Bollywood, der Papst und der Duft der weiten Welt

Das Experiment "Im Namen der Rose" ist eindeutig gelungen

Mit dem Spektakel "Im Namen der Rose" betrat das Theater für Niedersachsen (TfN) Neuland. In Zusammenarbeit mit dem Forum für Kunst und Kultur Heersum entstand eine Produktion, die die Grenzen des Theaters aufhebt. Das Experiment ist gelungen und Spßa gemacht hat es auch. Bei der Premiere am 11. Juli waren alle begeistert, Darsteller, Produzenten und Zuschauer.

Noch nie war die Besetzungsliste einer TfN-Produktion so lang. 149 Namen und "u.a." sind dort zu finden. Meist sind es Laiendarsteller des Forum für Kunst und Kultur aus Heersumer, das über dem Namen Sommertheater seit 1990 Kulturarbeit auf dem Lande leistet. Ergänzt wurde die Heersumer Schar mit Personal des TfN. Dieses sorgte auch für die Logistik und die hauptamtliche Begleitung.

Die Wildrose ist entsetzt. Der Pilz-
sammler ist da. Foto: tok
Dieses Stück sprengt alle Dimensionen. Regisseur Uli Jäckle spricht bei den Projekten der Heersumer gern von Landschaftstheater. Das heißt sich, dass seine Truppe die Mauern einer festen Spielstätte hinter sich lassen. Die Landschaft selbst wird zum Teil der Inszenierung, zum Thema. In diesem Falle ist es die Stadtlandschaft von Hildesheim. Immer wieder gibt es Bezüge zu den mittelalterlichen Bauten und  den Bausünden der Nachkriegszeit. Denn die Stadtlandschaft spiegelt ja die Geschichte wieder.

Diesen Stadtraum macht die Inszenierung begreifbar und begehbar. Der Auftakt des Spektakels läuft parallel an vier Spielstätte. In Form von improvisierten Stadtführungen werden die Zuschauer in Kleingruppen an den ersten zentralen Spielort Marktplatz geführt. Allein schon de3r Weg dorthin wirdf zum Erlebnis.

Unterwegs treffen die Gruppen immer wieder aufeinander, tauschen sich aus und grenzen sich ab. Aber jeder Gruppe erlebt ihre ganz eigene Führung. Dabei geht es nicht nur um Gemäuer, sondern auch um die Menschen, die diesen Stadtraum bevölkern und beleben. Die kleinen Geschichten sind deutlich von Monthy Phyton inspiriert. Letztendlich wird sogar das Publikum zum Teil der Inszenierung. Die Grenze zwischen Darsteller und Zuschauer wird aufgeweicht.

Was aussieht wie improvisiert, ist genau geplant. Im Stadtgebiet sind Schauspieler verteilt, die alltägliche und außergewöhnliche Szenen darstellen. Es wirkt wie ein surrealistischer Film von Bunuel. Da stehen Touristen, die in Stadtplänen blättern, Käuferinnen, die in Schaufenster starren, und Polizisten, die die Wege sichern. Denn es geht ein Gerücht durch die Stadt: Der Papst kommt.

Auf dem Marktplatz laufen die Fäden zusammen. 
Auf dem Marktplatz vor dem Rathaus werden die Zuschauer, Darsteller und die Fäden zusammengeführt. Nach dem Prolog im Stile eines Mangas und der Darlegung der Ausgangssituation wird das Tempo noch einmal gesteigert. Hier treffen die vier Maritas und Klaus-Dieters aus den Vorspielen aufeinander. Alle sind auf der Suche nach einer Herberge und es entbrennt ein wildes Feuergefecht um das einzige freie Hotelzimmer.

Vier Opels und ein Polizeiauto befahren die Szenerie. Bürgermeister und Stadtrat spielen den Chor einer griechischen Tragödie, in Maharadscha greift ins Geschehen ein. Die Hildesheimer Polizei tanzt zu Bollywood-Klängen und Dennis Habermehl darf als Klaus-Dieter Matumsack unter den Augen des Rolands im Stadtbrunnen planschen. Schließlich hat das Hotel keinen Pool. Erfrischend.

Doch, dieses Stück sprengt alle Dimensionen. Eine größere Requisite als der Drehleiterwagen, mit dem sich der neue Marketingleiter Franz Vorne chauffieren läßt, dürfte es in der Geschichte des TfN noch nicht gegeben haben.

Ach Handlung, wird überbewertet. "Im Namen der Rose" ist eine Klamotte im besten Sinne. Sie vereint Slapstick. Satire und Selbstironie und bedient sich frech und treffend im Steinbruch der Popkultur. Zu den Klängen des Golden Reiters von Joachim Witt braust Franz Vorne auf den Marktplatz und sofort weiß das Publikum, dass dieser Mann wohl nicht ganz richtig sein kann. Arnd Heuwinkel spielt den Marketingleiter an der Grenze des Größenwahns mit übersprudelnder Freude und reichlich Berliner Schnauze. Die Stilmittel und der freche Umgang mit den Formen sind Selbstzweck und schon allein deswegen lohnt sich das Zuschauen.

Hildesheims Polizei tut Dienst in Bollywood.
Im Kern dreht sich das Stück nicht nur um die Sage der Hildesheimer Rose und den Bau des Doms vor 1.200 Jahren. Es geht auch um die jüngere Stadtgeschichte, den schleichenden Bedeutungsverlust und das vermeintliche Qualitätsmerkmals "Großstadt".

Eine Marketingoffensive mit dem Duft der weiten Welt soll die Situation schlagartig verbessern. Die Rose am Dom soll dabei helfen. Doch beide sind lebendig geworden, haben ein Kind gezeugt und sind nach Rom geflohen.

Doch die Polizei hält die Domgärtner für die Hintermänner. Schließlich ist der Mörder immer der Gärtner. Wie die Ordnungshüter mit den Tatverdächtigen umgeht und welche Hintergründe die Flucht wirklich hat, das erfährt das Publikum an der dritten Station, dem Theater. Doch vorher gibt es dort eine Musikshow und der Bachelor tritt auf. Balkonszene hin oder her.  Hildesia, die auserwählte Braut, verschwämt ihn und seine Rose. Also sinnt er auf Rache und dazu bedient er sich der Terrorgruppe der militanten Ministranten. Ach ja, und der Maharadscha, der ja zwischenzeitlich die ganze Stadt aufgekauft hatte, schreitet auch wieder ein.

Das ist aber nur der Kern, um den herum sich dutzende von Einfällen und Momenten gruppieren. Einige stehen für sich und andere werden später wieder aufgenommen. Der Harmonie tut dies keinen Abbruch.

Ja, es geht um Stadtgeschichte und um Gegenwart. Diese haben Uli Jäckle, Jürgen Zinke, Marion Schorlepp und Astrid Reibstein in einem herzerfrischenden Mix mit jeder Menge Augenzwinkern und Selbstironie aufbereitet. Wer historische nicht so gefestigt ist, der kann sich an dem Tempo und skurrilen Einfällen satt sehen. Wer die leidgeplagte Hildesheimer Seele kennt, der hat ein paar Extra-Lacher sicher. Es geht auch um Selbstverständnis und um Empfindlichkeiten.

Hildesia verschmäht die Rose des
Bachelors. 
Die Reisegruppe der Uschis verwechselt immer wieder Hildesheim und Heidenheim. Die Stadtoberen wollen unter keinen Umständen irgendeinen Gast an  Hannover oder Braunschweig verlieren. Marketingleiter Franz Vorne muss immer wieder daran erinnert werden, für welche Stadt er arbeitet. Aber bestimmt gibt es in der deutschen Provinz mindestens 92 Städte, auf diese Beschreibung auch zutrifft. Deswegen ist "Im Namen der Rose" nicht nur ein Spektakel zu 1.200 Jahre Hildesheim, sondern auch die Beschreibung kleinstädtischen Befindlichkeiten und Perspektiven.

Bei diesem Stadtlandschaftstheater sind die Orte mit Bedacht gewählt. Die letzte Station ist die ehemalige Mackensen-Kaserne. Leerstehende Kasernen und hochtrabenden Pläne damit gehören auch zur Realität längs der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Man kann darüber jammern oder ein schönes Stück Theaterspektakel machen.

Natürlich gibt ein Happy End und der Papst taucht auch noch auf. Selbst das Hotel Rose erlebt eine Renaissance. Der Bau aus den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts fiel einst der architektonischen Rückkehr ins Mittelalter zum Opfer. Das ist nicht die einzige Spitze, die die Kommunalpolitik abbekommt.

Wahrscheinlich kann man solch ein Spektakel nur mit einem Partner verwirklichen, der ein wenig außerhalb des offiziellen Theaterbetriebs steht und in anderen Bahnen denkt. Der Charme der Inszenierung besteht zum großen Teil aus der Mischung von erkennbaren Laientheater und professionelle Durchführung. "Im Namen der Rose" lebt auch von den Hunderten von Einfällen, Ideen und Fäden, die  wieder zusammengefügt werden und ein Ganzes ergeben, ein lebendiges Bild der Stadtlandschaft und der Geschichte, die eben zusammengehören.

Ach, bevor ich es vergesse, die Kostüme. Im märchenhaften Prolog fantasievoll und beflügelt. Wurde eigentlich schon einmal eine Hagebutte auf die Bühne gebracht? Jedenfalls muss sie künftig genau so aussehen wie die Hildesheimer Ausgaben. Im Action ist die Kostümierung alltagstauglich trashig. Wunderbar sind einfach die Hawaiihemden der Klaus-Dieters. Schön auch das Grau in Grau in der Reisegruppe der Uschis, wie aus dem Leben gegriffen.

Für das Publikum ist "Im Namen der Rose" mindestens eine erfrischende Version der Hildesheimer Stadtgeschichte. Für das TfN ist es die Fortsetzung der Öffnung, die vor zwei Jahren mit der Shakespeare-Persiflage auf dem Marktplatz begann. Für das Sommertheater Heersum wohl ein Highlight in 25 Jahre Vereinsgeschichte. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht noch einmal 25 Jahre dauert, bis die beiden Königskinder wieder zueinander finden.

Das Theater für Niedersachsen
Das Sommertheater Heersum

Die Bildergalerie bei der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung 

 

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