mitte. Konzentration ist gefordert.

Kiefel und Kostümchefin Jessica Karge verzichten bewusst auf die skurrile Optik der aktuellen Inszenierung in Berlin. Es gibt auch keine Helme mit Flügeln oder Hörnern Die Göttinger Ausgabe soll nicht zum Panoptikum werden. Es geht um Analyse der Seelenlandschaft.

Der gealterte Siegfried sitzt in der Psychiatrie. Sein Stiefvater Mime hat ihn eingeliefert. Nun wird er therapiert. Paul Wenning spielt den gestörten Ex-Helden mit dem nötigen Quantum Verwirrung, ohne ins Lächerliche abzugleiten. Die Videoschnipsel verdeutlichen den Unterschied zwischen Traum und Realität. Doch noch ist seine Stimme monoton, später gewinnt er an Kraft zurück.

Von diesem Startpunkt aus beginnt der Exkurs durch die Welt der Nibelungen als Reise über viele Stationen. Dreht sich die Bühne, dann gibt sie eine neue Perspektive auf diesen Kosmos preis.

Dabei gelingt es Erich Sidler, den Blick von der Oberfläche in den Hintergrund zu lenken oder gelegentlich in die Tiefe der Seelen. Schon in der zweiten Szene mit den Rheintöchtern und Zwerg Alberich findet die Kapitalismuskritik ihren Platz auf der Bühne. Es geht um Gold und um die Funktion der Schulden in der Welt der Wirtschaft. Wie einst Wagner seine Stabreime durcheinander wirbelte, reiht Köck die Assoziationen zu den verschiedenen Bedeutung von Schuld und Schulden aneinander. Von Schuld und Schulden hänge alles ab.

Überhaupt vertraut Sidler in der an Taten armen Inszenierung auf die Macht der Worte und der Assoziationsketten. Das Publikum kann sich da gern dranhängen. Leider gerät Volker Muthmann in seiner Darstellung des Alberich zu dicht an Gollum aus der Ring-Verfilmung heran. Dessen “Mein Schatz” wird zu “Mein Ring”. Erfrischend und überzeugend agieren hingegen Anna Paula Muth, Andrea Strube und Jenny Weichert in den Dreifachrollen als Rheintöchter, Walküren und Nornen. Sie lenken aus dem Hintergrund und haben im Stile einer Girl-Gang die Macht übernommen. Welch eine glück, dass sie sich meist hinter Gittern befinden. Was würden sie sonst noch anstellen. 

Auch Feridun Öztuprak und Florian Eppinger tun sich in den Rollen der Riesen Fasolt und Fafner durch gangsterhaftes Gehabe hervor. Ihr schnelles Ende macht deutlich: Alle streben zur Macht, aber viele kommen durch sie um. Leben vergehen, die Macht bleibt bestehen und der Ring als ihr Zeichen muss weiter wandern.

Die Bühne dreht sich erneut. Es geht zur nächsten Station und die nächsten Figuren werden eingeführt. Darunter Wotan, den überschuldeten Bauherren. Diese Erzählweise erleichtert zwar den Zugang zu den komplexen Themen, wirkt im Laufe der Inszenierung aber ermüdend.

Wagner hat sich seine Welt aus einem Mix des Nibelungenlieds, der Edda und einiger anderen Sagen zusammengebaut. Thomas Köck macht es ihm nach. Er mischt die vier Ring-Opern zu einem Wagner-Smoothie, der aber nicht vermengt, sondern Kontinuitäten deutlich macht.

Rheintöchter, Walküren und
Nornen zugleich. Foto DT GÖ
Dazu gehört Wotan. Diese Rolle gewinnt an Bedeutung, er wird von der Randfigur bei Wagner zum echten Akteur. Immerhin muss hier der Mythos vom alten weißen Mann zelebriert werden und Gabriel von Berlepsch macht dies mit einer gekonnten Mischung aus Hinterlist und Verzweiflung. Er macht aus einer plakativen Figur einen echten Menschen.

Eine Umdeutung in die and
ere Richtung erfährt die Figur der Brünnhilde. Bei Wagner noch die treibende Kraft im Ränkespiel der Nibelungen wird sie bei Sidler zur germanischen Kassandra. Die atemlosen Monologe von Rebecca Klingenberg haben reichlich Zeigefinger-Appeal. Lediglich die Wutausbrüche machen ihre Verzweiflung klar. Dem Dauerkonflikt mit Schwestern und Vater kann sie nicht friedlich entkommen.

Doch die stärkste Leistung liefert Gaby Dey in der Rolle der Sieglinde ab. Ihre abgeklärte Darstellung und Sprechweise sind der ruhenden Kontrast zu dem überdrehten Treiben der Götter, Halbgötter und anderer Helden. Sie erdet das Stück bekommt dafür zu Recht Szenenapplaus.

Die Gier steht am Anfang von allem und der Mythos ist ihr Werkzeug. Das ist die These des Stücks. Aber ständig werden neue geschaffen. Da macht auch dieses Werk keine Ausnahme. Köck deutet immer viele politische Legenden an und verwirft sie. Die Leistung der Inszenierung am Deutschen Theater liegt darin, dem Publikum Raum und Gelegenheit zur Reflexion über Mythen zu schaffen. Der Verzicht auf Belehrung ist dabei eine Wohltat.

Die Inszenierung bleibt an vielen Stellen bewusst zweideutig bei der Bewertung der Narrative. Es bleibt dem Publikum überlassen, sich zu entscheiden, ob es um Darstellung, Analyse oder schon Satire geht. Der Bildersturm bleibt aus. Sidler liefert einen leisen aber deutlichen Angriff auf den Mythos Wagner. 

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