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Im Wartesaal zum Glück

"Tot, aber glücklich" - ein schrilles Musical am Theater für Niedersachsen

Immer  an der Grenze, aber stets treffsicher knapp daneben am voll vorbei. So lässt sich Detlef Altenbecks Inszenierung von "Luck Stiff  - Tot aber glücklich" am Theater für Niedersachsen wohl am besten beschreiben. Dieses Stück hat alles was man von einer Off-Broadway-Produktion erwarten kann und sollte: ein abgedrehter Plot mit schrägen Charaktere, skurrilen Einfällen und überraschenden Wendungen. Zum guten Schluss gibt es sogar ein Happy End für die meisten.

Harry Whiterspoon führt ein trostloses Leben als Schuhverkäufer in einem Londoner Vorort. Zudem leidet er noch an einer Hundephobie. Dann naht die Rettung. Sein Onkel Tony vermacht ihm 6 Millionen Dollar, aber nur unter einer Bedingung. Harry muss mit der einbalsamierten Leiche eine Woche Urlaub in Monte Carlo machen. Lässt er sich nicht auf den Deal ein, dann geht das Geld an das Heim für herrenlose Hunde in Brooklyn. Also macht sich Harry mit seinen Onkel auf den Weg an die Cote d'Azur.
Harry Whiterspoon führt ein trost-

loses Leben als Schuhverkäufer.

Alle Fotos: Falk von Traubenberg
Er erlebt die aufregendsten Tage seine Lebens.  Doch es stellen sich ihm auch einige Hürden in den Weg. Da wäre zum einen Annabel Glick, die als Vertreterin des Heim für herrenlose Hunde in Brooklyn hinter dem Geld her ist.

Und dann ist da noch Rita La Porta, die ehemalige Geleibte von Onkel Antony, die aus Eifersucht ihren Lover erschossen hat und nun die sechs Millionen zurückhaben möchte. Immerhin gehört das Vermögen eigentlich ihren Gatten. Im Gepäck hat sie ihren Bruder Vincent Di Ruzzia, der bisher ein beschauliches Leben als Augenarzt geführt hat.

Aber nicht genug, da bevölkern noch eine Menge Gestalten das Universum von Lynn Ahrens und Stephen Flaherty, als da wären eine Revuetänzerin, ein tanzendes Roulette-Rad, zwei Touristen aus Bayern, zwei alternde Ladys aus den Südstaaten, ein androgyner Conferencier, ein Mafiosi und und und. Also ein ganz normaler Querschnitt durch die Party-Gesellschaft in Südfrankreich. Insgesamt 44 Rollen vermerkt das Programm, verteilt auf 11 Darsteller. Das verlangt viel vom 11 köpfigen Ensemble.

Ständig muss sich die Hälfte der Darsteller umziehen und in eine andere Rolle schlüpfen. Detlef Altenbeck und Bettina Köpp haben die Aufgabenstellung einfach und überzeugend gelöst. die Garderobenständer sind Teil des Bühnenbilds. Die nicht benötigten Requisiten werden einfach an den Bühnenrand gestellt. Es wirkt, als wäre man in der Garderobe eines Theaters, in dem gerade "Im Wartesaal zum Glück" gespielt wird. In diesem Wartesaal haben Harry Whitherspoon und Annabel Glick ihr bisheriges Leben verbracht. So bekommt das Stück bei allen berechtigten Klamauk auch ein wenig Tiefe.

Außerdem stecken viele kleine Ereignisse in dem Plot, die nicht unter den Tisch fallen dürfen und die doch richtig verarbeitet werden müssen. Eine schräge Szene ist die Voraussetzung für die nächste. Also wird der Handlungsstrang in kleine und kleinste Szenen aufgedröselt, die mit ihrer einer schnellen Abfolge das notwendige Tempo bringen. Altenbeck nutzt  den Raum für Spielereien, die das Musical bietet.

Nicht jedem gefällt die Unterwasserwelt. 

Foto: Falk von Traubenberg
Jede Szene ist bis ins Detail geplant, aber keine wirkt überflüssig.  Alle verfolgen eine doppelte Zielsetzung: A) hinarbeiten auf ein überraschendes und  fulminantes Finale und b) alle Beteiligten einfach Vergnügen zu bereiten. Trotzdem ist diese Inszenierung kein Stückwerk, sondern ein Gesamtwerk, dass mit schwarzen Humor, Tempo und Wortwitz überzeugt.

Natürlich ist einiges vorhersehbar, aber das soll es ja auch sein. Die Unterhaltung  besteht darin, dass das passiert, was man erwartet. Das Happy End gehört dazu, wie in den Klamaukfilmen der 50-er. Aber eben mit den Klischees und Erwartungen arbeitet der Ensemble geschickt und mit der überdeutlichen Symbolik. Einzelne Requisiten erzählen ganze Geschichte, wie der PAN AM-Flieger beim Ritas und Vinzents Flug nach Europa oder wie der Hai in der Unterwasser-Szene. Aber es gibt auch die anrührenden Szenen wie Jürgen Brehm in seinem Pas de deux mit Rollstuhl und Leiche.

Überhaupt ist der Umgang mit der Dekoration großartig. Das Publikum sieht ein Bild der Londoner City und, schwupps, ist es in der Kanzlei des Notar. Es sieht im Hintergrund der Cote d'Azur und schon ist es in Monte Carlo. Zwei Sessel, vier Hocker und Satin-Bettwäsche ergeben die Luxus-Suite im "Hotel de Paris". Es ist ein Spiel mit den Bildern im Kopf der Zuschauer. Ein paar Tische, eine Disco-Kugel und ein glänzender Alexander Prosek als Conferencier und schon ist der Nachtclub fertig. Dazu Navina Heyne als Chansonette Dominique du Monaco und alle tauchen in einen Pool voller erfrischender Klischees.

Harry und die Leiche haben Spaß beim Roulette.
Foto: Falk von Traubenberg
Die Musik von Stephen Flaherty hat immer die passende Antwort. Es gibt Rock und Pop und eine Portion Samba, aber eben jede Menge Musical-Swing. Nie weiß, ob der Pathos nun ernst gemeint ist oder schon eine Karikatur. Jeder kann es sehen, wie er will. Ist das die Verballhornung des Genre Musical oder seine Wiederbelebung?

Vor allem Elisabeth Köstner überzeugt in der Rolle der Rita , die ihren Liebhaber Antony nur aus Versehen erschoss und nun den Millionen hinterherjagt. Gekonnt spielt sie die Frau am Rand des Nervenzusammenbruchs in allen Stufen der Überdrehung, die als Slapstick-Jagd nach einem Rollstuhlfahrer mündet. Aber zum guten Schluss finden alle den Weg aus dem Wartesaal ins Glück. Soviel Kitsch darf sein.

Detlef Altenbeck geht in seiner Inszenierung offensiv mit den schrägen Momenten diese Musicals um und das ist gut so. Der Stoff verlangt keinen feinen Pinselstrich, sondern einen kräftigen Farbauftrag. Dennoch stürzt niemand über die Klippe des Klamauks. Darin besteht wohl die größte Leistung.



Das Stück
Der Spielplan am TfN
  
  

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