Samstag, 14. Juli 2018

Ein ganz starkes Dribbling

Marco Luca Castelli variiert Maradona bei den Domfestspielen

Es ist ein intensiver Solo-Lauf über 75 Minuten, der immer wieder fasziniert und berührt. Mit seinen Maradona-Variationen zeigt Marco Luca Castelli, dass es im Theater durchaus persönliche Statements gibt, die auch anderen aus der Seele sprechen. Aber es ist wohl auch eine Rose, die nur im Verborgenen einer Studiobühne aufblühen. Auf jeden Fall hatten das Publikum, die Domfestspiele und der Fußball solch ein Stück selten nötiger als jetzt.

In Zeiten, in denen die große Koalition aus Prenzel-Schwaben und Heilsarmee den öffentlichen Diskurs beherrschen sind Castellis "Maradona-Variationen" ein  deutliches Nein zur neuen Moral, unter der die Lebensfreude erschrickt.  Allein schon deswegen, weil Castelli den Exzess als Lebensmodell in Betracht zieht, ohne ihn zu romantisieren.

Eine von Castellis Botschaft lautet: Ein Leben ist nur dann lebenswert, wenn es auch spürt und sich gern daran erinnert. Frei nach dem Motto: Man weiß, man ist da und wenn man dann tot ist, dass da was war. In Zeiten, in denen die normierten Hipster ein gleichförmiges Yin und Yang zur verbindlichen Maxime erhoben haben und sich am Durchschnitt orientieren, ist das schon ein kalkulierter Affront.

Matteo (unten) konnte den Triumph des SSC Neapel
nicht mehr miterleben.    Alle Fotos: Lormis 
"Die Maradona Variationen" sind bei den diesjährigen Domfestspielen die einzige Aufführung, in der nicht gesungen wird, die nicht witzig oder gar spektakulär sein will. Es ist ein Innehalten und ein Reflektieren über eine öffentliche Person, die aber auch zur Selbstreflexion zwingt. Castellis Beitrag ist mehr als Unterhaltung und damit der stärkste Beitrag in der Saison 2018.

Eine nackte Glühbirne beleuchtet die kleine Bühne. Kunstrasen, ein unechter Bonsai, ein farbstichiges Foto, eine Flasche Rotwein und ein Glas. Im Laufe des Abends bekommt jedes Teil diese Sammelsuriums seine Bedeutung. Aus den Lautsprecher klimpert Glenn Gould die Goldberg-Variationen. Noch so ein schwieriges Genie. Gemessenen Schrittes kommt Castelli die Treppe herauf, fast wie ein Torero, dann geht das Flutlicht an.

Vor den Rängen beginnt Castelli mit seinem Plädoyer. Mit raumgreifenden Gesten, eindringlicher Mimik und kräftiger Stimme erklärt er, warum es erstrebenswert ist wie der Fußballgott zu sein. Kaum zu glauben, aber er füllt das weite Rund der ehemaligen Klosterkirche ganz ohne elektrische Verstärkung.

Dann geht er mit der Stimme runter, setzt eine Kunstpause, um kurz zu erklären, warum es gar nicht gut sein könnte, wie Maradona zu sein. Doch dann setzt er sein Plädoyer wieder fort. Das nennt man Bühnenpräsenz. Das mag zwar manchem Theoretiker old fashioned zu erscheinen, wirkt aber und ist in der Enge des Raums ergreifend.

Das Warmlaufen ist vorbei, das Flutlicht geht aus, die nackte Glühbirne wirft ein spärliches Licht auf die Spielfläche. Gould klimpert wieder die Goldberg-Etüden. Diese Einstellung trennt die einzelnen Szenen voneinander und Castelli geht in die Kabine und wechselt in der  Zwischenzeit in eine andere Rolle.

Am 10. Mai 1987 hatte Diego Armando Maradona den SSC Neapel zur ersten italienischen Meisterschaft geführt. Zum ersten Mal errang eine Mannschaft aus dem Süden den Scudetto. Das war mehr als Genugtuung für eine Region seit mehr als 120 Jahre abgehängt war.

Fußball und Bier gehören wohl doch zusammen.
Castelli erzählt von diesem Tag aus der Perspektive eines Fans und er macht dies in einer Eindringlichkeit, die einen manchmal schaudern lässt. Die Grenze zwischen Darsteller und Rolle verschwindet an diesem Abend zum ersten Mal. Mal ist er laut, mal nachdenklich, mal hart am Weinen. Vor allem wenn der unbekannte Tifosi von seinem Freund Matteo erzählt, der diesen Tag nicht mehr erleben konnte.

Auch wenn im Publikum nur Tedesci sitzen, können sie endlich verstehen, was dieser Tag für die Bewohner des so arg geschmähten Mezzogiornos bedeutet und warum Maradona dort immer noch ein Heiliger ist. Kontrastiert mit dem doch so ungerechtem Schicksal des Matteo wirkt dies lange nach.

Damit machen die Maradona-Variationen etwas deutlich, was viele vergessen haben: Fußball war einst der Sport der Unterpriviligierten, der den Verlierern des Lebens die Chance bot, selbst einmal auf der Sonnenseite zu stehen. Fußball ist vor allem Lebensgefühl und Emotion und nicht Geschäft. Allein dafür muss man den Autoren und dem Darsteller danken. Die Wahrscheinlichkeit, dass Präsi Grindel oder Übungsleiter Löw das sehen, dürfte aber gegen Null zu Null tendieren.

Das Flutlicht erlischt, die Birne geht an, Szenenwechsel.

Castellli ist an an diesem Abend mal ein Tifosi, gleich zweimal Maradona, mal dessen Freund Jorge und gelegentlich einfach Marco Luca Castelli. Egal, welches Trikot er überstreift, in allen Spielsituationen ist er glaubwürdig und authentisch. Er beherrscht das Spiel auf engstem Raum. Auf der Studio-Bühne in Brunshausen lässt er seine Fähigkeiten als Spielgestalter freien Lauf. Seine Dribbling geht über die gesamte Spielfläche und durch alle Höhen und Tiefen des Lebens. Aber auch wenn er fünf- oder sechsmal nach dem Rauchmelder Ausschau hält, die Maradona-Zigarre zündet er nicht an. Weil er dann doch nicht Maradona ist?

Castelli sucht den Kontakt zum Publikum, egal ob mit Rotwein und Zuprosten oder mit dem Frage-Antwort-Spiel. Aber selbst die intimsten Themen wirken nicht peinlich, das kann nicht jeder von sich sagen.

Manchmal muss man auch während des Spiels aus die
Taktiktafel schauen. Alle Fotos: Lormis
Aber auch das Psychogramm des Diego Maradonas klingt plausibel. Fußball als Berufung, kindlicher Ehrgeiz und Absturz und der Versuch, sich selbst wiederzufinden, nachdem er sich selbst dort hingebracht hat, wo er nun ist. Ein tragischer Held am Rande zur Witzfigur, das macht Catelli deutlich. Hat er in die Seele des Gestürzten geschaut oder ist es eine übergroße Portion Empathie? Auf jeden Fall weckt er das tiefere Verständnis beim Publikum. 

Autor und Darsteller lassen das Publikum am Entstehungsprozess teilhaben. Es steckt jede Menge Castelli in diesem Programm und viel Freunde haben ihm geholfen, aber es ist keine Nabelschau.

Auf jeden Fall schließt sich der Kreis und Castelli wiederholt kurz vor dem Abpfiff das Plädoyer aus den ersten Spielminuten, mit allen Einschränkungen und nun etwas nachdenklicher, zurückhaltender, leiser. Der Abend zeigt damit einen Prozess.

"Die Maradona Variationen" sind allem eine Annäherung und auch eine persönliche Hommage. Aber sie sind keine Egozentrik, denn sie haben etwas, was über den Fall Maradona hinausweist, nämlich die Erkenntnist, dass alls Menschen doch einfach nur geliebt werden wollen. Dafür dankt das Publikum Castelli nach dem Abpfiff frenetisch und dann darf der Darstelle das sein, was er wohl am besten ist, nämlich Marco Luca Castelli und damit ein verdammt guter Darsteller.



Material #1: Die Domfestspiele - Der Spielplan
Material #2: Maradona Variationen - Das Stück

Material #3: Marco Luca Castelli - Die Biografie

Material #4: Diego Armando Maradona - Dessen Biografie











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