Montag, 10. September 2018

Keiner hat sich im Kräutergarten verirrt

Family Clash: Die Gebrüder Gerassimez begeistern in Nörten

Von wegen Familienstreit. Am Freitag entführten Alexej, Wassily und Nicolai Gerassimez bei den niedersächsischen Musiktagen ihr Publikum in ihre kunterbunte Welt aus Jazz, Klassik und Tango. Zur Musik auf allerhöchstem Niveau gab es noch eine unterhaltsame Show mit Augenzwinkern.

Die drei Brüder sind ganz bestimmt ein Glücksfall für die Musik. In eine Musikerfamilie geboren, lernten sie schon von frühester Kindheit an ihre Instrumente und wurden auch schon früh mit Preisen ausgezeichnet. Die Ankündigung hatte ein mitreißendes, homogenes und nahezu intuitives Zusammenspiel versprochen. Der Auftritt im Atrium des Gräflichen Landsitz Hardenberg übertraf die Erwartungen.

Das zarte Klavierspiel von Nicolai Gerassimez leitet das Präludium von Johann Sebastian Bach ein. Behutsam gesellt sich das Vibraphon dazu. Mit dem vorsichtigen Spiel von Wassily Gerassimez am Cello ist die außergewöhnliche Besetzung komplett. Dann tritt das Klavier in den Hintergrund und Cello und Vibraphon bestimmen im Wechsel. Dann ist die Kuscheltour vorbei. Alexey Gerassimez zeit das Tempo deutlich an und Nicolai rennt hinterher. Das ist nicht nur eine rasante Bach-Interpretation sondern zeigt, dass der Schlagwerker die prägende Figur an diesem Abend wird.

Die drei Brüder mal als Duo: Nicolai und Alexey
Gerassimez.     Alle Fotos: Kügler
Die Toccata von Anders Koppel beginnt wieder im ruhigen Fahrwasser. Alexey Gerassimez lässt sein Instrument flüstern, bevor die Töne nur so aus ihm heraussprudeln. Dann setzt das Klavier mit hüpfenden Anschlag ein. Auf den Klangteppich des Vibraphons setzt Nicoali Gerassimez die Akzente.

Vom romantischen Flüstern bis zu Wagnerscher Dramatik, Komponist Anders Koppel wollte hier wohl alles zeigen. Für das Duo ist das kein Problem. Die beiden Brüder scheinen sich als Gipfelstürmer gar noch zu beflügeln und beim Vibraphon-solo taucht zu ersten Mal die Frage: "Hat der sich all die Noten gemerkt oder ist das reine Improvisationskunst?" Auf jeden Fall passt es.

Wassily Gerassimez startet solo in seine Eigenkomposition Melancolia. Mit langsamen Streichen auf 2 Saiten produziert er hypnotische Klänge, die das Publikum in Trance versetzen. Wie langsam kann man eigentlich sein? Die Zeit zieht sich in der Melancholie eben dahin wie ein Deuser-Band.

Wie ein Skalpell setzt das Vibraphon hier nun mit vier Tönen im wirbelnden Wechseln den scharfen Schnitt. Wassily Gerassimez ist aus der Lethargie erwacht und antwortet mit einem hektisch sägenden Cello-Spiel.

Angeblich sei es das Ansinnen von Bohuslav Martinú gewsen, mit seiner Rossini-Variation ein unspielbares Stück zu komponieren. Der Versuch ist ihm nicht geglückt. Es ist schon schwere Kost und bei den all den Läufen, die die drei Brüder hier rauf- und runterspielen, kann sich schon durchaus frage, ober die überhaupt zusammenspielen. Doch, das machen sie und die Brüder treffen sich am vereinbarten Punkt in der Mitte des Werks, bevor Nicolai wieder die Klaviatur rauf und runter jagt

Wesentlich entspannter sind da schon die Paganini-Variationen von Fazil Say. Das Klavier beginnt im freien Spiel und es klingt jazzig, nach Oldtime und New Orleans. Dann wechseln Rhythmus und Attitüde und die Melodie bebopt auf einmal. Doch das bekannte Thema bleibt deutlich und erkennbar. Mal cool, mal Blues, mal Filmmusik. Gerassimez loopt die Melodie durch einige Spielarten populärer Musik und deformiert sie doch nicht.

Der Herr der Trommel: Alexey
Gerassimez und seine Asventuras.
Auf mehr als 180.000 Aufrufe bei Youtube hat es das Video "Asventuras" von Alexey Gerassimez schon gebracht. Nun darf das Publikum in Nörten-Hardenberg erfahren warum. Auf der Bühne im Atrium bietet der Komponist einen Querschnitt dessen, was mit Sticks und Snare Drum möglich ist. Es geht bis an die Grenzen des Spielbaren. Laut und schnell, langsam und leise. Gerassimez bearbeitet sein Spielgerät mit Sticks und mit Besen, am Rand, auf dem Fell und sonstwo.

Es kann brüllen, aber es kann auch flüstern, ja Flüstern bis an die Grenze des Hörbaren. Gerassimez sprengt die Allgemeinplätze. Die sonst so laute Snare kann auch Töne produzieren, die gerade noch so hörbar sind.

Dann zischt sie auf einmal, bissig und zynisch. Der Schlagwerker bearbeitet sein Instrument mit einem Haushaltsschwamm. Das gibt 10 Punkte auf der Günter-Baby-Sommer-Skala und einen Extrapunkt für Einfallsreichtum.

Auch nach der Pause bleibt Alexej der Leader of the Gang. Bei der "Music for Pieces of Wood" gibt er den Grundrhythmus vor, über den seine Brüder dann mit Klanghölzern variieren. Ja die Herren haben die Instrument vertauscht. Wieder taucht die Frage auf, ob sie wirklich alle drei dasselbe Stücke spielen. Doch das machen sie auch dieses Mal.

Die Rhythmus-Linien laufen nebeneinander , laufen gegeneinander und treffen sich dann doch zur verabredeten Zeit am verabredeten Ort. Das Versprechen der Ankündigung wird wiederum eingelöst. Es verirrt sich niemand im Kräutergarten, wie der Älteste der drei angedeutet hatte.

In seiner Komposition "Letzte Nacht im Orient" hat sich Wassily Gerassimez wohl von Anders Koppel anstecken lassen. Das klingt alles erwartet exotisch, eerweckt aber den Anschein des Alles zeigen, was man kann. Drei-, viermal nimmt er noch einmal eine Wendung als ein Thema ausgearbeitet ist. Das ist schnell ausgereizt und weniger wäre besser gewesen.

Dann steht Tango auf dem Programm. Der Libertango von Eric Sammut bringt eine Piazzolla-Variation, die mit Anlauf überzeugt. Das Cello bleibt bei der bekannten Vorlage, während das Vibraphon darüber frei improvisiert. Es geht durch Tiefen und Höhen, bevor sich die Brüder im Tango-Rhythmus treffen und das Cello mit Pizzicato noch einmal an Tempo zulegt.

Freimütig gesteht Alexey Gerasssimez, dass er ein Bewunderer von Astor Piazzolla ist. Dies merkt man seiner Komposition Piazonore auch an. Er greift hier viele bekannte Themen des Argentiniers auf. Das Füllhorn an Referenzen ist fast schon zu sehr gefüllt.

Die höchste Form des Zusammenspiels:Drei Männer
an einem Cello.     Alle Fotos: Kügler
Transition schließt den regulären Teil ab. Es ist eine Familienproduktion, Wassily hat komponiert und Alexey arrangiert. Das Werk zeigt sich wesentlich reifer als die anderen beiden. Es schwelgt nicht in ätherischen Melodien sonder kommt rhythmisch und jazzig daher. Es ist die Quintessenz, der Querschnitt durch den Abend und eine Steigerung zugleich. Die Show beginnt, denn die Brüder mach das Bäumchen-Wechsel-dich-Spiel. Schwupps, auf einmal verwandelt Alexey das Cello in ein Percussion-Instrument, während Wassily das Klavier bedient und Nicolai sich am Virbraphon positioniert. Schwupps, geht der Tausch weiter, drei,- viermal, bis jeder wieder dort steht, wo er hingehört.

Das kann man nicht steigern? Doch. In der Zugabe gibt es Ravels Bolero in einer Espresso-Version. Drei Mann an einem Instrument, Wassily streicht das Cello mittig, Nicolai zupft oben und Alexey trommelt mal hier und mal dort. Wie war das mit der Ankündigung und dem Zusammenspiel noch mal.

Die Gebrüder Gerassimez sind wahrlich ein Glücksfall für die Musik. Neben allen technischen Fertigkeiten und Finessen und einem weit gestecktem Verständnis vom dem, was Musik sein kann, bringen sie auch Show-Talent und Esprit und erfrischende Frechheit mit in den Konzertsaal.


   




Material #1: Die Musiktage - Die Website

Material #2: Die Gebrüder Gerassimez - Die Website
Material #3: Asventuras - Das Video

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