Dunkel ins Dunkel gebracht

stille hunde lassen Dr. Jekyll und Mr. Hyde leben und sterben

Im kollektiven Gedächtnis der Belesenen sind unter dem Eintrag "Robert L. Stevenson" zwei Werke vermerkt. Nach der Schatzinsel haben sich die stillen hunden nun auch des "Seltsamen Falls von Dr. Jekyll & Mr. Hyde" angenommen. Trotz der zahlreichen Adaptionen in Film und Pop-Kultur muss man sagen: Zu recht und mit Gewinn. Davon konnte man sich am Samstag im Schloss Herzberg überzeugen.

Aus der klaustrophobischen Enge der Stadtbibliothek sind Rosemarie Matwijow und ihre Gäste in den Rittersaal umgezogen. Der Zusammenhang mit der englischen Geschichte ist zwar arg konstruiert, aber der Raum bietet reichlich Anklänge an Ambiente des viktorianischen Bürgertums im ausgehenden 19. Jahrhundert. Dunkel und hölzern und überall knarzt es ein wenig, aber durchweg grundsolide.

Es ist ausverkauft, denn das Herzberger Publikum weiß, was es an Stefan Dehler und Christoph Huber hat. Man ist sich schon mehrfach begegnet und man weiß, was man voneinander zu erwarten hat. Auch die Voraussicht, mit in das Spiel einbezogen zu werden, hat niemanden abgeschreckt. 

Flaschenbürsten spielen eine
große Rolle an diesem Abend.

Fotos: tok
Die Sitze wurde neu arrangiert. Die klassische Kino-Sitzordnung wurde über den Haufen geworfen. Die Sitzreihen sind im Quadrat angeordnet. In der Mitte bleibt die Spielfläche. Ist es eine Arena? Auf jeden Fall sind die Zuschauer so mittendrin und funktioniert hat die neue Ordnung schon vor vierzehn Tagen in Göttingen.

Die Szenerie ist spärlich ausgeleuchtet. Ein Spot von links, einer rechts, sorgen für wenig Licht und viele Schatten. Fast ist es eine Aufführung in Schwarz-Weiß, nur eben nicht als Stummfilm. Auf jeden Fall ist dem Thema, den tiefen, scher zu durchschauenden Abgründen der menschlichen Seele, durchaus angemessen.

Das Vergnügen mit den stillen hunden findet auf mehreren Ebenen statt. Die erste ist die Auseinandersetzung mit dem Autor und dem Werk. Das Publikum erfährt in der Einführung wenig über Robert Luis Stevenson, aber viel über seine wechselvolle Einschätzung durch die Ordnungshüter der britischen Literatur. Die waren ihm nicht immer gewogen. Zu erfolgreich um von denen gernst genommen zu werden, lautet die Quintessenz.

Meister der Reduktion 


Wenn sie wollen, dann sind Christoph Huber und Stefan Dehler Meister der Reduktion. Ihre Spielfläche beträgt keine 20 Quadratmeter. Doch darauf lassen sie den gesamten Kosmos einer untergegangenen Epoche entstehen.

Das Bühnenbild besteht aus einer schäbigen Tür, aus den Angeln gehoben, und einem Regal voller antiquierter Labor-Utensilien. Schwupps, schon ist das Publikum im 19. Jahrhundert angekommen.

Es gibt aber auch Handfeger.
Überhaupt sind die stillen hunde Meister der reduzierten Requisite. Eine Tür genügt,  um ein JHaus zu imitieren. Eine Flaschenbürste reicht aus, um aus einem Inspektor einen alternden Arzt zu machen. Ja, richtig gelesen, Flaschenbürste. Auch das ist so ein altertümliches Utensil, das hervorragend in die Inszenierung passt.

Natürlich bedarf es noch der Einbildungskraft des Publikums, damit das Spiel mit der Flaschenbürste funktioniert und natürlich ein Änderung in der Stimmlage bei Christoph Huber. Man kennt und schätz sich halt und deswegen glauben die Zuschauer auch gern, dass der Scherz über die Gründung des ersten niedersächsischen Flaschenbürstentheater spontan und just an diesem Abend geboren wurde. Ein Abend mit den stillen hunden ist eben auch immer Mitdenk-Theater. Das Duo nimmt seine Gäste ernst

Reduziert in der Sprache, aber gewaltig in den Worten. Die stillen hunden scheinen eine Vorliebe für die opulente Sprache des späten 19. Jahrhunderts zu haben. Wenn auch zügig so doch mit Genuss zitieren sie die gestelzten und geschraubten Endlos-Sätze der literarischen Vorlage. Dabei sitz aber jedes der aufgeladenen Wörter. Das ist die zweite Ebene der Stevenson-Interpretation.

Zusammen mit dem Stechschritt, den Stefan Dehler beim Spaziergang um das Bühnenbild vorlegt, sorgt dies für ein hohes Anfangstempo. Geschwindigkeit als Ausdruck innerer Unruhe. Später wird ein Gang heruntergeschaltet.

Die Rollenverteilung


Eine szenische Lesung mit den stillen hunden funktioniert so gut, weil die Rollen so klar und eindeutig verteilt.  Stefan Dehler übernimmt stets den kühlen und berechnenden Part. Er spielt den Rechtsanwalt Utterson nicht. Das ist sein alter ego, mag man glauben.

Die emotionalen und hektischen Rollen bleiben Christoph Huber vorbehalten. An diesem Abend bedeutet dies einen ständigen Wechsel der Flaschenbürsten. Gelegentlich überschreitet er dabei die Grenze zur Karikatur.

Manchmal packt den Huber
die pure Mordlust.
Eben diese Rollenverteilung und der clash of characters ist oft genug Thema an diesem Abend. Beide geben sich gegenseitig Tipps und Anweisungen, wie das Gegenüber seine Rolle zu spielen hat. Der Disput ist aber kalkuliert und funktioniert seit 10 Jahren. Das Publikum findet auch in Herzberg Gefallen daran.

Die Reflektion über den Darsteller und das Darzustellende, das ist die nächste Ebene. Neben der Unterhaltung gibt es für die Gäste noch einen einblick in die Welt der Schauspieler. Das System funktioniert zu gut und die Frotzeleien der Darsteller drängen sich stellenweise in den Vordergrund. Aber vielleicht hat der Streit des Vortragenden für das Publikum auch eine Ersatzfunktion.

Die Gäste wissen aber auch zu schätzen, dass bei allen Umwegen und Ergänzungen die stillen hunde doch auf dem Weg bleiben. Zum schlimmen Ende gibt es keine Überraschung. Dr. Jekyll ist tot und Hyde verschwindet.

Das wartenden Buffet, die Haushälterin von Dr. Lanyon und der Kurfürst Georg, die gibt es an diesem Abend nur im Rittersaal in Herzberg. Sie finden immer wieder ihren Weg in das Beiwerk der stillen hunde. Deswegen wissen die Fans, dass bei aller Professionalität diese Vorstellung doch spontan und ein einzigartig ist und dafür gibt es reichlich Applaus.





Material #1: Der Autor
Material #2: Das Werk


stille hunde #1: Die offizielle Homepage
stille hunde #2: Der Spieplan
stille hunde #3: Die Schatzinsel in Herzberg





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