Da blüht so einiges

"My fair Lady" ist nicht nur perfekte Unterhaltung


Die leichte Muse ist ein schweres Fach, aber mit seiner Inszenierung von "My fair Lady" ist Toni Burkhardt bei den Thüringer Schlossfestspielen in Sondershausen der große Wurf gelungen. Das Musical ist komplettes Unterhaltungstheater, das begeistert, entführt und auch dem Kopf einiges zu bieten hat. Es ist Ausstattungstheater, das ein klassisches Musical in die Jetztzeit fortführt.
Überkandidelter Sprachforscher trifft auf ein Blumenmädchen, schließt mit dem Kollegen Pickering  eine Wette über das Mädchen ab, benimmt sich wie die Axt im Walde, dressiert das Mädchen, scheitert in ersten Anlauf, gewinnt dann doch die Wette und verliert das Mädchen fast.
Diese Aufführung wird von drei Polen bestimmt. Oliver Koch als Professor Henry Higgins, dem Opernchor des Theater Nordhausen und einer grandiosen Katharina Boschmann als Eliza Doolittle.
Koch und Boschmann stehen exemplarisch für die beiden Seiten des Musicals.
Katharina Boschmann hat als Eliza die Truppe
im Griff. alle Fotos: Tilmann Graner
Henry Higgins ist der Pol der Menschenfeidnlichkeit in dieser Inszenierung. Nett und freundlich nur zu seinesgleichen, arrogant und barsch zu vermeintlich Unterlegenen und ein bekennender Frauenhasser ist dieser Henry Higgins der Kotzbrocken von nebenan, den niemand zum Nachbarn haben will. Befriedigung verschafft ihm nur die wissenschaftliche Arbeit und selbst die nutzt er zum Spiel von Überlegen und Unterlegen, wenn er die sprachlichen Besonderheiten seiner Mitmenschen korrigieren will. Was nützt Professor Higgins die Sprache Shakespeare, die schönste Sprache der Welt, wenn er nicht in der Lage ist, mit seiner Umwelt zu kommunizieren? Dieser Higgins ist ein logopädischer Analphabet. Er beherrscht zwar den Code, kennt aber nicht die Bedeutung seiner Worte. Noch nicht einmal unter seinesgleichen, in der gehobenen Gesellschaft seiner Mutter, hat er Freunde. Dieses spannungsreiche Mutter-Sohn-Verhältnis begründet Uta Haase sehenswerte in der Rolle der lebensnahen Mrs. Higgins. Der Higgins von Oliver Koch ist sehr nahe am Higgins aus "Pygmalion" von Bernard Shaw, das die Vorlage für das Musical lieferte.
In der Darstellung dieser Rolle geht Oliver Koch bis an die Grenze. Die Körperhaltung ist starr und kerzengerade, die Stimme oft im Alarmzustand und die Zornesfalte zwischen den Augenbrauen der Normalzustand in diesem Gesicht.
Eliza weiß nicht so recht, ob sie sich auf das
Experiment wirklich einlassen soll. Foto: Graner
Eigentlich ist die Geschichte keine nette, denn es geht um die Umformung einer Person. Es ist ein Experiment am lebenden Menschen, auf das sich Higgins und Pickering geeinigt haben. Der wissenschaftliche Anspruch ist ein totalitäterer und damit ist "My fair Lady" in dieser Inszenierung auch ein Zusammenfassung des 20. Jahrhunderts. Helmut Kleinen als Oberst Pickering und Florian Kontschak als Vater Alfred Doolittle sind zwar die Boten der Menschlichkeit, doch gegen den Eifer des Higgins können sie sich nicht durchsetzen. In mit der Urgewalt des saufenden Müllkutschers und enormer Präsenz kann Kontschak aber seinen Anteil an der Aufmerksamkeit behaupten.
Katharina Boschmann als Eliza ist da ganz anders geschnitzt. Sie beherrscht alle Seiten dieser Rolle und berlinert so schön, dass sich in den tiefsten Wedding versetzt fühlt. Sie spielt die freche Göre, die zornige junge Dame und dann die selbstbewusste junge Frau. Damit verdeutlicht sie die Entwicklung der Hauptfigur eindrucksvoll und zeigt am Ende,ganz im Sinne der Autoren, wer denn die wahre Größe hat. Ihr Auftritt auf der Pferderennbahn in Ascot ist ein gekonnte Satire auf gekünsteltes Benehmen, dass auch 100 Jahre später noch funktioniert, weil die Lackaffen immer noch nicht ausgestorben sind, weil es neu soziale Codes gibt, gegen die man nicht verstoßen darf. Ja, und wat denn, wat denn,dazu berliniert se so jekonnt,det man globt, den Mädel kommt wirklich aussem Wedding.
Diese Glanzleistung basiert nicht nur auf dem schauspielerischen Vermögen, sondern ist vor allem in der Stimmgewalt der Katharina Boschmann begründet. Mal tiriliert sie operettenhaft, mal jubiliert sie glockenklar und manchmal hat ihr Sopran die Tiefe des Blues.  Aber nie wirkt sie überzogen in ihrer Darstellung.
In Ascot wirkt Eliza wie ein
dressiertes Äffchen.
  Foto: Graner
Aber das Musical verzaubert auch, weil es auf eine ganz konventionelle Ausstattung baut. Die Kostüme von Anja Schulz-Heinrich orientieren sich stark, was man am Anfang des 20. Jahrhundert trug und übertreibt doch das gesunde Stückchen. So ist Eliza in der Ascot-Szene mit Schleifchen verschnürt wie ein Geschenk an die höhere Gesellschaft. Aber nichts anderes ist ja in diesem Augenblick. Professor Higgins und Oberst Pickering verschenken ihren neuen Menschen zu Testzwecken an die alten Eliten.
Die Drehbühne von Wolfgang Kurima Rauschning erlaubt den schnellen Wechsel der Szenen und unterstützt so das Musical-eigene Tempo. Kein gutes Musical kommt ohne Show-Treppe aus, auf der die Akteure stolzieren, lachen, verzweifeln und tanzen können. Diese Anforderung hat Rauschning sehr gut gelöst.
Den Boden und das schützende Dach bildet das Ensemble in dieser Aufführung. Für viele starke Eindrücke in dieser Aufführung sorgen der Opernchor und die Ballettkompanie des Theater Nordhausen. Die Choreographie von Jutta Ebnother unterstreicht die heitere Seite des Musical kongenial, immer wieder scheinen die Tänzerinnen und Tänzer schwerelos über die Bühne zu schweben. Diese Leichtigkeit in der Bewegung gehört wohl bald zu einer aussterbenden Art. Der Chor ist in allen Lagen präsent, zeigt keine Schwäche, bereitet die Szenen gekonnt vor und treibt die Handlung vielfach in rasanten Tempo weiter. Das ist ein funktionierendes Ensemble.


Mit seiner Inszenierung von "My fair Lady" ist es Toni Burkhardt gelungen, die Tiefenschichten des Werks freizulegen und trotzdem kurzweilig zu unterhalten. Dieses Kunststück beherrschen nur noch wenige. Das schafft die Möglichkeit, das Musical von der heiteren oder von der ernsten Seite oder von allen Seiten zu lesen. Es ist auf jeden Fall ein Gewinn.

Die restlichen Vorstellungen sind bereits ausverkauft. Die Schlossfestspiele 2015 beginnen am 26. Juni 2015 mit der Premiere von Bizets "Carmen".

Das Stück

Die Schlossfestspiele in Sondershausen

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Turandot vergibt jede Menge Chancen

Viel Abwechslung mit nur einem Instrument

Eine Inszenierung auf Tratsch-Niveau