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Wo wohnt eigentlich das Herz?

Wiederaufnahme von "Maria, ihm schmeckt's nicht"


Im Tiefsten seines Herzens ist der Clown eigentlich todtraurig. Schwer wird es nur, wenn der Clown nicht weiß, wo sein Herz eigentlich ist und deswegen einen anderen zum neuen Clown machen will. Das man solch ein vertrackte Geschichte mit viel Spaß und Freude erzählen kann, haben Christian Doll und Heiko Lippmann schon bei den Domfestspielen 2013 mit ihrer Vertonung des Bestsellers "Maria, ihm schmeckt's nicht" gezeigt. Die Premiere am Mittwoch brachte den Beweis, dass diese Eigenproduktion in diesem Jahr mehr als eine zweite Chance verdient hat. Auch in der Wiederaufnahme ist das Musical eine schnelle und schräge Revue, die die schweren Fragen des Lebens mit einer eigenen Art des ars vivendi beantwortet. Und es ist der Abend von Hans-Jörg Frey und von Tabea Scholz.
Jan liebt Sara und Sara liebt Jan und eigentlich wollen sie nur ihre Eltern in Krefeld besuchen. Doch die Geschichte bekommt eine Eigendynamik. Jan hält um Saras Hand an und ihr italienischer Vater will sein Ja-Wort nur geben, wenn der zukünftige Schwiegersohn zuvor die komplette Familie in Campobasso kennengelernt hat. Damit beginnt ein Parforceritt durch deutsch-italienische Unterschiede, dem Aufeinandertreffen zweier Kulturen und durch Missverständnisse, durch die Küche Italiens und durch das Seelenleben derer, die nicht so recht wissen, wo sie eigentlich zu Hause sind, wie die Rolle aussieht, die man ihnen zugedacht hat und welchen Platz sie einnehmen dürfen, nicht nur im Restaurant, auch im Leben der anderen.
Sara, Jan und Antonio steht am Beginn einer Reise,
die sie zu sich führen wird. Foto: Hillebrecht
Mit ihrem Musical zu Jan Weilers Bestseller ist Heiko Lippmann, Max Merker und Christian Doll das Kunststück gelungen, einen schwierigen Stoff einem breiten Publikum mundgerecht zu servieren. Die Dialog sind knapp und rasant und manchmal überbieten sich die Sprechenden wie ein Screw-Ball-Komödie. Ob Tarantella, Rock'n'Roll, Schlager, Blues oder Pop-Ballade, das Musical findet in jeder Situation den passenden Ton. Schrilles Outfit und die Musik versprühen gelegentlich die Charme von "O sole mio" und anderen Italien-Schlagerfilmchen der 60-er Jahre. Das erstaunliche: Es macht Spaßt, denn ein bißchen Klischee kann nicht wirklich schaden. Ob nun Polizist oder Carabinieri, Scherze über Uniformierte gehören erst recht in Italien zum Lebensgefühl. Zwei Uniformierte auf einer Vespa, das ist wie Arlecchino und Peppino auf zwei Rädern, es darf gelacht werden.
Geschickt gelöst ist auch die Frage der Zeitebene, denn erzählt wird aus der Retrospektive. Alles beginnt mit einem großen Fest bei den Marcipanes in Campobasso, dann kommt der Rückschritt nach Krefeld, wo alles begann. Immer wieder eingewoben sind aber Rückblenden in die Lebensgeschichte von Antonio und Ursula Marcipanes. Dann zeigt die Regie, was ein gute Lichtführung für eine Aufführung bedeutet.Nur zwei Spots erhellen die Bühne, das Jetzt verschwindet im sparsamen Licht und im Fokus der Scheinwerfer erzählen und ertanzen Johannes Kiesler als junger Antonio und Franziska Schuster als junge Ursula vom Leben mit den Vorurteilen den Gastarbeitern gegenüber in der Bundesrepublik. Das sind die Momente der kalkulierten Stille und damit ist die Gandersheimer Produktion näher dran an der Vorlage als vielleicht der Film.
Der alte Antonio und sein Freund Daniele blicken
zurück auf den jungen Antonio. Foto: Hillebrecht
Überzeugend ist auch der Einfall von Cornelia Brey mit dem Topf roter Geranien. Mehr Retro in Blumenform geht gar nicht. Der Blumentopf taucht immer wieder markant und leuchtend auf, muss herhalten, wenn es um Gefühle geht und begleitet die komplette Aufführung bis zum Happy End als Bindeglied. Schön, wenn sich das Konzept einer Inszenierung auch in solchen Details wiederfindet.
Aber es ist vor allem der Abend von Hans-Jörg Frey in der Rolle des gealterten Antonios. Er schafft es, alle Schichten dieser komplexen Person mit einer außergewöhnlichen Biografie freizulegen und dem Publikum den Spaß an dieser Rolle zu vermitteln. Antonio Marcipane hat sich entschieden, den Clown zu spielen, weil er die Rollen, die man ihm zugedacht hat, nicht passen. Überall ist er ein Außenseiter, selbst in Campobasso als Sohn eines sizilianischen Tagelöhners Publikum mit Spaß an dieser Rolle. Dabei gibt Frey ein sehr persönliches Portrait ab. Er verzichtet auf Transzendenz und große Gesten und sagt klar: Das Rezept dieses einzigartigen Antonio Marcipanes gegen die Widrigkeiten des Lebens, das ist der Humor.
Die andere starke Person in dieser Inszenierung ist Tabea Scholz als Sara Marcipane. Erst geht sie frisch verliebt über die Bühne, freut sich kindlich über das Wiedersehen mit ihrer Familie in Italien und bewältigt doch die Krisen, als Cousin Marco ihr dezutlich macht, das Erinnerung doch täuschen können und als sich der Frust im "Alles läuft nach Plan"-Blues entlädt, lässt sie zur wütenden Gestik und Mimik auch noch große Stimme hören.
Sara (rechts) weiß, dass jetzt die Zeit zum
Handeln ist. Foto: Hillebrecht
Die Klischees der ewig kochenden und singenden Italienern funktionieren  nur so gut,weil Ulf Schmitt als Jan eine so gut kontrastierende Grundlage liefert. Gefangen in seiner Biografie und in seinem strukturierten Leben scheint der Deutsche an sich permanent überfordert mit italienischer Lebensart und Herzlichkeit. Hängende Schultern,  tappsige Schritte und nur Zuschauer im Leben, Ulf Schmitt gibt dieser Überforderung eine Kontur. Aber schön, dass er zum finalen Happy End dieses enge Korsett ablegen darf.
Die andere starke Klischee-Rolle bleibt für Christine Dorner übrig. Genauso haben wir uns immer eine italienische Großmutter, die Nonna,vorgestellt. Ein wenig verbittert über das harte Leben, immer granteln, doch mit einem großen und gutmütigen Herzen ausgestattet. Aber schön, dass sie nach der Liebestrank-Grappa-Zechtour aus eben dieser Rolle fallen darf.

Ende gut, alles gut? Ende gut -Inszenierung gut.

Das Stück
Der Spielplan

Die Buchvorlage

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