Ich wollt wie Eurydike singen
Barocke Opernpracht: Telemanns Orpheus am TfN
Still und leise ginge das Telemann-Jahr zu Ende, gäbe es nicht das Theater für Niedersachsen. Dort stellte man sich dem Wagnis "Orpheus oder die Beständigkeit der Liebe". Die selten gespielte Oper zeigt in der Inszenierung von Sigrid T'Hooft barocke Opernpracht mit hohen Unterhaltungswert. Am Samstag war Premiere am TfN.Die Regisseurin Sigrid T'Hooft hat sich einen Ruf als Spezialistin für historische Aufführungspraxis gemacht. Ihre Inszenierungen wandeln dabei auf dem schmalen Grat zwischen angewandter Musikwissenschaft und opulenter Unterhaltung. Mit Imeneo bei den Händel-Festspielen in Göttingen konnte das niedersächsische Publikum 2016 zum ersten Mal einen Blick auf ihr Konzept werfen. Ihr Orpheus am Theater für Niedersachsen (TfN) ist Bestätigung und Ausbau zugleich.
Opulenz an allen Orten. Diese Inszenierung ist ein Fest für Augen und Ohren, das vor allem erst einmal unterhalten möchte. Musik, Schauspiel, Gesang, Ballett und Bühnenbild verschmelzen zu einem mächtigen Gesamtwerk. Manch Unerfahrenem droht Atemstillstand unter der Last der Eindrücke. Die Ooooh-Momente reihen sich aneinander.
Um es vorweg zunehmen: Zum guten Schluss erlebt Orasia ein böse Ende. Foto: TfN |
Dann geht es über die reine Unterhaltung hinaus. Deutlich wird dies an der Handstellung. Was auf den ersten Blick gespreizt und affektiert wird, entspricht ganz einfach barocker Aufführungspraxis.
"Orpheus oder die Beständigkeit der Liebe" zählt zu Telemanns Werken, in denen sich schon einige Elemente der Klassik ankündigen. Ausdruck und Liebreiz stehen in weiten Passagen vor der Regelhaftigkeit barocker Tonsetzkunst. Mit den Arien in Italienisch und Französisch erweist er den Zeitgenossen Händel und du Boulay die Referenz und macht keinen Hehl daraus, dass er sich von ihnen hat anregen lassen.
Die TfN-Philharmonie unter der Leitung von Florian Ziemen schafft ein fein gewirktes Klangbild, mit transparenten Strukturen werden die melodische Vielfalt Telemanns hörbar und erlebbar. Gerade in den pastoralen Passagen, wenn Telemann Volksmusik und bäuerliche Tänze aufgreift, Gerade die vom Wahl-Hildesheimer so geschätzten Holzbläser und vor allem die Flöten in jeglicher Form kommen hier voll zur Geltung.
Meike Hartmann hat trotz Verschleierung einen glockenklaren Sopran. Foto: TfN |
Lyrisch ist vor allem Peter Kubik in der Titelrolle. Selten baut er seine Stimme zum vollen Volumen aus. Aber so erzeugt er einen Strom von Tönen die zwischen lieblich und klagend changiert. Das ist der treffende Ton für die "Gern allein"-Arie des ersten Aktes.
Erst im Duett mit Meike Hartmann als Eurydike legt er die Beschränkung ab und nutzt sein Potential. Überhaupt verzaubert Hartmann mit einem lyrischen Sopran. Er klingt klar und rund und ohne Spitzen. So setzt sie die weichen Töne und gehört damit zu den tragenden Sängern in dieser Aufführung.
Naturgemäß ist Siri Karoline Thornhill der Gegenentwurf. In der Rolle der Königin Orasia traf sie Körperlichkeit in das Spiel bringen und beweist unter den weiblichen Rollen die größte Präsenz auf der Bühne. Die dreifach Belastung aus Intrigantin, enttäuschter Liebhaberin und Rachegöttin bewältigt sie eindrucksvoll.
Ein überraschenden Höhepunkt setzt Levente György als Pluto. Der Bass entlockte dem Herrscher der Unterwelt durchaus humoristische Momente und kann in seinem kurzen Auftritt nicht nur überzeugen sondern auch gefallen.
Mit Levente György als Pluto hat die Unterwelt auch heitere Momente. Fotos: TfN |
Kostüme und Bühnenbild sind ein Fest der Opulenz. Sie schwelgen in barocker Pracht und Farbenvielfalt. Da kommt das Auge des minimalistisch geschulten Zuschauers oftmals gar nicht. Stephan Dietrich hat sich sehr stark an den historischen Vorbildern orientiert. Trotzdem sind auch hier ironische Zitate versteckt wenn sich der Marmor als angepinsteltes Holz entpuppt, von dem auch noch der Putz abblättert. Die Kreaturen der Unterwelt erinnern ein wenig an Hyeronimus Bosch und sorgen doch für die heiteren Augenblicken in finsterer Umgebung.
Wie schon in der Imeneo-Inszenierung in Göttingen kann der Versuch, an einigen Stellen mit Kerzen zu arbeiten, nicht überzeugen weil er nicht sichtbar wird. Die Original-Beleuchtung wird vom Kunstlicht überblendet.
Das Konzept von Sigird T'Hooft zu originalgetreuen Aufführungen schließt offensichtlich ein dramaturgische Bearbeitung aus. Sie setzt das Werk 1:1 um. Damit stellt sich die Sehgewohnheiten des 18. Jahrhunderts über die des 21. Jahrhunderts. Die veränderten Bedingungen der Rezeption nicht zu berücksichtigen, das ist durch ein Aussage. Leider sorgt es aber auch dafür, dass die Inszenierungen mit den Soli des Eurimedes aus heutiger Sicht einige Längen aufzuweisen hat. Sie sind reine Statusmeldungen und tragen nicht zur Entwicklung der Handlung bei. Vielleicht sind auch der Zugriff auf die Social Media-Welt?
"Orpheus oder die Beständigkeit der Liebe" war ein mutiger Schritt, der sich gelohnt hat. Diese Inszenierung eines fast verschwundenen Werkes orientiert an der historischen Aufführungspraxis stellt nicht nur ein Gesamtkunstwerk vor. Es erfüllt auch die selten bediente Sehnsucht nach Unterhaltung in barocker Hülle und Fülle.
eine erste Kostprobe.
stätigun
Theater für Niedersachsen #1: Der Spielplan
Theater für Niedersachsen #2: Die Inszenierung
Telemann #1: Die Biografie bei wikipedia
Telemann #2: Orpheus in der englischsprachigen wikipedia
Telemann #3: Das Libretto bei operone.de
Telemann #4: Die antike Sage
Sigrid T'Hooft #1: Die Biografie bei wikipedia
Sigrid T'Hooft #2: Das Schaffen bei corpo barocco
Sigrid T'Hooft #3: Imeneo bei den Göttinger Hände-Ffestspielen 2016
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