Alles voller Magie
Shakespeares Sturm in einer Inszenierung nicht von dieser Welt
Sprechtheater, Musik und Videoanimationen, es ist ein Theaterstück an der Grenze zur Performance. Mit seiner Inszenierung von Shakespeares Sturm überzeugt Janek Liebetruth zum Start des Theaternaturfestivals. Inhalt und Raum verschmelzen zu einer Einheit.Das Stück startet fulminant. Aus den Lautsprecher singt Kai Wingenfelder davon, dass es nicht die Zeit, sich Fragen zu stellen. Auf der LED-Wand brennt ein Feuerwerk ab und ein Sturm fegt über die schwarze, verspiegelte Spielfläche. Vom Rand tritt Angelika Böttiger in das Auge des Sturm. Sie ist die Zauberin Prospera und die Herrin der sturmumtosten Insel mit Rockstar-Gehabe.
Schon vor zwei Jahren in seinen Räubern hat Regisseur Janek Liebetruth eine tragende Rolle das Geschlecht wechseln lassen. Miranda darf aber Tochter bleiben, so will Liebetruth den Generationskonflikt und den demographischen Konflikt als Überthema des diesjährigen Festivals hervorheben. Schließlich gehe es ja auch um Macht über die Nächsten.
Angelika Böttiger ist ganz die rachelüsterne Herrscherin, steif in Gestik und Mimik und knapp im Befehlston. Erst vor dem finalen Schlag gegen den verhassten Bruder Antonio darf sie herunterkommen von hohen Ross und vom Proklamations- in den Sprechmodus wechseln. Es deutet sich ein Prozess an. Aus Rache wird Güte und damit ist es nicht verwunderlich, dass auch hier alles zum Schluss in Harmonie endet. Katja Göhler als Miranda bleibt auf die Rolle der folgsamen Tochter reduziert und damit nicht mehr als Beiwerk.
Das Personal haben Janek Liebetruth und Lena Fritschle deutlich reduziert. Zwar sind nur noch sieben Figuren auf der Bühne zu finden, doch für das Stück bedeutet dies keine Einbuße. Ganz im Gegenteil, die Straffung bedeutet Konzentration.
Dem stehen viele Einfälle gegenüber, die erst überraschen und dann überzeugen. Dazu gehört bestimmt das Trimmrad als Symbol für sklavenhaftes Schuften. Überall sind Andeutungen versteckt. Im Minutentakt gibt es in dieser Inszenierung etwas zu entdecken, manchmal im Kleine und Verborgenen, manchmal in der großen Geste.
Im diesem Ensemble von sieben gleichwertigen Darstellern nimmt Vincent Göhre dennoch eine Sonderrolle ein. Als Windgeist Ariel sorgt er für die komödiantischen Augenblick. Vor allem beherrscht er die kleinen Tricks bewundernswert. Wo andere auf viele Worte und raumgreifende Gesten setzen, brilliert er mit Mimenspiel und beiläufigen Handgreiflichkeiten. Seine Geringschätzung für den urinierenden Antonio braucht keine Worte, Blicke reichen. Kaum zu Glauben, dass der junge Mann gerade mal Mitte zwanzig ist. Somit ist von Vincent Göhre noch viel zu erwarten.
Prospera hat den Geist, den sie rief, gut im Griff. |
Die undankbarste Rolle hat ohne Frage Lena Stamm als Monstrum Caliban. Der Geschlechterwechsel beim Nachwuchs der Hexe Sycorax gibt zumindest die Möglichkeit eine zusätzliche Liebesgeschichte mit dem Mundschenk Stephano zu inszenieren und zu zeigen, dass die Liebe auch aus Monstern empfindsame Wesen. Aber es ist vor allem die großartige Stimme, mit der Lena Stamm überzeugen kann. Ihr "Like a prayer" hat Gänsehautfaktor.
Über der Einsatz von Pop-Songs. Das ist nicht Beiwerk oder Stimmungsmache. Die Musik wird zum Träger der Handlung und beschert dem allwissenden und ahnenden Publikum durchaus heitere Momente.
Nun hat Shakespeares Werk schon mehr als 4000 Jahre auf dem Buckel. Wie transportiert man das Treiben um Rache und Vergebung in die Gegenwart? Der Einsatz der Musik ist ein Mittel, aber Liebetruth und Fritschle setzen auf die Sprache. Prospera verbleibt als erhabenes Monumentum ewigen Menschheitstriebe durchweg im Shakespearischen Original, doch alle anderen Figuren dürfen auch mal in die Jetzt-Sprache wechseln. Je weiter unten im Ranking, desto öfter sogar. Antonio und Stephano dürfen sogar ins Managersprech wechseln.
Die Botschaft? Die Sanierer und Abservierer des 17. Jahrhunderts unterscheiden sich nicht von denen des 21. Jahrhunderts. Noch nicht einmal die Kostümierung unterscheidet sie. Dieser Strum ist alles andere als ein Historienspiel und die einfallsreich und überraschende Ausstattung von Leah Lichtwitz bewahrt diese Inszenierung ganz bestimmt davor.
Der Prinz ist auf der Suche.
Alle Fotos: Kügler
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Ach ja, dann sind da ja noch die Bühne und das Bühnenbild. Eine schwarze, verspiegelte Spielfläche, gesäumt von fünf LED-Wänden und Spiegeln. Auf dem ersten Blick wirkt es wie ein Raumschiff, ein technisierter Fremdkörper inmitten des Waldes. Damit erfüllt es alle Kriterien eines Schauspielverhinderungsbühnenbildes.
Doch Daniel Unger ist hier Großartiges gelungen. Das Bühnenbild ist weder Beiwerk und reine Kulisse, noch Monstrum im Hintergrund. Es ist aktiver Teil der Inszenierung. Die Animationen geben den Ort an, zeigt Fenster und Türen, wenn Prosperas Heim die Spielstätte ist oder zeigt grüne Wildnis wenn Antonio und Stephano durch die Gegend irrlichtern. Vor allem aber zeigt es das, was auf einer Bühne mit konventionellen Mittel nicht machbar ist, die Zauberkraft der Prospera.
Aber es wirkt auch auf der Meta-Ebene, dieses Raumschiff. Mitten im Wald gelandet, trennt es diesen Ort vom Rest der Welt, gibt ihm eine ganz besondere Magie. Die Waldbühne wird selbst zur Insel und das Publikum zu unsichtbaren Zuschauern beim Treiben der Herrscherin Prospera. Nach 400 Jahren Suche ist klar: Prosperos Insel liegt auf 51° 6' Nord und 10° 7' Ost.
Material #1: Das Theaternaturfestival - Die Website
Material #1a: Der Sturm - die Inszenierung
Material #2: William Shakespeare - Die Biografie
Material #2a: Der Sturm - das Stück
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