Der Prinz kommt jetzt mit der Solo daher

Uraufführung am DT: So monoton kann das Leben an der Leine sein

Sie haben es mal wieder getan Zum dritten Mal innerhalb eines Jahres haben Antje Thoms und Florian Barth ein sehenswertes Statement zur Corona-Pandemie abgegeben. Nach den Experimenten "Die Methode" und "DT Tankstelle" ist mit "Mode nach Madrid" am Deutschen Theater in Göttingen ganz den klassischen Theatermitteln verhaftet. Statt mit aufregenden Techniken überzeugt dies Musikrevue eher mit schlüssigen Charakteren.

Selten wurde Monotonie so gut inszeniert. Es wirkt wie das "Warten auf Godot" in Corona-Zeiten. Hinter der durchdachten Sammlung popkulturellen Zitaten stecken lauter kleine Geschichten, die erzählen, wie die Corona-Krise Tausende von Biografien umgeworfen hat. Die bitterböse Satire zeigt, wie Lebensläufe entwertet wurden. Manchmal bleibt einem das Lachen im Halse stecken, bei so viel Realitätsnähe

Es ist schon eine seltsame Gesellschaft, die sich im Reisebüro "Bon Voyage" versammelt hat. Da sind die Chefin Cindy Jane Möller und ihre beiden Angestellten Nina Weber und Moni Fischer. Der Auszubildende Kevin Schmidt komplettiert das Quartett. Zusammen wollen sie einen Weg finden, um das Reisebüro aus der Corona-Krise zu führen  


 
Motivationstraining ist angesagt.
Fotos: Thomas M. Jauk
Die Rollen sind klar verteilt. Nina ist die Motivatorin und Ulknudel, Kevin der Ungeschickte und Moni die Neurotische. Immer wieder zitiert sie die Corona-Regeln für den Arbeitsplatz und erficht sich mit dem Zollstock den gesetzlichen Mindestabstand.

Gaia Vogel glänzt in Rolle der Frau, die auf Einhaltung besteht um die Kontrolle über das verlorene Leben wieder zu erlangen. Im Stakkato zitiert sie Paragraphen und mit rudernden Armbewegungen macht sie deutlich "Bis hier hin und nicht weiter.

Dann sind da noch drei gestrandete Gäste. Das Duo No-Show besteht aus zwei namenlosen Musiker, die ohne Reisegesellschaften arbeitslos sind. Florian Barth hat ihnen Anzüge verpasst, die so farbenfroh sind wie die Seychellen-Bilder vom Michael Adams. Einen härteren Kontrast kann es nicht geben.

Rudi Maria Kron ist ein lebendes Fossil, ein Dinosaurier aus der Globetrotter-Ära und abgewrackter Reiseleiter der MS Theodor Körner. Mit seiner reduzierten Darstellung macht Paul Wenning die ganze Erbärmlichkeit dieser Person deutlich. Die Gestik bleibt im Schlaff-Modus und die Stimme leiert mehr als das sie rezitiert.

Aber das Mitleid mit dieser Witzfigur hält sich in Grenzen. Selbst wenn er nichts tun muss, scheitert er. Den Big-Lebowski-Ähnlichkeitswettbewerb schließt er lediglich mit Platz 11 ab.

Was bei der Musikauswahl auffällt: Es sind fast nur Stücke aus der Schublade "Oldie". bis in die 80er Jahre hinein waren Fernweh und Sehnsucht immer einen Song wert. Dann verschwanden die Themen weil Reisen zum Leistungssport und zur Massenbewegung wurden.

Deswegen schmerzt die Bruchlandung umso mehr. Gerade noch ein Traumjob, sind die Reisekaufleute die Verlierer der Krise. Selbst das Subproletariat der Paketboten scheint ihnen nun überlegen. Denen geht es auch nicht besser, aber sie sind die neuen Helden.

Den Verlust an Orientierung gibt Gaby Dey als Cindy Jane Möller eine beeindruckende Gestalt. Ihr bleibt nichts als Erinnerungen, sie ist nicht in der Lage ihrer Mannschaft den Weg zu weise. Ihre einzige Tat mit Energie bleibt der Abgang, die Flucht aus der Ratlosigkeit.

Die einfachste Rolle an diesem Abend hat Nathalie Thiede als die Betriebsnudel Nina Weber. Thiede gelingt es, dieser Nervensäge der permanenten guten Laune Tiefe zu verleihen. Es dauert ein wenig, bis Thiede deutlich macht, dass Webers Betriebsamkeit auch nur übertünchte Ängste sind. Aus dem ständigen Arme nach oben recken wird ein Schulter nach vorne drücken, ein Kleinmachen.

Der Prinz fährt eine alte Solo.
Fotos: Thomas M. Jauk
Es ist ein Treffen der Untoten im Reisebüro "Bon Voyage". Da darf dann wie im billigen Gruselfilm auch mal der Strom ausfallen. Somit ist der Auftritt von Andrea Strube als "Die Puppe" auch logisch. Wie einst Graf Orlok in "Nosferatu" hat sie sich selbst verschickt. Ihr Einzug in das Reisebüro ist aber wesentlich pompöser als dessen Ankunft in Wisborg.

Oder ist sie doch eher "Die Mumie"? Auf jeden Fall wirkt sie bleich geschminkt und mit Julia-Timoschenko-Frisur wie ein Überbleibsel aus einer Zeit, die nicht sterben will.

Die stärkste Entwicklung macht an diesem Abend aber Gaia Vogel in der Rolle der Moni Fischer. Anfangs überrascht es, dass ausgerechnet die Neurotikerin den Mut aufbringt, diese ungesunden Verhältnisse zu verlassen. Doch es ist wie im Märchen. Der Prinz kommt auf einer alten Solo daher, zitiert Udo Jürgens und mit neuer frischer Körpersprache macht sie sich dann mit ihm auf den Weg. Ende gut alles gut, zumindest für die Beiden. 

Die Rolle des Kevin Schmidt ist vielleicht zu eindimensional, um darin glänzen zu können. Doch Daniel Mühe überzezugt vor allem als Sänger. Zusammen mit Jan Beyer und Tobias Vethake bringt er eine Show, die an Zeiten, als alles noch möglich war. Sie klingen energiegeladen und spröde wie einst "Fehlfarben" in ihren besten Tagen. Da stört es auch nicht, dass er das Moped erst im zweiten Versuch zum Laufen bekommt.

Es ist nicht alles gelungen in diesem Stück, manches entbehrt der immanenten Logik. So kommt das Gebrüll des Telefonkunden unvermittelt und geht sowieso unter. Aber das Publikum ist am Ende zum größten Teil begeistert und übt sich in einer komplett analogen Tätigkeit: Applaudieren und das sogar im Stehen.



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Turandot vergibt jede Menge Chancen

Viel Abwechslung mit nur einem Instrument

Eine Inszenierung auf Tratsch-Niveau