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Getanzter Zorn

Die Räuber zwischen Kain, Abel und Ödipus

Mit einer Räuber-Trilogie wollte Olaf Graf in sein Amt als Intendant des TfN starten. Nach Schauspiel, Oper, defekter Brandschutzanlage und geflutetem Theater feierte nun der letzte Teil des Triptychon Premiere im Ausweichquartier "Halle 39". Die Räuber-Choreografie von Marguerite Donlon lässt staunen und macht atemlos. 

Sie ist vor allem rasant und schnell, und bringt doch neue Perspektive. Donlon präsentiert eine neue Version von Kain und Abel und von der verlorenen Unschuld. Damit steht am Ende die Gewissheit, dass die Geschichten mit dem alten Grafen, seinen Söhnen und der schönen amalia nicht anders als tödlich ausgehen kann.

Franz hat den Vater in der Gewalt. 
Alle Fotos: Quast
Seelenleben oder Erzählballett? Innerlichkeit oder Action? Die Wahlberlinerin verknüpft in ihrer Choreografie beide Möglichkeiten und die vier Tänzer und Annick Schadeck als Amalia setzen dies einsdruckvoll um.  Das verwundert nicht, denn sie sind das Donlon Dance Collective

Doch ganz so einfach macht es Marguerite Donlon dem Publikum nicht. Ihr Franz ist gewalttätig und durch und durch böse. Aber Marioenrico D'Angelo liefert in dieser Rolle eine überzeugende Erklärung: Unerwiderte Liebe und Zurückweisung.

Der Liebesentzug durch den Vater verursacht konvulsivische Krämpfe. Es ist abrupte Bewegungen in viele Richtungen. Der ganz Körper zuckt und krampft. D'Angelo bringt den Schmerz auf die Bühne und das Publikum leidet mit. Es hätte nie gedacht, dass der Umgang mit der Requisite Brief solche Folgen haben können. 

Das Mienenspiel ist trotz MNS beeindruckend. Immer mehr Zorn mischt sich in das Gesicht. die entlädt sich in Gewalt gegen den Vater. Das Publikum wird Zeuge einer tänzerischen Folter. Laios hatte Glück, Ödipus tötete ihn sofort. Der alte Graf wird in Etappen sterben, das wird schnell klar.

Die Choreografie bipolar. Marguerite Donlon hat das Gewicht abermals verschoben. Sie rückt die Figur der Amalia stärker in den Fokus. In der blütenweißen Optik ist sie der Kontrapunkt zum schwarzen Franz. Ihr bleiben die raumgreifenden Bewegungen, die nicht ins Leere gehen, sondern immer wieder auf sie zurückführen. Da steckt jede Menge klassischer Ausdruckstanz drin, der kontrastierte zu den Jazz Dance-Elementen der Räuberbande.  

Amalia ist stärker als die Männer,
aber das hilft ihr nur bedingt. 


Damit liegen die Höhepunkte des Abends im Aufeinandertreffen von Amalia und Franz. Diese sind energiegeladen, die Spannung entlädt schlagartig. Dem Prinzip von Zorn und Gewalt stellt Annick Schadeck Selbstsicherheit und Entschlossenheit entgegen. doch dieses Spiel kann kein gutes ende nehmen. Es endet auch für Amalia tödlich.

Die Musik von Michio Woirgardt ist eine Mischung aus Industrial Beats und Klangcollagen. Satte Streicher werden von Textzitaten gekontert. Sie liegt irgendwo zwischen Laurie Anderson und Art of Noise und ist ein Motor in dieser bombastischen und atemlosen Choreographie. 

Doch die stärksten Momente sind die Momente der Stille, des Innenhaltens vor dem Abgrund. Es sind die Soli von Annick Schadeck, die Gänsehaut erzeugen und so in Erinnerung bleiben. 

Das vielschichtige Spiel spiegelt sich im Bühnenbild von Belen Montoliu wieder. Es sind vier Elemente aus Holz auf Rollen. Manchmal wirkt ihr Stangenwirrwarr wie ein Baumhaus als sicherer Beobachtungsposten und mal wie ein Gefängnis. Ineinander verschoben ergeben sie aber auch ein labyrinthisches Dickicht. Das ist ganz große Kunst.

Das einzige Manko? Der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig für Tanztheater in der Klasse. Aber dafür kann das TfN nichts. 


Die nächsten Aufführungstermine sind noch nicht festgelegt.  

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