Faust trinkt Efes-Pils
Theater für Niedersachsen gewinnt der Tragödie erster Teil komische Seiten ab
Der Herr Heinrich Faust ja so viel studiert und in einigen Fächer hat er wohl auch promoviert. Aber wenn sich die Gelegenheit ergibt, dann trinkt er mit seinem türkischen Nachbarn an einem lauen Frühlingstag auch schon mal ein Bier. Dies ist nicht die einzige Erfrischung in der Inszenierung des TfN von Goethes Welterklärungsstück "Faust. Der Tragödie erster Teil". Mit popkulturellen Rückgriffen holt Wolfgang Hofmann das Monument deutscher Dramatik vom Sockel. Vielleicht wirkt dieser Faust so zeitbezogen, weil Goethes Fragen, die Frage nach den Grenzen der Erkenntnis und die Frage nach der Schuld, Fragen ohne Mindeshaltbarkeit sind? Dies herauszuarbeiten, das ist dem Regisseur fraglos gelungen.Gott ist ein weltentrückter und gelangweilter Bartträger. Fotos: Andreas Hartmann/Tfn |
Dürfte Terry Gilliam einmal die Sixtinische Kapelle bemalen, dann sähen die Fresken wahrscheinlich so aus wie diese Kulisse, lauter Figuren auf der Grenze zwischen Surrealismus und Wahn. Mit der Ausstattung hat Lars Peter nicht nur die Aussage erfasst, er spitzt sie zu.
Ansonsten ist der Himmel nichts weiter als ein Schönheitssalon mit ein paar aufgebretzelten Engeln und einem entrückten Gott, dessen größte Sorge die Pflege seines unendlichen Bartes ist. Um die Menschheit kümmert er sich schon lange nicht und da kann er das Schicksal des Dr. Faust unbeschwert in die Hände des Mephistopheles legen.
Wenn der Hildesheimer Faust ein Spiel für zwei Personen ist, dann liegt dies sicher auch an Moritz Nikolaus Koch in der Rolle des Mephistopheles. Immer ein diabolisches Lächeln in den Mundwinkel, mit einem Hauch der Comicfigur des Jokers, ist dieser Teufelskerl immer Herr der Lage. Worte sind seine Waffe, damit arbeitet manipulativ und stets zielführend. Fast gottgleich wird Mephistopheles, als er Faust den Finger zur Erschaffung eines neuen Typs Mensch reicht. Einfach ein schönes und freches Michelango-Zitat. Und doch gibt es einen schleichenden Rollenwechsel. Erst hat Morit Koch nur Augen für seinen Weggefährten und blickt wie ein kleines Hündchen, wie ein Pudel, zum hochgelehrten Herren auf. Doch in der Hexenküchen dreht sich das Verhältnis.
Faust und Mephistopheles erschaffen sich gegenseitig. |
Texttreu bleibt auch Rüdiger Hellmann in der Titelrolle. Er versteht es, mit wohl gesetzten Betonungen die wichtigen Nuancen in diesem Dauermonolog der Resignation zu setzen.
Fausts Studierzimmer ist der schmutzige Elfenbeinturm der vergeblichen Wissenschaft, es ist zugleich das Gefängnis eines ruhelosen Geistes. Das selbe Bauwerk wird später zum Lotterbett und Kerker und ist so das zentrale Element des Bühnenbilds.
Mensch wird Faust erst als er dieses Gefängnis verlässt, beim Osterspaziergang mit Wagner. Die Grundfrage bleibt nach mehr als 200 Jahren dieselbe. Wo ist man Mensch, wo kann man sein? Na eben beim Federballspielen und beim Grillenund beim Bier trinken mit dem türkischen Nachbarn trinken. Hier läuft Hellemann zu großer Form auf und wirkt selbst befreit von allen Zwängen.
Die Hexenküche ist kein mystischer Ort, sondern eine Bar im Rotlicht-Milieu, derb, vulgär und ohne Hemmungen. Schließlich ist es auch Hofmanns Anspruch, die Seiten des Fausts zu zeigen, die der Zensur zum Opfer gefallen sind. Aus dem Wissensbegierigen wird nun einfach ein alter geiler Bock. Wenn wir nicht erfahren, was die Welt im Inneren antreibt, so wissen wir doch, dass es den Mann immer zum Weibe hinzieht. Der Wissensdurstige wird zum Triebgesteuerten. Wie ein Gockel stolziert Hellemann durch die Brunnenszene und das ist in dieser Inszenierung auch logisch
Liebt der Faust seine Grete wirklich oder ist es nur das Spiel eines alten Mannes mit einem sehr jungen Mädchen? |
Faust. Der Tragödie erster Teil ist Goethes Drama mit den weltbewegenden Fragen. Das man die Nuancen bei den Antworten anders setzen kann und muss, das zeigt die Inszenierung am TfN und sie zeigt, dass die Antwort auch lebensnah, zeitgemäß und durchaus mit einem Schuss Humor ausfallen können. Das Publikum hat sich zur Premiere mit lang anhaltenden Applaus für wenigstens diese Einsicht bedankt.
Das Stück aus der TfN-Website
ZumVergleich:
Der Faust in Göttingen
Der Faust bei den stillen hunden.
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