Der Sandmann fährt Porsche

 Es ist noch nicht soweit: Viele Ansätze, die nicht alle tragen

Es bleibt dabei: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. So geht es auch dem Hauptstück “Es ist noch nicht so weit” beim diesjährigen Theaternaturfestival in Benneckenstein. Es steckt voller vielversprechenden Ansätze, die aber nicht immer umgesetzt werden.

Es ist ein Zwei-Jahres-Programm auf der Waldbühne in Benneckenstein. Nachdem 2019 die Wende unter die Lupe genommen wurde, soll es in diesem Jahr um die Folgen der deutschen Einheit gehen. Auch dafür erging ein weiterer Auftrag an den Autoren Sören Hornung. Während seine letztjährige “Legende von Sorge und Elend” eine Anhäufung von Klischees war, kommen die Figuren in “Es ist noch nicht soweit” wesentlich differenzierter daher.


Sandmann West, Achim und Kassandra am Dachfenster. 
Alle Fotos Frank Drechsler

Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er für diesen Anlass das gewohnte Narrativ von Gewinner West und Verlierer Ost durchbricht. Sein Stück kennt nur einen Gewinner und das ist der Sandmann Ost. Immerhin kann der jetzt Porsche fahren, während sein Kollege aus dem Westen seit 30 Jahren arbeitslos ist. Gewissermaßen eine Retourkutsche auf die ehemals noblen Gefährte des Westvertreters. 

Diese schöne Arbeitsgrundlage hat nur einen entscheidenden Fehler. Der Sandmann West hat die Wende nie erlebt. Er wurde schon im März 1989 von der ARD aus dem Rennen genommen. Ein Treffen der Deinhardt-Drummerin und der Rotkäppchen-Schaffnerin oder der Ampelmännchen wäre also authentischer gewesen. Aber eben nicht so lyrisch. Sekt trinkende Frauen erzählen, selten Geschichten die Kinder verzaubern.

Nun lebt der Sandmann West also mit seiner Tochter Kassandra in einer Dachgeschosswohnung im Osten. Weil es dort günstiger ist. Während er seiner Misanthropie freien Lauf lässt, versucht sie stets, das Gute in den Menschen und der Situation zu sehen. auf jeden Fall will der Sandmann keine Geschichten mehr erzählen und auch keinen Gesichten mehr glauben.

Das Bühnenbild von Hannes Hartmann ist eine Wucht. Es zeigt die Dachgeschosswohnung mal von innen, mal von außen und beherrscht das Geschehen. Gedreht wird es immer und immer wieder mit Muskelkraft und das gibt den Bühnenhelfer den Status von inoffiziellen Mitarbeitern im Sisyphos-Modus.

Wie eine Sternschnuppe taucht Achim auf. Er ist arbeitsloser Straßenbahnfahrer, informiert den Sandmann und dessen Tochter Kassandra über die Supersendungsshow, bei der jeder eine zweite Chance erhält. Dann verglüht Achim wie eine Sternschnuppe.

Erst später wird klar, dass diese Show in der Sandmann-Wohnung stattfinden soll. Ihm steht  de facto eine Enteignung bevor, wie sie viele Ostdeutsche nach 1990 empfunden haben. 

Auch Sissy Foss wird es wie Achim ergehen. Ihr Auftauchen ist nur ein Beitrag zur langwierigen Vorbereitung des vermeintlichen Showdowns. Auch ihr Faden verleirt sich ohne Folge. Während es Benjamin Kramme gelingt,seiner Figur unfreiwillige Komik zu geben, bleibt Carolin Wiedenbröker durchweg blass.

Sissi Foss oben und Kassandra unten
Alle Foto: Frank Drechsler

Das liegt auch daran, dass nur die wenigsten im Publikum verstehen, welch Abstieg mit dem Weg aus Bietigheim-Bissingen im Stuttgarter Speckgürtel in die ostdeutsche Pampa verbunden ist. Man muss schon sehr bewandert sein, in Zeitgeschichte und Soziologie, um alle Anspielungen in diesem Stück deuten zu können. Das gilt insbesondere für die Showeinlage der Kartoffeln, die im Südeuropa gern als Synonym für Deutsche gesetzt wird.

So gelingt es Jennifer Sabel in der Rolle der Kamerafrau Frauke auch nicht, das Tragische am Tod ihres Lebensgefährten herauszuarbeiten. Der Mann aus Ostdeutschland wurde in Afghanistan von einer sowjetischen Hinterlassenschaft des Kalten Kriegs getötet. 

Es ist Patchwork, der Flickenteppich will nicht zu einem Gesamtwerk werden. Es sind zuviele Fäden und es fehlende die ordnende Hand. Das Nähkästchen bietet dem Publikum immerhin viele Möglichkeiten der Identifikation. 

Regisseur Janek Liebetruth gelingt aber eine gekonnte Vermischung von Schauspiel, Videoprojektionen und Klangcollagen. Seine beiden Hauptdarsteller Hans Klima als Sandmann West und Achim Wolff als sein Kontrahent zeigen große Schauspielschule. Leider dauert es aber 60 Minuten, bis es soweit ist, bis die Titanen des Kinderfernsehens aufeinandertreffen. Etwas mehr Dramaturgie hätte da sicherlich geholfen.

Schon mit der Gestik und Mimik zeigt Klima, wie weit der Verlierer sich in sich selbst zurückgezogen hat. Erst als er auf seinen Widerpart trifft, überwindet seine Stimme den Grummelton. Mit allen Teilen kommt er aus sich heraus.

Gleich knallt's. Alle Fotos: Frank Drechsler


Wolff hingegen schmeichelt akustisch, beschwichtigt salbungsvoll als käme er gerade von Predigerseminar. Er macht die großen, raumgreifenden Gesten, die Posen eines Mannes, der auch im Moment des Siegs noch auf Versöhnung setzt. Da ist es schon tragisch, dass sein Vorhaben einer Nachlässigkeit mit dem Gesäß zum Opfer fällt. Das sorgt aber immerhin für einen deutlichen Knalleffekt.

Mit den Programmen der Jahre 2019 und 2020 wollte das Theaternaturfestival einen Beitrag zur Zeitgeschichte liefern. Doch “Es ist noch nicht soweit” kommt zu spät. Im Jahre 30 der deutschen Einheit laute der Konflikte nicht mehr "Ost und West". Das zeigt schon die Tatsache, dass die Hauptsponsoren für das Festival im Westharz zuhause sind.

Die Trennlinien im digitalpostmodernen Deutschland verlaufen mittlerweile an anderen Stellen, zwischen urban und ländlich, zwischen alter Industrie und neuer Dienstleistung, zwischen Aufsteigern und Abgehängten. Damit ist das Stück aber immerhin eine amüsante Nabelschau.

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