Stylish in den Abgrund
Toni Burkhardt inszeniert eine eindrucksvolle Manon in Nordhausen
Hier stimmt alles. Diese Oper ist ein überzeugendes Gesamtpaket. Mit seiner Inszenierung von Massenets "Manon" bestätigt Toni Burkhardt seinen Ruf, vermeintlich seichten Themen ein beeindruckende Tiefe zu verleihen. Dafür gab es bei der Premiere am 8. Februar jede Menge Szenenapplaus und donnernden Beifall zum Schluss.
Burkhardts erster Kunstgriff ist die Entzeitlichung und die Verschiebung der Handlungsorte. Massenets Vorlage von 1884 erzählt eine Geschichte aus dem frühen 18. Jahrhundert. Doch Toni Burkhardt verlegt das Geschehen aus der französischen Provinz ins das quirlige Paris irgendwo am Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Damen der Gesellschaft tragen Bubikopf und kleines Schwarzes statt Fontage und Manteau. Der Herr von Welt kleidet sich im Zweireiher oder im Smoking. Mit diesem einfachen Mittel erreicht er ein Mindestmaß an Abstraktion.Erlöst Zeit und Ort auf, um eine allgemeingültige Aussage zu machen.
Es ist Liebe auf den ersten Blick zwischen Manon und des Grieux. Alle Foto: Roland Obst |
Das Bühnenbild wird von einer riesigen Uhr dominiert, die sofort Assoziationen an den Stummfilmklassiker "Safety last" von Harald Lloyd wachruft. Ja, genau der, wo der Mann mit Hornbrille an den Zeigern einer Uhr hängt und droht, in den Abgrund zu stürzen.In diesen Schmelztiegel wird nun Manon, das Küken aus der Provinz, geworfen. Von dort an befindet sie sich auf der schrägen Ebene Richtung Verderben.
Es ist gleich klar: Das kann nicht gut ausgehen. Auf dem Weg ins Kloster soll sie in Paris nur Zwischenstation machen, doch sie erliegt den Verlockungen des lockeren Lebens sofort. Als Manon und der junge Chevalier des Grieux auf einander treffen, ist ihr Schicksal besiegelt. Erst ist Manon der Solitär im wohlgesetzten Spotlicht, später wird sie zum Kristallisationspunkt der Pariser Spaßgesellschaft. Sie singt im Scheinwerferlicht wie eine Pop-Ikone, eine Madonna der Charleston-Ära.
Burkhardts Manon ist keine Parabel über das schlimme Ende jeglichen Lotterlebens. Er stellt die Frage, warum die junge Frau sittsam leben soll, wenn sich um sie herum alles in Saus und Braus versinkt und Ränkeschmieden und Imponiergehabe das menschliche Miteinander bestimmen. Es ist eine Tragödie über die Zwangsläufigkeit des Untergang der Einzelnen im Getriebe der Verführer. Damit lässt Toni Burkhardt die Oper von Jules Massenet im 21. Jahrhundert ankommen.
Lescaut (links) hat schon was anderes mit seiner Cousine vor. Alle Fotos: Obst |
Dagegen steht die Clique viel besser dar. Katharina Boschmann als Pousette, Anja Daniela Wagner als Rosette und Brigitte Roth als Javotte bildet als Trio Infernale einen starken Gegenpol. Sie sind die Nornen, die Enkelinnen von Macbeths Hexen.
Manon ist eine Oper, die von der Titelfigur dominiert wird und damit ist sie ein Werk, das ganz auf Elena Puszta zugeschnitten ist. Sie schafft es den rasanten Wandel der Anti-Heldin glaubhaft zu vermitteln. Egal, ob staunendes Kind, verliebte Frau, selbstbewusste Femme fatale oder Todgeweihte, Elena Puzsta verleiht ihrer klaren und dynamischen Stimme immer wieder die passende Nuance. Damit ist sie eine Säule des Erfolgs.
Sie sind die Enkelinnen von Macbeths Hexen.
Foto: Obst
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Kongenial zur Regie präsentiert sich das Bühnenbild von Wolfgang Kurima Rauschning, dass jeder Zeit zur Gesamtaussage beiträgt. Mit wenigen Elementen entsteht im zweiten Akt eine Pariser Mansardenwohnungen wie aus dem Klischee, vorne weiß und unschuldig wie die Liebe zwischen Manon und dem jungen des Grieux. Doch jenseits des Fenster beginnt die Dunkelheit, droht das Verderben. Mit der intelligenten Lichtführung von Stefan Gimbel werden nicht nur Stimmungen geschaffen, sondern auch die Positionen der Akteure verdeutlicht.
Der optische Bruch kommt mit dem dritten Akt. Blau und Schwarz werden zu den bestimmenden Farben, verleihen der Bühne eine atemberaubende Tiefe. Die Uhr als Konstante, als verlässliche Größe ist gebrochen. Ein dunkles Rot kündigt im vierten Akt das Unheil an.
Toni Burkhardt und Dramaturgin Anja Eisner ist es gelungen, eine Geschichte aus dem 18. Jahrhundert und eine Oper aus dem 19. Jahrhundert ins 21. Jahrhundert zu transkribieren ohne dem Stoff Gewalt anzutun. Sie gewinnen dem bekannten Thema Seiten ab, die über den reinen Kontext hinausweisen. Am Theater Nordhausen ist eine Inszenierung gelungen, die nicht zuletzt dank der Darsteller in allen Bereichen überzeugt.
Das Stück
Der Spielplan am Theater Nordhausen
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