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Händel trifft auf Wort- und Vertikalakrobatik

Theaterjugendclub begeistert mit Premiere von Hip-Hop Händel

Händels Opern haben in den letzten 313 Jahren viele Deformationen und Transformationen überstanden. Was der Theaterjugendclub am Theater Nordhausen aber aus "Alcina" gemacht, das ist mehr als eine hippe Bearbeitung und geht weit über den Tag hinaus. Am Samstag war Premiere von "HipHopHändel" im Großen Haus und diese zeigte, dass einem um die Zukunft von Händel nicht bange sein muss.

Es ist der Stoff für eine Daily Soap und der Theaterjugendclub behält die Story bei. Alcina lockt den Ritter Giero auf ihre Insel, doch dessen Frau Bante hätte den Gatten gern zurück. Sie verkleidet sich als Mann und zieht mit ihre Amazonen und den Kriegern ihres Mannes auf die Insel. Dort treffen sie auf Morgana, die Schwester der Alcina, die sich in Bante verliebt und auf Oronte. Der ist mit Morgana verlobt und chronisch eifersüchtig.

Mad Max erliegt der barocken Zauberin. 
Alle Fotos: Lennart Hattenhauer
Oronte hetzt den liebesblinden Giero auf den vermeintlichen Nebenbuhler. Giero ist so verblendet, dass er seine Frau gar nicht erkennt. Die macht sich auf die Suche nach ihrer Widersacherin, um in einem Showdown die Sache von Frau zu Frau zu klären. Doch Alcina geht der Auseinandersetzung aus dem Weg weil sie ihre Zauberkraft verloren hat. Dann ist da noch der mehr als unglückselige Zauberer Atlante, Bruder von Alcina und Morgana.

Es ist die Frische und Lebensnähe, die diese Inszenierung auszeichnet. Nichts wirkt aufgesetzt und berufsjugendlich. Alcina nutzt das Smartphone, um Giero in die Liebesfalle zu locken. Zwischendurch wird gerappt, gebreakdanct und gechillt und die Wörter "Fuck" und "Scheiße" fallen auch einige Mal. Aber immer stimmig.

Hip-Hop Händel ist eine gelungene Mischung aus den Versatzstück unterschiedlicher Kulturen. Hip-Hop und Grunge passen hier zum Barock und zwar ohne Brüche und Übergänge. Zudem ist eine schlüssige Mixtur der unterschiedlichen Stilmittel und Techniken. Hier treffen Kämpfer in Mad Max-Optik auf barocken Glanz und es stört niemanden.

Eine Videoprojektion zeigt den Auruf der Bante an die Amazonen und Krieger. Dem folgt eine Jagd durch die Treppenhäuser des Theater, die vor ein schwarzen Tür endet Die Tür wird geöffnet. Cut. Umschnitt zurück in Live-Theater. Krieger und Amazonen stolpern auf die Bühne und stehen vor dem eisernen Vorhang. Ein großartige Idee und eine großartige Umsetzung wie hier die die Medien vernetzt werden.

Ein Geck, seine Geliebte und der vermeintliche
Nebenbuhler.    Foto: L. Hattenhauer
Der Vorhang hebt sich und gibt den Blick frei auf ein einfaches aber traumhaftes Bühnenbild. Anja Schulz-Hentrich ist etwas Großartiges gelungen: Reduziert aber fantasievoll. Auf einer Empore im Bühnenhaus thront im Gegenlicht das Sinfonieorchester der Kreismusikschule und schwebt wie Putten über der Szenerie. Auch der zweite und der dritte Akt sind ähnlich ausgestattet: Die wenige Ausstattungsstücke lassen genug Raum für die Ergänzungen im eigenen Kopf.

Auch die Kostümsprache ist eindeutig und verständlich. Krieger und Amazonen in Lack und Leder in Mad-Max-Optik. Die Zauberer und deren Anhang in Weiß und mit viel Rüschen.

Die Einschränkungen eines Jugend- und Amateurtheaters werden an einigen Stellen deutlich und natürlich hat das Sinfonieorchester nicht das Volumen, die Präzision und den Schwung eines Profi-Orchesters. Aber es erfüllt seine Aufgaben sehr gut und ist in den Arien der Alcina ein Partner auf Augenhöhe für Aleksandra Bruchov.

Es gibt durchaus Darstellerinnen und Darsteller, die an diesem Abend über sich hinauswachsen und beachtliche Akzente setzen. Dazu gehören Sarah-Lucy Ertelt in der Rolle der Morgana. Sie versteht es, der Verzweiflung der ewigen kleinen Schwester Ausdruck und Stimme zu verleihen.

Aber auch Dennis Kraml zählt dazu. Sein Orante ist angelegt wie ein überkandidelter Geck aus den Operetten oder Revuefilmen der 30-er Jahre. Reife Leistung.

Doch die schauspielerischen Höhepunkte in der Premiere setzt Max Iser. Er versteht es, den leicht trotteligen Atlante eine komplette und glaubwürdige Figur zu verleihen. Auch die Variationsmöglichkeiten seiner Stimme und sein Timing ist große Klasse.

Er ist eindeutig der Dude: Max Iser als Atlante.
Alle Fotos: L. Hattenhauer
Die eindrucksvollste Szene bleibt aber der Profin vorbehalten: Alcinas Abgang. Dabei harmoniert Aleksandra Bruchov wunderbar mit ihren Alter Egos, die nicht von dieser Welt wollen. Bei allem Hip-Hop ist hier mal Stille angesagt.

Die Mischung ist so gelungen, dass selbst Elemente wie die Vertikalakrobatik der Zappelinis an Tuch und am Seil zwar deutlich von der Vorlage abweichen. Aber weil sie dies als die Kinder der Alcina turne, passt es dann doch. Zum ganz eigenen Zauber dieses Stück trägt die Einlage allemal viel bei.

Aber neben allen optischen Reizen, die diese Inszenierung bietet, liegt ihre Stärke doch in den Inhalten. Also, dass das Libretto einer Barock-Oper auch für eine Soap Opera taugt ist keine neue Erkenntnis. Doch Eva Lankau, Steffi Böttcher und Christian Fuchs zeigen, dass hier die Themen drinstecken, die Jugendliche und Heranwachsende bewegen.

Es geht um die eigene Orientierung in einer Welt, die sich ändert, es geht um Sexualität in vielfältiger Form und es geht um den Zoff in der Familie, personifiziert in der Auseinandersetzung von Morgana und ihrer Schwester Alcina. Damit ist es Werk eben hip und der donnernde Applaus zum Schluss lebt nicht nur vom Verwandten-Bonus.






Material #1: Georg Friedrich Händel
Material #2: Alcina - Die Oper

Theater Nordhausen #1: Der Spielplan
Theater Nordhausen #2: Der Theaterjugendclub
Theater Nordhausen #3: Hip-Hop Händel

Kooperationspartner #1: Die Zappelinis
Kooperationspartner #2: Studio 44




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