Das Unglück von zwei Seiten

Verschiedene Sichtweisen auf das Ödipus-Thema am Theater Nordhaus

Der Mythos vom Mann, der seinen Vater tötet und seine Mutter heiratet, beschäftigt die Menschen immer noch. Beim Ödipus-Abend im Theater Nordhausen legen Jutta Ebnother und Pascal Touzeau zwei Sichtweisen vor, die deutliche Unterschiede zeigten, aber beide überzeugen konnten. Bei der Premiere am Freitagabend gab es zum Schluss begeisterten Beifall und standing ovations

“Man kann seinem Schicksal nicht entgehen”, lautet die Botschaft dieser Legende. Auf diesen Aspekt konzentriert sich Jutta Ebnother mit ihrer Choreographie “Orakel”. Sie löst sich sehr weit von der Themenvorgabe und stellt die Frage nach dem Wert von Weissagungen in der Gegenwart. Ihr Ballett ist aufgegliedert in kleine Szene rund um das Thema.

Der Beginn erstaunt. Der Eiserne Vorhang versperrt den Blick auf die Bühne, zu den Klingen zweier Stimmgabeln verschwindet das Ensemble aus dem Zuschauer hinter dem Vorhang. Dann erklingen die ersten Takte von Schostakowitsch Klavierquintett in g-Moll und der Eiserne Vorhang hebt sich. Er gibt den Blick frei auf eine blanke Tanzfläche. Im Mittelpunkt liegt das Orakel in der Person von Gabriela Finardi. Die anderen Tänzer umgeben sie in lockerer Folge.

Das Orakel kommuniziert körperlich.
Alle Fotos: Tillmann Graner
Als sie zu Tanzen beginnt, lösen sich nach und nach die anderen Figuren. Je länger die Choreographie dauert, desto mehr kommuniziert und agieren die die Namenlosen miteinander. Offensichtlich bewegen und verbinden die  Fragen nach der Zukunft. Gabriela Finardi darf auch kurz sprechen. Aber sie redet in Zungen und niemand weiß das Orakel zu deuten. Dann drehen sich Solistin und Kompanie die Rücken zu und Finardi stolziert durch die Reihen der Namenlosen.

Doch diese Momente sind nur von kurzer Dauer und zum Schluss regnet es Glückskekse auf die Bühne. Gabriela Finardi wirft jedem Ensemblemitglied einer Glückskeks zu. Das Gewerbe der Prophezeiung wurde damit automatisiert und das Orakel ist von einer Last befreit. Nun kann es jedem sein Schicksal zuteilen.

Es sind heitere Szenen, die Jutta Ebnother in hier entwirft. Die belebende Spannungen entsteht aus dem Kontrast zwischen einer Choreographie, die sich auf die Elemente des Modern Dance konzentriert, und Musik von Dmitri Schostakowitsch, die den Spagat zwischen Spätromantik und Expressionismus wagt.

Die Eine sei des Anderen Stütze.
Foto: Tillmann Graner
In "Orakel" findet Ebnother die wenigen Lichtblicke in einer düsteren Tragödie. Mit dieser Vorstellung verabschiedet sich eine Ballettdirektorin, die es geschafft hat, in Nordhausen lebendig und zeitgemäßes Tanztheater zu installieren. Damit hat sie Nordhausen einen Namen in der Szene gemacht.

“Ödipus” von Pascal Touzeau wirkt in weiten Teilen wie ein Gegenentwurf zu "Orakel". Seine Choreographie ist ein klassisches Handlungsballett, dass mit einem modernen Vokabular die Dreiecksgeschichte von Laios, Iokaste und Ödipus nacherzählt. Ebnothers lockerer Szenenfolge setzt der französische Gastregisseur einen klaren Handlungsfaden entgegen, in dem die Rollen klar verteilt.

Vor zwei Jahren konnte András Dobi schon in “Shakespeare. Ein Ballett” überzeugen. In “Ödipus” begeistert er mit seinem kraftvollen und expressiven Tanz. Zudem lotet er in den stillen Szenen die ganze Tragik der Legend aus. Das Duett mit der toten Íokaste gehört sicherlich zu den stärksten Momenten des Abends.

Mutter und Son vereint.
Foto: Tillmann Graner 
Figuren und Drehungen, die Laios einst mit der König gelungen sind, die auch Ödipus mit seiner Mutter wiederholte, sind nun zum Scheitern. Darauf folgt gleich die zweite beeindruckende Szene. Der einst so stolze und nun gebeugte und blinde Ödipus muss sich von seiner Tochter Antigone ins Exil führen lassen. Tijana Grujic singt dazu Mozart Lacrimosa in der Bearbeitung von Yanov-Yanovski.

Wenn Ebnothers “Orakel” wie eine bunte und glückliche Utopie erscheint, dann verbleibt Touzeau beim Pessimus der klassischen Vorlage. Dafür sorgt schon allein die Musik von Heryk Górecki, dessen Spätwerk von düsteren Tönen geprägt ist. Das ständige Staccatto der Streicher vermittelt permanente Gefahr.

Touzeau läßt nicht allein Musik und Bewegung wirken, Er präsentiert eine reduzierte Bühnenbild und Requisten, die als Symbole des Untergangs aufgeladen sind. Auch damit nähert sich der Schüler von William Forsythe wieder dem Handlungsballett mit deutlicher Struktur an. Auf eine klassische Formensprache verzichtet er aber und seine Kombination aus expressiver Musik und aktuellen Ausdruckformen überzeugt trotz einiger Längen.



Der Spielplan am Theater Nordhausen
Die Ballett-Gala

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Turandot vergibt jede Menge Chancen

Viel Abwechslung mit nur einem Instrument

Eine Inszenierung auf Tratsch-Niveau