Faust trinkt Efes-Pils

Theater für Niedersachsen gewinnt der Tragödie erster Teil komische Seiten ab

Der Herr Heinrich Faust ja so viel studiert und in einigen Fächer hat er wohl auch promoviert. Aber wenn sich die Gelegenheit ergibt, dann trinkt er mit seinem türkischen Nachbarn an einem lauen Frühlingstag auch schon mal ein Bier. Dies ist nicht die einzige Erfrischung in der Inszenierung des TfN von Goethes Welterklärungsstück "Faust. Der Tragödie erster Teil". Mit popkulturellen Rückgriffen holt Wolfgang Hofmann das Monument deutscher  Dramatik vom Sockel. Vielleicht wirkt dieser Faust so zeitbezogen, weil Goethes Fragen, die Frage nach den Grenzen der Erkenntnis und die Frage nach der Schuld, Fragen ohne Mindeshaltbarkeit sind? Dies herauszuarbeiten, das ist dem Regisseur fraglos gelungen.
Gott ist ein weltentrückter und gelangweilter
Bartträger. Fotos: Andreas Hartmann/Tfn
Der Direktor des Vorspiels auf dem Theater ist ein Typ von heute, im Auftreten und in Gestus mehr Manager als vKunstschaffender bereitet  er das Publikum vor. Hofmann erweist der Vorlage seine Referenz, die Sprache verbleibt im Knittelvers und Madrigalvers Goethes, der damit schon einen Kunstgriff auf die Entstehungszeit der Faust-Legende wagte. Dennis Habermehl gelingt eben dieser Spagat zwischen 16. und 21.Jahrhundert souverän. Der Vorhang öffnet sich und eine wichtige Komponente der Hildesheimer Aufführung feiert ihren Auftritt: Das Bühnenbild.
Dürfte Terry Gilliam einmal die Sixtinische Kapelle bemalen, dann sähen die Fresken wahrscheinlich so aus wie diese Kulisse, lauter Figuren auf der Grenze zwischen Surrealismus und Wahn. Mit der Ausstattung hat Lars Peter nicht nur die Aussage erfasst, er spitzt sie zu.
Ansonsten ist der Himmel nichts weiter als ein Schönheitssalon mit ein paar aufgebretzelten Engeln und einem entrückten Gott, dessen größte Sorge die Pflege seines unendlichen Bartes ist. Um die Menschheit kümmert er sich schon lange nicht und da kann er das Schicksal des Dr. Faust unbeschwert in die Hände des Mephistopheles legen.
Wenn der Hildesheimer Faust ein Spiel für zwei Personen ist, dann liegt dies sicher auch an Moritz Nikolaus Koch in der Rolle des Mephistopheles. Immer ein diabolisches Lächeln in den Mundwinkel, mit einem Hauch der Comicfigur des Jokers, ist dieser Teufelskerl immer Herr der Lage. Worte sind seine Waffe, damit arbeitet manipulativ und stets zielführend. Fast gottgleich wird Mephistopheles, als er Faust den Finger zur Erschaffung eines neuen Typs Mensch reicht. Einfach ein schönes und freches Michelango-Zitat. Und doch gibt es einen schleichenden Rollenwechsel. Erst hat Morit Koch nur Augen für seinen Weggefährten und blickt wie ein kleines Hündchen, wie ein Pudel, zum hochgelehrten Herren auf. Doch in der Hexenküchen dreht sich das Verhältnis. 
Faust und Mephistopheles erschaffen sich
gegenseitig.
Faust ist ein leichtes Opfer. Am Ende seines wissenschaftlichen Weges angekommen, verzweifelt er an seiner Verzweifelung. Keins seiner hehren Ziel hat er erreicht, der Einblick in die Dinge, die die Welt zusammenhalten, gelingt ihm nicht. Selbst die Einsicht, dass sein Streben überambitioniert war, bleibt ihm verwehrt. Somit bleibt die Hildesheimer Inszenierung vor der Pause die von Goethe intendierte Erkenntnistragödie.
Texttreu bleibt auch Rüdiger Hellmann in der Titelrolle. Er versteht es, mit  wohl gesetzten Betonungen die wichtigen Nuancen in diesem Dauermonolog der Resignation zu setzen.
Fausts Studierzimmer ist der schmutzige Elfenbeinturm der vergeblichen Wissenschaft, es ist zugleich das Gefängnis eines ruhelosen Geistes. Das selbe Bauwerk wird später zum Lotterbett und Kerker und ist so das zentrale Element des Bühnenbilds.
Mensch wird Faust erst als er dieses Gefängnis verlässt, beim Osterspaziergang mit Wagner. Die Grundfrage bleibt nach mehr als 200 Jahren dieselbe. Wo ist man Mensch, wo kann man sein? Na eben beim Federballspielen und beim Grillenund beim Bier trinken mit dem türkischen Nachbarn trinken. Hier läuft Hellemann zu großer Form auf und wirkt selbst befreit von allen Zwängen.
Die Hexenküche ist kein mystischer Ort, sondern eine Bar im Rotlicht-Milieu, derb, vulgär und ohne Hemmungen. Schließlich ist es auch Hofmanns Anspruch, die Seiten des Fausts zu zeigen, die der Zensur zum Opfer gefallen sind. Aus dem Wissensbegierigen wird nun einfach ein alter geiler Bock. Wenn wir nicht erfahren, was die Welt im Inneren antreibt, so wissen wir doch, dass es den Mann immer zum Weibe hinzieht. Der Wissensdurstige wird zum Triebgesteuerten. Wie ein Gockel stolziert Hellemann durch die Brunnenszene und das ist in dieser Inszenierung auch logisch
Liebt der Faust seine Grete wirklich oder
ist es nur das Spiel eines alten Mannes
mit einem sehr jungen Mädchen?
Bleibt der zweite Abschnitt dieser Aufführung eine Liebestragödie oder wird er zum Sexspiel? Auf jeden Fall gesellt sich zum Duo Hellemann - Koch eine ebenbürtige Joëlle Rose Benhamou als Margarete. Sie durchquert alle Stadien des Teenagers von verwirrt über verliebt und verloren bis verlassen. Am eindruckvollsten gelingt Joëlle Benhamoudie Kerkerszene, als sie in Sekundenbruchteilen von Wahn auf Hoffnung und wieder auf Entsetzen umschaltet, die Stimme vom Keller in schwindelndeHöhe jagt und die kleinen Gesten die verlorene Frau verdeutlichen. Ein Happy End ist einfach nicht zulässig. Der liebe Herrgott hat wohl kein Interesse mehr an seiner Ordnung. Aber wer gegen die menschliche Ordnung verstößt,der muss büßen, der muss bezahlen. Am Ende bleiben eine verlassene Frau und viele zerstörte Leben
Faust. Der Tragödie erster Teil ist Goethes Drama mit den weltbewegenden Fragen. Das man die Nuancen bei den Antworten anders setzen kann und muss, das zeigt die Inszenierung am TfN und sie zeigt, dass die Antwort auch lebensnah, zeitgemäß und durchaus mit einem Schuss Humor ausfallen können. Das Publikum hat sich zur Premiere mit lang anhaltenden Applaus für wenigstens diese Einsicht bedankt.


Das Stück aus der TfN-Website

ZumVergleich:
Der Faust in Göttingen
Der Faust bei den stillen hunden.



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