Gestrandet in der Einsamkeit

Theater für Niedersachsen zeigt das Elend der Effi Briest

'tschuldigung für die antiquierte Formulierung, aber diese Inszenierung geht einem wirklich zu Herzen. Petra Wüllenweber hat beim Schreckgespenst des Deutschunterrichts nicht nur die Rasselkette entrostet. Sie hat dem Stück auch die Bissigkeit zurückgegeben, dass es zu den Zeiten Fontanes auch hatte.

Zwei Stühle auf einer leeren Bühne, ein Mikro recht, eins links, Musiker und Schauspieler betreten die Bühne. Eine Frau näht Gardinen. Das Akkordeon spielt eine gedämpfte Melodie, die Gitarre schlägt die Akkorde dazu. Katharina Kwaschik zitiert die ersten Sätze aus Fontanes Romanvorlage. Sie schildert die Idylle eine landadeligen Gehöfts irgendwo in der Weite der brandenburgischen Steppe.

Noch sieht es aus, wie der endlose Sommer der
Jugend.      Alle Fotos: tok
Es ist ein passender Kunstgriff, der hier vollführt wird. Immer wieder wird eine Darstellerin oder ein Darsteller an den Rand des Geschehens treten, zum Erzähler mutieren oder mit dem Publikum in den Dialog treten. Dann gibt es eine Einleitung, die Schilderung der Atmosphäre oder die Handlung zwischen den Szenen wird zusammengefasst. Petra Wüllenweber bekommt so das Textmonster in den Griff und sortiert das Sammelsurium in eine spielbare Abfolge.  Zu den reien Darstellungen kommt eine Reihe von symbolischen Handlungen, die Unaussprechbares verdeutlichen.

Der Einbau des Theaterpolizisten als Hüter der Textgenauigkeit ist dabei nur ein Zeichen eines entspannten Umgangs mit dem Monument deutscher Selbstbetrachtung. Immer wieder taucht das selbstironische Motiv "Theatergruppe probt" auf. Unter den zahlreichen,  'tschuldigung für die antiquierte Formulierung, Sittengemälden des Wilhelminismus ist "Effi Briest" sicher das mit der größten Reichweite.

Es ist eine flachadelige Gesellschaft mit kleinbürgerlichen Idealen, die Petra Wüllenweber hier zur Schau stellt und erklärt. Es ist eine Gesellschaft im Widerspruch zwischen  den engen Grenzen der Konventionen und der Leere ihrer emotionalen Landschaft. Genau diesem Kontrast setzt das Bühnenbild von Matthias Werner  unaufgeregt wieder. Gardinen symbolisieren die engen Mauern des elterlichen Landsitz in Hohen-Cremmen. Später öffnet sich der Raum in die endlose Ödnis Hinterpommerns  als Effi und ihr Gatte das wenig geliebte Kessin erreichen. Die Gardinen werden zu Baumsäulen zusammengerafft. So einfach und einleuchtend kann ein Bühnenbild sein.

Die Rezeption von "Effi Briest" ist  meist recht einfach. Mutter verhökert ihre Tochter an ihren abgelegten Liebhaber, damit diese das werden kann, was ihr selbst verwehrt blieb oder was sie sich nicht getraut hat. Die Tochter wird aus ihrer Kindheit gerissen und der gefühlsarme Mann opfert die Ehe der eigenen Karriere. Die unverstandene Gattin flieht in eine kurze Affäre. Jahre später fliegt die Affäre auf, der Gatte tötet den Liebhaber und schickt die untreue Frau in die Verbannung, die vor Gram stirbt. Derweil schaut der Vater der jungen Frau nur zu und gesteht mit dem Textmonument "Ein weites Feld, Luise" seine Überforderung ein.

Major von Crampas rockt die Provinzbühne.
Petra Wüllenweber hat in ihrer Inszenierung gleich mehrere zusätzliche Ebenen eingezogen, die das Deutungsspektrum deutlich erweitern. Der Grundstock bleibt. Luise von Briest führt ihre Tochter als Lamm zur Opferbank. In allen Auseinandersetzungen zwischen Effi und von Innstetten ergreift sie Partei für ihren Ex. Katharina Wilberg in der Rolle der ambitionierten Mutter steht dieser Ehrgeiz ins Gesicht geschrieben. Die Körperhaltung ist gestrafft und die Worte klingen wie beim Morgenappell. Sie scheint zu keine zärtlichen Gefühlen fähig und mit ihrem Gatten liefert sie sich den kleinbürgerlichen Kleinkrieg einer Zweckehe, die schon zu lange dauert. Das sind schon 5 von 10 Punkten auf der Burton-Taylor-Skala  und hat für einige im Publikum einen hohen Wiedererkennungswert. So weit so gut.

Die neue Deutung bezieht sich auf Effi, die, 'tschuldigung für die antiquierte Formulierung, wunderbar gespielt wird von Lilli Meinhardt. Sie verkörpert die kindliche Effi genauso glaubwürdig wie die Gattin des Landrats von Kessin oder die Verführerin. Denn hier liegt der wichtige Unterschied. Diese Effi ist nicht mehr nur Opfer sondern auch Täterin am eigenen Schicksal. Freimütig gesteht sie ein, dass sie den 21 Jahre älteren Mann aus Berechnung und aus Karrierebewusstsein geheiratet hat. Effi Briest wird zum Aktivposten in diesem Drama.

Das ist kein Leben

Die Tanzszene mit Effi und ihrem Cousin Dagobert gehört zu den poetischen Momenten dieser Inszenierung. Man mag frei nach Sally Brown rufen "Küss ihn doch, du Idiotin" und hoffen, dass der Zug Richtung Unglück an der nächsten Weiche abbiegt, aber nichts dergleichen passiert. Dagobert und Effi sind seelenverwandt und füreinander gemacht. "Aber Leben mit ihm, das wäre kein Leben", bekennt die standesbewusste junge Frau Landrätin. Sie will hoch hinaus und so wird der Fall umso tiefer. Diese Effi wird nicht nur ein Opfer der Konventionen, sondern sie scheitert auch an ihren eigenen Ansprüchen.

Das ist die neue Sicht. Effi ist keine unbedarftes Heimchen sondern durchaus eine echte Frau, die sich aber auf ein Gesellschaftsspiel einlässt, dass sie nicht gewinnen kann. Die Reduktion auf die Rolle als Mutter, das ist auch heute noch der Knackepunkt in einer Beziehung. Das macht diese Aufführung deutlich. All diese Schichten legt Lilly Meinhardt frei mit ihren situationsadäquaten Spiel. Die Freude der Kindheit, der Stolz der Frischvermählten und die Einsamkeit der in der Provinz Gestrandeten, alles kann sie glaubwürdig mit Stimme, Mimik und Gesten vermitteln. Dafür bekommt sie zu Recht auch den meisten Applaus.

Von Innstetten hat beschlossen, dass seine Frau
schwanger werden wird.
Moritz Koch schafft den Spagat zwischen der Rolle des springlebendigen Cousin Dagobert von Briest und des eher phlegmatischen Major von Crampas.  Seine Leidenschaft ist eher Berechnung und die Affäre mit Effi mehr Ablenkung als Herzensangelegenheit. Das ist etwas, was halt so macht wenn man sich in der hinterpommerschen Provinz langweilt. Im Gefüge einer Wilhelministischen Gesellschaft erfüllt eben die Rolle des Herzensbrecher, nicht mehr und nicht weniger.

Dennoch gehört die Beischlaf-Szene mit Akrobatik zu den Höhepunkten des Abends. Die Balletteinlage verdeutlicht die kurzen Höhenflüge, die der Austausch von Körperflüssigkeiten sein kann.

Auch die starre Position des Baron von Innstetten wird in dieser Inszenierung aufgeweicht. Er darf sich durchaus auch mal von seiner weichen Seite zeigen. Letztendlich unterliegt er aber weiterhin den Zwängen der Gesellschaft. Dieser Baron ist eben der nette Chauvi von nebenan, der seine Frau auf subtile Weise in ihre engen Schranken weist.

Die stärkste Szenen in dieser Rolle hat Martin Schwartengräber als er die Liebesbriefe der Gattin entdeckt. Die Fassungslosigkeit ist ihm ins Gesicht und in die brüchige Stimme geschrieben. Gänsehaut macht sich breit, als er Nick Caves Song vom Gnadensessel, vom Mercy Seat, ins Mikro spricht.

Auch beim alten Briest hat sich die Akzentuierung verschoben. Er ist nicht der begriffsstutzige Landadlige, der nicht so recht weiß, was um ihn herum vorgeht. Dieser Briest ist der einzige Mensch in einem Gefüge von Pflicht- und Rollenerfüllern und deshalb muss er scheitern. Dies macht Gotthard Hauschild deutlich.

Die Poesie

Tanz und Musik, trotz aller Tragik haucht Petra Wüllenweber dem  Werk  ein ordentliches Maß an Poesie ein, schafft eine Moritat mit leisen Töne. Damit wird sie der Romanvorlage mehr als gerecht. Sie zieht neue Deutungsebenen ein und erneuert damit die Aussagekraft dieses Monument des Gesellschaftsromans.

Das Ehepaar von Innstetten erlebt auch glückliche
Momente.
Obwohl Petra Wüllenweber in ihrer Inszenierung dem sprachlichen Duktus des späten 19. Jahrhunderts treu bleibt, zeigt sie dennoch ein ordentliches Maß an Zeitlosigkeit. Die Kostüme liegen irgendwo zwischen Anno Dunnemal und eben gerade jetzt. Am markantesten wirkt Effi 50-er Jahre Pepita-Kostüm, das ihr das ein und andere Mal wie eine Zwangsjacken angelegt wird. Ankleiden als Gesellschaftskritik, das schafft auch nicht jeder.

Auch 120 Jahre nach Effi Briest scheitern Menschen, wenn sie nicht sie selbst sein dürfen oder wollen, wenn sie Träume erfüllen wollen, die andere für sie träumen, das ist wohl die Kernaussage dieser Adaption. Der alte Briest ahnt es, aber er schweigt, weil er sich gegen die Gattin nicht durchsetzen kann. Wenn du doch geredet hättest, Friedrich.



Das TfN - Der Spielplan
Das TfN - Das Stück

Auch von Wüllenweber: Die Buddenbrooks

Effi Briest -  Die Romanvorlage





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