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Göttlich und mitreißend

"Spatz und Engel" eröffnen die Domfestspiele

Ich habe die Piaf gesehen, doch wirklich. Die steht in diesem Sommer in Bad Gandersheim auf der Bühne. Dort lebt, leidet und stirbt sie auch eindrucksvolle Weise. Doch hübsch der Reihe nach.

Man könnte es wohl Musiktheater nennen. "Spatz und Engel" von Daniel Große Boymann und Thomas Kabry behandelt das Verhältnis von Marlene Dietrich und Edith Piaf zueinander. Was dabei Historie und was Fiktion ist, bleibt in der Inszenierung von Sandra Wissmann zweitrangig. Die Möglichkeit ist entscheidend. Es könnte so gewesen sein, es könnte sich so zugetragen haben.

Die Aufführung vor der Stiftskirche entwickelt eine eigene Logik. Aber vor allem fesselt sie durch die gesangliche Leistung von Syliva Heckendorn. Damit erleben die 61. Gandersheimer Domfestspiele eine mitreißende Eröffnung.

Da ist sie noch die Kühle.
Alle Fotos: Kügler
Auf ihre spezifische Art und Weise haben Marlene Dietrich und Edith Piaf das Showgeschäft des 20. Jahrhunderts geprägt. Die Göttlich, wie Marlen Dietrich auch genannt wurde, hat als kühle Blondine ein neues Frauenbild installiert. Der Spatz von Paris hat ein bestehendes Frauenbild ins Absurde übersteigert. Die lebte selbstbestimmt, die andere getrieben. Bei allen Gegensätzlichkeiten gab es auch eine Gemeinsamkeit: Sie pfiffen auf Konventionen.

Das Stück beginnt mit einer Niederlage. Piaf erlebt 1948 in New York ein Debakel. Dann trifft sie auf Marlene Dietrich und diese nimmt sie unter ihre Fittiche. Dietrich wird zu Garantin des musikalischen Welterfolgs.

Die Inszenierung von Sandra Wissmann ist eine Studie über Abhängigkeiten. Die Dietrich versucht immer wieder die Kontrolle über das leben der Piaf zu erlangen. Doch damit muss sie scheitern. Die Französin entzieht sich immer wieder dem Zugriff auf ihr komplettes Leben.

Sind es anfangs kleine Schlupflöcher, kommt es bald zum Eklat. Das Projekt "Kontrolle" muss scheitern, weil sonst die Piaf'sche Tragödie nicht vollendet werden kann. Aber wer braucht hier eigentlich wem? Schwan macht deutlich, dass auch marlene Dietrich nur über ein beschränktes Repertoire an Verhaltensweisen hat. Anders formuliert: Sie kommt aus ihrer Haut nicht raus und deswegen bleibt ihr Werk unvollendet.

Was sich anhört, wie ein Ausflug in die Küchenpsycholgie, kommt aber als witzige, freche und rasante Revue daher. Allein schon, die Idee, das erste Treffen in der Damentoilette stattfinden zu lassen, ist auch heute noch Basis für einiges an pikierten Befremden.

Wenn auch die Moralvorstellungen in Sachen Sex großzügiger geworden sind, so mag doch mancher im Publikum mehrere "Ach ja"-Momente erlebt haben. Aber es ist vor allem die ungeschönte Sprache. Hier wird nichts beschönigt, es wird gesprochen wie die Münder gewachsen sind. Das Wort "Scheiße" fällt mehrmals und es wirkt noch nicht einmal aufgesetzt. Es passt dort, wo es auftaucht.

Im Eiltempo geht es durch 15 Jahre und zahllose Szenen, Umbau folgt auf Umbau und die Nebenrollen wechseln mitunter im Sekundentakt. das ist dem Thema und der zeit durchaus angemessen.

Aber es ist vor allem die Musik und insbesondere die Hauptdarstellerinnen, die diese Aufführung so großartig machen. Ferdinand von Seebach verzichtet auf das Orchestrale. Er sitzt am E-Piano und Vassily Dück spielt das Akkordeon. Manchmal gibt es auch nur E-Piano. Die Reduzierung stellt die Musik und ihre Aussage in den Vordergrund und nicht das Arrangement.

Diese beiden Damen haben für einen großen Abend
gesorgt.   Alle Fotos: Kügler
Miriam Schwan gibt eine Marlene Dietrich, wie sie dem Mythos entspricht: Kühl, bestimmt und selbstbewusst. Geht es um Handlung ist ihre Gestik ist meist gerade aus und fast schon kantig. Die Sprache knapp. Dann schaltet sie um in den Show-Modus und alles fließt. So macht die Eintopf-auf-den-Küchentisch-Szene deutlich, dass auch die Göttliche gelegentlich ganz menschlich war. Da passt der emotionale Vortrag von "Sag mir wo die Blumen sind" bestens dazu.

Doch das Zentrum, um das sich diese Inszenierung dreht, ist Sylvia Heckendorn. Der zur Schau gestellte Akzent mag ein wenig aufgesetzt sein und der Rücken zu sehr vom Gram gebeugt, aber wenn sie sich freut, dann freut sich das Publikum mit ihr. Wenn sie leidet, dann leidet auch das weite Rund mit ihr. So viel Leben steckt in ihrem Spiel.

Aber das große Plus der gelernte Sängerin sind ihre Stimme und ihr Vortrag. Als sie nach gut zwanzig Minuten mit "Padam, Padam" den ersten Piaf-Song intoniert, herrscht im Auditorium  erstauntes Schweigen. Heckendorn ist nicht nur verdammt nahe dran am Original, sie legt auch noch ein Stück selbst Erlebtes mit hinein.

Bei "La vie en rose" summt das Publikum mit und als es bei "Milord" sogar mitklatscht ist die Grenze zum Konzert längst überschritten. Dennoch wird "Je ne regrette rien" nicht zur Schnulze sondern zu einem Bekenntnis. Man nimmt es Sylvia Heckendorn ab, das sie nichts bereut, sofern sie denn die Piaf wäre.







Material #1: Gandersheimer Domfestspiele - Die Website
Material #2: Spatz und Engel - Das Stück

Material #3: Edit Piaf - Die Biografie
Material #4: Marlene Dietrich - Die Biografie


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