Auf der Fahrt ins Unglück nirgendwo ankommen

Peter Grimes am Theater Nordhausen klärt die Schuldfrage nicht wirklich

Prolog: Es gegebenen Anlass hier noch mal die Rezension zur Inszenierung von Peter Grimes am Theater Nordhausen im Frühjahr 2012.

Der Vorhang geht nicht auf. Das Ensemble wartet auf das Publikum, Peter Grimes steht am Rande. Die Fronten sind klar: Hier kämpft einer gegen die Masse. Der, der am Rande steht, gegen die, die Bühne beherrschen. Deswegen gilt die Rolle des Fischer Grimes als eine der anstrengendsten in der zeitgenössischen Oper. Ständig muss ergegen jemanden ansingen. Aber Joshua Farrier in der Titelrolle kann das, er hat genug Stimme dafür.
Was das Auge beim zweiten Blick fesselt, das ist das Bühnenbild. Karg und variabel wird es vom Wasser beherrscht. Mal kämpft Grimes gegen das Element, als Anti-Held in Ölzeug, mal ist die Wasserfläche der Spiegel der verzweifelten Seele und Ort der Sehnsucht. Die Bühne ist auch Weite und Leere, Haltlosigkeit und Verlorenheit. Ohne Umbau dient die Bühne mal als Gerichtssaal, mal als Hafenspelunke, ein anderes Mal als Kirche oder als Fischerhütte. So werden die klaustrophobischen Bedingungen eines ostenglichen Fischernest verbaut, in dem sich - wie in allen Käffern der Welt - immer wieder die selben Menschen um die selben Orte drehen. Wirklich, hier ist Wolfgang Kurima Rauschning ein großer Wurf gelungen.
Man sitzt über Peter Grimes (Joshua Farrier, links)
zu Gericht. alle Fotos: Theater NDH/ Tilmann Graner

Es wird über Peter Grimes verhandelt. Der Fischer soll schuld sein am Tode seines Lehrjungen. Von Misshandlung ist die Rede, aber Grimes übersteht die Verhandlung ohne Strafe. Doch es ergeht der weise Rat, dass er künftig auf einen Lehrling verzeichten soll. Doch dies heieß für Grimes, auf seinen Traum von einer gesichertern Existenz und die Ehe mit der Lehrerin Ellen Orford zu verzichten. Wie weit darf eine Gemeinschaft die Lebensentwürfe ihrer Mitglieder kontrollieren? Welches Glück des Einzelnen ist höher zu bewerten? Der zwielichte Apotheker Ned Keene besorgt dem Fischer einen Lehrling aus dem Waisenhaus. Der Junge wird verschachert wie ein Stück Vieh. Sein Leid muss er klaglos ertragen. Wieland Lemke versteht es, alle Aspekte dieses scheinbaren Ehrenmannes Keene zu beleuchten.
Ellen Orford trifft auf John und überall sind
Wasser und Schiffe. Foto: Tilmann Graner
Ihren stärksten Auftritt hat Sabine Mucke als Ellen Orford am Beginn des zweiten Aktes, als sie Spuren der Mißhandlungen an Grimes Lehrling John   feststellt. Alle Hoffnungen auf eine wundersame Wendung fahren dahin. Gegen das Beharrungsvermögen des Geliebten kommt sie nicht an. Einen Neuanfang anderswo will und kann Grimes nicht wagen, den ersten Ratschlag seines Freundes Balstorde will er nicht akzeptieren. Die Präsenz des Gastsänger Kay Stiefermann ist beeindruckend, seine kurzen Auftritte beherrschen die Szene. Durchsetzen kann er sich trotzdem nicht. Wie in der griechischen Tragödie kann der Weg nur in den Abgrund führen. Dieser ist erreicht, als John zu Tode kommt.
Wenige Andeutungen der Witwe Sedley reichen, um den Mob zu wecken. Die Menge will mit Lynchjustiz Sühne erzwingen. Grimes entgeht diesem Schicksal nur, weil Balstrode den Konflikt lösen kann. Der Fischer fährt mit dem Boot hinaus, um nirgendwo anzukommen. Alles, was bleibt, ist ein einsames Papierschiff; dieses Schlussbild prägt sich ein
Der Mob sinnt auf Lynchjustiz. Foto: Graner
Auch die Rolle der neurotischen Witwe Sedley ist mit Jie Zhang hervorragend besetzt. Sie bringtalle Facetten kleinbürgerlicher Bigotterie zu glänzen. Am November wird die vielfache prämierte Sängerin in der selben Rolle am Theater für Niedersachsen in Hildesheim zu sehen sein.
Es ist ein herausragendes Merkmal dieser Inszenierung von Toni Burkhardt, das alle Positionen bis in den Chor hinein auf hohem Niveau ausgefüllt werden. Nicht einzige Rolle fällt gegen einen anderen Part ab. Einzel- und Kollektivleistungen ergänzen einander.
Mit der Uraufführung im Jahre 1945 fällt die Oper von Benjamin Britten in die Glanztage der Massengesellschaft. Dennoch bleibt die Auseinandersetzung zwischen dem Einzelnen und den Anderen nicht bei einfachen Schuldzuweisung stehen. Nach 30 Jahren Ego-Gesellschaft erscheint die Auseinandersetzung eher wie das Aufbrausen des Sturrkopfs gegen die Schwarmintelligenz. Doch das Opfer ist der stimmlose John.


Die Website von Toni Burkhadt
Die Besetzung
Die Website von Wolfgang Kurima Rauschning
Das Theater Nordhausen

Premiere am 9. November: Peter Grimes am TfN in der Selbstdarstellung
Zum Vergleich: Besprechung zu Peter Grimes in Hildesheim

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